Anspruch auf Prozesskostenhilfe; Prüfung der Erfolgsaussicht
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten wegen einer Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (
OEG).
Der mittlerweile 16-jährige Kläger und Beschwerdeführer (Bf) hat beim Beklagten und Beschwerdegegner (Bg) Versorgung nach
dem
OEG mit der Begründung beantragt, er sei im März 2000 in Bonn von seinem Großvater sexuell missbraucht worden. Diese Gewalttat
habe bei ihm zu Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen geführt. Der Bg hat den Antrag mit Bescheid und Widerspruchsbescheid
abgelehnt. Er hat dies damit begründet, ein vorsätzlicher und rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinn von §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG sei nicht erwiesen, und darauf verwiesen, der Großvater sei im strafgerichtlichen Verfahren freigesprochen worden und ein
Glaubwürdigkeitsgutachten vom 17.03.2006 hätte erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage des Klägers geäußert.
Am 03.09.2009 hat der Bf Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben. Parallel hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
(PKH) und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten beantragt. Das Sozialgericht hat dies mit Beschluss vom 17.03.2011 abgelehnt,
weil es keine hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtschutzbegehrens gesehen hat. Der Sachverhalt, so das Sozialgericht zur
Begründung, sei aufgrund des durchgeführten Strafverfahrens aufgeklärt und Anhaltspunkte für eine Amtsermittlung des Sozialgerichts
existierten nicht. Daneben bestünden auch Zweifel, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH gegeben
seien. Denn der Weiße Ring e.V. habe sich bereiterklärt, unter bestimmten Voraussetzungen für die Prozesskosten aufzukommen;
diese Unterstützung sei nicht subsidär gegenüber der PKH.
Gegen den Beschluss vom 17.03.2011 richtet sich die am 29.04.2011 eingelegte Beschwerde.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von PKH und Anwaltsbeiordnung
abgelehnt.
Nach §
73 a Abs.
1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in Verbindung mit §
114 Abs.
1 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das Tatbestandsmerkmal "hinreichende Erfolgsaussicht" ist unter Berücksichtigung seiner verfassungsrechtlichen Bezüge auszulegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten
bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Das ergibt sich aus Art.
3 Abs.
1 des Grundgesetzes (
GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art.
19 Abs.
4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (vgl. BVerfGE 81, 347 ; stRspr). Verfassungsrechtlich ist zwar nicht zu beanstanden, wenn die Gewährung von PKH davon abhängig gemacht wird, dass
die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das
Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet zugleich,
dass PKH nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance
aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfGE 81, 347 ; stRspr). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann nicht nur die Behandlung schwieriger Rechtsfragen im
PKH-Verfahren zu einer unzulässigen Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens führen. Auch Beweiserhebungen bzw. Beweiswürdigungen
müssen darauf hin untersucht werden, ob sie den Rahmen des PKH-Verfahrens sprengen. Im Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 (NJW 2008, S. 1061) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, PKH dürfe nicht verweigert werden, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht
komme und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit
zum Nachteil des Betroffenen ausgehen würde.
Im Gegenschluss ist daraus zu folgern, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht dann nicht vorliegt, wenn nach Lage der Dinge
die Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem für den Betroffenen ungünstigen Ergebnis führen wird. Bei der Beurteilung
dessen darf das Gericht indes nicht jeden Fall bis ins Letzte "durchprüfen". Denn das könnte gegen das verfassungsrechtlich
begründete Verbot verstoßen, das Hauptsachverfahren in das PKH-Verfahren zu verlagern. So hat die Klärung schwieriger Rechtsfragen
im PKH-Verfahren keinen Platz (vgl. BVerfG NJW 2000, S. 1936; BVerfG NJW 2003, S. 1857). Gleiches muss für sehr schwierige Beweiswürdigungen gelten, und zwar auch dann, wenn das Sozialgericht möglicherweise keine
eigenen Beweise mehr erhebt, sondern nur das vorhandene Material auswertet.
Die Folge dessen kann sein, dass mitunter auch dann, wenn das Gericht im Rahmen der lückenlosen Prüfung in der Sache zu einem
letzten Endes eindeutigen und nahezu unangreifbaren Resultat zu Ungunsten des Antragstellers gelangt, PKH zu bewilligen ist.
Dieser Fall kann beispielsweise eintreten, wenn das Gericht auf dem Weg zu seinem Ergebnis schwierige rechtliche Probleme
zu bewältigen hat. Die Gefahr der Vorwegnahme der Hauptsache besteht aber genauso, wenn eine anspruchsvolle Beweiswürdigung
zu bewältigen ist. Die Lösung muss dann unter Umständen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Somit ist nicht ausgeschlossen,
dass das Ergebnis einer anspruchsvollen Beweiswürdigung möglicherweise für die Bewertung der hinreichenden Erfolgsaussicht
im Sinn des PKH-Rechts auszublenden ist.
