Anspruch auf Arbeitslosengeld; Beschäftigungslosigkeit bei einer selbstständigen Tätigkeit als Steuerberater; Berücksichtigung
der Anwesenheitszeiten in der Steuerkanzlei
Tatbestand
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und die Erstattung von Leistungen einschließlich der
Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge iHv 16.826,60 EUR wegen einer Tätigkeit als Steuerberater mit mindestens 15 Wochenstunden.
Der Kläger meldete sich nach dem Bezug eines Gründungszuschusses am 02.11.2009 arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg.
Eine Nebenbeschäftigung als Selbstständiger im Bereich "Steuerberatung, Steuerrecht" werde seit Januar 2003 und bis auf weiteres
mit einer wöchentlichen Stundenzahl bis max. 14 Stunden (einschließlich eventueller Vor- und Nacharbeit) in H-Stadt ausgeübt.
Den Empfang des Merkblattes 1 für Arbeitslose und dessen Kenntnisnahme bestätigte der Kläger unterschriftlich. Mit Bescheid
vom 19.11.2009 in der Fassung des Bescheides vom 20.11.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger - im Hinblick auf das noch
nicht feststehende Nebeneinkommen - vorläufig Alg für den Zeitraum vom 02.11.2009 bis zum 29.07.2010 iHv 46,01 EUR täglich.
Nach einem Aktenvermerk der Beklagten vom 17.05.2010 habe ein Mitarbeiter der Widerspruchsstelle in der L-Straße 17 in H-Stadt
ein Firmenschild "Steuerberater A., Öffnungszeiten Mo.-Fr. 8:00-12:00 Uhr, Telefon 2 ..." gesehen. Ein dortiger Anruf unter
falschem Namen um 16:30 Uhr sei vom Kläger persönlich entgegen genommen worden. Die Öffnungszeiten täglich von 8:00 bis 12:00
Uhr seien bestätigt, jedoch um vorherige Terminsvereinbarung gebeten worden. Unter der angegebenen Telefonnummer sei grundsätzlich
er, ansonsten aber das Personal immer erreichbar.
Das G. (HZA) befragte am 08.06.2010 Frau B. (W), eine Angestellte des Klägers. Sie sei seit Februar 2009 beim Kläger auf 400-EUR-Basis
mit einer Arbeitszeit von Montag bis Freitag ca. 15 Stunden wöchentlich beschäftigt. Die weitere Mitarbeiterin Frau C. (O)
arbeite halbtags von 9:00 bis 12:00 Uhr. Der Kläger sei der Chef und komme ca. um 10:00 Uhr in die Kanzlei. Auf Anfrage teilte
die Deutsche Rentenversicherung dem HZA mit, der Kläger habe sich am 12.11.2009 bei der Steuerberatungskammer Bayern abgemeldet
und sich zum 13.11.2009 in Hessen (F-Stadt) angemeldet. Dort sei aber keine Betriebsnummer feststellbar. Im Rahmen ihrer weiteren
Vernehmung am 04.10.2010 gab W an, sie beginne Montag bis Freitag um 8:00 Uhr und arbeite je nach Arbeitsanfall zwei Stunden,
manchmal aber auch drei bis vier Stunden. O arbeite von ca. 8:45 Uhr bis 13:00 Uhr. Der Kläger komme manchmal vor ihr, spätestens
aber bis 10:00 Uhr. Einmal im Monat fahre er nach F-Stadt. Sie betreue ca. fünf Mandanten. O gab bei ihrer Vernehmung am 04.10.2010
an, sie sei seit Februar 2008 als Steuerfachangestellte in der Kanzlei angestellt und arbeite von Montag bis Freitag ab zwischen
8:30 und 8:45 Uhr bis ca. 13:00 Uhr vier Stunden täglich. Es seien 20 Wochenstunden vereinbart. Sie betreue ca. zehn Mandanten.
Die vorbereiteten Arbeiten würden dem Kläger vorgelegt. W arbeite von ca. 8:00 Uhr bis zwischen 12:00 und 13:00 Uhr. Der Kläger
komme meist zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr und bleibe länger. Manchmal fahre er nach F-Stadt oder nehme Außentermine wahr.
