Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Ausbildungsgeld
Anrechnung von Elterneinkommen
Nichterfüllung einer Unterhaltsverpflichtung
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen ein Erstattungsverlangen der Beklagten in Bezug auf vorläufig gezahlte Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben (Ausbildungsgeld) für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 und begehrt die endgültige Bewilligung dieser
Leistungen in Höhe der erhaltenen Zahlungen von 9.373,00 EUR.
Die Beklagte erbrachte seit dem Jahr 2007 an die Klägerin (geb. 19.11.1990) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den
§§ 97ff des Drittes Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III), zuletzt mit Bescheid vom 29.09.2009 für die Zeit ab dem 01.09.2009 anlässlich der Teilnahme der Klägerin an einer Maßnahme
des Berufsausbildungswerkes (BAW) M. und ihrer Ausbildung zur Beiköchin bei der Fa. F ... In diesem Zusammenhang bewilligte
die Beklagte der Klägerin ua Ausbildungsgeld für die Zeit bis 28.02.2011, zuletzt in Höhe von 528,00 EUR monatlich (Bescheid
vom 14.03.2011).
Mit dem Fragebogen zur Weiterbewilligung des Ausbildungsgeldes gab die Klägerin an, kein Einkommen zu haben. Zudem legte sie
die Erklärungen ihrer Eltern zu deren Einkommensverhältnissen vor (C. C. [K.] - Vater; O. P. [P.] - Mutter). Aus der Erklärung
des K. vom 12.04.2011 ging hervor, dass er zumindest bis Dezember 2009 eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Straßenreiniger
ausgeübt und im ersten Quartal 2011 einen (vorläufigen) Überschuss von 9.171,34 EUR aus dem Betrieb einer Spielhalle erzielt
habe. Der Hinweis in der Einkommenserklärung, dass für die Beurteilung die Verhältnisse des Kalenderjahres 2009 maßgeblich
seien, war seitens des K. mit dem Vermerk versehen, dass sein Steuerberater weitere Unterlagen übersenden werde. Zudem gab
er an, dass die Veranlagung für das Jahr 2009 noch erfolgen werde, wobei die Einkommenserklärung mit dem Hinweis versehen
war, dass der Einkommensteuerbescheid nach Erhalt zu übersenden sei. Auf der Grundlage der für das Jahr 2009 dargelegten Einkommensverhältnisse,
d.h. den Bruttoeinkommen des K. (33.070,74 EUR) und der P. (25.511,06 EUR), ermittelte die Beklagte kein berücksichtigungsfähiges
Elterneinkommen, worauf sie der Klägerin mit Bescheid vom 14.06.2011 Ausbildungsgeld wegen deren auswärtigen Unterbringung
in Höhe von monatlich 528,00 EUR für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 als vorläufige Leistung bewilligte. Die Vorläufigkeit
der Bewilligung beruhe auf dem Umstand, dass der Einkommensteuerbescheid der Eltern des Jahres 2009 noch nicht vorliege.
Nachdem die Klägerin im August 2012 im Haushalt ihrer Eltern wieder Aufnahme gefunden hatte, änderte die Beklagte mit Bescheid
vom 20.08.2012 die Bewilligung des Ausbildungsgeldes für den Zeitraum vom 01.08.2012 bis 31.08.2012 dahingehend ab, keine
Kosten einer auswärtigen Unterbringung mehr zu berücksichtigen (Zahlbetrag 397,00 EUR). Auch dieser Bescheid enthielt den
Hinweis auf die Vorläufigkeit der Entscheidung im Hinblick auf das Fehlen des Einkommensteuerbescheides des Jahres 2009. Hierauf
übersandte der Steuerberater der Eltern der Klägerin den Einkommensteuerbescheid des K. und der P. für das Jahr 2009. Ausweislich
des Steuerbescheides vom 10.11.2010 hatte der Vater der Klägerin allein aus seinem Gewerbebetrieb Einkünfte in Höhe von 159.027,00
EUR erzielt. Zusammen mit den Einkünften aus den nichtselbständigen Tätigkeiten (K.: 32.150,00 EUR; P.: 24.591,00 EUR) hatten
die Eltern der Klägerin Gesamteinkünfte in Höhe von 215.768,00 EUR und ein zu versteuerndes Einkommen von 198.535,00 EUR.
Die nachzuzahlenden Steuern in Höhe von insgesamt 43.813,27 EUR hatten die Eltern der Klägerin bis spätestens 15.12.2010 zu
entrichten.
