Anspruch auf Sozialhilfe; Verletzung des Selbsthilfegrundsatzes bei der Tilgung von Schulden
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII)
streitig. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH).
Der 1940 geborene Kläger und Beschwerdeführer sowie die 1941 geborene Klägerin und Beschwerdeführerin sind Bezieher von Altersrente.
Die Kläger beantragten erstmals am 16.11.2004 Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 26.11.2004 wurde die Gewährung von
Grundsicherungsleistungen wegen Überschreitung des Vermögensfreibetrages abgelehnt. Zugleich wurden die Kläger darauf hingewiesen,
das den Gesamtfreibetrag übersteigende Vermögen "zur Deckung des künftigen Lebensunterhalts sparsam zu verwenden". Aus den
vorgelegten Bankbestätigungen ergibt sich bei der Sparkasse A-Stadt (Übersicht vom 24.11.2004 einschließlich Bausparvertrag
L.) ein Guthaben in Höhe von 11.385,06 Euro sowie bei der Raiffeisenbank B. (Übersicht vom 25.11.2004) ein Betrag in Höhe
von 184,04 Euro.
Am 16.03.2005 wurde durch die Kläger ein erneuter Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt. Gemäß Übersicht vom 16.03.2005
standen an diesem Tag dem Guthaben in Höhe von 8.794,73 EUR Verbindlichkeiten in Höhe von 7.702,79 EUR gegenüber.
Mit Bescheid vom 08.04.2005 wurde die Gewährung laufender Leistungen nach dem SGB XII abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt,
zum 16.03.2005 sei ein bestehender Bausparvertrag aufgelöst und ein Betrag in Höhe von 9.132,50 EUR zugeflossen. Die zur vorhandenen
Vermögensfreigrenze (3.214 EUR) verbleibende Differenz von circa 5.900 EUR reiche bei sparsamer Verwendung mindestens zwei
Jahre. Sollten diese Mittel früher aufgebraucht worden sein, müsse dies durch Ausgabequittungen belegt werden.
Hiergegen richtet sich der am 14.04.2005 erhobene Widerspruch. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bausparvertrag sei in
Höhe von 7.000 EUR zur Tilgung eines Darlehens welches der Kläger per Überweisung durch Herrn H. Y. in zwei Teilbeträgen am
06.01 und 14.01.2004 erhalten habe, verwendet worden. Zum Nachweis wurde eine Bestätigung von Herrn H. Y. beigefügt.
Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 15.02.2006 durch die Regierung von Schwaben zurückgewiesen. Danach bestehe unter Berufung
auf § 41 Abs. 3 SGB XII ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nicht, wenn in den letzten 10 Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich
oder grobfahrlässig herbeigeführt worden sei. Dabei sei zumindest ein grob fahrlässiges Verhalten gegeben, da der Kläger nach
Auszahlung des Bausparvertrages das Guthaben nicht zur Deckung seines Lebensunterhaltes sondern zur Schuldentilgung verwendet
habe. Es sei bereits bei einer früheren Antragstellung im November 2004 darauf hingewiesen worden, dass er dieses Vermögen
vorrangig und sparsam zur Deckung des künftigen Lebensunterhaltes zu verwenden habe. Wenn er nach Erhalt der Bausparsumme
das Vermögen in Kenntnis seiner vorrangigen Verpflichtung anderweitig verwende und dadurch sozialhilferechtliche Bedürftigkeit
verursache, habe er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Mit der am 23.02.2006 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage (Az.: S 15 SO 42/06) führt der Klägerbevollmächtigte im Schriftsatz vom 02.03.2006 aus, ein schuldhaftes
Verhalten der Kläger liege nicht vor. Im Bescheid vom November 2004 sei kein Hinweis enthalten, das Bausparvermögen vorrangig
zur Deckung des künftigen Lebensunterhalts zu verwenden.
Mit Schreiben vom 23.04.2004 wurde Prozesskostenhilfe beantragt.
Mit Beschluss des SG vom 21.09.2007 wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Hiergegen wendet sich die am 28.09.2007 beim SG erhobene Beschwerde.
Die Kläger und Beschwerdeführer beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 21.09.2007 aufzuheben und Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt
R. B., B-Straße, A-Stadt zu gewähren.
Das Landessozialgericht hat die Akten der Beklagten sowie des Sozialgerichts Augsburg beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes
wird auf die Ausführungen des SG im Beschluss vom 21.09.2007 verwiesen.
Nach §
73a Abs.
1 SGG (i.V.m. §
114 ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der
Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung erforderlich
erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist
Hinreichende Erfolgsaussichten liegen bei der gebotenen summarischen Prüfung entgegen der Auffassung des SG vor. Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der PKH erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Dabei ist
der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art.
3 Abs.
1, 20 Abs.
3, 19 Abs.
4 Grundgesetz) zu beachten. Deshalb dürfen keine allzu überspannten Anforderungen gestellt werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 07.04.2000, Az.: 1 BvR 81/00, NJW 2000,1936). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund
der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher
Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Meyer-Ladewig,
SGG, Kommentar, 8.Aufl., Rdnr. 7, 7a zu § 73a), wobei, wie sich aus dem auf die Rechtsverfolgung abstellenden Wortlaut und dem
Normzweck der §§
114 Satz 1,
119 Satz 2
ZPO ergibt, entscheidend auf den voraussichtlichen Erfolg in der Sache selbst und nicht auf einen davon losgelösten Erfolg des
Rechtsmittels zu sehen ist. Denn der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht
wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten
vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko mitberücksichtigt (BVerfGE 81, 347, 356 ff. = NJW 1991, 413 f.; BVerfG FamRZ 1993, 664, 665). Entscheidend ist demnach auf die Rechtmäßigkeit des im Streit stehenden Verwaltungshandelns abzustellen.
