Tatbestand
Die 1976 geborene Klägerin, für die eine Betreuerin bestimmt wurde, begehrt eine solche Versorgung wegen erlittenem sexuellen
Missbrauch durch ihren 2005 verstorbenen Vater D. P. und ihren 2000 verstorbenen Großvater H. P ...
Im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Zeugin des streitgegenständlichen Verfahrens, die Schwester der Klägerin S. D.,
hat diese angegeben, selbst seit ihrem 13. Lebensjahr von ihrem Großvater H. P. sexuell missbraucht worden zu sein. Dabei
hat sie u.a. ausgesagt, dass sie von der Klägerin erfahren habe, diese sei von dem gemeinsamen Vater D. P. in gleicher Weise
missbraucht worden. Wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch ist durch die Polizei gegen D. P. ermittelt worden. Im Rahmen
dieses Ermittlungsverfahrens (Staatsanwaltschaft E-Stadt) ist in einem nervenärztlichen Gutachten vom 06.02.1995 vom Nervenarzt
Dr. Sch. u.a. eine Entwicklungsverzögerung der Zeugin auf psychomotorischem, psychosozialem und intellektuellem Gebiet festgestellt
worden, verursacht in einer frühkindlichen Hirnschädigung. Zuletzt ist vom Beklagten mit Bescheid vom 18.06.2008 ab 17.03.2008
ein GdB von 80 für die Zeugin festgesetzt worden, wobei ein Einzel-GdB von 70 wegen Beeinträchtigungen der psychomotorischen,
intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten nach frühkindlicher Hirnschädigung, depressiven Verstimmungen mit selbstaggressiven
Impulsen und chronischen Kopfschmerzen vergeben wurde.
Das Ermittlungsverfahren gegen D. P. wurde durch Verfügung gemäß §
170 Abs.
2 Strafprozessordnung vom 08.05.2001 eingestellt. Ein Tatnachweis habe mit Blick auf die mehreren gutachterlichen Stellungnahmen hinsichtlich der
Zeugentüchtigkeit der Klägerin nicht geführt werden können. Der Landgerichtsarzt Dr. B. habe eine schwere Persönlichkeitsstörung
der Klägerin dargelegt, wobei zeitweise auch die Grenzen zur Psychose überschritten worden seien, verbunden mit einem Verlust
des Realitätsbezugs. Nach Aktenlage handle es sich bei der Klägerin um eine Persönlichkeit, die Reales und Phantasiewelt nicht
auseinanderhalten könne, überdies zu dramatisierendem Verhalten neige und deren Angaben auch unabhängig von einer evt. gegebenen
sexuellen Problematik häufig sehr zweifelhaft gewesen seien. Eine Beschwerde der Klägerin gegen die Einstellung der Ermittlungen
wurde zurückgezogen.
Die Klägerin stellte erstmals am 08.03.2002 Antrag beim Beklagten auf Beschädigtenversorgung mit Blick auf eine dissoziative
Identitätsstörung. Der Beklagte wertete die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft E-Stadt aus. In einem Aktenvermerk vom
05.03.2001 berichtete eine Kriminaloberkommissarin von einer Aussage der die Klägerin behandelnden Psychologin S., die angegeben
habe, dass die Klägerin bei ihr seit 1998 in Therapie sei. Die Klägerin leide nach ihrer Einschätzung an einer Persönlichkeitsstörung
in der Ausprägung eines Borderline-Typs. Es gebe auch schizophrene Anteile. Die Klägerin steigere sich in etwas hinein und
verliere dabei jeglichen Bezug zur Realität. Aufgrund der hysterischen Störung beziehe die Klägerin das durch Lesen und Fernsehen
Erfahrene auf sich selbst und schildere es als selbsterlebt. Zu dem sexuellen Missbrauch könne sie, die Dipl.-Psych. S., keine
Angaben machen. Ob ein solcher tatsächlich stattgefunden habe oder ob sich die Klägerin diese Realität ebenfalls angelesen
habe, vermöge sie nicht zu sagen. Neben weiteren medizinischen Unterlagen zog der Beklagte u.a. den Entlassungsbericht der
W.-Klinik, Bad W. (Aufenthalt 12.07. bis 27.07.2000) heran. Dieser schildert im Rahmen der biografischen Anamnese die Angaben
der Klägerin, ihr Großvater habe sie im Alter von 7 bis 15 Jahren sexuell traumatisiert. Vor ihrem Vater habe sie ebenfalls
Angst gehabt, er habe sie in eine satanische Sekte eingeführt. Weiter wird festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Kindheit
ritualisiert Gewalt und sexuelle Traumatisierungen durch Vater und Großvater und so eine tiefgreifende Missachtung ihrer Grenzen
und ihrer Persönlichkeit erfahren habe. Diese psychodynamischen Ausführungen seien aber lediglich Hypothesen, da die Aussagen
der Klägerin zum Teil rudimentär und zum Teil äußerst widersprüchlich gewesen seien, so dass deren Glaubwürdigkeit nicht beurteilbar
sei.
Mit Bescheid vom 16.05.2002 lehnte der Beklagte sodann den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab, da nach Auswertung der vorhandenen
Unterlagen das Vorliegen eines schädigenden Tatbestandes im Sinne des
OEG nicht als zweifelsfrei erwiesen anzusehen sei. Die Beweiserhebungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Der Bescheid erwuchs
in Bestandskraft.
Am 20.01.2004 meldete sich die Klägerin beim Beklagten telefonisch mit dem Ziel einer erneuten Antragstellung; der Beklagte
wertete dies als Antrag auf Rücknahme des ablehnenden Bescheids (vom 16.05.2002) gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die Klägerin wies beim Hausbesuch der Sonderbetreuung darauf hin, dass der damalige Bescheid nicht den Verhältnissen entsprochen
habe. Sie beziehe mittlerweile wegen ihrer psychischen Erkrankung aufgrund der Missbrauchsfolgen Erwerbsunfähigkeitsrente
von der Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz. Aus dem von der Sonderbetreuerin verfassten Protokoll über den
Besuch am 17.03.2004 geht u.a. hervor, dass die Klägerin versucht habe, der Sonderbetreuerin mehrere Audiokassetten zu übergeben
und auf entsprechende Nachfrage geantwortet habe, darauf seien Beweise für die Vergewaltigung, wie etwa das Stöhnen des Großvaters.
Ihre Borderline-Symptomatik, so die Klägerin, komme auf alle Fälle vom Missbrauch. Der anwesende Ehemann des Klägers habe
die Sonderbetreuerin darauf hingewiesen, dass einige der während des Hausbesuchs gemachten Aussagen der Klägerin nicht von
dieser stammen würden, sondern von einer anderen der multiplen Persönlichkeiten; insgesamt habe die Klägerin 27 verschiedene
Persönlichkeiten in sich. Er als Ehemann könne die Personen unterscheiden und wisse auch anhand der Stimmlage, des Verhaltens
und gegebenenfalls auch der Schriftart, welche Person gerade vorherrsche. Auf die Frage der Sonderbetreuerin, ob bisher unbekannte
Tatsachen vorgebracht würden, die eine Rücknahme des Ablehnungsbescheids ermöglichen würden, habe der Ehemann seiner Frau
den Pullover-Ärmel hochgerissen und den Blick auf zahlreiche Schnittverletzungen, offenbar Selbstverletzungen, freigegeben.
Es gehe darum, zu sehen, wie es der Klägerin gehe.
Im Folgenden hat die Bevollmächtigte der Klägerin an den Beklagten Audiokassetten und Zeichnungen übersandt, die den Missbrauch
belegen sollten. In einem Vermerk des Beklagten vom 26.05.2004 ist festgehalten worden, dass es sich zwar nicht ausschließen
lasse, dass es sich bei den auf den Kassetten aufgenommenen Passagen um Stöhnen mit evt. sexuellem Hintergrund handle, dass
aber nicht festgestellt werden könne, was sich genau abspiele bzw. um welche Ereignisse es sich konkret handle. Ein sexueller
Missbrauch lasse sich, so die Feststellung im Vermerk, aufgrund dieser Aufnahme keinesfalls nachweisen.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.05.2004 (§ 44 SGB X) den Antrag auf Rücknahme ab. Nach Prüfung der Kassetten und Zeichnungen, dieser neuen "Beweismittel" - so der Beklagte im
Bescheid -, sei der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs immer noch nicht nachgewiesen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 25.06.2004 Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren wurden weitere medizinische Unterlagen eingeholt
und ausgewertet. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2004 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, da nach der
Sachlage keine neuen Aspekte oder Nachweise vorgebracht worden seien, die auf eine Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheids
vom 16.05.2002 hindeuten würden.