Hierauf stellte die Beklagte mit Bescheid vom 03.09.2012 die Höhe des von der Klägerin zu beanspruchenden Ausbildungsgeldes
für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 mit 0,00 EUR monatlich endgültig fest. Das monatlich anzurechnende Einkommen
der Eltern der Klägerin betrage 8.909,83 EUR. Mit weiterem Bescheid vom 03.09.2012 setzte die Beklagte die Erstattung des
überzahlten Ausbildungsgeldes mit 9.373,00 EUR fest. Die Leistungen für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 seien gemäß
§
328 SGB III lediglich vorläufig erbracht gewesen. Auf der Grundlage der endgültigen Festsetzung bestehe für diesen Zeitraum kein Anspruch
auf Ausbildungsgeld. Die gegen die Bescheide eingelegten Widersprüche begründete die Klägerin allein damit, dass die gezahlten
Leistungen zum Lebensunterhalt verbraucht worden seien. Sie habe im Jahr 2009 keinerlei sonstige Einkünfte gehabt. Die Widersprüche
wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2012 zurück. Die Zahlung des Ausbildungsgeldes sei lediglich vorläufig
bewilligt gewesen. Die Vorläufigkeit wie auch die Rückzahlungspflicht habe sich aus den maßgeblichen Bewilligungsbescheiden
ergeben. Mit der endgültigen Bewilligung stehe fest, dass aufgrund des Einkommens der Eltern ein Anspruch auf Ausbildungsgeld
nicht bestanden habe. Die überzahlten Leistungen in Höhe von 9.373,00 EUR seien daher zu erstatten.
Die dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage hat die Klägerin am 13.11.2013 (erstmals) damit begründet, dass sie im Juli 2010 von ihren Eltern wegen des
Kontaktes zu ihrem drogensüchtigen Freund verstoßen und auf die Straße gesetzt worden sei. Bereits im Jahr 2009 habe sich
die Situation verschlechtert. Infolge dessen bestehe auch derzeit kein Kontakt zu den Eltern. Unterstützungsleistungen oder
Unterhaltsleistungen habe sie nicht erhalten. Im Jahr 2011 habe ihr Obdachlosigkeit gedroht, so dass sie sozialpädagogische
Hilfe habe in Anspruch nehmen müssen. Von den Einkünften ihrer Eltern habe sie keine Kenntnis gehabt, zumal ihr Vater die
Spielhalle erst im Laufe des Jahres eröffnet habe. Nachdem die Leistungen der Beklagten nicht endgültig erbracht worden seien,
habe zwar ein gesetzlicher Forderungsübergang nicht stattgefunden, die Beklagte habe sie aber auch nicht darauf hingewiesen,
dass Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern in Betracht kommen würden, so dass sie in der Lage gewesen wäre, diese gegen ihre
Eltern geltend zu machen. Nachdem sie wegen der fehlerhaften Beratung der Beklagten außer Stande sei, einen Unterhaltsanspruch
gegen ihre Eltern durchzusetzen, auch wenn sie einen solchen geltend gemacht habe, sei sie im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
so zu stellen, als ob die entsprechende Auskunft erteilt worden wäre, d.h. von der Erstattung der Leistungen sei abzusehen.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 23.09.2015 unter Abänderung des Bescheides vom 03.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25.10.2012 verurteilt, die Bewilligung des Ausbildungsgeldes für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 aufrecht zu
erhalten und von einer Erstattung in Höhe von 9.373,00 EUR abzusehen. Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin sei sie von
ihren Eltern verstoßen worden. Auch habe die Beklagte die Klägerin nie aufgefordert, einen Unterhaltsbeitrag gegenüber ihren
Eltern geltend zu machen. In Problemfällen wie den vorliegenden sei die Beklagte verpflichtet in Vorleistung zu treten. Die
Klägerin sei weder finanziell noch intellektuell in der Lage gewesen, einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern durchzusetzen.
Dies habe die Beklagte nach Aktenlage erkennen müssen. Eine Vorgehensweise nach §
68 Abs
1 SGB III sei von Amts wegen veranlasst gewesen.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Voraussetzungen für eine "rückwirkende"
Vorausleistung lägen nicht vor. Die Glaubhaftmachung, dass die Bewilligungsvoraussetzungen hierfür vorlägen, d.h. dass die
Eltern sich weigerten, den Unterhaltsbeitrag zu leisten, habe nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen "unverzüglich"
zu erfolgen. Weder im Widerspruchsverfahren noch mit der Klageerhebung sei hierzu etwas vorgetragen worden; dass Unterstützungsleistungen
seitens der Eltern nicht erbracht würden, sei erstmals im November 2013 vorgetragen worden. Das SG gehe auch fehl in der Annahme, die Vorausleistung habe von Amts wegen zu erfolgen. Zuletzt sei eine Gefährdung der Berufsausbildung
nicht zu erkennen, nachdem der streitgegenständliche Bewilligungszeitraum bereits abgelaufen gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.09.2015 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 03.09.2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2012 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.09.2012 (Az. S 8 AL 420/12) zurückzuweisen.
Das SG habe zutreffend entschieden. Es sei bereits im Widerspruchsverfahren klargestellt worden, dass sie keine Unterhaltsleistungen
bezogen habe. Dies habe sie im Klageverfahren wiederholt. Ihre Mittellosigkeit sei für die Beklagte offensichtlich gewesen,
ebenso wie der Umstand, dass sie keine Unterhaltsleistungen bezogen habe und im Jahr 2011 von Obdachlosigkeit bedroht gewesen
sei. Die Ausbildung sei im Sinne der gesetzlichen Vorschriften gefährdet gewesen, denn anderenfalls würde im Rahmen einer
vorläufigen Bewilligung der Beurteilungszeitpunkt willkürlich verschoben.
Am 02.06.2016 ist K. als Zeuge uneidlich vernommen worden.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerechte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtgesetz -
SGG) und in der Sache begründet.