Der Kläger gab bei seiner Vernehmung an, er habe im Dezember 2002 die Kanzlei übernommen. Diese habe sich aber als nicht ausreichende
Einkunftsquelle erwiesen. Er beginne morgens um 9:30 Uhr und gehe zwischen 12:00 Uhr und manchmal 13:00 Uhr. Manchmal bleibe
er auch länger. Im November 2009 habe er ein zweites Büro in F-Stadt eröffnet, wo er sich bei einem Kollegen eingemietet habe.
Der Großteil der Arbeiten werde aber in H-Stadt erledigt. In F-Stadt gebe es ca. zehn Mandanten. Ungefähr einmal im Monat
fahre er nach F-Stadt.
Mit Bescheid vom 23.03.2011 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für den Zeitraum ab dem 02.11.2009
vollständig zurück und forderte die Erstattung von 12.330,68 EUR nebst Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen iHv 4.495,92
EUR. Die Angabe einer Tätigkeit von unter 15 Wochenstunden entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Nach Ermittlungen
des HZA sei davon auszugehen, dass im Hinblick auf Bürozeiten, Außentermine und der Betreuung eines zweiten Büros in F-Stadt
deutlich mehr als 15 Stunden pro Woche gearbeitet worden seien. Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger
vor, er habe für steuerberatende Leistungen weniger als 15 Stunden pro Woche gearbeitet und genieße wegen seiner richtigen
und vollständigen Angaben Vertrauensschutz. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2011 zurück.
Nach den Aussagen seiner Mitarbeiterinnen sei der Kläger zwischen 9:00 und 10:00 Uhr gekommen und bis ca. 13:00 Uhr geblieben.
Hieraus folge bereits eine Arbeitszeit von 15 Wochenstunden. Daneben seien noch Außentermine und die Betreuung der Niederlassung
in F-Stadt angefallen. Im Hinblick auf die Hinweise im Merkblatt, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er unterschriftlich bestätigt
habe, habe der Kläger zumindest grob fahrlässig gehandelt.
Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Würzburg (SG) Klage erhoben. Die Beklagte habe nur Behauptungen aufgestellt. Die Ermittlungsergebnisse des HZA würden wegen einer vorsätzlichen
falschen Verdachtsanzeige durch die Beklagte einem Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot unterliegen. Er mache in der Zeit
von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr eine Pause von ca. einer Stunde. In der L-Straße 17 befinde sich auch sein Zweitwohnsitz, von
wo aus er zeitaufwendige Bewerbungen erstelle. Bei Außenterminen verkürze sich die Anwesenheit im Büro und er sei keinesfalls
bis 13:00 Uhr im Büro. Die Niederlassung in F-Stadt sei damals noch im Aufbau gewesen und habe nur einen geringen Zeitaufwand
erfordert. Die Ermittlungen hätten zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem keine Leistungen mehr bezogen worden seien. So
sei nur der Tagesablauf der Gegenwart erfragt worden, mithin für einen Zeitraum weit nach dem Leistungsbezug. Das Alg sei
bereits verbraucht worden und Vertrauensschutz zu gewähren. In F-Stadt habe er keine Miete bezahlt. Er habe Arbeiten wie Buchhaltung
und andere Themen übernommen, die sein dortiger Partner nicht gemocht habe. Die meisten Termine hätten seine Angestellten
übernommen.
Mit Urteil vom 23.05.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei der notwendigen vorausschauenden Betrachtung habe die Ausübung der selbständigen Tätigkeit zu Beginn
des Leistungsbezuges voraussichtlich mindestens 15 Wochenstunden umfasst. Die Öffnungszeiten seien dabei als tatsächliche
Arbeitszeit anzusehen, auch wenn zeitweise nicht gearbeitet worden sei. Die Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze ergebe
sich auch nach der Aussage von O und den eigenen Angaben des Klägers gegenüber dem HZA. Danach sei er mindestens 12,5 Stunden
im Büro in H-Stadt gewesen. Hinzu komme im Hinblick auf die Ummeldung zur Steuerberaterkammer nach Hessen nochmals ein Aufwand,
der die 12,5 Stunden in H-Stadt überschreite. Ein Beweisverwertungsverbot bzgl. der Ermittlungen des Hauptzollamtes bestünde
nicht. Vertrauensschutz könne nicht gewährt werden. Der Kläger habe bzgl. der Nichtmitteilung der Öffnungszeiten und des zweiten
Büros in F-Stadt grob fahrlässig gehandelt.