Hiergegen legte die Klägerin (ihre erste) Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut ein (17.11.2004 - S 15 VG 11/04). Begründet wurde diese u.a. mit angeblichen Ermittlungsdefiziten. Im sozialgerichtlichen Verfahren wurden erneut zahlreiche
medizinische Unterlagen eingeholt, u.a. der Entlassungsbericht der Klinik A. vom 05.07.2001; dort ist die Rede davon, dass
die Klägerin über ihren Vater in eine "Satanssekte" gerutscht sei. Sie nehme an, bereits als kleines Kind dabei gewesen zu
sein, könne sich jedoch an nichts mehr erinnern. Vom Großvater sei sie sexuell missbraucht worden im Alter zwischen sieben
und 15 Jahren. Die Mutter habe zu Hause nichts zu sagen gehabt. Vor Großvater und Vater habe sie Angst gehabt. Weiter hat
das SG den Bericht der Psychotherapeutin T. ausgewertet. Diese gab am 19.03.2006 an, dass die Klägerin auf eigene Initiative zu
ihr gekommen sei. Die Arme der Klägerin seien von Narben übersät. Die Lebensumstände, so die Klägerin, seien desolat und durch
die im Haus lebende schwer alkoholkranke Mutter (derzeit werde der Mutter regelmäßig der Strom abgedreht, da sie ihre Sozialhilfe
fast gänzlich in Alkohol investiere) und die "minderbegabte" Schwester, die ein Kind bekommen habe, schwer belastet. Die Familienverhältnisse
seien schon immer höchst chaotisch gewesen, so die Klägerin zur Psychotherapeutin. Sie sei von ihrem Großvater zwischen ihrem
7. und 15. Lebensjahr sexuell missbraucht worden. Ihr Vater habe sie in eine satanische Sekte eingeführt. Auch dort sei es
zu rituellen sexuellen Handlungen und Manipulationen an ihr gekommen. Sie könne sich bruchstückhaft erinnern, doch wisse sie
"nie alles gleichzeitig".
Sodann holte das SG ein aussagepsychologisches Gutachten bzgl. der Klägerin ein. Nach Problemen hinsichtlich der Terminwahrnehmung durch die
Klägerin ist ein solches Gutachten dann am 07.09.2006 durch die Dipl.-Psych. G. erstellt worden; die Untersuchung fand am
29.06.2006 im Rahmen eines Hausbesuchs bei der Klägerin statt.
In dem Gutachten hielt die Dipl.-Psych. u.a. fest, dass die Klägerin, zu einem rituellen Missbrauch in einer satanischen Sekte
befragt, nichts angegeben habe, da dies doch nichts "bringe". Sie könne sich nur unzureichend daran erinnern. Zu den undatierten
Zeichnungen der Klägerin (s.o.) habe diese angegeben, sie könne der Sachverständigen gerne noch mehr solcher Zeichnungen anfertigen,
darüber berichten könne sie aber nichts.
Auf die Nachfrage der Sachverständigen, wie es komme, dass die Klägerin offenbar nie zuvor konkrete Vorfälle hinsichtlich
der maßgeblichen Handlungen (sexueller Missbrauch) gegenüber ihren Therapeuten geäußert habe, gegenüber ihr, Dipl.-Psych.
G., jetzt jedoch Einzelsituationen schildern könne, habe die Klägerin lächelnd entgegnet, dies liege daran, dass sie in der
Sicherheit ihres häuslichen Umfelds befragt werde. Als die Klägerin von der Sachverständigen gegen Ende der Begutachtung nochmals
auf bereits zuvor berichtete fragliche Vorfälle angesprochen worden sei (zur Überprüfung, ob die Klägerin zu konstanten Angaben
in der Lage sei bzw. zu Präzisierungen der vorherigen Angaben), habe sich die Klägerin zunehmend ungehalten gezeigt.
Zum Kerngeschehen des sexuellen Missbrauchs befragt, habe die Klägerin, so die Sachverständige, angegeben, dass der Missbrauch
durch den Großvater wohl begonnen habe, als sie ca. neun Jahre gewesen sei. Dies müsse nach der Zeit gewesen sein, als sie
bei ihrem Vater in R-Stadt gewohnt habe. Von ihrem Vater sei sie bereits zuvor missbraucht worden, bereits als Kleinkind,
sie könne jedoch nichts Konkretes berichten. Sie wisse aus dieser Zeit nicht mehr viel. Der Missbrauch durch den Großvater
habe angedauert, bis sie ca. 18 oder 19 Jahre alt gewesen sei. Ihr Vater habe sie ebenfalls noch mit 16 missbraucht. Die Nachfrage
der Sachverständigen, ob der Missbrauch durch Vater und Großvater auch im selben Zeitraum stattgefunden habe, habe die Klägerin
bejaht.
Die Klägerin habe, so Dipl.-Psych. G., einige Vorfälle ausführlicher berichtet (die näheren Angaben der Klägerin gegenüber
der Sachverständigen sind auf Seite 27 ff. des Gutachtens - Bl. 145 ff. der Gerichtsakte des Verfahrens S 15 VG 11/04 - im Einzelnen wiedergegeben).
Als Ergebnis der Begutachtung stellte Dipl.-Psych. G. fest, dass die derzeitige Aussagefähigkeit bzw. Aussagetüchtigkeit der
Klägerin als eingeschränkt zu bezeichnen sei. Die Klägerin schildere verschiedene fragliche Einzelsituationen, in denen es
durch den Vater und Großvater zu sexuellen Missbrauchshandlungen gekommen sei. Die Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen
zu einem solchen Missbrauch könnten nicht als glaubhaft belegt werden. Insbesondere könne nicht zurückgewiesen werden, dass
es sich bei den klägerischen Angaben um Scheinerinnerungen handeln könnte; u.a. fänden sich eine zeitliche und inhaltliche
Ausweitung und Veränderung der inkriminierten Missbrauchsvorwürfe. Die vorliegende Qualität bzgl. der fraglichen Missbrauchsbehauptungen
sei nicht geeignet, die aufgestellten Falschaussagehypothesen zurückzuweisen.
Weiter wies die Sachverständige darauf hin, dass die Klägerin bzgl. der Zeichnungen, die der Verwaltungsakte lose beiliegen
würden, keine genaueren Angaben gemacht habe. Es handle sich wahrscheinlich um die Zeichnungen, welche 1997 von der Klägerin
angefertigt worden seien. Eine allgemeine klinische Diagnostik wie die Auswertung von Zeichnungen könnte lediglich Hintergrundinformationen
für die Beurteilung einer speziellen Aussage liefern. Keinesfalls könnten, so die Sachverständige, solche Daten Schlussfolgerungen
hinsichtlich des Erlebnisbezugs rein vermuteter, jedoch nicht qualitätsreich verbalisierter Übergriffe abgeleitet werden.
Im Erörterungstermin der Kammer am 24.10.2006 nahm die Klägerin die Klage zurück.
Am 21.09.2008 erreichte den Beklagten eine E-Mail der Zeugin S. D., in der sie ihre Erinnerungen an einen Missbrauch an der
Klägerin (und an sich selbst) darlegte. Dabei schilderte sie vor allem Folgendes:
"Ich kann mich an einen Vorfall erinnern, da war mein Großvater einkaufen und als er nach Hause kam hatte er immer tütenweise
Süßigkeiten mitgebracht und meine Schwester ging mit irgendeinen Buch [ ...] immer hinunter um angeblich mit meinen Großvater
zu lernen, (wir wurden mit Süßigkeiten hochgeschickt) mich hat es damals nicht gewundert weil meine Schwester immer nach der
gewissen Zeit wieder oben war. Doch als es immer später wurde, wurde ich neugierig und deshalb ging ich hinunter zuerst in
die Küche, fand sie aber nicht, dann ging ich ins Wohnzimmer und da sah ich meinen Großvater und meine Schwester auf der Couch
liegen und beide waren nackt und dass hatte mich sehr gewundert, doch als mein Großvater mich sah, gab er mir ein Zeichen,
ich solle gefälligst nach oben verschwinden und da hatte ich Angst bekommen und bin hochgerannt.
Ich hab damals nicht gewusst, was da stattgefunden hat, da ich selbst noch klein war."
Auch sei ihr jedes Mal aufgefallen, dass ihr Großvater ihre Schwester immer sehr lange geküsst habe, obwohl ihre Schwester
sich dagegen gewehrt habe und er habe sie immer an den Oberschenkeln berührt. Des Weiteren sei ihr auch aufgefallen, dass
ihr Großvater der Klägerin immer teure Markenkleidung gekauft habe, obwohl die meiste Zeit kein Geld da gewesen sei. Ihre
Schwester habe nach ihrer, der Zeugin, Erinnerung immer mit Licht geschlafen. Als die Klägerin wegen Magersucht in die Klinik
eingewiesen worden sei, habe der Großvater nur abfällig behauptet, dass sie das nur gemacht habe, um ihn schlecht dastehen
zu lassen. Wochen nach ihrem, der Zeugin, Geschlechtsakt mit ihrem Großvater habe sie diesen gefragt, ob er so etwas auch
mit ihrer Schwester, der Klägerin, mache. Er habe nur gesagt, mit so einem Klappergestell fange er nichts mehr an. Dies seien
ihre ganzen Erinnerungen, die sie noch habe. Sie könne hiermit bestätigen, dass der Missbrauch stattgefunden habe.
Mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 03.02.2009 wurde erneut Antrag nach § 44 SGB X auf Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide vom 16.05.2002 und 27.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2004
gestellt. Zu Unrecht, so die Begründung, habe man im vorangegangenen Klageverfahren die Schwester der Klägerin nicht gehört.
Aufgrund der Angaben der Schwester ergebe sich, dass der Großvater die Klägerin über Jahre hinweg sexuell missbraucht habe.
Die Klägerin befinde sich deshalb in ständiger psychiatrischer Behandlung, entweder ambulant oder stationär. S. D. habe in
einer E-Mail vom 05.01.2009 gegenüber dem Klägervertreter angegeben, dass sie einmal beobachtet habe, dass die Klägerin und
der Großvater im Wohnzimmer des Elternhauses nackt auf der Couch gelegen seien. Dabei habe der Großvater seine Hand zwischen
den Beinen der Klägerin gehabt und mit der anderen Hand seinen Penis gerieben, um sich zu befriedigen. Der Vorfall habe sich
sehr wahrscheinlich im Winter 1987 zugetragen, als sie selbst acht und die Klägerin elf Jahre alt gewesen sei. Dabei sei es
regelmäßig so gewesen, dass der Großvater S. nach dem Mittagessen Süßigkeiten gegeben und sie zum Fernsehen ins Obergeschoss
geschickt habe. Die Klägerin habe dann in der Regel beim Großvater bleiben müssen, um ihm beim Spülen zu helfen. Als S. dann
an dem Tag im Winter 1987 wieder ins Erdgeschoss gekommen sei, habe sie den beschriebenen Vorfall beobachtet.
Mit Bescheid vom 23.06.2009 lehnte der Beklagte die Rücknahme der vorgenannten Bescheide ab. Es habe nicht festgestellt werden
können, dass bei Erlass dieser Bescheide von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Aussage der Schwester
S. sei nicht glaubhaft. In der E-Mail gegenüber dem Beklagten vom 21.09.2008 habe S. zum Vorfall auf der Couch lediglich mitgeteilt,
sie habe den Großvater und ihre Schwester auf der Couch liegen sehen und diese seien beide nackt gewesen. Sie habe damals
nicht gewusst, was da stattgefunden habe, da sie selbst noch klein gewesen sei. Die E-Mail habe mit der Aussage abgeschlossen,
die Angaben in der E-Mail seien die ganze Erinnerung, die sie (S.) habe. Es sei damit davon auszugehen, dass S. in ihrer E-Mail
gegenüber dem Klägervertreter (vom 05.01.2009) noch "nachgebessert" habe. Des Weiteren werde keine nachvollziehbare Begründung
dafür angegeben, warum die unterstützende Aussage der Schwester erst jetzt in das Verwaltungsverfahren eingeführt worden sei
und nicht bereits in das abgelaufene Verfahren vor dem SG Landshut (S 15 VG 11/04). Während der Begutachtung bei der Dipl-Psych. G. habe die Klägerin schließlich mit ihrer Schwester in Kontakt gestanden.
Am 03.08.2009 erhob die Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren wurde ein Bericht der Diplomsozialpädagogin
M. (Zeugin) vom 09.04.2008 vorgelegt. Darin wird erklärt, dass die Klägerin von etwa 1991 bis Februar 1993 von dieser betreut
worden sei. Anlass für die Kontaktaufnahme seien Verhaltensauffälligkeiten, die der Hausarzt der Klägerin Dr. S. bei der damals
14-jährigen bemerkt habe. Während des Beratungsverlaufs habe die Klägerin auch immer wieder sexuell übergriffiges Verhalten
ihres Großvaters ihr gegenüber während diverser Autofahrten angedeutet. Gut sei ihr, der Sozialpädagogin M., ein Telefonat
erinnerlich, bei dem die Klägerin erzählt habe, von ihrem Großvater sexuell missbraucht worden zu sein. Aufgrund ihrer extrem
großen Angst vor dem Großvater sei es der Klägerin damals nicht möglich gewesen, weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen und
die Familie zu verlassen. Später habe die Kollegin S. A. die weitere Betreuung der Klägerin übernommen. In der Folge wurde
von Seiten des Beklagten bzgl. der Zeugin S. D. eine aussagepsychologische Stellungnahme (nach Aktenlage) eingeholt. Aus der
Stellungnahme der Diplompsychologin Dr. V. vom 24.06.2010 ergibt sich, dass die Aussagen der Zeugin bzgl. des fraglichen Missbrauchs
durch den Großvater von sehr geringem Umfang und auch von sehr geringer inhaltlicher Qualität seien. Von einer umfangreicheren
aussagepsychologischen Begutachtung sei daher abzuraten. Dabei ist auf die E-Mail vom 21.09.2008 verwiesen worden, worin die
Zeugin betont habe, dass die darin geschilderten Erlebnisse ihre gesamten Erinnerungen seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2010 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Vorliegend fehle es am Nachweis
eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs und auch eine Glaubhaftmachung gelinge nicht. Zur Begründung werde
auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid verwiesen; weiterhin sei ein Rückschluss von einer Erkrankung
auf eine bestimmte Ursache, wie in der Widerspruchsbegründung gezogen, nicht zulässig. Zudem verwies der Beklagte auch auf
die Stellungnahme von Dr. V ... Die bloße Möglichkeit reiche für die Anerkennung eines Angriffs nicht aus.
Am 04.08.2010 hat die Klägerin hiergegen Klage zum SG Landshut erhoben. In der sehr umfangreichen Klagebegründung wurde im
Wesentlichen Folgendes vorgetragen: * Beweisschwierigkeiten, die typischerweise im Bereich der Sozialen Entschädigung auftreten
würden, seien vorliegend zu berücksichtigen. Die Beweiserleichterung des § 15 des Verwaltungsverfahrens der Kriegsopferversorgung (K0VVfG) finde nach §
6 Abs.
3 OEG auch im Opferentschädigungsverfahren Anwendung. Demnach würde die Glaubhaftmachung ausreichen, wenn Unterlagen wie hier nicht
vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers verloren gegangen seien. * Die bei der Klägerin
vorliegenden Erkrankungen seien geradezu klassisch für die Opfer des jahrelangen sexuellen Missbrauchs. * Die Zeugenaussage
der Sozialpädagogin M. im Bericht vom 09.04.2008 stütze die Aussage der Klägerin. * Zu dem langen Schweigen der Schwester
S. D. werde ausgeführt, dass die Mutter seit frühester Kindheit einen "Keil" zwischen die Schwestern S. und getrieben habe.
Diese hätten daher keinerlei Vertrauen zueinander gehabt. Erst nachdem die Mutter im November 2006 verstorben sei, seien sich
die Schwestern wieder näher gekommen. * Bei Abfassung der E-Mail vom 21.09.2008 sei S. nicht bewusst gewesen, dass die Aussage,
die Angaben in der E-Mail seien "ihre ganzen Erinnerungen", dazu führen könne, dass man die spätere Nennung von Details nicht
mehr berücksichtigen würde. * Es bestehe die Notwendigkeit einer aussagepsychologischen Begutachtung der Zeugin S. D ...
Mit Urteil vom 19.04.2011 hat es die Klage abgewiesen. Unter Beachtung der Grundsätze zu § 44 SGB X habe sich der Beklagte im angegriffenen Bescheid vom 23.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2010 auf
die Bindungswirkung der Ursprungsbescheide berufen. Zwar seien die Zeugenaussage und der Bericht der Sozialpädagogin M. neue
Beweismittel. Der Beklagte sei jedoch nachvollziehbar zu der Erkenntnis gelangt, dass diese Beweismittel für die frühere Entscheidung
nicht von Bedeutung gewesen seien. Im Hinblick auf die Ablehnung der Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide schließe sich
das SG gemäß §
136 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in vollem Umfang der Begründung des Bescheides vom 23.06.2009 und des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2010 an. Darüber hinaus
lehne die Kammer die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bzgl. der Aussage von S. D. mit Verweis auf die Einschätzung
der Diplompsychologin Dr. V. in der o.g. Stellungnahme ab. Weitergehende Ermittlungsmöglichkeiten hat das SG nicht gesehen.