Der erkennende Senat war trotz des Antrages auf Verlegung des Termins und dem Ausbleiben des Bevollmächtigten der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung am 21.09.2016 nicht an einer Entscheidung in der Sache gehindert. Bereits mit Beschluss vom
16.09.2016 ist dem Bevollmächtigten der Klägerin die Ablehnung des Verlegungsantrages zur Kenntnis gebracht worden. Ungeachtet
des Umstandes, dass das diesbezügliche Empfangsbekenntnis nicht vorgelegt worden ist, hat der Senat im Hinblick auf die Übermittlung
des Beschlusses vorab per Fax an die Kanzlei des Bevollmächtigten am 16.09.2016 keine Zweifel daran, dass der Bevollmächtigte
der Klägerin oder - er war nach eigenen Angaben mehr als eine Woche abwesend - dessen gemäß § 53 Abs 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) bestellter Vertreter, tatsächlich Kenntnis von der Ablehnung des Verlegungsantrages hatte. Gleichwohl hat es der Bevollmächtigte
der Klägerin unterlassen, erneut und substantiiert erhebliche Gründe darzulegen, die eine Verlegung der mündlichen Verhandlung
hätten rechtfertigen können; dass der erkennende Senat auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erheben, verhandeln und entscheiden
könne, war dem Bevollmächtigten der Klägerin bekannt, denn dies war ihm bereits mit der Ladung vom 24.08.2016 mitgeteilt worden.
Das SG hat die Bescheide vom 03.09.2012 idG des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2012 zu Unrecht aufgehoben, denn diese erweisen
sich als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat wegen des Unterhaltsbeitrages, den
ihre Eltern zu erbringen hatten, für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 keinen Anspruch auf Ausbildungsgeld. Die Beklagte
war auch nicht verpflichtet, das Ausbildungsgeld im Wege der Vorausleistung zu erbringen. Sie verlangt zu Recht die Erstattung
der für den streitigen Zeitraum vorläufig erbrachten Leistungen.
Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Klägerin, die bislang nur vorläufige Bewilligung des Ausbildungsgeldes in Höhe
der mit Bescheid vom 14.06.2011 idF des Bescheides vom 20.08.2012 zuerkannten Ansprüche endgültig festzusetzen und von einer
Erstattung der für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 (vorläufig) gezahlten Leistungen abzusehen.
Eine endgültige Festsetzung der mit den vorläufigen Bewilligungen vom 14.06.2011 (528,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom
01.03.2011 bis 31.07.2012) und 20.08.2012 (397,00 EUR für den Zeitraum vom 01.08.2012 bis 31.08.2012) zuerkannten Leistungen
kommt nicht in Betracht, denn wegen des für diesen Zeitraum zu berücksichtigenden Elterneinkommens errechnet sich kein Anspruch
der Klägerin auf Zahlung von Ausbildungsgeld. Die endgültige Feststellung mit Bescheid vom 23.09.2012, dass kein Zahlungsanspruch
bestehe, ist nicht zu beanstanden.
Behinderten Menschen können Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art oder Schwere
der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen
und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern (§ 97 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch idF des Gesetzes vom 19.06.2001; BGBl.
I 1046 -
SGB III). Für behinderte Menschen können erbracht werden (Nr.1) allgemeine Leistungen sowie (Nr.2) besondere Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben und diese ergänzende Leistungen (§
98 Abs
1 SGB III). Die allgemeinen und besonderen Leistungen richten sich nach den Vorschriften des ersten und vierten bis sechsten Abschnitts
(§§ 45 bis
47 und §§
57 bis
87), soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist (§
99 SGB III). Die besonderen Leistungen sind anstelle der allgemeinen Leistungen insbesondere zur Förderung der beruflichen Aus- und
Weiterbildung ( ...) zu erbringen, wenn Art oder Schwere der Behinderung oder die Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben die
Teilnahme an einer Maßnahme in einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen oder einer sonstigen auf die besonderen
Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichteten Maßnahme unerlässlich machen oder die allgemeinen Leistungen die wegen Art
oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder nicht im erforderlichen Umfang vorsehen (§
102 Abs
1 Satz 1
SGB III). Die besonderen Leistungen umfassen (Nr.1) das Übergangsgeld nach den §§
160 bis
162 SGB III und (Nr.
2) das Ausbildungsgeld, wenn ein Übergangsgeld nicht erbracht werden kann (§
103 Abs
1 SGB III). Behinderte Menschen haben Anspruch auf Ausbildungsgeld während einer beruflichen Ausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme
einschließlich einer Grundausbildung, wenn ein Übergangsgeld nicht erbracht werden kann (§
104 Abs
1 Nr.
1 SGB III).
Es ist offenkundig und zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Leistungszeitraum
(01.03.2011 bis 31.08.2012) diese Voraussetzungen für den Bezug von Ausbildungsgeld dem Grunde nach erfüllt, wobei vorliegend
für die Beurteilung der Rechtslage auf den Zeitpunkt vor Beginn der Fortführung der Maßnahme (01.03.2011) abzustellen ist,
denn bei Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung - gemäß §
3 Abs
4 SGB III sind Leistungen der aktiven Arbeitsförderung alle Leistungen der Arbeitsförderung mit Ausnahme von Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit,
Teilarbeitslosengeld und Insolvenzgeld - sind bei Änderungen des
SGB III, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, bis zum Ende der Leistungen oder der Maßnahme die Vorschriften in der vor dem Tag
des Inkrafttretens der Änderung geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn die Leistung zuerkannt worden ist (§