Dagegen hat der Kläger Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Das Schild mit den Öffnungszeiten sei aus
Kostengründen nicht ausgetauscht worden. Er habe nicht daran gedacht. Die zwei Aushilfskräfte seien abwechselnd während der
dem Publikumsverkehr dienenden Öffnungszeiten von einem halben Tag anwesend gewesen. Er selbst sei nie während der gesamten
Öffnungszeiten anwesend gewesen. So könnte eine Zurechnung dieser Zeiten nur erfolgen, wenn keine Angestellten vorhanden seien.
Für ihn sei insofern allein die tatsächliche Arbeitszeit maßgeblich. Die Öffnungszeiten habe er während seiner Arbeitslosigkeit
angepasst. So hätte er eine Verkürzung auf Montag bis Mittwoch von 8:00 bis 12:00 Uhr durch Überkleben auf dem Schild vorgenommen.
Die Überklebung habe er nach Beendigung der Arbeitslosigkeit wieder abgenommen. Zwischenzeitlich hätte er während der Arbeitslosigkeit
die Öffnungszeiten auch in Montag bis Donnerstag von 9:00 bis 12:00 Uhr und von Montag bis Freitag 10:00 bis 12:00 Uhr geändert.
Möglicherweise habe die Mitarbeiterin der Beklagten durch Abziehen der Abklebung rein "zufällig" eine andere Öffnungszeit
entdeckt. Bei dem verdeckten Anruf habe er darauf hingewiesen, dass Termine nur nach vorheriger telefonischer Terminsvereinbarung
möglich und die Öffnungszeiten Montag bis Mittwoch von 8:00 bis 12:00 Uhr seien. Die Beklagte habe zugestimmt, dass er seine
selbständige Tätigkeit fortsetze und die Arbeitsplätze erhalte. Das SG selbst habe festgestellt, dass er nur 12,5 Stunden gearbeitet habe. Er habe aber zudem in der Kanzlei einen Zweitwohnsitz
gehabt und dort auch Bewerbungen gefertigt. Wären tatsächlich einmal mehr Aufträge gekommen und eine Arbeitszeit von mehr
als 15 Stunden pro Woche notwendig gewesen, hätte er dies mitgeteilt. Auch krankheitsbedingt habe er keine Arbeiten in der
gemeldeten Kleinpraxis ausführen können. Insofern sei ein hoher Fremdanteil angefallen. Selbst wenn er in F-Stadt gearbeitet
hätte, was damals nicht der Fall gewesen sei, dann wäre der dementsprechende Arbeitsaufwand in H-Stadt entfallen. Er sei im
Büro des Steuerberaters E. (R) in F-Stadt gemeldet gewesen, dort aber nur wenige Male zu einem kollegialen und kurzen Besuch
gewesen. Es sei keine einzige Stunde für eine Tätigkeit in F-Stadt anzusetzen. Das F. habe festgestellt, dass er kein Büro
in F-Stadt unterhalten habe. Die Mandanten aus F-Stadt seien in H-Stadt betreut worden. Im Jahre 2009 habe er für seinen "Grundstückshandel"
keine Zeit aufgewendet, da er diese Arbeiten Herrn D. (G) übertragen habe. Zuletzt hat der Kläger vorgetragen, er habe die
"Kleinpraxis" nur treuhänderisch betreut, so dass sie ihm zivil- und sozialrechtlich nicht zuzurechnen sei.
Der Kläger hat schriftliche Antworten von O und W vorgelegt, worin insbesondere ausgeführt wird, dass diese seine Arbeitszeiten
nicht genau angeben können. Weiter wurden Rechnungen und Unterlagen in Bezug auf die Tätigkeit für R betreffend den Zeitraum
02.01.2009 bis 10.09.2010 vorgelegt.
