Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren über eine Erledigungsgebühr;
Verhältnis Prozesskostenhilfefestsetzung zur Kostenfestsetzung; Keine Beschränkung des Wahlrechts des Rechtsanwalts; Umfang
der anwaltlichen Mitwirkung für das Entstehen einer Erledigungsgebühr
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist das Rechtsanwaltshonorar nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht,
im Einzelnen, ob der Beschwerdeführer eine Erledigungsgebühr (in Höhe von 190,00 EUR) verlangen kann.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG), anfängliches Aktenzeichen S 19 SO 198/10, nach Fortsetzung S 19 SO 149/11, war zwischen den Beteiligten im Streit, ob eine
Abrechnung der Heizkosten nach der Heizkostenverordnung die Voraussetzungen für eine isolierte Erfassung der Kosten der Warmwasserbereitung (Kosten für Unterkunft und Heizung -
KdU) im Rahmen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch erfüllt. Am 26.11.2010 erhob die Klägerin über ihren
Bevollmächtigten, den Beschwerdeführer, Klage und beantragte PKH. Diesem Antrag wurde mit gerichtlichem Beschluss vom 20.01.2011
entsprochen; der Beschwerdeführer wurde beigeordnet.
Im Hinblick auf das zur oben geschilderten Problematik am Bundessozialgericht (BSG) anhängige Verfahren, Aktenzeichen B 14 AS 154/10 R, ordnete die zuständige 19. Kammer des SG mit Beschluss vom 27.01.2011 das Ruhen des Verfahrens an. Mit Schriftsatz vom 26.09.2011 beantragte der Beschwerdeführer
die Wiederaufnahme des Verfahrens, nachdem er unter Verweis auf das Urteil des BSG vom 07.07.2011 im oben genannten Verfahren bei der Beklagten angefragt hatte, ob sie ein Anerkenntnis abgebe. Am 17.10.2011
verlängerte das SG die Frist zur Stellungnahme für die Beklagte, die nach Wiederaufnahme des Verfahrens gesetzt worden war und verwies darauf,
dass die streitgegenständliche Grundsatzfrage mit der Entscheidung des BSG abschließend beantwortet worden sei. Mit Schriftsatz vom 18.10.2011 erklärte die Beklagte, dass sie im Hinblick auf das ergangene
Urteil das beantragte Anerkenntnis abgebe, mit Schriftsatz vom 03.11.2011, auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten
des Rechtsstreits zu übernehmen.
Nachdem die Beklagte die weiteren (unstreitigen) Gebühren und Auslagen bereits erstattet hatte, beantragte der Beschwerdeführer
am 01.03.2012, die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten (im Übrigen) wie folgt festzusetzen:
Erledigungsgebühr, Nr. 1006, 1005 VV RVG
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190,00 EUR
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19% USt, Nr. 7008 VV RVG
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36,10 EUR
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Gesamt:
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226,10 EUR
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Dabei verwies er auf die Entscheidung des Senats vom 07.02.2011, Aktenzeichen L 15 SF 27/09 B.
Mit Schreiben vom 07.03.2012 erklärte die Beklagte, die Erledigungsgebühr nicht anzuerkennen. Daraufhin nahm der Beschwerdeführer
mit Schreiben vom 02.05.2012 den Kostenfestsetzungsantrag gegen die Beklagte vom 01.03.2012 zurück. Dessen ungeachtet lehnte
der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 19.07.2012 die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen
Kosten gemäß §
197 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hinsichtlich der Erledigungsgebühr ab, da die Beklagte das Anerkenntnis nachweislich erst auf Hinweis des Gerichts abgegeben
habe. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer am 26.07.2012 mit der Begründung Erinnerung, dass die Erledigungsgebühr nach der
Rechtsprechung des Senats entstanden sei; darauf, dass der Antrag auf Kostenfestsetzung zurückgenommen worden war, ging der
Beschwerdeführer nicht ein. Mit Beschluss des SG vom 12.08.2013 wurde die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen (Az.: S 19 SF 96/13 E). Das SG hat im Einzelnen begründet, weshalb aus seiner Sicht die streitige Erledigungsgebühr nicht entstanden sei. Insbesondere vermöge
sich die Kammer nicht der Entscheidung des Senats vom 07.02.2011 anzuschließen, die in einer vergleichbaren Fallkonstellation
vom Anfall einer Erledigungsgebühr ausgegangen sei.
Mit Schreiben vom 29.08.2013 bat der Beschwerdeführer das SG um Sachstandsmitteilung hinsichtlich der beantragten Festsetzung der Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt. Daraufhin
teilte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Schreiben vom 03.09.2013 dem Beschwerdeführer mit, dass die Festsetzung der
beantragten Erledigungsgebühr auch im Rahmen der PKH nicht erfolgen könne, da nach denselben Kriterien zu entscheiden sei.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.11.2013 lehnte der Urkundsbeamte sodann die Erstattung der Erledigungsgebühr ab, da
die Beklagte das Anerkenntnis nachweislich erst auf Hinweis des Gerichts abgegeben habe.