422 Abs
1 Nr.
2 SGB III). Ist eine Leistung - wie vorliegend - nur für einen begrenzten Zeitraum zuerkannt worden, richtet sich eine Verlängerung
nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verlängerung geltenden Vorschriften (§
422 Abs
2 SGB III).
Für das Ausbildungsgeld gelten die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) entsprechend, soweit (in den nachfolgenden
Regelungen der §§
105 bis
115 SGB III) nichts Abweichendes bestimmt ist (§
104 Abs
2 SGB III).
Unter Beachtung der maßgeblichen Vorschriften zur Ermittlung des Bedarfes und der Anrechnung des Elterneinkommens ist der
(endgültige Bewilligungs-) Bescheid der Beklagten vom 23.09.2012, die Klägerin habe im Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012
keinen Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsgeld, nicht zu beanstanden.
Ausgehend von einem Unterkunftsbedarf von 180,00 EUR für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.07.2012 (Mietbescheinigung vom
02.02.2011) ist der für diesen Zeitraum bestehende Bedarf mit 528,00 EUR zutreffend ermittelt. Als Bedarf werden bei beruflicher
Ausbildung zugrunde gelegt bei anderweitiger Unterbringung ohne Kostenerstattung für Unterbringung und Verpflegung der jeweils
nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) geltende Bedarf (348,00 EUR) zuzüglich 149,00 EUR monatlich für die Unterkunft; soweit Mietkosten für Unterkunft und Nebenkosten
nachweislich diesen Betrag übersteigen, erhöht sich dieser Bedarf um bis zu 75,00 EUR monatlich (§
105 Abs
1 Nr.
4 SGB III). Ausgehend hiervon errechnet sich der auch vom Beklagten berücksichtigte Bedarf von 528,00 EUR (= 348,00 EUR + 149,00 EUR
+ 31,00 EUR). Nachdem die Klägerin zum 01.08.2012 wieder bei ihren Eltern Unterkunft gefunden hatte, reduzierte sich dieser
Bedarf gemäß §
105 Abs
1 Nr.
1 Alt. 2
SGB III auf 397,00 EUR, nachdem die Klägerin am 21.11.2011 bereits das 21. Lebensjahr vollendet hatte.
Ebenso unstreitig wie die Ermittlung des Bedarfes ist zwischen den Beteiligten die Höhe des anzurechnenden Elterneinkommens.
Auf den Gesamtbedarf sind das Einkommen des Auszubildenden, seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten, des
Lebenspartners und seiner Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen (§
71 Abs
1 i.V.m. §
104 Abs
2 SGB III), wobei für die Ermittlung des Einkommens und dessen Anrechnung ( ...) die § 11 Abs. 4 sowie die Vorschriften des Vierten Abschnitts des BAföG mit den hierzu ergangenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten (§
71 Abs
2 Satz 1
SGB III).
Soweit für die Anrechnung des Einkommens der Eltern ( ...) des Auszubildenden die Einkommensverhältnisse im vorletzten Kalenderjahr
vor Beginn des Bewilligungszeitraums maßgebend sind (§ 24 Abs 1 BAföG), war vorliegend auf die Festsetzungen des Einkommenssteuerbescheides des Jahres 2009 abzustellen (Einkommensteuerbescheid
vom 10.11.2010).
Diesem Einkommensteuerbescheid vom 10.11.2010 lässt sich als Einkommen iSd § 21 Abs 1 Satz 1 BAföG, d.h. als Summe der positiven Einkünfte im Sinne des §
2 Absatz
1 und
2 des
Einkommensteuergesetzes (
EStG) für den Vater der Klägerin ein Betrag von 191.177,00 EUR und für die Mutter der Klägerin in Höhe von 24.591,00 EUR entnehmen,
wobei zweckbestimmte Einnahmen (iSd § 21 Abs 4 Nr. 4 BAföG), wie vorliegend die Arbeitnehmersparzulagen (jeweils 214,80 EUR), nicht als Einkommen gelten.
Weitergehend ist abzugsfähig die anteilige (Einkommen-)Steuerlast (§ 21 Abs 1 Satz 3 Nr. 3 BAföG) aus der geschuldeten Einkommensteuer iHv 53.505,00 EUR, d.h. für den Vater der Klägerin in Höhe von 47.448,26 EUR, und für
deren Mutter in Höhe von 6.056,74 EUR. Zudem sind berücksichtigungsfähig die pauschalierten Abzüge in Bezug auf die gesetzliche
Sozialversicherung (§ 21 Abs 1 Satz 3 Nr. 4 i.V.m. Abs 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG), d.h. für den Vater der Klägerin in Höhe von 12.100,00 EUR (Höchstbetrag für rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer)
bzw. für die Mutter der Klägerin in Höhe von 5.192,13 EUR (= 21,3 vH aus 24.376,20 EUR).
