Tatbestand:
Der 1952 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (
OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Der Kläger hat mit Antrag vom 02.07.2003 vorgetragen, dass er am Freitag, den 19.07.2002, ca. 16.00 Uhr während eines Spazierganges
am Fluss P. von der Brücke bei dem Seniorenpflegeheim von einem Paar junger Menschen (ein blonder Mann und eine schwarzhaarige
Frau) mit Flüssigkeit aus einer Wasserpistole übergossen worden sei. Weil es warm gewesen sei und die Sonne geschienen habe,
habe er gedacht, dass es Wasser gewesen sei und sei weitergegangen. Am Abend habe ihm das Gesicht gebrannt. In der Klinik
habe der Arzt festgestellt, dass es sich um einen Giftstoff gehandelt habe. Zur Stützung seines Begehrens hat der Kläger den
Kurzbericht des Klinikums N. vom 19.07.2002 vorgelegt. Dort ist eine "diskrete Rötung bis Münzgröße auf der linken Wange ohne
Bläschen oder Blasen" beschrieben.
Von Seiten des Beklagten sind die Akten der Strafverfolgungsbehörden beigezogen und ausgewertet worden. Die Polizeiinspektion
N. hat mit Schlussvermerk vom 16.10.2002 unter anderem vermerkt, es verwundere, dass der Geschädigte in der Folge Verletzungen
am gesamten Körper geltend mache und "zerfressene" Hautstellen beschreibe, die überhaupt nicht vorhanden (sichtbar) seien.
Der Leitende Oberstaatsanwalt in N. hat mit Schreiben vom 29.01.2003 an den Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht
N. berichtet, dass der Kläger am 21.07.2002 Anzeige bei der Polizeiinspektion N. erstattet habe, da er von zwei Jugendlichen
am 19.07.2002 mit einer Flüssigkeit aus einer Wasserpistole bespritzt worden sei. Da er Rötungen an der Haut erlitten habe,
vermute er, die Flüssigkeit sei eine toxische Substanz gewesen. Die Jugendlichen konnten nicht ermittelt werden. Darüber hinaus
bestünden erhebliche Zweifel an einer Verletzung des Klägers. Der klinische Befund weise lediglich eine "diskrete Rötung bis
Münzgröße" aus. Dies widerspräche bereits der Einlassung bei der Anzeigeerstattung, bei welcher der Kläger, der unter sehr
hohem Blutdruck leide, von "sehr starken Rötungen" spreche. Zudem habe er nur davon gesprochen, im Gesicht getroffen worden
zu sein. Später habe er die "Verletzungen" auf den ganzen Körperbereich ausgedehnt. Die Lichtbilder weisen Verletzungen nicht
aus; auch der polizeiliche Sachbearbeiter habe solche nicht feststellen können. Eine Untersuchung der von dem Kläger erst
später abgegebenen Kleidungsstücke würde unabhängig vom Ergebnis keinen Nachweis dafür erbringen, dass die angeblich verwendete
Flüssigkeit tatsächlich toxisch gewesen sei. Der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht N. hat den Kläger am 03.02.2003
dahingehend informiert, dass es daher bei der Einstellung des Verfahrens sein Bewenden haben müsse.
Im folgenden hat das Amt für Versorgung und Familienförderung N. mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 21.07.2003 den
Antrag auf Beschädigtenversorgung abgelehnt. Da weder Zeugen des Vorfalles vorhanden seien, auch die erlittene diskrete Verletzung
könne nicht zwangsläufig auf eine hautreizende Flüssigkeit zurückgeführt werden, liege ein objektiver Nachweis einer gegen
den Kläger gerichteten Gewalttat im Sinne von §
1 Abs.1
OEG nicht vor.
Der Kläger hat mit Widerspruch vom 20.08.2003 gerügt, dass der Sachverhalt nicht aufgeklärt worden sei. Das Verbrechen, dem
er zum Opfer gefallen sei, sei von der Polizei und der Staatsanwaltschaft vertuscht worden. Bezugnehmend auf Fotos, die wenige
Tage zuvor am 15.07.2002 von Dr.med.T. R. zur Vorbereitung einer Nasenoperation gefertigt worden seien, könne bewiesen werden,
wie schrecklich sein Gesicht durch das Säureattentat entstellt worden sei. Nach dem Verbrechen habe er eine Kehlkopfentzündung
bekommen und sei noch heute in Behandlung, auch wegen der Schmerzen.
Die Gemeinschaftspraxis Dr.med.R. F. und Kollegen hat mit Befundbericht vom 04.10.2003 mitgeteilt, dass der Kläger vor allem
an Schluckbeschwerden, Schwindel und einer chronischen Sinusitis leide. Es bestehe ein Zustand nach SRP und SRP-Revision 04/99
und 09/01. Das "Säureattentat 2002" sei fraglich.
Dementsprechend ist der Widerspruch vom 20.08.2003 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom
21.07.2003 mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 04.12.2003 zurückgewiesen
worden.
In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Nürnberg u.a. die Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte Berlin beigezogen. Der Vergleich der nervenärztlichen Befundberichte von Dres.med. J. K. und R. W. vom 30.08.2001
und 06.10.2004 ergibt, dass sich bei dem Kläger zwischenzeitlich eine Angstneurose samt Persönlichkeitsstörung entwickelt
hat. Der Kläger leidet nunmehr an rezidivierenden Panikzuständen, einer Depressionsneigung samt Zwangsgedanken und einem selektiven
Vermeidungsverhalten. Die sozialen Fähigkeiten sind deutlich eingeschränkt; weiterhin besteht eine cognitive Funktionsbeeinträchtigung.