Am 16.06.2011 hat die Klägerin gegen das Urteil Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. In der Begründung
ist ausgeführt worden, dass die Wertung des SG, der Beklagte habe die neuen Beweismittel zu Recht als unbedeutend für die frühere Entscheidung gewertet, rechtsfehlerhaft
sei. U.a. ist eine Erklärung dafür gegeben worden, weshalb die Zeugin S. D. erst jetzt ausgesagt habe. Auf jeden Fall sei
die Aussage nicht deshalb irrelevant, weil sie erst jetzt erfolgt sei. Zur Aussagefähigkeit der Schwester müsse ein Gutachten
eingeholt werden, sofern begründete Zweifel bestehen sollten. Der Beklagte gehe selbst davon aus. Das Argument des SG, die heutigen Aussagen der Zeugin S. D. stünden ohnehin im Widerspruch zu Aussagen, die diese im Rahmen ihrer polizeilichen
Vernehmung gemacht habe, trage ebenfalls nicht. Es handle sich hier nur um polizeilich festgehaltene Passagen in einem gänzlich
anderen Verfahren, deren Protokollrichtigkeit überhaupt nicht gesichert sei. Zudem bedeute der Umstand, dass die Zeugin in
dieser Vernehmung nur über den Missbrauch des Vaters (D. P.) berichtet habe und nicht auch über den Missbrauch des Großvaters
(H. P.), keineswegs, dass es einen solchen nicht gegeben habe. Dies gelte vor dem Hintergrund, dass die Aussagen der Schwester
im Rahmen eines Strafverfahrens nur gegen den Vater getroffen worden seien.
Im Schriftsatz vom 11.12.2014 hat sich die Klägerseite mit der Rechtsprechung des Senats zu § 44 SGB X auseinandergesetzt. Dabei ist u.a. darauf hingewiesen worden, dass mit der Aussage von S. D., dem Bericht der Sozialpädagogin
M. und auch mit den Hinweisen dieser über die Behandlung der Klägerin beim Hausarzt sowie Art und Umfang der damaligen Symptomatik
neue Tatsachen und Beweismittel vorgelegt worden seien, die für die frühere Entscheidung bedeutend seien.
Am 16.12.2014 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden. In diesem ist vor allem der Antrag der Klägerseite präzisiert
worden; auch wurde angeregt, die Zeuginnen M. und A. einzuvernehmen. Im Übrigen ist Folgendes erklärt worden (Auszug a.d.
Niederschrift, S. 2): "Die Klägerin erklärt auf Nachfrage des Berichterstatters, dass sich der Kontakt zu ihrer Schwester
erst nach dem Ableben ihrer Mutter gebessert habe (12.11.2006). Die Mutter sei alkoholkrank gewesen und habe die Schwestern
regelmäßig gegeneinander aufgehetzt; dies könne auch ihr Schwager Herr D. bestätigen, der in derselben Wohnung wie die Mutter
der Klägerin gelebt habe. Sodann: "Meine Schwester oder mein Schwager haben mir öfter ihren Sohn gegeben, damit er nicht oben
in der Wohnung sein muss - wegen des Alkoholabusus seiner Großmutter."
Die Klägerin erklärt weiter, dass ihre Schwester die Berufe der Gaststättenfachkraft und Bürokauffrau erlernt habe, derzeit
sei sie in der Leergutannahme tätig. Sie habe 2 Kinder.
Die Bevollmächtigte der Klägerin sagt zu, von der angegebenen Zeugin S. D. das Einverständnis einzuholen bezüglich der Einsichtnahme
in die Schwerbehindertenakten des ZBFS bzw. wesentlicher Teile davon etc.; gegebenenfalls wird sie Fehlanzeige mitteilen."
Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Klägerseite angegeben, die Zeugin A. habe gegenüber der Bevollmächtigten
angegeben, sich leider nicht mehr an die Umstände und Inhalte der Arbeit mit der Klägerin erinnern zu können. Auf eine Zeugeneinvernahme
(mündlich oder schriftlich) der Frau A. könne verzichtet werden.
Am 23.02.2016 hat ein Beweisaufnahme- und Erörterungstermin des Senats stattgefunden. Die Zeugin S. D. hat u.a. Folgendes
ausgesagt (Auszug a.d. Niederschrift, S. 3):
"Auf [ ...] Nachfrage erklärt die Zeugin zum Verhältnis zu ihrer Schwester, der Klägerin: 'Früher waren wir uns spinnefeind,
dies hat sich dann gebessert, nach dem Tod meiner Großeltern und spätestens nach dem Tod unserer Mutter im Jahr 2006. Warum
es damals so schlecht war zwischen uns, kann ich selber nicht sagen. Ab 2006 war dann ein normales Verhältnis zwischen uns.'
Die Zeugin weiter: 'Von einem sexuellen Missbrauch, den mein Vater an meiner Schwester begangen hätte, weiß ich nichts. Meine
Eltern waren geschieden, als ich noch ein Kind war. Ich erinnere mich hinsichtlich eines Missbrauchs durch meinen Großvater
an Folgendes: Eines Tages war ich mit meinem Bruder alleine in unserer Wohnung und meine Schwester bei den Großeltern in der
Wohnung unter uns. Ich bin dann nach unten gegangen, um zu sehen, wo meine Schwester bleibt. Ich sah sie dann und meinen Großvater
nackt auf der Wohnzimmercouch, draußen war es nebelig nach meiner Erinnerung. Mein Großvater hat mit seiner Hand sein Glied
gerieben, mit der anderen Hand hat er meiner Schwester zwischen die Beine gefasst. Weitere Vorfälle habe ich nicht in Erinnerung.
Ich weiß auch nicht, wann sich dieser Vorfall ereignet hat.'
Auf Nachfrage des Berichterstatters erklärt die Zeugin: 'An die E-Mails vom 21.09.2008 und 05.01.2009 kann ich mich nicht
erinnern. Ich weiß noch, dass meine Erinnerungen nach und nach deutlicher geworden sind.'
Auf die Nachfrage des Berichterstatters, dass die Zeugin bei der Polizeiinspektion Bad G. ausgesagt habe, ihre Schwester (die
Klägerin) sei durch den Vater missbraucht worden, erklärt die Zeugin: 'Dieser Angabe lag zugrunde, dass sich meine Schwester
mir anvertraut hat, von unserem Vater und Großvater missbraucht worden zu sein. Wann meine Schwester mir über ihren sexuellen
Missbrauch berichtet hat, weiß ich heute leider nicht mehr; über Einzelheiten hat sie mir leider nicht berichtet.'
Auf Nachfrage des Berichterstatters erklärt die Zeugin, dass sie zu einer aussagepsychologischen Begutachtung bereit sei.
Auf Nachfrage der Bevollmächtigten erklärt die Zeugin, sich in der H.-Klinik W-Stadt mit ihrer Schwester über die Orte des
sexuellen Missbrauchs durch den Großvater ausgetauscht zu haben. Diese Orte seien übereinstimmend die gleichen gewesen (wie
z.B. zu Hause oder auf Fahrten).
Die Zeugin: 'Ich selbst wurde von meinem Großvater zwischen meinem 6. und 18. Lebensjahr sexuell missbraucht.'
Auf Nachfrage der Bevollmächtigten erklärt die Zeugin, dass ihr Bruder der Sohn ihres Großvaters und ihrer Mutter sei und
dies auch selbst wisse.
Auf Nachfrage des Beklagtenvertreters erklärt die Zeugin: 'Hinsichtlich des von mir beobachteten Vorfalls kann ich mich heute
leider nicht mehr an mein ungefähres Alter erinnern.'
Auf Nachfrage der Bevollmächtigten erklärt die Zeugin sodann: 'Ich habe meinen Großvater einmal gefragt, ob er auch meine
Schwester missbraucht. Daraufhin hat er gesagt, so ein Klappergestell fasst er nicht mehr an. Das war als er mich von der
Ausbildungsstelle abgeholt hat, wahrscheinlich 1996. Damals fand auch ein Missbrauch von mir statt, bei der Abholung auf einem
Feldweg im Pkw.'"
In dem Termin ist auch die Zeugin M. einvernommen worden.
Sodann haben Prof. Dr. H. ein psychiatrisches und Dr. Y. ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten bzgl. der Zeugin
S. D. im Auftrag des BayLSG (gem. §
106 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) erstellt. Im psychiatrischen Gutachten vom 18.10.2017 ist Prof. Dr. H. zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zeugin zum Untersuchungszeitpunkt
aus psychiatrischer Sicht keine Einschränkungen aufgewiesen habe, die zur Annahme einer eingeschränkten Aussagetüchtigkeit
führen würden. Im aussagepsychologischen Gutachten von Dr. Y. vom 24.10.2017 hat die Sachverständige u.a. die Angabe der Zeugin
geschildert, dass deren Eltern sich getrennt hätten, als sie noch ein Säugling gewesen sei, und im Jahr 2006 gestorben seien.
