Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Vergütung von nachträglich abgerechneten Leistungen, die er in den Quartalen 1/02 bis 3/03 erbrachte.
Der Kläger führte im streitigen Zeitraum eine vertragsärztliche Einzelpraxis als Augenarzt. Er ist heute in Gemeinschaftspraxis
tätig.
Mit dem am 14. März 2005 eingegangenen Schreiben vom 8. März 2005 bat er für sämtliche Abrechnungszeiträume seit dem Quartal
1/02 um eine Nachvergütung von nicht angeforderten Leistungen der Ziffer 1249 EBM-Ä. Er habe die dort beschriebene Leistung
jeweils an beiden Augen erbracht, jedoch nur einmal pro Patientenkontakt abgerechnet, weil er der irrigen Meinung gewesen
sei, die Leistung sei auch bei beidseitiger Erbringung nur einmal abrechnungsfähig.
Mit Bescheid vom 14. April 2005 lehnte die KVB (Beklagte) eine Nachvergütung ab.
Mit Bescheid vom 26. August 2005 half die Beklagte dann aber dem Widerspruch insoweit ab, als dem Nachvergütungsbegehren für
die Quartale 4/03 bis 2/04 entsprochen wurde (Nachvergütungsbetrag EUR 6.685,08). Hinzuweisen sei auf § 5 Abs.4 des HVM der
KVB, wonach zwölf Monate nach Abschluss des Quartals, in dem die Leistung erbracht worden sei, eine Abrechnung ausgeschlossen
sei. Für die Quartale 1/02 bis 3/03 komme damit eine Nachberechnung nicht in Betracht, da diese außerhalb der Fristen lägen.
Überdies sei für die Quartale 3/04 und 4/04 festzustellen, dass in dieser Zeit die Ziffer bereits zweimal pro Patientenkontakt
abgerechnet worden sei, so dass eine nachträgliche Abrechnung nur für die Quartale 4/03 bis 2/04 möglich sei.
Im Übrigen (Quartale 1/02 - 3/03) wurde der Widerspruch mit Bescheid vom 10. Mai 2006 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Arzt Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er lässt vortragen, dass der Berufung auf die Einrede der Verjährung
der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung des §
242 BGB entgegen stehe. Die Beklagte treffe ein erhebliches Mitverschulden daran, dass die Leistungen nicht abgerechnet worden seien.
Insofern sei auch unter dem Gedanken des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches eine Nachvergütung ohne Ansehung von Fristen
geboten.
Denn die Beklagte hätte den Kläger über die zweifache Abrechnungsfähigkeit informieren müssen. Stattdessen habe er von der
zweifachen Abrechenbarkeit erst durch seine Kollegen erfahren. Zwar habe er nicht nachgefragt und es habe sich auch die Leistungslegende
nicht geändert. Es bestehe jedoch ein allgemeiner Abrechnungsgrundsatz, wonach paarige Untersuchungen nur einmal die Leistungslegende
erfüllten. Auch aus dem Wortlaut der Leistungslegende und ihrer Einbettung in die Systematik der weiteren augendiagnostischen
Untersuchungen ergebe sich keine zweifache Abrechnung. Daraus sei eher der Schluss zu ziehen, dass nur eine einmalige Abrechnung
bei beidseitiger Augenuntersuchung möglich sei. Dennoch lasse die KVB die doppelte Abrechnung zu. Im Hinblick auf diese bestehende
Abrechnungspraxis, die sich durch Auslegung der Legende nicht klar ergebe, habe eine Aufklärungspflicht bestanden, der die
Beklagte nicht nachgekommen sei. Gerade im Hinblick auf das Fehlen eines Zusatzes, der bei den anderen Abrechnungsziffern
angebracht sei, sei eine Erläuterung durch die Beklagten zwingend erforderlich gewesen.
Vorgelegt wird ein auf der Homepage der Bundesärztekammer recherchierter Artikel eines BÄK-Mitarbeiters. Dort wird im Zusammenhang
mit GOÄ-Leistungen ausgeführt, dass bei diagnostischen Leistungen als Faustregel gelten könne, dass eine Untersuchung nur einmal
pro Sitzung in Rechnung gestellt werden könne, auch wenn sie paarig erbracht werde. Denn es seien zumeist mengenbegrenzende
Zusätze angebracht. Der Verordnungsgeber hätte diese verschiedenen Mengengrenzen in Abrechnungsbestimmungen nicht implementieren
müssen, wenn eine Mehrfachberechnung von Diagnostikleistungen in der GOÄ prinzipiell ausgeschlossen wäre. Fehlten jedoch im Verordnungstext klare Angaben zu Grenzwerten, so sei der Streit um die
Mehrfachberechnung vorprogrammiert. Bei mangelnder Eindeutigkeit, versuche der Ausschuss Gebührenordnung der Bundesärztekammer
zu einem angemessenen Ergebnis zu kommen.
