Zulässigkeit der Berufungseinlegung im sozialgerichtlichen Verfahren per E-Mail ohne Signatur; Schriftformerfordernis
1. Einem E-Mail fehlt das Schrifterfordernis.
2. Einem E-Mail fehlt die Unterschrift.
3. Ein E-Mail kann rechtlich wirksam im Sinne des Prozessrechts nur als elektronisches Dokument im Sinne von §
65a SGG übermittelt werden.
4. Die schriftliche Einlegung der Berufung erfordert im Regelfall anders als bei der Klageerhebung (Sollvorschrift nach §
92 SGG) eine Unterschrift.
5. Das Schriftformerfordernis bei Einlegung einer Berufung kann auch dann erfüllt sein, wenn es zwar an einer Unterschrift
fehlt, wenn sich jedoch aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den
Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergibt.
6. Auf das Fehlen seiner Unterschrift ist der Berufungsführer rechtzeitig hinzuweisen, damit er seine Prozesshandlung nachholen
kann.
7. Zur ordnungsgemäßen Durchführung des Vorverfahrens genügt eine ablehnende Entscheidung der Verwaltung durch Widerspruchsbescheid.
Nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird zum Teil darüber hinaus die ordnungsgemäße (fristgerechte Einlegung) Durchführung
des Vorverfahrens gefordert.
8. Erst nach Prüfung von Wiedereinsetzungsgründen durch das Gericht ist die Schlussfolgerung möglich, dass der Verwaltungsakt
bindend geworden (§
77 SGG) und die Klage unter Umständen unbegründet ist. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch
(SGB) II in Höhe von 1.320,43 EUR streitig. Am 12.02.2009 erließ die Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in
Höhe von 1.320,43 EUR für den Zeitraum vom 01.08. bis 30.11.2008, in welchem der Kläger Leistungen nach dem SGB II bezogen
hatte. Zur Begründung war ausgeführt, dass der Kläger über Vermögenswerte in Höhe von 60.000 EUR verfüge und daher nicht hilfebedürftig
im Sinne von § 9 SGB II gewesen sei.
Am 23.03.2009 erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass er den Betrag von 60.000 EUR erst im Januar 2009 erhalten
habe und während des Erstattungszeitraumes noch mittellos und auf Unterstützung angewiesen gewesen sei. Die Beklagte wies
den Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2009 zurück, weil die Widerspruchsfrist bei Einlegung des Rechtsbehelfs
verstrichen gewesen sei. Der Bescheid vom 12.02.2009 sei am dritten Tage nach Aufgabe zur Post (am 15.2.2009) bekannt gegeben
worden.
Einen am 20.07.2009 eingelegten Widerspruch gegen die Zahlungsaufforderung der Beklagten gab diese an das Sozialgericht Landshut
als Klage ab. Darin führte der Kläger aus, dass er in neurologisch-psychiatrischer Behandlung sei und er daher die Widerspruchsfrist
um einige Tage versäumt habe.
Durch Urteil vom 20.12.2010 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Gemäß §
78 Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sei vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen.
Unstreitig habe der Kläger die Widerspruchsfrist versäumt. Damit sei das Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt gewesen.
Triftige Gründe für eine Wiedereinsetzung gemäß §
67 SGG seien weder erkennbar noch glaubhaft gemacht. Das SG hatte jedoch das persönliche Erscheinen angeordnet und am 20.12.2010 eine mündliche Verhandlung abgehalten. Diese Anordnung
wurde aber wieder aufgehoben worden, weil der Kläger nicht erschienen war. Weiter hat das SG seine Entscheidung damit begründet, dass es jedenfalls nicht ausreiche, dass der Kläger in neurologisch-psychiatrischer Behandlung
sei. Insofern hätte der Kläger schon schlüssig vortragen und glaubhaft machen müssen, weshalb ihn die ärztliche Behandlung
an der fristgemäßen Einlegung des Widerspruchs gehindert hat.
Auf das ihm am 11.01.2011 zugestellte Urteil des SG hin hat der Kläger am 20.1.2011 an das SG ein Schreiben gemailt. Darin schilderte er die Vorgänge und bat um Benachrichtigung über Akteneinsicht. Dieses Schreiben
hat das SG am 01.02.2011 dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) vorgelegt.
Mit Schreiben vom 02.02.2011 hat der Senat den Kläger darauf hingewiesen, dass seine Berufung nicht formgerecht im Sinne von
§
151 Abs.
3 SGG erfolgt sei. Es fehle seine Unterschrift. Gelegenheit zur Nachholung werde gegeben. Er solle dafür Sorge tragen, dass die
Monatsfrist nach Bekanntgabe des Urteils eingehalten werde.
Zwischenzeitlich ist kein weiterer Schriftsatz des Klägers eingegangen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20. Dezember 2010 sowie den Bescheid vom 12.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.07.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Eine Berufung des Klägers ist nicht formgerecht eingegangen. Das Rechtsmittel ist daher zu verwerfen.