Das Gericht hat G unter der vom Kläger benannten Anschrift nicht laden können. Auch die Ermittlung dessen Anschrift von Amts
wegen ist ohne Erfolg geblieben. Im Rahmen des Erörterungstermins am 08.07.2014 hat das Gericht W und O als Zeugen uneidlich
vernommen. W hat angegeben, sie habe in der Kanzlei des Klägers von 2008 bis 2014 durchgehend regelmäßig von 8:00 Uhr bis
12:00 Uhr gearbeitet. Während dieser Zeit sei der Kläger morgens gegen 9:00 Uhr gekommen und anwesend gewesen, solange sie
dort gewesen sei. Dies sei während ihrer gesamten Beschäftigungszeit so gewesen. Während dieser Zeit sei auch auf dem Schild
vor der Kanzlei als Öffnungszeiten 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr von Montag bis Freitag angegeben gewesen und nie etwas abgeklebt
gewesen. Ihre Arbeiten habe sie dem Kläger zur Unterschrift vorgelegt. Für eine Kanzlei in F-Stadt habe sie keine Arbeiten
ausgeführt. O hat ausgesagt, sie sei ebenfalls von 2008 bis 2014 beim Kläger beschäftigt gewesen. Grundsätzlich habe sie von
8:30 Uhr bis 12:30 Uhr gearbeitet. Der Kläger sei in der Regel zwischen 9:00 Uhr und 9:30 Uhr in die Kanzlei gekommen. In
Ausnahmefällen sei er auch schon vor ihr da gewesen. Die Öffnungszeiten waren während ihrer gesamten Beschäftigungszeit stets
von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr (Montag bis Freitag). Auf dem diesbezüglichen Schild sei nie etwas abgeklebt gewesen. Das Gericht
hat den weiteren Zeugen R im Erörterungstermin am 16.07.2014 uneidlich vernommen. Dieser hat ausgeführt, er habe mit dem Kläger
eine lockere Kooperation gehabt. Arbeiten habe der Kläger bei ihm in F-Stadt abgeholt und mit der Post zurück gesandt. Er
sei ca. einmal im Vierteljahr bei ihm gewesen.
Zu den Zeugenaussagen von W und O hat der Kläger ausgeführt, das Praxisschild sei nicht im Blickfeld von O gewesen, wenn sie
in die Kanzlei gekommen sei. Zudem habe sich in diesem Bereich am Boden eine Stolperfalle befunden, die zum Blick auf den
Boden gezwungen habe. Auch seien in einem früheren Büro die Öffnungszeiten andere gewesen. Die geänderten Öffnungszeiten seien
so auf dem Schild gestanden, dass man sie als Änderung gar nicht richtig habe wahrnehmen können. Er selbst habe auch nie von
einem Überkleben gesprochen. Er sei zu der Beschäftigungszeit von W "überwiegend gar nicht zu dieser Zeit, auch den ganzen
Tag über nicht ins Büro gekommen". Die Reisezeiten zu den privaten Immobilien seien nicht zu berücksichtigen, da sie schon
während eines anderen Zeitraums erfolgt seien. In einem Telefongespräch habe O ihm gegenüber zugegeben, dass sie sich keinesfalls
sicher sei, dass es niemals zu einer Änderung der Öffnungszeiten gekommen sei. Auch habe sie das Schild nur ganz wenige Male
und jeweils nur für einen kurzen Augenblick bewusst wahrgenommen. Das Gericht habe ihr keine präzise Frage gestellt. Sofern
die Zeugenaussage nicht berichtigt werde, sei O nochmals zu hören oder schriftlich konkret zu befragen. Im Hinblick auf die
Aussage von R hat der Kläger vorgebracht, im streitgegenständlichen Zeitraum nur vom 01.11.2009 bis 14.12.2009 eine Leistung
durch W bzw O erbracht zu haben. Besuche bei R seien regelmäßig mit privaten Dingen in F-Stadt verbunden worden. Er habe nie
bei ihm gearbeitet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg in diesem Rechtsstreit vom 23.05.2013 aufzuheben und dem Klageantrag des Klägers in
vollem Umfang durch neues Urteil stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die öffentlich kundgetanen Öffnungszeiten von 20 Stunden wöchentlich seien voll als Arbeitszeit zu berücksichtigen. Selbständig
sei auch der tätig, der andere Arbeitnehmer beschäftige und selbst nur die Organisation des Betriebes übernehme. Es sei unerheblich,
ob er sich zu diesen Zeiten in der Kanzlei aufgehalten habe. Das Schild habe ihn als verantwortlichen Kanzleibetreiber ausgewiesen.