Der Vater sei für sie wie ein Fremder gewesen und habe sich nicht um sie gekümmert. Nach Trennung der Eltern habe die Zeugin
mit der Mutter und den Geschwistern bis etwa 2000 oder 2001 im Haus der Großeltern väterlicherseits bis zu deren Tod gewohnt.
Die Zeugin habe sodann den beobachteten sexuellen Missbrauch der Klägerin durch den Großvater näher geschildert (die Angaben
der Zeugin gegenüber der Sachverständigen sind auf Seite 18 ff. des Gutachtens - Bl. 222 ff. der Berufungsakte - im Einzelnen
wiedergegeben). Dr. Y. ist zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der vorliegenden Konstellation von Täuschungsfähigkeiten,
Wissen und Motivation sowie einer niedrigen Aussagequalität die Falschbezichtigungshypothese nicht widerlegt werden könne.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Landshut vom 19.04.2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23.06.2009 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2010 zu verurteilen, den Bescheid vom 16.05.2002 aufzuheben und als Schädigungsfolge im
Sinne des
OEG eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung festzustellen und Versorgungsrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG (auch des Verfahrens S 15 VG 11/04) beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Bescheid vom 23.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den bestandskräftigen Bescheid vom 16.05.2002 zurücknimmt,
als Schädigungsfolge eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung feststellt und ihr eine Beschädigtenrente wegen sexuellen
Missbrauchs durch ihren Vater und Großvater gewährt.
Gemäß §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften
des BVG, wer im Geltungsbereich des
OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige
Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen
Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt §
2 Abs.
1 Satz 1
OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere
in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat
von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z.B. Urteile v. 05.02.2013 - L 15 VG 22/09, vom 20.10.2015 - L 15 VG 23/11, und 16.11.2015 - L 15 VG 28/13; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R sowie B 9 V 3 /12 R, v. 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R, sowie vom 18.11.2015 - L 15 VG 1/14 R):
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im
OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das
StGB geregelt ist (vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R, m.w.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen
Begriffs des "tätlichen Angriffs" (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984 - B 9a RVg 1/83). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das
OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z.B. einer kämpferischen,
feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten
ausgeschieden (vgl. z.B. Urteil v. 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R). Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§
113,
121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines
anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (vgl. BSG, a.a.O., m.w.).
Soweit eine gewaltsame Einwirkung vorausgesetzt wird, hat das BSG entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt
hat (vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des §
240 StGB (vgl. hierzu z.B. Fischer,
StGB, 57. Aufl., §
240, Rdnr. 8 ff, m.w.) zeichnet sich der tätliche Angriff gemäß §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, d.h. er wirkt physisch auf einen anderen ein
(vgl. das strafrechtliche Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des §
113 Abs.
1 StGB).
Ein tätlicher Angriff im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor (vgl. BSG, a.a.O., m.w.), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; das
BSG ist einem an Aggression orientierten Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs letztlich nicht gefolgt (st. Rspr. seit 1995;
vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - B 9 RVg 4/93 und B 9 RVg 7/93 bzgl. sexuellen Missbrauchs an Kindern). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige
Opfer von Straftaten den Schutz des
OEG genießen sollen (vgl. BSG v. 07.04.2011, a.a.O.); in Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern ist für die "unmittelbare Einwirkung auf den Körper des
Kindes" entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der
Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche (oder das spielerische) Moment im Vordergrund steht (vgl. BSG, a.a.O., m.w.).
Die von der Klägerin geltend gemachten Handlungen des sexuellen Missbrauchs durch die Beschuldigten müssen jedoch nachgewiesen
sein. Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 05.05.2015 - L 15 VG 31/12, 18.05.2015 - L 15 VG 17/09 ZVW, 20.10.2015 - L 15 VG 23/11 und 26.01.2016 - L 15 VG 30/09) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen
grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen.
Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses
des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./ Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
128, Rdnr. 3b).
Unter Beachtung dieser Maßgaben vermag sich das Gericht nicht im Sinne des Vollbeweises davon zu überzeugen, dass die Klägerin
von ihrem Großvater H. P. oder ihrem Vater D. P. sexuell missbraucht worden ist.
Auch die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG verhilft der Klägerin nicht zum Erfolg.
Nach dieser Vorschrift sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden
Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, "wenn
Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen
sind". Die Beweiserleichterung kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang
mit einer Schädigung stehen, welche vom
OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antragsteller befanden,
weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten,
Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in §
6 Abs.
3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen
geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben
des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG v. 31.05.1989 - B 9 RVg 3/89; BSG v. 17.04.2013, a.a.O.; vgl. auch die Entscheidungen des Senats v. 17.08.2011 - L 15 VG 21/10, und v. 21.04.2015 - L 15 VG 24/09). Die Beweiserleichterung gilt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil v. 31.05.1989, a.a.O.) - gewissermaßen in einer zweiten Stufe einer erweiternden Auslegung - zudem nicht nur
für das Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren, weil sie, so das BSG, nicht nur das Verfahren der Verwaltung regle, sondern "materielles Beweisrecht" enthalte (a.a.O.). Darüber hinaus (dritte
Stufe) soll sie mitunter sogar in Fällen anwendbar sein, in denen Zeugen - nämlich vor allem Täter, die die Tat leugnen -
als Beweismittel vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, a.a.O.; zu den Bedenken des Senats vgl. die Darlegungen im Urteil vom 21.04.2015, a.a.O.).
Vorliegend gibt es für den behaupteten Missbrauch durch D. P. keine Zeugen. Nach Auffassung des Senats können die Aussagen
der Klägerin jedoch insoweit auch nicht als glaubhaft angesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach
Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Vater
sprechen würde (vgl. BSG v. 17.04.2013, a.a.O.). Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten kommt der eines solchen Angriffs auf die Klägerin
im Sinne des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG durch D. P. nicht einmal ein gewisses Übergewicht zu. Aus Sicht des Senats besteht allenfalls eine Möglichkeit für das von
der Klägerin geschilderte Geschehen. Gleiches gilt für den behaupteten Missbrauch durch H. P., für den nur hinsichtlich des
durch die Zeugin S. D. geschilderten Vorfalls der Vollbeweis erforderlich ist; der Senat hat keine Bedenken, dass hinsichtlich
der behaupteten Taten - also innerhalb desselben Komplexes (Missbrauch durch den Großvater) - unterschiedliche Beweismaßstäbe
anzuwenden sind.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. Tatzeugin für den behaupteten Missbrauch durch H. P. ist lediglich die Schwester der Klägerin S. D ... Diese hat zwar eine
Handlung in mehreren Aussagen beschrieben, die den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß §
176 StGB erfüllen würde. Nach Überzeugung des Senats können diese Aussagen jedoch keinen Tatnachweis erbringen, ebenso wenig wie die
weiteren Angaben über den Missbrauch durch den Großvater und über den durch den Vater D. P. an der Klägerin. Dies ergibt sich
aufgrund der Beurteilung der einzelnen - im Ergebnis nicht glaubwürdigen - Angaben der Zeugin durch den Senat und vor allem
auch aus den fundierten und plausiblen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. H. und Dr. Y., die der Senat in Auftrag gegeben
hat. Der Senat macht sich die sachverständigen Feststellungen zu eigen.