Hiernach verbleibt ein berücksichtigungsfähiges Einkommen des Vaters der Klägerin in Höhe von 131.413,94 EUR jährlich (= 191.177,00
EUR - 214,80 EUR - 47.448,26 EUR - 12.100,00 EUR) und deren Mutter in Höhe von 13.127,33 EUR jährlich (= 24.591,00 EUR - 214,80
EUR - 6.056,74 EUR - 5.192,13 EUR), womit sich ein monatliches (Gesamt-)Einkommen von 12.045,11 EUR (= 1/12 aus 131.413,94
EUR + 13.127,33 EUR) ergibt. Hiervon anrechnungsfrei bleibt (lediglich) ein Freibetrag gemäß §
108 Abs
2 Nr.
2 SGB III in Höhe von 2.909,00 EUR, nachdem die Klägerin ihre Ausbildung nicht in einer Werkstatt für Behinderte durchgeführt hat (§
108 Abs
1 SGB III).
Insoweit ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass allein mit dem von den Eltern der Klägerin zu erbringenden Unterhaltsbeitrag
(in Höhe von 9.136,11 EUR [= 12.045,31 EUR - 2.909,00 EUR]) deren ausbildungsbedingter Bedarf (in Höhe von 528,00 EUR bis
Juli 2012 bzw. in Höhe von 397,00 EUR für August 2012) vollständig zu decken war, so dass sich ein Zahlungsanspruch allein
unter Beachtung dieser Überlegungen nicht ergibt.
Soweit allein streitig ist, dass die Beklagte das Ausbildungsgeld im Wege der Vorausleistung gemäß §
72 SGB III ohne Berücksichtigung des elterlichen Unterhaltsbetrages zu erbringen habe, rechtfertigt das Vorbringen der Klägerin keine
Verurteilung der Beklagten und endgültige Festsetzung der mit Bescheid vom 14.06.2011 und 20.08.2011 bewilligten Leistungen.
Macht der Auszubildende glaubhaft, dass seine Eltern den nach den Vorschriften dieses Gesetzes angerechneten Unterhaltsbetrag
nicht leisten, oder kann das Einkommen der Eltern nicht berechnet werden, weil diese die erforderlichen Auskünfte nicht erteilen
oder Urkunden nicht vorlegen, und ist die Ausbildung, auch unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten oder des Lebenspartners
im Bewilligungszeitraum, gefährdet, so wird nach Anhörung der Eltern ohne Anrechnung dieses Betrags Berufsausbildungsbeihilfe
geleistet (§
72 Abs
1 SGB III).
Diese Voraussetzungen liegen aber - entgegen der ohne nachvollziehbare Begründung gebliebenen Entscheidung des SG - bezüglich der beiden möglichen Tatbestandsalternativen nicht vor.
Die Regelung des §
72 Abs
1 SGB III sieht alternativ zwei Fallgestaltungen vor, die für die Beklagte Anlass bieten, Vorausleistungen zu erbringen, wobei jeweils
kumulativ erforderlich ist, dass ohne die Bewilligung der Leistungen die Durchführung der Ausbildung gefährdet erscheint (vgl.
Petzold in Hauck/Noftz,
SGB III, Stand Juni 16, §
68 Rn.4, 7).
In diesem Zusammenhang kann die Klägerin ihr Begehren bereits deshalb nicht auf die zweite Alternative der tatbestandlichen
Voraussetzungen stützen, weil die Eltern der Klägerin die erforderlichen Unterlagen zur Berechnung des Unterhaltsbetrages
anlässlich der endgültigen und nunmehr streitbefangenen Bewilligungsentscheidung vom 23.09.2012 vorgelegt haben. Insoweit
kann dahinstehen, ob die Beklagte anlässlich der vorläufigen Bewilligungen vom 14.06.2011 und 20.08.2012 ermessensfehlerfrei
gehandelt hat, weil statt der vorläufigen Bewilligung eine endgültige Bewilligung unter Beachtung des §
72 Abs
1 SGB III angezeigt gewesen wäre. Diesbezüglich besteht keine Veranlassung, diese Problematik im vorliegenden Verfahren unter dem Aspekt
des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu prüfen. Soweit der Klägerin mit den vorläufigen Bewilligungen vom 14.06.2011 und 20.08.2012 in rechtswidriger, weil in
ermessensfehlerhafter Weise Leistungen zu Unrecht nicht in endgültiger Form - unter Beachtung der Regelung des §
72 SGB III - erbracht worden sein sollten, wäre dies im Wege einer Überprüfung nach § 44 SGB X nicht mehr korrigierbar, denn die diesbezüglich in Rede stehenden Verwaltungsakte über die vorläufigen Bewilligungen vom
14.06.2011 und 20.08.2012 haben sich durch die endgültige Bewilligung, den (Bewilligungs-) Bescheid vom 23.09.2012 in sonstiger
Weise gemäß § 39 Abs 2 SGB X erledigt (vgl. zum Verhältnis von vorläufiger und endgültiger Bewilligung: BSG, Urteil vom 28.06.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104ff; Urteil vom 31.05.1989 - 4 RA 19/88 - SozR 1200 § 42 Nr. 4). Somit sind wegen des Wegfalls der vorläufigen Bewilligungen die diesbezüglichen Bescheide einer
Korrektur nicht mehr zugänglich. Die Klägerin kann daher in einem Klageverfahren gegen die im Verhältnis zur vorläufigen Bewilligung
belastenden endgültigen Entscheidung grundsätzlich nicht mehr damit gehört werden, die Verwaltung habe nicht vorläufig bewilligen
dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 139/10 R - SozR 4-4225 § 6 Nr. 1). Ist die vorläufige Bewilligung bestandskräftig geworden, ist sie auch im Rahmen eines Erstattungsstreites
hinsichtlich der Vorläufigkeit nicht mehr überprüfbar (vgl. BSG, Urteil vom 15.8.2002 - B 7 AL 24/01 R - SozR 3-4100 § 147 Nr. 1).