Mit an das SG gerichtetem Schreiben vom 13.11.2013 hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.11.2013
erhoben. Nach seiner Auffassung, so der Beschwerdeführer, sei als Rechtsmittel eine Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht
(BayLSG) statthaft; er bitte darum, bei Unstatthaftigkeit die Beschwerde als statthaftes Rechtsmittel auszulegen. Dies ist
erfolgt. Das SG hat die "Beschwerde" als Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.11.2013 ausgelegt. Mit streitgegenständlichem
Beschluss vom 27.02.2014 (Az.: S 17 SF 304/13 E) hat das SG die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen. Die zulässige Erinnerung sei nicht begründet, da die
Entscheidung über die Festsetzung der PKH den gleichen Grundsätzen wie die Festsetzung der durch die Beklagte zu erstattenden
außergerichtlichen Kosten folge. Die erkennende Kammer folge der Entscheidung vom 12.08.2013 im oben genannten Erinnerungsverfahren
(Az.: S 19 SF 96/13 E).
Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 14.03.2014 Beschwerde zum BayLSG erhoben. Zur Begründung hat er auf die oben genannte
Rechtsprechung des Senats verwiesen, nach der es keine Rolle spiele, ob die Entscheidung, auf die vom Beschwerdeführer verwiesen
worden sei, dem SG (im Hauptsacheverfahren) bekannt gewesen sei. Entscheidend sei, dass das Anerkenntnis auf den Hinweis an die Beklagte hin
abgegeben worden sei. Zudem hat der Beschwerdeführer darauf verwiesen, dass er die Kostenentscheidung vom 19.07.2012 nicht
veranlasst habe, da er den Kostenfestsetzungsantrag vom 01.03.2012 ausdrücklich zurückgenommen habe.
Der Staatskasse ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie der beiden o.g. Erinnerungsverfahren und
des erstinstanzlichen Klageverfahrens des SG verwiesen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerden ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper.
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall gemäß der Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 RVG auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2.
KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.) die Regelungen des RVG in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn der unbedingte Auftrag im Sinne der genannten Vorschrift ist dem Beschwerdeführer
vor diesem Zeitpunkt erteilt worden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Der Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren umfasst die Frage, ob eine Erledigungsgebühr (einschließlich der darauf entfallenden
Umsatzsteuer) entstanden ist, ferner die ihrer Höhe. Maßgeblich ist allein, ob dem Beschwerdeführer der Anspruch nach Beiordnung
im Rahmen der Bewilligung von PKH gegen die Staatskasse zusteht. Nicht Gegenstand sind somit die im Kostenfestsetzungsverfahren
gemäß §
197 SGG getroffenen Festlegungen durch das SG (Kostenfestsetzungbeschluss vom 19.07.2012 sowie Erinnerungsbeschluss vom 12.08.2013, Az.: S 19 SF 96/13 E). Insbesondere war das SG im streitgegenständlichen Erinnerungsverfahren Aktenzeichen S 17 SF 304/13 E und ist der Senat vorliegend nicht an die gerichtliche Feststellung vom 12.08.2013 gebunden. Dabei kann dahinstehen, ob
gegen deren Rechtmäßigkeit Bedenken bestehen, weil sie sich auf einen Kostenfestsetzungsbeschluss bezieht, dem mangels Antrag
(vergleiche die Rücknahmeerklärung vom 02.05.2012, s.o.) die Grundlage fehlte; dieser Mangel könnte durch die (erste) Erinnerung
des Beschwerdeführers geheilt sein. Maßgeblich ist, dass es sich bei den Kostenfestsetzungen gegenüber dem in die Kosten verurteilten
Gegner einer- und im Rahmen der PKH gegen die Staatskasse andererseits grundsätzlich um zwei eigenständige Verfahren handelt.
Vor allem ist der öffentlich-rechtliche Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung
nicht subsidiär gegenüber Ansprüchen, die dem Rechtsanwalt für seine Tätigkeit in derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit
gegen den zur Kostentragung verpflichteten anderen Beteiligten zustehen. Der Rechtsanwalt hat ein Wahlrecht, ob er wegen seiner
Vergütung zuerst die erstattungspflichtige Gegenpartei oder zuerst die Staatskasse in Anspruch nehmen will oder beide nur
zu einem Teil (so auch Müller-Rabe, in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, § 45, Rdnr. 50 f.); der Gesamtbetrag darf seine gesetzliche Vergütung jedoch nicht übersteigen (a.a.O.). Vorliegend sind auch
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Wahlrecht des Beschwerdeführers ausnahmsweise beschränkt wäre; vor allem ergibt
sich dieses auch nicht daraus, dass er nur den für ihn bei der Beklagten "nicht realisierbaren Forderungsrest" einfordert.