Der nach §
106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) bestellte Sachverständige Dr.H. G. ist mit Gutachten vom 21.06.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger vornehmlich
eine schwergradige Zwangsstörung im Rahmen einer Persönlichkeitsstörung vorliegt, die jedoch in keinem Zusammenhang mit dem
vom Kläger behaupteten Ereignis vom 19.07.2002 steht. Insofern liegen auch keine als überwiegend wahrscheinlich zu bezeichnende
Schädigungsfolgen vor und entsprechend keine hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
Das Bayer. Landessozialgericht hat mit Beschluss vom 27.10.2005 die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Nürnberg vom 21.06.2005 zurückgewiesen. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg könne gem. §
73a Abs.1
SGG i.V.m. §§
114 ff. der
Zivilprozessordnung (
ZPO) keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden.
Das Sozialgericht Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 06.12.2005 - S 15 VG 1/04 - ab. Das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von §
1 Abs.1
OEG sei nicht nachgewiesen. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast trage nämlich derjenige die Folgen der Nichtfeststellbarkeit
einer Tatsache, der sich auf ihr Vorliegen berufe (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage
2002 III RN 27). Zweifel ergäben sich vor allem daraus, dass der Kläger behaupte, am 19.07.2002 bei einem Spaziergang von
einer Brücke herunter von zwei Personen mit einer Flüssigkeit im Gesicht besprüht worden zu sein. Im Verlauf des Abends habe
sich im Gesicht eine Rötung und ein Brennen eingestellt. Später habe der Kläger angegeben, das er am ganzen Körper von dieser
Flüssigkeit zerfressen worden sei. Die Angaben des Klägers zum Tathergang seien mithin widersprüchlich. Ein Attest des Klinikums
N. vom 19.07.2002 habe den klinischen Befund als eine diskrete Rötung bis Münzgröße linke Wange beschrieben. Vor den Begriffen
Bläschen oder Blasen stehe ein Fehlt-Zeichen. Die widersprüchlichen Angaben des Klägers, der gesamte zeitliche Ablauf des
Geschehens, das Fehlen von Zeugen, das Fehlen von Hinweisen auf die angeblichen Täter und die Dokumentationen in den Polizei-
und Staatsanwaltschaftsakten sprächen dafür, dass es am 19.07.2002 keinen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff im Sinne des
OEG auf den Kläger gegeben habe. Das vorsorglich eingeholte Gutachten des vom Gericht zum medizinischen Sachverständigen ernannten
Dr.H. G. habe in jeder Hinsicht das bereits aus rechtlichen Gründen feststehende Ergebnis bestätigt. Auch bei der Untersuchung
am 21.06.2005 habe sich kein Hinweis auf das Bestehen von Schädigungsfolgen ergeben, insbesondere auch nicht im Bereich der
Haut. Der von dem Kläger am 29.07.2005 gestellte Antrag nach §
109 SGG sei daher aus rechtlichen Gründen abzulehnen gewesen.
Hiergegen legte der Kläger am 17.02.2005 zur Niederschrift des Sozialgerichts Nürnberg Berufung ein. Zur Begründung verwies
er auf das Vorbringen im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren.
Von Seiten des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) wurden die Akten des Beklagten sowie die erstinstanzlichen Akten beigezogen,
ebenso die Rentenstreitakte des Sozialgerichts Nürnberg, S 5 An 130/92. Im folgenden wurde der Kläger mit Schreiben vom 07.04.2006
an die Vorlage der Berufungsbegründung bis 15.05.2006 erinnert. Das BayLSG teilte dem Kläger mit weiterer Nachricht vom 09.06.2006
mit, dass der Rechtsstreit entscheidungsreif erscheine. Vorsorglich werde um Mitteilung bis spätestens 30.06.2006 gebeten,
ob die Berufung weiterhin aufrecht erhalten oder zurückgenommen werde.
Der Kläger äußerte sich hierzu nicht mehr. Er ist auch in der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2007 nicht erschienen.
Der Kläger hat beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.12.2005 aufzuheben und Leistungen nach dem
OEG zu gewähren.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gem. §
202 SGG i.V.m. §
540 ZPO sowie entsprechend §
136 Abs.2
SGG auf die beigezogenen Versorgungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Die Angaben eines Antragstellers bzw. Klägers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen,
sind gem. § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG), wenn Unterlagen nicht
vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers bzw. Klägers verloren gegangen sind, der Entscheidung
zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Hier können die Angaben des Klägers nicht zugrundegelegt werden. Denn der Befundbericht des Klinikums N. vom 19.07.2002 belegt
lediglich eine "diskrete Rötung bis Münzgröße". Das Vorliegen von Bläschen oder Blasen ist verneint worden. Bei Anzeigeerstattung
am 21.07.2002 hat der Kläger angegeben, dass seine Haut im Gesicht sehr stark gerötet gewesen sei und gebrannt habe. Später
berichtete er gegenüber der Polizeiinspektion N., dass er mittlerweile am ganzen Körper Stellen festgestellt habe, die durch
die Flüssigkeit "zerfressen" seien. Die Schmerzen und der Juckreiz seien mittlerweile unerträglich.