Mit Urteil vom 26. Juni 2007 hat das Sozialgericht München die Klage abgewiesen. Ein Vergütungsanspruch für den Kläger bestehe
nach Ablauf der Frist des § 5 Abs. 4 HVM nicht. Ein begründeter Ausnahmefall, in dem eine Fristverlängerung auf Antrag möglich
sei, liege nicht vor. Die von der Klägerbevollmächtigten geschilderte Faustregel bestehe nicht. Die Leistungslegende sei auch
nicht uneindeutig. Der verwendete Singular "Augenhintergrund" ergebe unzweideutig, dass bei Untersuchung beider Augen auch
eine zweifache Abrechnungsfähigkeit bestünde. Es sei Sache des Klägers, sich als Vertragsarzt über die Grundlagen seiner Abrechnung
zu informieren.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei grundsätzlich auf die Rechtsbeziehung zwischen Vertragsarzt und KVB nicht übertragbar.
Die Beklagte sei gegenüber ihren Mitgliedern nicht in gleichem Umfang zur Beratung verpflichtet, wie die Sozialleistungsträger
gegenüber Sozialleistungsempfängern im Sinne der §§
11 ff.
SGB I. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die den besonderen Fall der Aufklärungspflicht annehmen ließen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgericht. Er wiederholt im Wesentlichen seine vor dem
Sozialgericht gemachten Ausführungen. Der Grundsatz der Einmalabrechnung bei paarigen Untersuchungen ergebe sich auch aus
der Kommentarliteratur. Nach dem Kölner Kommentar (Stand: 1994) seien Leistungen des Kapitels K auch bei beidseitiger Diagnostik
nur einmal berechnungsfähig, sofern sich aus der Leistungslegende nichts Abweichendes ergebe. Der Legendentext sei damals
wortgleich gewesen. Angeführt wird auch das Urteil des BSG vom 09.12.2004 (B 6 KA 84/03 R), aus dem sich ergebe, dass die KVB hinsichtlich der Honorarabrechnung nur solche Kenntnisse voraussetzen dürfe, die von
ihr regelmäßig durch Rundschreiben oder anderweitige Veröffentlichungen verbreitet würden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14.
April 2005/26. Aug. 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2006 zu verurteilen, ihm die am 08.03.2005 beantragte
Vergütung der Leistungen nach Nr. 1249 EBM-Ä für die zurückliegenden Quartale 1/2002 bis einschließlich 3/2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte, der Streitakte des Sozialgerichts München
sowie der Verfahrensakte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das sozialgerichtliche Urteil erweist sich sowohl im Ergebnis als auch in den Gründen als völlig zutreffend.
Zwar ist nach dem eindeutigen Inhalt der Leistungslegende die beidseitige Leistungserbringung der Nr. 1249 EBM-Ä auch zwei
Mal abrechnungsfähig, weil auf das einzelne Auge abgestellt ist und ein Verbot einer doppelten Abrechnung in gleicher Sitzung
bzw. bei paariger Diagnostik nicht enthalten ist.
Jedoch steht der Abrechnung der nachträglichen Anforderung die Abrechnungsfrist des § 5 HVM entgegen. Nach § 5 Abs.1 HVM sind
die Datenträger innerhalb der festgesetzten Frist einzureichen. Eine Fristverlängerung ist in begründeten Ausnahmefällen auf
Antrag möglich. Wird die Abrechnung später eingereicht, so werden bestimmte Kürzungen vorgenommen (§ 5 Abs. 2 HVM). Die Abrechnung
vertragsärztlicher Leistungen wird nach § 5 Abs. 4 HVM ausgeschlossen, sofern seit dem Ende des Quartals, in dem die Leistungen
erbracht worden sind, zwölf Monate vergangen sind.
Nach Auffassung des Senats sind bei Vorliegen von Umständen, die auf ein Mitverschulden der Beklagten an einer unterbliebenen
Leistungsabrechnung des Arztes bzw. auf das Bestehen einer Hinweispflicht hinsichtlich Einzelheiten der Abrechnungsfähigkeit
von Leistungen schließen lassen, erhöhte Anforderungen an die Ermessensentscheidung hinsichtlich der Gewährung einer Fristverlängerung
zu stellen, die bis zur Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null reichen können. Der Verlängerungsantrag ist nicht fristgebunden.
Die (rückwirkende) Fristverlängerung ist auch noch nach Ablauf der Abrechnungsfrist möglich.
Zwar gibt die Beklagte zu erkennen, dass auch sie von einer Ermessensentscheidung hinsichtlich einer Fristverlängerung ausgeht,
lehnt diese jedoch ab, ohne Ermessensgründe mitzuteilen. Dies ist jedoch nicht zu beanstanden. Der Senat geht insoweit davon
aus, dass nach der Norm für den Regelfall das Ermessen in Richtung der Nicht-Fristverlänge-rung intendiert ist und deshalb
keine hohen Anforderungen an die Ermessensbegründung zu stellen sind. Dies ergibt sich aus dem Umstand der bereits erfolgten
Verteilung der Gesamtvergütung der maßgeblichen Quartale. Mit jeder gewährten Fristverlängerung wird die aktuelle Gesamtvergütung
und damit die für die Leistungserbringung in den aktuellen Quartalen zur Verfügung stehende Vergütungsmasse belastet, was
bei zu erwartender Kumulation zu Verzerrungen der Sicherstellung führen kann, sofern eine Fristverlängerung nicht mit dem
Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes verknüpft wird.