Auch die Voraussetzungen der ersten Tatbestandsalternative sind nicht erfüllt, auch wenn nachgewiesen ist, dass sich die Eltern
der Klägerin in den Jahren 2011 und 2012 - insbesondere in der Person ihres Vater - geweigert haben, gesetzlich bestehende
Unterhaltsansprüche zu erfüllen. Die Gründe, aus denen die Eltern einer Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommen oder diese
verweigern, sind bei der Prüfung einer Vorausleistungspflicht grundsätzlich unerheblich (vgl. Wagner in Mutschler/Schmidt-de
Caluwe/Coseriu,
SGB III, 5. Aufl., §
68 Rn.13). Der Anwendung dieser Tatbestandsalternative steht auch nicht entgegen, dass die Vorausleistungen rückwirkend zu bewilligen
wären, denn die Glaubhaftmachung ist keine Voraussetzung für das Entstehen des Vorausleistungsanspruchs, sondern lediglich
eine Bewilligungsvoraussetzung (vgl. Hassel in Brand,
SGB III, 7. Aufl., §
68 Rn.8; Brecht- Heitzmann in Gagel,
SGB III, Stand Juni 2016, § 68 Rn.15, zu § 36 BAföG: BVerwG, Urteil vom 27.10.1977 - V C 9.77 - BVerwGE 55, 23ff).
Soweit eine Ausbildungsförderung ohne Anrechnung eines Unterhaltsbetrages aus dem Einkommen der Eltern geleistet werden soll,
erfordert dies zum einen, dass der Auszubildende glaubhaft macht, seine Eltern würden diesen Betrag nicht leisten; zum anderen
setzt dies materiell-rechtlich voraus, dass die Eltern die von ihnen zu erwartenden Unterhaltsleistungen tatsächlich nicht
erbracht haben. Nach dem Gesetzeswortlaut des §
72 SGB III kann von einem Auszubildenden damit in Bezug auf eine "Nichtleistung" des angerechneten Unterhaltsbetrages seiner Eltern
nicht gefordert werden, dass er bereits vor oder mit der Antragstellung zu erkennen vermag, ob seine Eltern überhaupt einen
solchen Unterhaltsbetrag und gegebenenfalls in welcher Höhe aufzubringen haben. Diese Erkenntnis wird in aller Regel erst
Platz greifen, wenn der Auszubildende mit der Entscheidung über den Förderantrag in die Lage versetzt wird, festzustellen,
ob sein Bedarf durch einzusetzendes Einkommen oder Vermögen seiner Eltern ganz oder zum Teil befriedigt werden könnte. Erst
dann kann von ihm eine Erklärung zur Glaubhaftmachung erwartet werden, seine Eltern würden den nach dem Gesetz angerechneten
Unterhaltsbetrag nicht leisten. Für einen Anspruch auf Vorausleistung, und zwar gegebenenfalls rückwirkend von dem Monat der
Antragstellung auf Ausbildungsförderung an, ist es deshalb notwendig und ausreichend, dass der Auszubildende unverzüglich
nach Bekanntwerden, welcher Unterhaltsbetrag seiner Eltern nach dem Gesetz angerechnet wird, glaubhaft macht, dass seine Eltern
diesen Betrag nicht leisten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.1977 aaO). Diese Glaubhaftmachung setzt aber nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen
Grundsätzen voraus, dass der Auszubildende sein - rückwirkendes - Vorausleistungsbegehren möglichst bald, d.h. unverzüglich
geltend machen muss (vgl. Hassel in Brand aaO § 68 Rn.8 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG; Urteil vom 27.10.1977
aaO). Vorliegend kann dahinstehen, ob ein unverzügliches Handeln in diesem Sinne am Maßstab des §
121 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) zu messen, d.h. ob allein auf ein schuldhaftes Zögern nach Ablauf einer nach den Umständen angemessenen Überlegungsfrist
abzustellen ist, oder ob sich die Klägerin darauf berufen kann, dass die Beklagte - unabhängig von der Frage eines schuldhaften
Zögerns - Vorausleistungen rückwirkend erbringt, wenn der Auszubildende die Verweigerung von Unterhaltsleistungen innerhalb
von zwei Monaten nach Bekanntgabe des Bescheides mitteilt (vgl. DA zu § 68 Punkt 1.6 Abs 1 Satz 2). Insoweit ist zwar nicht
ohne weiteres ersichtlich, ob die Beklagte ihre Dienstanweisung auf eine Fallgestaltung wie die vorliegende, nämlich eine
endgültige Entscheidung im Anschluss an eine vorläufige Bewilligung, grundsätzlich zur Anwendung bringt, auch wenn diese Situation
nach dem Wortlaut der DA erfasst würde. Auf diese Weisungslage kann sich die Klägerin jedoch nicht berufen, denn zum einen
handelt es sich diesbezüglich nicht um ermessenslenkende Vorschriften, deren Einhaltung die Klägerin - im Rahmen der Grundsätze
der Gleichbehandlung und der Selbstbindung der Verwaltung - einfordern könnte, sondern um eine (verwaltungsinterne) Auslegungshilfe