a. So handelt es sich aus Sicht des Senats bei den Angaben der Zeugin zu dem angeblich beobachteten Missbrauch um eine wenig
detaillierte Schilderung, die der Zeugin - auch nach dem Eindruck, den der Senat nach Auswertung ihrer schriftlichen Angaben
und ihrer Zeugenaussage von dieser gewonnen hat, - leicht möglich gewesen sind, ohne dass ein reales Geschehen zu Grunde liegen
hat müssen. Dennoch hat die Zeugin den - sehr kurzen - Vorfall bei den einzelnen Angaben nicht ganz deckungsgleich geschildert,
was die exakte Handlung des Großvaters bei der angeblichen Missbrauchsbegehung betrifft. Wie der Beklagte im Bescheid vom
23.06.2009 auch zu Recht darauf hingewiesen hat, besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zeugin in ihrer
E-Mail vom 05.01.2009 bzgl. der früheren Nachricht vom 21.09.2008 (gegebenenfalls in Absprache mit der Klägerin) "nachgebessert"
hat (s.o.). Auch kann sich der Senat die Tatsache, dass die Zeugin gegenüber der Polizei im Jahr 2001 zwar von dem eigenen
Missbrauch durch den Großvater H. P. und von dem Missbrauch der Klägerin durch ihren Vater, nicht jedoch von dem Missbrauch
der Klägerin durch den Großvater berichtet hat, im Grunde nur dadurch erklären, dass die spätere Aussage (gegenüber dem Beklagten)
in der oben genannten E-Mail nicht der Realität entsprochen hat und gegebenenfalls in Absprache mit der Klägerin erfolgt sein
könnte. Nicht glaubhaft ist aus Sicht des Senats auch die Angabe der Zeugin, die als Erklärung für die erst späte Bestätigung
des sexuellen Missbrauchs herangezogen worden ist, nämlich dass sie und die Klägerin sich früher "spinnefeind" gewesen seien
und sich das Verhältnis erst nach dem Tod der Mutter (2006) normalisiert habe. Denn die Zeugin hat trotz eines angeblich so
schlechten Verhältnisses gegenüber der Polizei den sexuellen Missbrauch des Vaters zulasten der Klägerin doch angegeben und
sich durch diese Vorfälle immerhin veranlasst gesehen, diesen Missbrauch durch die Aufschrift auf ihrer Zimmerwand hervorzuheben;
anscheinend hat auch ein vertrauliches Gespräch zwischen den Schwestern stattgefunden, da die Zeugin gegenüber der Polizei
ausgesagt hat, von ihrer Schwester erfahren zu haben, dass diese von dem Vater sexuell missbraucht worden sei. Deshalb habe
sie die Worte "wie der Vater, so der Sohn" hinzugefügt. Dem Senat erschließt sich nicht, weshalb in diesem Zusammenhang von
der Zeugin nicht auch der angebliche - sogar direkt beobachtete - Missbrauch auf der Wohnzimmercouch durch H. P. angegeben
worden ist.
b. Dass die Angaben der Zeugin nicht glaubhaft sind, ergibt sich zudem aus den o.g. überzeugenden Sachverständigengutachten.
i. Zwar hat Prof. Dr. H. am 18.10.2017 nachvollziehbar festgestellt, dass die Zeugin zum Untersuchungszeitpunkt aus psychiatrischer
Sicht keine Einschränkungen aufgewiesen hat, die zur Annahme einer eingeschränkten Aussagetüchtigkeit führen. Der Sachverständige
hat bei der Zeugin die Diagnose einer PTBS gestellt, die hauptsächlich durch das Wiedererleben von traumatisierenden Ereignissen,
Hypervigilanz und Vermeidungsverhalten gekennzeichnet ist. Dazu hat er noch eine leichte mittelgradige depressive Episode
diagnostiziert. Die Zeugin ist jedoch, wenn auch überflutet von eigenen Intrusionen in der Lage, zwischen Realität und Fantasie
zu unterscheiden. Bezüglich der kognitiven Funktionen hat die Zeugin zum Untersuchungszeitpunkt keine gravierenden Einschränkungen
im Bereich des Langzeitgedächtnis gezeigt; bei Fragen, die sie nicht beantworten hat können, hat sie - wie der Sachverständige
dargelegt hat - glaubwürdige Erklärungen geliefert und versucht, Wissenslücken nicht durch erfundene Tatsachen zu überdecken.
ii. Wie die Sachverständige Dr. Y. plausibel dargelegt hat, kann die Hypothese, dass die Zeugin den sexuellen Missbrauch durch
ihren Großvater, den sie an der Klägerin beobachtet haben will, fälschlich angegeben und bestätigt hat, allerdings nicht widerlegt
werden.
Entsprechend der plausiblen Feststellung der Sachverständigen weist die Ausbildung der Erinnerungen der Klägerin an den Vorfall
keinen typischerweise zu erwartenden Verlauf von einer nicht vorhandenen zu einer mehr oder weniger komplexen Aussage (mit
einem Zwischenprozess von zunächst fragmentarischen Angaben zu einer allmählich umfangreicher werdenden Darstellung) auf.
Diese Konstellation lässt die Annahme einer absichtlichen Falschdarstellung wahrscheinlicher erscheinen als die Annahme einer
Pseudoerinnerung.
Zudem hat Dr. Y. nachvollziehbar festgestellt, dass auf der Basis der Ergebnisse der psychologischen und psychiatrischen Exploration
der Zeugin dieser die Fähigkeit zur sprachlichen Täuschung nicht abzusprechen ist; diese Annahme kann zu Recht auch auf die
Angaben von S. D. gestützt werden, mehrere 100 Seiten umfassende Bücher zu schreiben. Auch die Frage nach sexuellen Wissensbeständen
bzw. Vorerfahrungen als Basis für die Konstruktion einer falschen Beschuldigung ist entsprechend der zutreffenden Annahme
der Psychologin bei der zum Zeitpunkt der Erstaussage (2006) 26 bis 27-jährigen Mutter S. D. zu bejahen. Im Hinblick auf die
Analyse des Beweggrunds für ein spezifisches Verhalten hat die Sachverständige zu Recht das Motiv der Zeugin, ihre Schwester,
mit der sie sich "ausgesöhnt" habe, bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf
OEG-Leistungen zu unterstützen, als plausibel bezeichnet. Für die Annahme dieses Motivs erscheint es unwesentlich, ob die Zeugin
die Aussage von sich aus oder in Absprache mit der Klägerin konstruiert hat. Der Senat stimmt im Übrigen mit der Sachverständigen
überein, dass die möglichen Motive, den Großvater zu belasten oder selbst durch die Aussage unmittelbar Vorteile zu erlangen
bzw. Nachteile zu vermeiden, als nicht relevant anzusehen sind. Im Rahmen der Konstanzanalyse - in der die Angaben, die die
Zeugin zu den fraglichen Sachverhalten gemacht hat, mit den früheren Angaben auf ihre Übereinstimmung geprüft wurden - hat
Dr. Y. nachvollziehbar hervorgehoben, dass von der Zeugin drei Aussagen (E-Mails vom 21.09.2008 und 05.01.2009 sowie die Zeugenaussage
im Beweisaufnahmetermin am 23.02.2016) sowie ein aussagepsychologischer Explorationsbericht (05.07.2017) vorliegen: Bei den
drei aktenkundigen Aussagen handelt es sich, wie oben erwähnt, um kurze und oberflächliche Schilderungen. Auch in der aussagepsychologischen
Exploration ist trotz einer entsprechenden Fokussierung kein ausreichend relevantes Aussagematerial zu erheben gewesen. Die
nach der ersten Aussage (vom 21.09.2008) gemachten Angaben zu den Handlungen des Großvaters sind, wie Dr. Y. plausibel hervorgehoben
hat, nicht im Sinne von Präzisierungen oder Ergänzungen als Beleg für den Erlebnisgehalt zu werten. Solche Handlungen sind
ein Teil des zentralen Kerngeschehens, das auch über längere Erinnerungsintervalle hinweg konstant bleibt. Für die Realkennzeichenanalyse
liegt somit hier kein ausreichendes diagnostisch relevantes Aussagematerial vor; die Angaben der Zeugin, vor dem Ereignis
vom Großvater mit Süßigkeiten nach oben geschickt worden zu sein, sowie die Angabe, dass die Klägerin einige Zeit später ins
Zimmer gekommen sei und sich hingesetzt sowie ferngesehen habe, sind für den inkriminierten Sachverhalt irrelevant - es handelt
sich dabei um lediglich situative Umstände und örtliche Besonderheiten aus dem täglichen Lebensumfeld ohne Verflechtung mit
dem Kerngeschehen. Damit stellt das von der Zeugin berichtete Ereignis ein einfaches, wenige Momente dauerndes Geschehen dar.
In Anbetracht der fehlenden Komplexität des Ereignisses erfordert das Konstruieren eines solchen Geschehens keine hohen kognitiven
Voraussetzungen. Zwar lässt sich entsprechend der nachvollziehbaren Darlegung durch die Sachverständige eine Falschaussage
durch eine niedrige Aussagequalität nicht belegen. Wie Dr. Y. jedoch überzeugend festgestellt hat, kann bei der aufgezeigten
Konstellation von Täuschungsfähigkeiten, Wissen und Motivation sowie einer niedrigen Aussagequalität die Falschbezichtigungshypothese
vorliegend nicht zurückgewiesen werden.