Gemäß §
151 Abs.
1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Gemäß §
151 Abs.
2 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung - wie hier beim SG Landshut - innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Nach Satz 2 dieser Vorschrift legt
das Sozialgericht in diesem Falle die Berufungsschrift oder die Niederschrift mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht
vor.
Der Kläger hat ausweislich des vorgelegten Ausdrucks des SG ein elektronisches Produkt im Sinne einer E-Mail verfasst und übermittelt. Denn dasselbe enthält Absender, Adressse und Text
ohne schriftliche Verkörperung und ohne Unterschrift. Es ist mittels eines Servers zum SG gelang.
Einem solchen Produkt fehlt das Schrifterfordernis. Daneben fehlt ihm auch die Unterschrift. Diese ist anders als bei der
Klageeinlegung (Sollvorschrift nach §
92 SGG) zwingend erforderlich. Nach eindeutiger Kommentierung (Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, Rdnr. 3f zu §
151 SGG) ist eine einfache E-Mail nicht ausreichend (vgl. Hess VGH 3. 11. 05, 1 TG 1668/05, NVwZ-RR 06, 377; Hess LSG 11.07.07, L 9 AS 161/07 ER; LSG Rheinland Pfalz 10.09.07, L 4 R 447/06; vgl. auch Hartmann NJW 06, 1390, 1392). Eine zulässige Übermittlung als elektronisches Dokument im Sinne von §
65a SGG liegt nicht vor. Die dort genannten Anforderungen, insbesondere das Vorliegen einer Signatur, sind nicht erfüllt.
Ebenso wenig erfolgte auch die elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Telefax-Empfangsgerät
des Gerichts ("Computerfax"). Die Person des Erklärenden ist idR ausreichend durch eingescannte Unterschrift bestimmt, im
Einzelfall auch durch andere, eine Beweisaufnahme nicht erfordernde Umstände mit der Unterschrift vergleichbarer Gewähr für
Verantwortung und willentliches Verbringen in den Rechtsverkehr (GemS NJW 00, 2340 = SozR 3-1750 § 130 Nr. 1; BSG SozR 3-1500
§ 151 Nr. 2; BVerwGE 81, 32, 40; BVerwG NJW 95, 2121; BGH NJW 01, 831; BGH 10.05.2005, XI ZR 128/04, NJW 05, 2086 mit Anm. Schott in juris PR-BGH-Zivilrecht 29/05; BGH 10.10.2006, XI ZB 40/05, NJW 06, 3784; LSG Hamburg 10.10.2005, L 1 B 300/05 ER KR; vgl. auch Hinweise bei § 90 Rdnr. 5b).
Das Schriftformerfordernis kann zwar nach der Rechtsprechung in vielen Fällen auch dann erfüllt sein, wenn es zwar an einer
Unterschrift fehlt, wenn sich jedoch aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft
und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergibt. Das ist aber hier bei einer E-Mail gerade nicht gewährleistet.
Anders wäre es unter Umständen bei einem handschriftlichen Schreiben ohne Unterschrift aber mit einem handschriftlich verfassten
Absender.
Schließlich ist der Kläger unter Berücksichtigung einer nachholbaren Prozesshandlung vom Senat auch rechtzeitig auf diesen
Mangel hingewiesen worden. Er hat aber nicht innerhalb der Frist formgerecht Berufung eingelegt.
Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer
Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen
(§
158 Abs.
1 SGG).
Damit können auch Überlegungen unterbleiben, ob der Kläger dem Inhalt nach überhaupt eine Berufung anbringen wollte oder ob
es sich lediglich um das Gesuch auf Akteneinsicht beim SG oder einen Abwendungsversuch der Vollstreckung gehandelt hat.
Es kann auch dahingestellt bleiben, ob das SG die Klage zu Recht als unzulässig abweisen durfte, weil seiner Ansicht nach kein Vorverfahren durchgeführt worden sei. Nach
übereinstimmender Ansicht in der Sozialgerichtsbarkeit (vergleiche Meyer-Ladewig aaO., Rdnr. 2 zu § 78) ist es lediglich erforderlich,
dass der Widerspruch erfolglos geblieben ist. Es muss grundsätzlich eine ablehnende Entscheidung der Verwaltung durch Widerspruchsbescheid
vorliegen. Nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird zum Teil darüber hinaus die ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens
gefordert (vgl. Geis in Sodan/Ziekow § 68 Rdnr. 37 ff mwN). Damit musste das Senat auch nicht prüfen, ob der angefochtene
Verwaltungsakt deswegen bindend geworden ist, weil schon nicht rechtzeitig gegen ihn Widerspruch eingelegt worden ist (vgl.
§
77 SGG). Der Senat war auch nicht gehalten, selbst zu überprüfen, ob Wiedereinsetzungsgründe bei der verspäteten Erhebung des Widerspruchs
vorgelegen waren. Das SG hätte dies nach seiner Rechtsansicht tun müssen und dazu insbesondere von seiner geplanten Befragung des Klägers nicht Abstand
nehmen dürfen.
Die Kostentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Es sind keine Gründe ersichtlich.