So liegt der Fall hier. Dreh- und Angelpunkt sowohl im strafgerichtlichen Verfahren als auch im Rahmen der Überlegungen des
Sozialgerichts ist das aussagepsychologische Sachverständigengutachten des Diplom-Psychologen W., das den Bekundungen des
Klägers zur behaupteten Tat keine hinreichende Glaubhaftigkeit beimisst. Dem Sozialgericht fällt die Aufgabe zu, dieses Gutachten
eingehend auf seine Überzeugungskraft zu prüfen. Diese Prüfung bleibt ihm nicht etwa deswegen erspart, weil das Strafgericht
seinerseits das Gutachten offenbar für überzeugend gehalten hat. Das Sozialgericht kann vermutlich aber nur dann die Qualität
des Gutachtens kompetent und effektiv beurteilen, wenn es mit den methodischen Anforderungen an ein Glaubhaftigkeitsgutachten
zumindest einigermaßen vertraut ist. Das wiederum kann es notwendig machen, das wegweisende Urteil BGH NJW 1999, S. 2746, und einschlägige Literatur zu studieren. Herauszufinden, ob das Gutachten letztendlich ausreichend und überzeugend ist,
verlangt dem Sozialgericht eine anspruchsvolle Wertung auf breiter Wissensgrundlage ab. Das alles darf nach Auffassung des
Senats nicht in das PKH-Verfahren verlagert werden. Ohne diese eingehende Beschäftigung mit dem Gutachten aber dürfte das
Sozialgericht nicht im Stande zu sein, definitiv zu beurteilen, ob doch noch weitere Ermittlungen notwendig sind.
Die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgleichheit gebietet, dass der Bf sich nicht ohne anwaltliche Hilfe mit diesen anspruchsvollen
und weitreichenden Überlegungen des Gerichts konfrontiert sieht. Insoweit wäre er gegenüber der sach- und fachkundigen Behörde
klar im Nachteil. Dass der Bf bis dato de facto auch ohne PKH-Bewilligung und Beiordnung vollwertig von seiner Prozessbevollmächtigten
vertreten worden ist, spielt insoweit keine Rolle.
Angesichts dessen, dass die Komplexität und Schwierigkeit der Beweiswürdigung als solche schon die Bewilligung von PKH gebietet,
kann der Senat dahin stehen lassen, ob im Rahmen der Amtsermittlung noch weitere Beweiserhebungen erforderlich sind.
Auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor. Dabei darf das Einkommen der Mutter als
solches nicht berücksichtigt werden, weil es bei der Einkommensberechnung im PKH-Recht keine "Einstandsgemeinschaft" gibt.
Vielmehr zählen nur das Kindergeld und tatsächlich bezogener Unterhalt (auch Naturalunterhalt) als Einkommen. Die Folge ist,
dass keine Raten aus dem Einkommen zu zahlen sind.
Der Bf verfügt auch nicht über einzusetzendes Vermögen. Die vom Weißen Ring e.V. mit Schreiben vom 06.02.2009 eingegangene
Verpflichtung zur Kostentragung verkörpert zwar einen Vermögensgegenstand, jedoch einen, der im PKH-rechtlichen Sinn nicht
verwertbar ist. Denn die Verpflichtung besteht nur subsidiär für den Fall, dass PKH entweder nicht oder nur mit Ratenzahlung
bewilligt wird. In der Tat scheint diesbezüglich ein Widerspruch zu der Subsidiarität der PKH zu bestehen. Jedoch darf nicht
übersehen werden, dass die Subsidiarität der PKH nur im Verhältnis zu "werthaltigem" Vermögen greift. Das ist hier nicht der
Fall. Denn dem Bf ist ausdrücklich nur insoweit ein Rechtsanspruch eingeräumt worden, als über PKH keine vollständige Kostenbefreiung
erreicht werden kann. Diese Beschränkung muss rechtlich akzeptiert werden. Die Deckungszusage des Weißen Rings e.V. stellt
eine Zuwendung ohne rechtliche Verpflichtung dar, bei der es der zuwendenden Seite unbenommen bleiben muss, sie von bestimmten
Bedingungen abhängig zu machen. Gründe, die für eine Unwirksamkeit der Beschränkung sprechen könnten, liegen nicht vor. Dieses
Ergebnis wird auch dadurch gestützt, dass im Rahmen der PKH sogar Selbstbeteiligungen bei Rechtsschutzversicherungen übernommen
werden.
Die "Deckungszusage" durch den Weißen Ring e.V. vom 06.02.2009 bewirkt überdies nicht, dass der Ausschlusstatbestand nach
§
73a Abs.
2 SGG greift. Denn der Weiße Ring e.V. gehört nicht zu den Bevollmächtigten im Sinn von §
73 Abs.
2 Satz 2 Nr.
5 bis 9
SGG. Insbesondere stellt er keine Vereinigung im Sinn von §
73 Abs.
2 Satz 2 Nr.
8 SGG dar. Von dieser Norm wird der Weiße Ring e.V. schon deswegen nicht erfasst, weil er keine sachkundige Prozessvertretung für
seine Mitglieder im gesetzlichen Sinn gewährleistet. Aus seiner Satzung unmittelbar ergibt sich kein allgemeiner Rechtsanspruch
auf bestimmte Leistungen (OLG Koblenz, MDR 2008, S. 267). Entsprechende Verpflichtungen übernimmt der Verein augenscheinlich nur nach Ermessen im Einzelfall. Eine "Gewähr" im Sinn
von §
73 Abs.
2 Satz 2 Nr.
8 SGG liegt darin nicht.
Die Anwaltsbeiordnung beruht auf §
121 Abs.
2 ZPO. Die Vertretung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt ist erforderlich.
Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.