2. Weitere objektive Beweismittel sind nicht vorhanden.
a. Nach den einzelnen Missbrauchshandlungen, die von der Klägerin behauptet werden, ist keine körperliche Untersuchung durchgeführt
worden.
b. Entsprechend den zutreffenden Darlegungen des Beklagten ergeben sich aus den Audiokassetten ebenfalls keine Nachweise für
sexuellen Missbrauch zu Lasten der Klägerin. Die entsprechenden Kassetten, die heute nicht mehr vorliegen, lassen keine näheren
Rückschlüsse hinsichtlich des Geschehens zu. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auswertung der Tonaufnahmen
durch den Beklagten vom 26.05.2004 unzutreffend sein könnte. Vor diesem Hintergrund kann vorliegend offen bleiben, inwieweit
Tonaufnahmen - selbst wenn sie auf einen Missbrauch hindeuten würden - überhaupt ein taugliches Beweismittel sein könnten.
c. Wie die Sachverständige G. im Verfahren des SG S 15 VG 11/04 plausibel dargelegt hat, ergeben sich auch aus den vorgelegten Zeichnungen keine Schlussfolgerungen auf einen Erlebnisbezug
hinsichtlich der Schilderungen der Klägerin. Auf die konkrete Ausgestaltung der heute nicht mehr vorliegenden Zeichnungen
kommt es somit nicht an.
3. Auch die Aussagen der Klägerin selbst führen nicht zu der Wertung, dass besonders viel für die Möglichkeit eines sexuellen
Missbrauchs zu ihren Lasten sprechen würde; erst recht können sie den Nachweis hierfür nicht erbringen. Trotz der teilweise
gemachten konkreteren Angaben über einen sexuellen Missbrauch sieht sich der Senat nicht in der Lage, mehr als eine geringe
Möglichkeit für das von der Klägerin geschilderte Geschehen anzunehmen. Es kann somit letztlich offen bleiben, ob der Annahme
eines solchen Missbrauchs entgegensteht, dass die einzelnen Missbrauchshandlungen im Rahmen der Beweiserhebung zeitlich nicht
genau fixierbar wären und der Tathergang weitgehend nicht näher rekonstruiert werden könnte (vgl. hierzu das Urteil des BSG vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R). Denn aus Sicht des Senats sprechen jedenfalls zu viele Aspekte dagegen, um die Angaben der Klägerin auch nur als glaubhaft
ansehen zu können.
Zum einen sind dies die nicht konstanten Angaben der Klägerin. Zudem besteht nach Überzeugung des Senats vorliegend eine deutlich
erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass bei der Klägerin Scheinerinnerungen gegeben sind. Aufgrund dieser Möglichkeit und vor allem
auch aufgrund der von der Sachverständigen G. im aussagepsychologischen Gutachten vom 07.09.2006 dargelegten Gründen sind
die Angaben der Klägerin aus Senatssicht nicht glaubhaft.
a. Die Angaben der Klägerin sind nicht konstant. So hat sie am Anfang des Verfahrens lediglich allgemeinere Aussagen zum sexuellen
Missbrauch gemacht, erst später hat sie diese dann mit zahlreichen Details angereichert (zur Problematik des Zuwachses des
Aussagematerials siehe auch unten Ziff. b. und c.). Vor allem aber hat die Klägerin sogar den Zeitraum des fraglichen Missbrauchs
sowohl durch den Vater als auch durch den Großvater jeweils uneinheitlich angegeben, wobei sogar erhebliche Unterschiede feststellbar
sind (7.-9. Lebensjahr entgegen Kleinkind bis 16. Lebensjahr bezüglich des Vaters; 7.-15. Lebensjahr entgegen 4.-18. Lebensjahr
bezüglich des Großvaters).
b. Die Angaben der Klägerin zum sexuellen Missbrauch sind nach Auffassung des Senats auch deshalb nicht glaubhaft, da die
Möglichkeit, dass es sich lediglich um Scheinerinnerungen handelt, nicht weniger wahrscheinlich ist, als die Möglichkeit,
dass sich die geschilderten Taten tatsächlich ereignet haben. Vorliegend sind Scheinerinnerungen begünstigende Faktoren festzustellen.
Diese Faktoren, die dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Sachverhalten (vgl. z.B. das Urteil vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09) und unter Beachtung der einschlägigen aussagepsychologischen Fachliteratur (vgl. z.B. Volbert, Beurteilung von Aussagen
über Traumata, 1. Aufl., S. 117 ff.) bekannt sind, wirken begünstigend für die Übernahme induzierter Erinnerungen. Aus Sicht
des Senats sind die Erinnerungen vorliegend einerseits im Rahmen medizinischer Therapie(versuche) induziert worden, wie etwa
bereits früh - nämlich im Jahr 1997 - in der H.-Klinik W-Stadt, wo im Entlassungsbericht vom 16.10.1997 darauf hingewiesen
wird, dass der aufdeckende Prozess des zugrunde liegenden Traumas früher sexueller Übergriffe bei weitem noch nicht abgeschlossen
sei und dass hier weiterhin behutsam, vorsichtig aufdeckend vorgegangen werden solle. Vor allem aber sind die Erinnerungen
auch im Rahmen der Besprechung und Aufarbeitung des vermuteten Missbrauchs mit der Schwester, der Zeugin D., induziert worden.
Dass bei der Klägerin infolge dieser Bemühungen Erinnerungen entstanden sind, die zuvor noch nicht vorhanden waren, steht
fest. So hat die Klägerin selbst, wie die Sachverständige G. berichtet hat, darauf hingewiesen, sich ausführlich mit der Schwester
besprochen zu haben und daraufhin noch mehr berichten zu können.
c. Vor allem auch aus den von der Sachverständigen G. im Gutachten vom 07.09.2006 im Einzelnen genannten Gründen sind die
Angaben der Klägerin für den Senat nicht glaubhaft. Die Sachverständige, die das SG im Klageverfahren S 15 VG 11/04 beauftragt hat, hat die einzelnen Aspekte plausibel und überzeugend dargelegt. Der Senat macht sich auch diese sachverständigen
Feststellungen zu eigen.
Nach den nachvollziehbaren Darlegungen der Sachverständigen ist nicht auszuschließen, dass die Wahrnehmungsfähigkeit der Klägerin
aufgrund der Einnahme von Medikamenten beeinträchtigt gewesen ist. So hat die Klägerin angegeben, ihm Rahmen ihrer Ausbildung
als Krankenpflegehelferin (etwa 1994) bereits Medikamente entwendet und eingenommen zu haben, auch wenn nähere Angaben hier
nicht gemacht worden sind. Bezüglich der Gedächtnisleistung ist mit der Dipl.-Psych. G. u.a. mit Blick auf unterschiedlichen
Zeitangaben des sexuellen Missbrauchs durch die Klägerin (siehe auch oben) und die zum Teil diagnostizierte dissoziative Symptomatik
davon auszugehen, dass wesentlich Erinnerungsunsicherheiten bestehen. Diese schränken die Aussagetüchtigkeit der Klägerin
bzw. die Zuverlässigkeit ihrer Angaben ein. Bereits die Anknüpfungstatsachen, die vorliegen, weisen darauf hin, dass die Erinnerungen
an fragliche Missbrauchserlebnisse bei der Klägerin unsicher sind. Entsprechend den plausiblen Darlegungen der Sachverständigen
besteht bei der Klägerin eine Tendenz, auch objektiv uneindeutige Erinnerungsspuren im Sinne eines Missbrauchs zu deuten,
beispielsweise die Angabe der Klägerin, sie könne sich erinnern, im Auto ihres Vaters gewesen zu sein und Schmerzen gehabt
zu haben, sich jedoch nicht zu erinnern, was geschehen sei. Dies ist von der Klägerin einseitig im Sinne eines sexuellen Missbrauchs
verstanden worden. Auch wenn die Klägerin bei der Begutachtung bei der Sachverständigen G. sich voll orientiert gezeigt hat
- ohne Hinweise auf dissoziative oder psychotische Zustände -, ergibt die Analyse der psychischen Verfassung, worauf die Sachverständige
zutreffend hingewiesen hat, in der Vergangenheit ein heterogenes Bild. Entsprechend den therapeutischen Einschätzungen in
der Vergangenheit fanden sich bei der Klägerin bezüglich tatneutraler Angaben (z.B. über sich anbahnende Liebesbeziehungen)
Hinweise auf Vermischung von Wirklichkeit und Vorstellungen, die die Aussagetüchtigkeit der Klägerin einschränken. Neben den
Hinweisen darauf, dass die Realitätskontrolle der Klägerin bisweilen eingeschränkt gewesen sein könnte, stellt sich als besonders
problematisch im Sinne der Aussagezuverlässigkeit die Tatsache dar, dass in Therapieberichten (z.B. Bericht des Universitätsklinikums
R-Stadt vom 15.06.2004) wiederholt das stark aufmerksamkeitssuchende und manipulierende Verhalten der Kläger angemerkt worden
ist. Somit ist, wie die Sachverständige ausdrücklich festgestellt hat und was für den Senat in jeder Hinsicht plausibel ist,
die Aussagetüchtigkeit der Klägerin eingeschränkt. Da sich zudem Faktoren ergeben, welche die Zuverlässigkeit der Ausführungen
insgesamt einschränken, ist für den Beleg eines Erlebnisbezugs eine deutlich erhöhte Anforderung hinsichtlich der Qualität
der Angaben zu stellen, um die Falschaussagehypothese zurückweisen zu können. Eine solche erhöhte Qualität fand sich jedoch
nicht. Die Zuverlässigkeit der Aussage ist eingeschränkt. Im Falle eines tatsächlichen eigenen Erlebnisbezugs erscheint denkbar,
dass sich bei der Klägerin vor dem Hintergrund der offenbar bestehenden Erinnerungsunsicherheiten eigene Erinnerungsspuren
mit nachträglich erworbenen Informationen über sexuellen Missbrauch vermischt haben bzw. Erinnerungslücken durch erworbenes
Wissen aufgefüllt worden sein könnten. Selbst wenn ein eigener Erlebnisbezug angenommen und davon ausgegangen wird, dass der
Klägerin - aufgrund einer bestehenden psychischen Belastung - früher ein genauer Bericht über den Missbrauch nicht möglich
gewesen wäre - müsste wegen der Hinweise auf die aufdeckende Arbeit (durch Therapeuten), des Austausches mit anderen Missbrauchsopfern
(der Zeugin) sowie andauernden Erinnerungsunsicherheiten und eine andauernde Erklärungssuche für die bestehende psychiatrische
Symptomatik von möglichen verzerrenden und verfälschenden Einflüssen auf ihre Aussage ausgegangen werden.