in Bezug auf einen unbestimmten Rechtsbegriff, nämlich den der "unverzüglichen Glaubhaftmachung", der jedoch im Zweifel in
vollem Umfang einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Zum anderen erfasst der Anwendungsbereich dieser DA nicht den vorliegenden
Sachverhalt, denn die Klägerin hat erstmals nach Erhebung der Klage mit Schriftsatz vom 13.11.2013 und damit mehr als zwei
Monate nach Erlass des (endgültigen) Leistungsbescheides vom 23.09.2012 geltend gemacht, sie habe im streitgegenständlichen
Leistungszeitraum - in den Jahren 2011 und 2012 - keine Unterhaltsleistungen von ihren Eltern erhalten. Soweit dieses Vorbringen,
das sich im Rahmen der am 02.06.2016 durchgeführten uneidlichen Einvernahme des Zeugen K. hat bestätigen lassen, genügt, um
eine iSd §
72 Abs
1 SGB III relevante Nichtleistung des zu erbringenden Unterhaltsbetrages glaubhaft zu machen, wahrt dies weder den zeitlichen Rahmen,
den die Beklagte in ihrer DA vorsieht, noch genügt dies - dies ist vorliegend allein entscheidungserheblich - den Voraussetzungen,
die an eine unverzügliche Glaubhaftmachung zu stellen sind.
Soweit eine Erklärung "unverzüglich", d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen hat, ist dies zwar nicht mit "sofort" gleichzusetzen.
Dem Betroffenen steht eine angemessene Überlegungsfrist zu, d.h. er muss seine Erklärung abgeben innerhalb einer nach den
Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist. Insbesondere darf er, soweit dies im Einzelfall erforderlich
ist, in der gebotenen Eile den Rat eines Rechtskundigen einholen. Verzögerungen wegen eines Rechtsirrtums können im Einzelfall
entschuldbar sein, wobei jedoch eine sorgfältige Prüfung der Rechtslage auf der Seite des Betroffenen bzw. je nach Einzelfall
das Einholen von Rechtsrat zu fordern ist (vgl. Franzen in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-
BGB, 7. Aufl., 2014, §
121 BGB Rn.11 mwN zur Rechtsprechung). Unter Beachtung dieser Anforderungen ist das Verhalten der Klägerin, in Kenntnis aller relevanten
Umstände erstmals nach mehr als einem Jahr - im November 2013 - gelten zu machen, ihre Eltern hätten ihr Unterhaltsleistungen
in den Jahren 2011 und 2012 verweigert, nicht mehr als eine unverschuldete Verzögerung der Glaubhaftmachung anzusehen. Weder
sind nach Lage der Akten Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch hat die Klägerin etwas dazu vorgetragen, dass sie außerstande
gewesen wäre, den Umstand, dass sie in den Jahren 2011 und 2012 von ihren Eltern keine Unterstützungsleistungen erhalten hat,
bereits vor November 2013 gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Ihre im November 2012 erhobene Klage hat die Klägerin
erst im November 2013 begründet und mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.09.2012 hat sie lediglich vorgetragen, sie
habe im Jahr 2009 neben den Leistungen der BAB keine weiteren Einkünfte gehabt. Dies war jedoch weder für das vorliegende
Verfahren relevant, noch konnte die Beklagte daraus ableiten, dass der Klägerin in den Jahren 2011 und 2012 Unterhaltsleistungen
seitens ihrer Eltern verweigert würden. Anlass, dies anzunehmen, musste die Beklagte auch nicht haben, insbesondere nachdem
sie der Klägerin auch anlässlich des Folgeantrages für die Zeit ab dem 01.09.2012 wegen des anzurechnenden Elterneinkommens
- widerspruchslos - Zahlungen verweigert hatte (Bescheid vom 16.10.2012), wobei eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
gegenüber dem Monat August 2012 ersichtlich nicht eingetreten war. Insofern war der Beklagten bis November 2013 weder bekannt,
dass der Klägerin im streitbefangenen Leistungszeitraum Unterhaltsleistungen seitens ihrer Eltern verweigert würden, noch
hatte sie Anlass zu diesbezüglichen Ermittlungen von Amts wegen. Als wesentliche Ursache für die Verzögerung der Glaubhaftmachung
ist nach Lage der Akten allein die Gleichgültigkeit der Klägerin in Bezug auf ihre Obliegenheiten ersichtlich, die darin ihren
Ausdruck findet, dass die erste Bevollmächtigte der Klägerin vor dem SG das Mandat niedergelegt hat, weil sich die Klägerin weder kooperativ gezeigt habe noch ihren Mitwirkungsobliegenheiten nachkomme
und auch nicht erreichbar gewesen sei, womit im Ergebnis allein die Klägerin die Verzögerung der Glaubhaftmachung zu vertreten
hat. Dieses schuldhafte Verhalten schließt - entgegen der Auffassung des SG - aber eine rückwirkende Bewilligung im Wege der Vorausleistung aus.