Beim HZA habe er angegeben, im November 2009 in F-Stadt ein zweites Büro eröffnet zu haben und dort ca. zehn Mandanten zu
betreuen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, die Ermittlungsakte des HZA sowie
die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen. Vom H. beigezogene Akten (2 Heftungen) wurden dorthin wieder
zurückgegeben, nachdem der Kläger die von ihm erklärte Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen hatte.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
142,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 23.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2011 ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Beklagte war berechtigt, mit dem Bescheid vom 23.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2011 die
Entscheidung über die Bewilligung von Alg für den Zeitraum ab dem 02.11.2009 vollständig aufzuheben und die Erstattung von
12.330,68 EUR nebst Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen iHv 4.495,92 EUR vom Kläger zu fordern.
Nach § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. §
330 Abs
2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt
auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Bereits im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit in der Steuerkanzlei war die Bewilligung von Alg von Anfang an rechtswidrig
gewesen. Die dortige Beschäftigung hatte einen Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich. Der Kläger war damit nicht arbeitslos
gewesen.
Nach §
118 Abs
1 Nr
1 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) - setzt der Anspruch auf
Alg u.a. Arbeitslosigkeit voraus. Die hierfür notwendige Beschäftigungslosigkeit iSv §
119 Abs
1 Nr
1, Abs
3 Satz 1
SGB III liegt bei Personen vor, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, wobei die Ausübung einer weniger
als 15 Stunden wöchentlich umfassenden selbständigen Tätigkeit unschädlich ist; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer
bleiben unberücksichtigt.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die selbständige Tätigkeit des Klägers während des Alg-Bezuges mindestens 15 Stunden
wöchentlich umfasst hat. Er hat auch während des Zeitraumes vom 02.11.2009 bis 29.07.2010 seine Steuerkanzlei in H-Stadt mit
den beiden Angestellten O und W betrieben. Eine selbständige Tätigkeit ist der Natur der Sache nach regelmäßig nicht als Erwerbsbetätigung
mit nur kurzzeitigem Charakter angelegt, wenn nicht der Betriebsablauf organisatorisch, unabhängig vom beabsichtigten Bezug
von Alg, mit dieser Einschränkung geplant ist. Sofern Angestellte beschäftigt werden, wird es in der Regel an der Arbeitslosigkeit
fehlen, wenn diese nicht nur untergeordnete Tätigkeiten von kurzer Dauer verrichten, die der betreffende selbständige Arbeitslose
mangels Fachkenntnisse nicht realisieren kann (vgl dazu Valgolio in Hauck/Noftz,
SGB III, Stand 01/2014, §
138 Rn 109).
Unabhängig von der Frage, welchen zeitlichen Umfang die Tätigkeit des Klägers in seiner Steuerkanzlei über die Öffnungszeiten
hinaus erfordert, sind jedenfalls die regelmäßigen Öffnungszeiten vollständig anzusetzen, zu denen er in seinem Büro anwesend
gewesen ist. Stunden wie die üblichen Bürostunden, in denen sich ein Selbständiger für die Erledigung seiner Tätigkeiten,
insbesondere auch für Telefonate und Besuche seiner Geschäftspartner bereitzuhalten pflegt, sind voll zu berücksichtigen,
selbst wenn in Ermangelung von Aufträgen der Selbständige sie nicht voll mit eigentlicher Arbeit auszufüllen vermag (BSG, Urteil vom 28.10.1987 - 7 RAr 28/86 - SozR 4100 § 102 Nr 7; Urteil vom 25.08.1981 - 7 RAr 68/80 - [...]; Urteil vom 08.10.1981 - 7 RAr 38/80 - [...]; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 28.02.1988 - 7 RAr 262/87- NZA 1988, 592; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.03.2003 - L 12 AL 124/02 - [...]; Gutzler in Mutschler/Schmidt-de Caluwe/Coseriu,
SGB III, 5. Auflage 2013, §
138 Rn 48). Auch mangels Arbeitsanfall fehlende Umsätze ändern an der Berücksichtigung dieser Zeiten nichts (vgl BSG, Urteil vom 28.10.1987 aaO; Valgolio in Hauck/Noftz,
SGB III, Stand 01/2014, §
138 Rn 108). So ist es vorliegend unerheblich, wenn der Kläger angibt, er habe die Zeiten in seinem Büro dazu genutzt, auch Bewerbungen
zu schreiben und nach Stellen zu suchen. Als Arbeitgeber hat er sein Direktionsrecht gegenüber den beiden Angestellten auszuüben
und die Tätigkeitsausübung dieser zu überwachen. Wie W in ihrer Zeugenaussage glaubhaft und nachvollziehbar angegeben hat,
hat sie insofern auch Arbeiten und Schreiben dem Kläger zur Unterschrift vorgelegt.