Denn ein Handeln zum Nachteil der Staatskasse, welches Letztere berechtigen würde, dem beigeordneten Rechtsanwalt eine Vergütung
ganz oder teilweise zu verweigern, kann nicht angenommen werden. Insbesondere hat der Beschwerdeführer keine Kostenvereinbarung
mit der Beklagten zu Lasten der Staatskasse getroffen; Erstere verweigert lediglich auf Grund ihrer und der vom SG ebenfalls vertretenen Rechtsauffassung zur Entstehung einer Erledigungsgebühr die Zahlung. Es kann auch nicht davon ausgegangen
werden, dass der Beschwerdeführer einen Rückgriff der Staatskasse gegen die Beklagte verhindern würde (vgl. hierzu Müller-Rabe,
a.a.O., § 55, Rdnr. 55). Dass vorliegend hinsichtlich der Erstattung der außergerichtlichen Kosten durch die Beklagte eine
für die Staatskasse nachteilige bestandskräftige Entscheidung des SG vorliegt, ist nicht dem Handeln des Beschwerdeführers, sondern der gesetzgeberischen Entscheidung geschuldet, die einmal
ein Rechtsmittel ausschließt und ein anderes Mal ein solches zulässt, so dass - entgegen dem Grundsatz der Wahrung der Rechtseinheit
- der Kostensenat des BayLSG nur für einen Teilbereich zuständig ist.
Der Urkundsbeamte und die Kostenrichterin(nen) haben zu Unrecht die Erstattung der Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) abgelehnt; sie ist auf 190,00 EUR (zuzüglich der Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG) festzusetzen.
a. Die Erledigungsgebühr ist entstanden.
Die Voraussetzungen für die Erledigungsgebühr gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit Nrn. 1006, 1005, 1002 VV RVG sind erfüllt, wenn sich der Rechtsstreit "durch die anwaltliche Mitwirkung" erledigt hat. Der Senat hat in dem oben genannten
Beschluss vom 07.02.2011 im Einzelnen die Voraussetzungen für das Entstehen der Gebühr dargelegt. Insbesondere hat er hervorgehoben,
dass insoweit regelmäßig eine besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts vorausgesetzt wird, die über die bloße Einlegung und Begründung
des Rechtsmittels hinausgeht, und dass die Tatsache, dass der Rechtsstreit vielleicht auch ohne die außergerichtlichen Bemühungen
des Rechtsanwalts mit einem Anerkenntnis geendet hätte, die Entstehung der Erledigungsgebühr grundsätzlich nicht hindert.
Unter Beachtung der vom Senat aufgestellten Grundsätze ist vorliegend die Erledigungsgebühr entstanden. Der Beschwerdeführer
hat sich außergerichtlich um die Erledigung des Rechtsstreits bemüht und mit dieser Aktivität einen wesentlichen Beitrag zur
Erledigung des Rechtsstreits geleistet. Zudem wurde auch das mit der Erledigungsgebühr verfolgte Ziel der Entlastung des SG durchaus erreicht. Maßgeblich ist dabei nicht der Aspekt, dass die - nachvollziehbare und naheliegende - Fortsetzung des
Verfahrens beantragt worden ist, sondern dass sich das SG durch den Hinweis des Beschwerdeführers auf die aktuelle BSG-Entscheidung und das daraus resultierende Anerkenntnis ganz erheblichen Aufwand im Verfahren Aktenzeichen S 19 SO 149/11
erspart hat. Im Übrigen kann der Schriftsatz der Beklagten vom 07.03.2012 nicht als Nachweis dafür dienen, dass nicht der
Hinweis des Beschwerdeführers, sondern erst der gerichtliche Hinweis den Ausschlag für die Abgabe eines Anerkenntnisses gegeben
habe. Denn die Beklagte hat diese Erklärung nicht als unabhängige Dritte, sondern in der Stellung als potenzielle Gebührenschuldnerin
im Festsetzungsverfahren nach §
197 SGG abgegeben, so dass Objektivitätsbedenken zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen sein dürften - gerade auch vor dem Hintergrund,
dass sonstige Belege fehlen.
b. Bei einem für die Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1006 VV RVG bestehenden Gebührenrahmen von 30,00 bis 350,00 EUR erscheint die Festsetzung der Mittelgebühr von 190,00 EUR angemessen,
wie dies der Beschwerdeführer beantragt hat.
Bei Betragsrahmengebühren im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers,
nach billigem Ermessen (vgl. im Einzelnen hierzu z.B. den Beschluss des Senats vom 01.04.2015, Az.: L 15 SF 259/14 E). Der Rechtsstreit Aktenzeichen S 19 SO 149/11 ist bei Zugrundelegung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG in Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats zu Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch bzw. der insoweit maßgeblichen Streitgegenstände (vgl. Beschluss vom 06.06.2013, Az.: L 15 SF 190/12 B) und die (damals noch) schwierige Frage der Erfassung der Kosten der Warmwasserbereitung im Rahmen der KdU als Durchschnittsfall
einzuordnen.
Die Kostenfestsetzung vom 07.11.2013 und der angefochtene Beschluss des SG waren daher aufzuheben.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).