Soweit die Klägerin erstinstanzlich noch geltend gemacht hatte, sie sei im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
so zu stellen, als ob sie einen Antrag auf Vorausleistungen gestellt hätte, womit von einer Rückforderung abzusehen sei, hat
sie dies mit der Berufung nicht weiter vertieft und die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruches sind ersichtlich nicht
gegeben. Ein derartiger Anspruch kommt in Betracht, wenn ein Versicherungsträger eine ihm gegenüber dem Versicherten obliegende
Nebenpflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis - insbesondere zur Auskunft, Beratung und Betreuung - verletzt und dem Versicherten
dadurch sozialrechtlich ein Schaden zugefügt wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte eine sich aus §
14 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) ergebende Beratungspflicht verletzt hat, gibt es nicht. Hiernach hat jeder Anspruch auf Beratung und Belehrung über seine
Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz (§
14 Satz 1
SGB I). Eine Beratungspflicht besteht in der Regel erst bei einem entsprechenden Beratungsbegehren (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.1980 - 1 RA 45/79 - SozR 1200 § 14 Nr. 9; BSG, Urteil vom 23.09.1981 - 11 RA 78/80 - BSGE 52, 145ff), das aber vorliegend nicht an die Beklagte herangetragen worden ist. Darüber hinaus besteht eine Beratungspflicht
allenfalls dann, wenn ein Beratungsbegehren - wie hier - nicht vorliegt, und der Versicherungsträger aus einem konkreten Anlass
auf klar zutage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen hat, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die
von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.1986 - 7 RAr 81/84 - BSGE 60, 79ff). Aber auch hierfür gibt es nach Lage der Akten keine Hinweise, denn die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt
Angaben zu ihren persönlichen Lebensverhältnissen und der Beziehung zu ihren Eltern gemacht, die für die Beklagte Anlass zu
weiteren Ermittlungen geboten hätten oder eine (unterhaltsrechtliche) Beratung erforderlich erscheinen ließen. Aus der Vorlage
der Einkommensfragebögen der Eltern durch die Klägerin und dem Hinweis, dass sie diesbezüglich mit ihren Eltern in Kontakt
stehe (Schreiben vom 07.04.2011) durfte die Beklagte vielmehr den Schluss ziehen, dass ein Beratungsbedarf wegen unterhaltsrechtlicher
Probleme gerade nicht bestehe.
Im Ergebnis kann damit dahinstehen, ob wegen der nur vorläufigen Bewilligung der Leistungen für die Beurteilung, ob eine Gefährdung
der Ausbildung iSd §
72 SGB III vorliegt, im Wege einer ex-ante-Betrachtung darauf abzustellen ist, ob zu Beginn des Ausbildungsabschnittes - in Kenntnis
der tatsächlichen Weigerung der Eltern, Unterhalt zu zahlen - bei vorausschauender Betrachtung, die Ausbildung gefährdet gewesen
wäre (so der Vortrag der Klägerin - idS zu § 36 BAföG aF auch: BVerwG, Beschluss vom 10.11.1988 - 5 B 20/88 - [...]), denn hierauf kam es nicht mehr an.
Zuletzt ist auch die mit dem Erstattungsbescheid vom 23.09.2012 festgesetzte Rückforderung in Bezug auf die vorläufig bewilligten
Leistungen weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.
Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf
Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten (§
328 Abs
3 Satz 2 Halbsatz 1
SGB III). Hierbei handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung für den Ausgleich von vorläufig erbrachten Leistungen. Es handelt
sich um eine eigenständige Erstattungsregelung, die zur Anwendung kommt, wenn sich der vorläufige Verwaltungsakt durch den
Erlass des endgültigen Verwaltungsaktes erledigt. Dieser besonderen Regelung bedarf es mit Rücksicht darauf, dass die Erstattungsforderung
bei vorläufig bewilligten Leistungen weder auf der Aufhebung des Bewilligungsbescheids iS des § 50 Abs 1 SGB X noch wegen des Vorliegens einer rechtmäßigen vorläufigen Bewilligungsentscheidung auf einer Anwendung des § 50 Abs 2 SGB X beruht (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 169/11 R - SozR 4-4300 § 328 Nr. 2).
Mit der endgültigen Bewilligung vom 23.09.2012 hat der Beklagte - frei von Rechtsfehlern - festgestellt, dass der Klägerin
ein Leistungsanspruch für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.08.2012 nicht zusteht, so dass in der Folge dieser Entscheidung
die für diesen Zeitraum in Höhe von 9.373,00 EUR (= 17 x 528,00 EUR [für 01.03.2011 bis 31.07.2012] + 397,00 EUR [für August
2012]) "vorläufig" erbrachten Leistungen zu erstatten sind, ohne dass sich die Klägerin auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes
- vorliegend den Verbrauch der Leistungen - berufen kann (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.1989 - 4 RA 19/88 - SozR 1200 § 42 Nr. 4).
Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt aus dem Unterliegen der Klägerin.
Gründe iSd §
160 Abs
1 Nr.
1 und
2 SGG, die Revision zuzulassen, gibt es nicht.