Nach den Aussagen von W und O ergibt sich, dass der Kläger von Montag bis Freitag regelmäßig zumindest 15 Wochenstunden in
seiner Steuerkanzlei anwesend gewesen ist. Zum Arbeitszeitbeginn hat W am 04.10.2010 beim HZA angegeben, sie beginne morgens
um 8:00 Uhr und der Kläger komme manchmal vor ihr, spätestens aber bis 10:00 Uhr. O gab an, er komme zwischen 9:00 Uhr und
10:00 Uhr und bleibe länger als sie, wobei sie bis ca. 13:00 Uhr arbeite. Dies stimmt im Wesentlichen mit den Angaben des
Klägers beim Hauptzollamt überein, wonach er früh um 9:30 Uhr beginne und bis zwischen 12:00 Uhr und 13:00 Uhr, manchmal auch
länger, arbeite. Dass sich diese Angaben alleine auf die Zeit nach dem Bezug von Alg, mithin ab 30.07.2010 bezogen haben,
erscheint nicht glaubwürdig. So hat der Kläger selbst im Klageverfahren vor dem SG ausgeführt, dass bei der Arbeitszeit von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr zu berücksichtigen sei, dass er während dieser Zeit eine
Stunde Frühstücks- und Mittagspause mache - also generell die Anwesenheit eingeräumt hat. Es erscheint jedoch völlig abwegig,
dass bei einer Arbeitszeit von nur drei Stunden eine Pausenzeit von einer Stunde anzurechnen sein soll. Dies ist lebensfremd
und folgt nicht aus den zuvor vom Kläger und den Mitarbeiterinnen gemachten Angaben. Nichts wesentlich anderes ergibt sich
auch aus den Zeugenaussagen von W und O im Rahmen ihrer Vernehmung im Erörterungstermin. Dort hat W angegeben, der Kläger
sei regelmäßig um 9:00 Uhr gekommen und noch da gewesen, wenn sie um 12:00 Uhr nach Hause gegangen sei. O hat dies im Wesentlichen
bestätigt und angegeben, der Kläger sei in der Regel zwischen 9:00 Uhr und 9:30 Uhr geblieben. Die Zeugenaussagen waren völlig
unvoreingenommen, widerspruchsfrei und entsprechen auch den Angaben der beiden Zeuginnen beim HZA. Es ist zudem kein Interesse
der Zeuginnen am Ausgang des Rechtsstreits erkennbar. Mithin ergibt sich hieraus das Bild einer regelmäßigen Anwesenheit des
Klägers von täglich zumindest drei Stunden. Sei es von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr oder von 9:30 Uhr bis 12:30 Uhr. In jedem Fall
folgt hieraus eine Wochenarbeitszeit von mindestens 15 Stunden. Soweit die Zeuginnen eine weitgehende Konstanz der Anwesenheitszeiten
des Klägers während ihrer gesamten Tätigkeitszeit bestätigen, passt dies auch zu den Angaben des Klägers im Alg-Antrag, wonach
sich am Umfang seiner Nebentätigkeit seit 2003 nichts geändert habe. Soweit er nunmehr zuletzt im Berufungsverfahren erstmals
geltend macht, für seine Verfügbarkeit spreche, dass er krankheitsbedingt keine Arbeiten habe ausführen können, folgt dem
der Senat ebenfalls nicht. Nicht nachvollziehbar ist, weshalb diese Einlassung nunmehr zutreffend sein soll, wo zuvor stets
eine Tätigkeit in der Kanzlei dem Grunde nach eingeräumt und auch gegenüber der Beklagten angegeben worden ist. Dagegen sprechen
zudem die Angaben der Zeuginnen zu den Arbeitszeiten des Klägers. Schließlich wären auch Arbeitsunfähigkeitszeiten unbeachtlich,
sofern tatsächlich Tätigkeiten verrichtet worden sind bzw. das Personal beaufsichtigt worden ist. Gleiches gilt für den nunmehr
dargetanen Umstand, die Kanzlei sei nur treuhänderisch geführt worden. Auch hier sind alleine die tatsächlichen Verhältnisse
hinsichtlich der Ausübung der Tätigkeit maßgeblich.