Ein Mitverschulden oder eine Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten, die zu gesteigerten Ermessensanforderungen führen
können, sind in keiner Weise erkennbar.
Soweit der Kläger vortragen ließ, dass zumindest die frühere Kommentar-Literatur die eigene Auffassung teile, ist auf einen
ehemals völlig anderen Leistungsinhalt der GOP 1249 EBM-Ä hinzuweisen. Zutreffend ist, dass die Leistungslegende der Position auch im Jahr 1994 (der Kläger zitiert den
Kölner Kommentar Stand 1994) wortgleich mit der streitgegenständlichen Fassung übereinstimmt. Allerdings fand sich dem Kapitel
K (Augenheilkunde) eine Präambel vorangestellt, die ausdrücklich alle diagnostischen Leistungen des Kapitels K auch dann für
nur einmal berechnungsfähig erklärte, wenn beide Augen untersucht werden, sofern aus der einzelnen Leistungsbeschreibung nichts
anderes hervorgehe. Daher verwundert es nicht, wenn die Kommentarliteratur dies so beschreibt.
Zum Beginn des Jahres 1996 wurde diese Präambel dann ersatzlos gestrichen. Es verblieb bei den in den Einzellegenden ggf.
enthaltenen begrenzenden Tatbestandsmerkmalen, wie z.B. das Merkmal "für ein Auge" in der GOP 1210 EBM-Ä oder das Merkmal "für beide Augen" in der GOP 1211 EBM-Ä. Die Streichung bewirkte, dass z.B. die GOP 1210 EBM-Ä bei beidseitiger Erbringung nunmehr doppelt (1994 aber nur einmal) abgerechnet werden konnte, während die GOP 1211 unverändert die beidseitige Erbringung voraussetzte. Daneben fanden sich weiterhin die begrenzenden Zusätze "je Sitzung"
oder "einmal im Behandlungsfall" (GOP 1224, 1226, 1227 EBM-Ä).
Der die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) behandelnde Artikel der BÄK stellt letztlich für dieses, in der GKV grundsätzlich unanwendbare Regelwerk ebenfalls auf den
Wortlaut der positiven und negativen Leistungsmerkmale ab, obwohl aufgrund der abweichenden Rechtsqualität im Gegensatz zum
Einheitlichen Bewertungsmaßstab für Ärzte eine Auslegung nicht vorwiegend anhand des starren Wortlauts geboten ist.
Warum sich aufgrund dessen eine Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten ergeben soll, bleibt unerfindlich. Der Wortlaut
der EBM-Leistungslegende galt dann seit dem Jahr 1996 im Wesentlichen unverändert. Dem Senat sind auch keine Umstände bekannt,
die eine allgemein bestehende Unsicherheit über die Interpretation des Wortlautes nahe legen. Die Partner der Sicherstellung
auf Bundes- und Landesebene haben, soweit erkennbar, die Abrechenbarkeit der GOP 1249 EBM-Ä pro Auge niemals in Frage gestellt. Verfahren anderer Ärzte, die eine unterbliebene Abrechnung geltend machen,
sind nicht anhängig (gewesen). Der Kläger hat ein entsprechendes Aufklärungsersuchen bzw. eine entsprechende Frage nicht gestellt.
Ein korrigierungswürdiges Fehlverhalten des Klägers ist der Beklagten auch nicht offenbar geworden, so dass aus diesem Grund
das Erfordernis einer Aufklärung diskussionsfähig wäre. Der Kläger selbst räumt ein, dass aus den Abrechnungsunterlagen nicht
offensichtlich werde, beidseitig diagnostisch tätig geworden zu sein. Davon abgesehen ist der Beklagten nicht zumutbar, Abrechnungsunterlagen
auf mögliche ungenutzte Abrechnungspotentiale zu durchforsten, indem beispielsweise alle Diagnosen mit den Abrechnungspositionen
im Sinne einer Abrechnungsoptimierungsprüfung abgeglichen werden oder indem aufgrund allgemeiner Kennzeichen, so z.B. einer
statistisch auffälligen Unterschreitung der Abrechnungsziffer im Verhältnis zur Vergleichsgruppe, Hinweise zur Abrechnungsoptimierungen
erteilt werden müssten. Das zitierte Urteil des BSG vom 09.12.2004 (B 6 KA 84/03 R) ist nicht einschlägig. Dort geht es u.a. darum, unter welchen Voraussetzungen einer nachträglichen Honorarbescheidänderung
Vertrauensschutz entgegensteht und welche Anforderungen an einen dem Bestimmtheitserfordernis genügenden Änderungsvorbehalt
zu stellen sind.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf den Umstand der Erfolglosigkeit der klägerischen Berufung.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar.
Der festgesetzte Streitwert bildet die Höhe der erhobenen Forderung ab.