Es steht nicht mit dem für eine PKH-Ablehnung zu fordernden Überzeugungsgrad fest, dass die Klage unzulässig oder unbegründet
ist.
Das SG geht zutreffend davon aus, dass Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) beziehungsweise
nach Überschreiten der Altersgrenzen des § 41 SGB XII Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Betracht
kommen. Insoweit kann gemäß §§
153 Abs.
2 SGG analog auf die Ausführungen des SG verwiesen werden.
Ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe besteht grundsätzlich auch bei einer schuldhaft herbeigeführten Hilfebedürftigkeit.
Ursache und Zustandekommen einer Bedarfssituation sind regelmäßig, von einzelnen Ausnahmen abgesehen (vgl. §§ 26 Abs. 1 Satz
1, 41 Abs. 3 SGB XII), unerheblich für die Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers (vgl. Lücking in: Hauck/Noftz, SGB
XII K § 103 Rz.: 1). Dabei gilt grundsätzlich das Faktizitätsprinzip, wonach sich ein Sozialhilfeanspruch regelmäßig nicht
nach den Gründen der Notlage richtet und lediglich die tatsächliche Notlage des Leistungsberechtigten maßgeblich ist (vgl.
z.B. BSG v. 11.12.2007, Az.: B 8/9b SO 23/06 R; Rothkegel, die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, 2000, S. 18 m.w.N.).
Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII ist jedoch der Leistungsempfänger zur Selbsthilfe verpflichtet. Dies hat der Gesetzgeber unter anderem
auch durch die Verpflichtung zum Einsatz von Einkommen und Vermögen des Leistungsberechtigten (vgl. z.B. §§ 19, 82 ff. SGB
XII) ausgestaltet. Der Leistungsberechtigte ist danach verpflichtet, sein Einkommen und verwertbares Vermögen zur Deckung
seines Bedarfs einzusetzen, soweit die Regelungen zum Einsatz von Einkommen und Vermögen dies von ihm fordern (Dauber in Mergler/Zink,
Sozialgesetzbuch XII und Asylbewerberleistungsgesetzes, § 2, Rz. 9).
Nach Auffassung des Senats verletzt die Rückzahlung des Darlehens an Herrn H. Y. aus dem vorhandenen Vermögen der Antragsteller
ohne Hinzutreten weiterer subjektiver Tatbestände, nicht den Selbsthilfegrundsatz. Die Rechtsfolge des Ausschlusses eines
Anspruchs auf Sozialhilfe trifft hier nicht ein. Die gegenteilige Auffassung wird wohl in der Literatur teilweise bejaht (vgl.
z.B. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Kommentar, 2. Auflage, § 2, Rz.: 12 m.w.N.). So soll ein Leistungsberechtigter
der dem Selbsthilfegebot zuwider handelt, indem er Schulden begleicht, seinen Anspruch auf Sozialhilfe verlieren (vgl. Dauber
in Mergler/Zink, SGB XII, neunte Auflage, Stand August 2007, § 2, Rz.: 9 m.w.N.). Der Gesetzgeber lässt jedoch eine Durchbrechung
des Grundsatzes der Faktizität nur ausnahmsweise unter sehr engen subjektiven Voraussetzungen zu. So fordert beispielsweise
§ 26 Abs. 1 SGB XII bei einer Beschränkung der Hilfe zum Lebensunterhalt auf das zum Lebensunterhalt unerlässliche eine "Absicht,
die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistungen herbeizuführen", bzw. die §§ 41 Abs. 3, 103 SGB XII vorsätzliches
oder grobfahrlässiges Verhalten. Nach Auffassung des Senats lässt sich im vorliegenden Fall der Grundsatz der Faktizität nicht
durch eine bloße Berufung auf das Selbsthilfegebot in § 2 SGB XII durchbrechen. Die gegenteilige Auffassung (vgl. Wahrendorf,
aaO.) verkennt den strengen Ausnahmecharakter der Vorschriften in §§ 26, 4 Abs. 3 und 103 SGB XII. So wird zu Recht gefordert,
dass der Hilfesuchende hätte wissen müssen, dass er vorhandenes Einkommen und Vermögen vorrangig zur Bedarfsdeckung des eigenen
Lebensunterhaltes und nicht zur Begleichung von Schulden zu verwenden hat (vgl. Dauber, aaO.).
Das SG wird daher im Rahmen des Klageverfahrens auch den subjektiven Tatbestand der möglichen Anschlusstatbestände (§§ 26, 41 Abs.
3 SGB XII) prüfen müssen. Dabei wird besonders zu klären sein, ob die Kläger aus dem Hinweis der Beklagten im Bescheid vom
26.11.2004 zu einer "sparsamen Lebensführung" erkennen konnten, dass die vorhandenen Geldmittel nicht für eine Schuldentilgung
verwendet werden dürfen. Weiter ist es nicht ohne Interesse, aus welchen Gründen der Kläger am 06. und 14.01.2004 Geldmittel
von Herrn Y. erhalten hat (zur Bedarfsdeckung?) bzw. ob er gezwungen war, - sofern es sich um ein Darlehen gehandelt hat -
dieses am 16.03.2005 zurückzuzahlen.
Bei § 26 Abs. 1 S. 1 SGB XII kommt noch hinzu, das als Rechtsfolge um die Einschränkung auf das Unerlässliche vorgesehen ist.
Da die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) vorliegen und der Kläger im Sinne der
insoweit maßgeblichen Vorschriften über die PKH (§§ 73a
SGG, 115 ff.
ZPO) bedürftig ist, war der Beschluss des SG auf die Beschwerde der Klägerin hin aufzuheben und PKH ohne Ratenzahlung zu bewilligen.