Es kann damit dahinstehen, inwieweit der Kläger täglich noch über die festgestellten Zeiten in der Steuerkanzlei geblieben
ist, während der gesamten Bürostunden ggf. andernorts verfügbar war oder aber daneben noch eine Steuerberatungstätigkeit in
F-Stadt, eine gewerbliche Immobilientätigkeit oder sonstige Tätigkeiten ausgeübt hat, die der Steuerberatertätigkeit hinzuzurechnen
wäre (§
119 Abs
3 Satz 2
SGB III).
Dass - wie der Kläger im Berufungsverfahren erstmals vorbringt - die Öffnungszeiten teilweise auf die Zeit Montag bis Mittwoch
beschränkt gewesen sein sollen, ist weder glaubhaft noch plausibel. Eine Beschränkung der Arbeitszeit auf nur drei Tage ergibt
sich nicht aus den Aussagen beim HZA. Zudem hat W bereits am 08.06.2010, also während der Zeit des Alg-Bezuges des Klägers,
angegeben, sie arbeite von Montag bis Freitag in der Kanzlei. Warum deshalb die Öffnungszeiten auf nur drei Wochentage hätten
reduziert sein sollen, erschließt sich damit nicht, zumal der Kläger selbst angegeben hat, die Öffnungszeiten würden von den
beiden Angestellten abgedeckt. Die beiden Zeuginnen O und W haben im Erörterungstermin auch ausgesagt, die auf dem Kanzleischild
ausgewiesene Öffnungszeit sei unverändert Montag bis Freitag von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr gewesen. Dies hat auch die Mitarbeiterin
der Beklagten so wahrgenommen. Da die Angaben auf dem Kanzleischild insofern nicht nur von O, sondern eben auch von W und
der Mitarbeiterin der Beklagten so bestätigt worden sind, sieht der Senat keinen Anlass dafür, hier O nochmals als Zeugin
zu vernehmen. Zudem hat O in der Darstellung des Klägers nicht angegeben, die Öffnungszeiten hätten sich geändert oder sie
habe geänderte Öffnungszeiten auf dem Schild wahrgenommen. Insofern ist auch die angebliche Stolperfalle, die zum Blick auf
den Boden anstatt auf das Schild gezwungen haben soll, nicht geeignet, hier ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Sie verhindert
nicht, dass W, O und der Mitarbeiter der Beklagten das Schild wahrgenommen haben können. Die Angaben der O gegenüber dem Kläger
können damit als wahr unterstellt werden. Sie stehen nicht im Widerspruch zu den obigen Feststellungen.
Im Übrigen erscheint es völlig lebensfremd, dass der Kläger die Büroöffnungszeiten ändert, ohne dass er dies seinen beiden
Mitarbeiterinnen mitteilt. Der Versuch, dem Gericht glaubhaft zu machen, er habe seine Öffnungszeiten so beschränkt, dass
sie unter der Kurzzeitigkeitsgrenze gelegen hätten, ist eine bloße Schutzbehauptung des Klägers. Hier hat der Kläger zunächst
auch zeitnah angegeben, er habe nicht daran gedacht, die Öffnungszeiten zu ändern, später, dass sie nur für seine beiden Halbtagskräfte
gelten würden (Schriftsatz vom 25.11.2013) und dann, dass die Mitarbeiterin der Beklagten möglicherweise eine Abklebung auf
dem Schild abgezogen und so die Öffnungszeiten manipuliert habe (Schriftsatz vom 25.02.2014). Zuletzt hat der Kläger ausgeführt,
er habe an seinem Schild nie etwas mit Klebeband oder Ähnlichem abgedeckt (Schriftsatz vom 13.09.2014). Es wird deutlich,
dass der Kläger seinen Vortrag immer so abändert, wie es gerade für ihn günstig sein könnte, ohne dass ihm selbst die Widersprüche
offenbar bewusst sind.
Die Aufhebung der Leistungsbewilligung konnte auch für die Vergangenheit erfolgen, da sich der Kläger nicht auf einen Vertrauensschutz
berufen kann (§ 45 Abs 1 i.V.m. Abs 2 SGB X). Er kannte die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung bzw kannte diese zumindest nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht
(§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Grob fahrlässig in diesem Sinne handelt, wer in besonders schwerem Maße die erforderliche Sorgfaltspflicht verletzt, wer
einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt, also nicht beachtet, was jedem hätte einleuchten müssen. Es ist
dabei auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es ist also
nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen; es gilt der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff (vgl
BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R, SozR 3-1300 § 45 Nr 45 - [...]). Das ist in der Regel der Fall, wenn eindeutige Hinweise in Vordrucken, Merkblättern sowie
mündliche Belehrungen nicht beachtet werden (vgl dazu BSG, Urteil vom 24.04.1997 - 11 Rar 89/96 - [...] - mwN; Urteile des Senats vom 27.05.2004 - L 10 AL 199/02 und 17.12.2007 - L 10 AL 66/07 - [...]; Schütze in von Wullfen, SGB X, 7. Aufl, § 45 Rn 57).
Die Notwendigkeit des Vorliegens von Arbeitslosigkeit als Anspruchsvoraussetzung ergab sich für den Kläger erkennbar aus dem
ihm im nachweislich ausgehändigten Merkblatt 1 für Arbeitslose (Stand März 2009), dessen Erhalt und Kenntnisnahme er unterschriftlich
am 31.07.2008 bestätigt hat. Dort wird auf Seite 13 ff konkret erläutert, dass es an einer für den Anspruch auf Alg notwendigen
Beschäftigungslosigkeit fehlt, wenn u.a. eine selbständige Tätigkeit mit mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt wird. Der Kläger
ist Steuerberater und hat zur Überzeugung des Senats die intellektuelle Fähigkeit, erkennen zu können, dass er hier im Hinblick
auf seine Anwesenheit in der Steuerkanzlei und der damit bestehenden Verfügbarkeit für seine beiden Angestellten und etwaige
Mandanten auch arbeitsbereit gewesen ist, er also seine Steuerberatertätigkeit mit mindesten 15 Wochenstunden ausübt, mithin
nicht arbeitslos ist.
Darüber hinaus hat der Kläger grob fahrlässig falsche Angaben gemacht, auf denen die Bewilligung von Alg beruhte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Sowohl im schriftlichen Antrag auf Alg vom 31.07.2008 als auch in der Erklärung zu selbständiger Tätigkeit vom 30.08.2008
hatte er seine wöchentliche Stundenzahl für die Steuerberatungstätigkeit nur mit ca. acht bis zehn Stunden angegeben. Im Hinblick
auf die zahlreichen Widersprüche und die immer wieder neuen Versionen, die der Kläger vorgebracht hat, kann gegebenenfalls
davon auszugehen, dass er hier vorsätzlich versucht hat, seine tatsächliche Arbeitszeit vor der Beklagten zu verheimlichen.
In jedem Fall hätte er aber seine Mitteilungsverpflichtung erkennen müssen.
Die Beklagte hat die Jahresfrist aus § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Ein Ermessen hatte sie bei der Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht; sie war zum Erlass des angefochtenen
Verwaltungsaktes und der Aufhebung für die Vergangenheit rechtlich verpflichtet, §
330 Abs
2 SGB III.
Die Erstattungspflicht des Klägers folgt aus § 50 Abs 1 SGB X. Zutreffend hat die Beklagte hat den Erstattungsbetrag für das zu Unrecht geleistete Alg für die Zeit vom 02.11.2009 bis
29.07.2010 mit 12.330,68 EUR (268 Tage x 46,01 EUR) festgesetzt. Die Erstattung der von der Beklagten für den Kläger in diesem
Zeitraum geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv 4.495,92 EUR folgt aus §
335 Abs
1 und 5
SGB III. Der Kläger hat pflichtwidrig den tatsächlichen Umfang seiner selbständigen Tätigkeit nicht angezeigt, so dass das Erstattungsverlangen
hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auch nicht unbillig ist (vgl Düe in Brand,
SGB III, 6. Auflage, §
335 Rn 9).
Die Berufung war somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.