Mit der Sachverständigen geht der Senat auch davon aus, dass der Zuwachs an Aussagematerial - die Klägerin hat erstmals bei
der Sachverständigen deutlich ausführlichere Angaben zum Missbrauch gemacht und erstmals verschiedene fragliche Einzelsituationen
berichtet - ein Hinweis sein kann, dass es im Verlauf der Zeit sukzessive zur Entstehung von Pseudoerinnerungen gekommen sein
kann. Wie die Sachverständige plausibel dargelegt hat, ist dies in mehrerer Hinsicht möglich. Selbst wenn tatsächliche Erinnerungen,
die wieder aufgetaucht wären, angenommen werden, sind diese als besonders anfällig für Verzerrungen und Verfälschungen, beispielsweise
im Sinne der Vermischung tatsächlicher Erinnerungsspuren mit Ängsten, Träumen, anderweitigen missbrauchsspezifischen Informationen
etc ... Wie die Sachverständige aus Sicht des Senats im Rahmen der Realkennzeichenanalyse auch sehr plausibel darauf hingewiesen
hat, unterscheiden sich die Angaben der Klägerin über den sexuellen Missbrauch im Kindesalter in Struktur und Detailierung
nicht von solchen Darstellungen, die sie Jahre später und somit zeitnah zur Begutachtung abgegeben hat. Unter der Annahme
eines Erlebnisbezugs wäre jedoch mit einer Zunahme der Detailierung, besonders im Kernbereich, in Richtung auf das zurückliegende
Geschehen zu rechnen. Wie bereits der Sachverständigen ist auch dem Senat nicht erklärlich, weshalb die Klägerin zwar fragliche
Vorfälle aus dem jüngeren Teenageralter ausgeführt, jedoch keine Angaben mehr dazu gemacht hat, wie der sexuelle Missbrauch
im Erwachsenenalter (bis zum 18./ 19. Lebensjahr) durchgeführt worden ist. Aus gedächtnispsychologischer Sicht wäre zu erwarten,
dass die Klägerin besonders solche Erlebnisse besser erinnern könnte. Entsprechend der Darlegung der Sachverständigen finden
sich belegkräftige Hinweise für einen Erlebnisbezug bei den einzelnen Situationsschilderungen der Klägerin nicht (im Sinne
spezieller Realkennzeichen). Die vorliegende Qualität bzgl. der fraglichen Missbrauchsbehauptungen ist, worauf die Dipl.-Psych.
ausdrücklich hingewiesen hat, nicht geeignet, die im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung aufzustellende Falschaussagehypothesen
zurückzuweisen. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass es auf der Basis tatsächlicher Erinnerungsspuren zur Entstehung
von Pseudoerinnerungen gekommen ist. Vor allem kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin sexuelle Handlungen
fälschlicherweise an tatsächliche Erlebnisse anknüpft bzw. tatsächliche Erlebnisse aggraviert. Überzeugend findet der Senat
die Ausführungen des Sachverständigen im Übrigen auch, weil diese die Aussagequalität der Klägerin nicht pauschal kritisiert,
sondern sehr differenziert betrachtet hat. So hat sie dargelegt, dass die Berichte der Klägerin, ihr Vater habe sie als ca.
8-jähriges Mädchen mit einer Waffe bedroht, eine deutlich höhere inhaltliche Qualität aufweist.
4. Eine Glaubhaftmachung des behaupteten sexuellen Missbrauchs der Klägerin ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass
in der Familie der Klägerin sexuelle Missbrauchstaten gegen weitere Familienmitglieder, wie die Zeugin S. D., verübt worden
sein könnten. Zu betrachten ist nämlich der konkrete Einzelfall der Klägerin. Ein Rückschluss von anderen Taten im Familienkreis
auf einen Missbrauch der Klägerin ergibt sich daraus per se nicht. Es kann daher offen bleiben, ob insoweit Missbrauchstaten
geschehen sind, woran der Senat im Hinblick auf das aussagepsychologische Gutachten von Dr. Y. ebenfalls gewisse Zweifel hat;
hierauf kommt es jedoch nicht an.
5. Nach der h.M. und ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. die Urteile des Senats vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09 sowie L 15 VG 29/13, m.w.) kann ferner auch nicht allein aus einer Diagnose auf ein bestimmtes Geschehen geschlossen werden, da es nach überwiegender
medizinischer Lehrmeinung keine eindeutige kausale Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch im Kindesalter und einer spezifischen
Psychopathologie im Kindes- oder Erwachsenenalter gibt. Eine Glaubhaftmachung ergibt sich also auch nicht aus den bei der
Klägerin (auf psychiatrischem Fachgebiet) vorhandenen Gesundheitsstörungen.
6. Eine andere Bewertung der Sachlage ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin bereits vor längerer Zeit den sexuellen
Missbrauch angegeben hat, bzw. aus der Aussage der Sozialpädagogin M ... Denn die früheren Angaben sind im Einzelnen nicht
mehr nachvollziehbar. Zwar hat die Sozialpädagogin im Beweisaufnahmetermin des Senats am 23.02.2016 glaubhaft angegeben, das
sie sich noch an die Arbeit mit der Klägerin erinnert. Danach war deren Beratung und Begleitung intensiv. Der Senat kann nach
der Zeugenaussage auch davon ausgehen, dass es der Klägerin damals ziemlich schlecht gegangen ist. Er hat keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Zeugin absichtlich unzutreffend davon berichtet hätte, dass ihr die Klägerin während eines Telefonats von
einem sexuellen Übergriff durch den Großvater berichtet habe. Gleiches gilt für den von der Zeugin geschilderten Verdacht
des damaligen Beratungsteams, dass die Klägerin sexuell missbraucht worden sein könnte wie z.B. im Familienkreis. Aus den
Angaben der Zeugin ergibt sich jedoch nicht, ob die Klägerin den sexuellen Missbrauch damals zumindest einigermaßen detailliert
beschrieben oder ihn lediglich thematisiert hat. Zudem ist nicht auszuschließen, dass die (früheren) Angaben der Klägerin
gegenüber der Sozialpädagogin nicht der Wahrheit entsprochen haben. Auch diese Annahme wird durch das aussagepsychologische
Gutachten der Sachverständigen G. begründet bzw. gestützt (s. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 7). Letztlich ist auch nicht
auszuschließen, dass sich die Zeugin M. bei ihren Angaben, die ja nun erst viele Jahre später erfolgt sind, geirrt hat. Aus
den genannten Gründen war eine Wiederholung der Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung auch nicht erforderlich.
7. Schließlich ist zwar nicht auszuschließen, dass mehrere behandelnde Fachärzte und Therapeuten der Klägerin ihre Angaben
von einem sexuellen Missbrauch geglaubt und ihre Behandlung dementsprechend darauf eingestellt haben; zumindest haben sie
die Angaben in den Behandlungsunterlagen vermerkt. So hat z.B. die Psychotherapeutin T. am 19.03.2006 dem SG berichtet, dass die Klägerin - mit von Narben übersäten Armen - auf eigene Initiative zu ihr gekommen sei und angegeben habe,
dass sie von ihrem Großvater zwischen dem 7. und 15. Lebensjahr sexuell missbraucht worden sei. Die Behandlerin ist in ihrem
Bericht dann auch davon ausgegangen, dass die Klägerin während Kindheit und Jugend über Jahre sexuellen Missbrauch durch den
Großvater ausgesetzt gewesen ist. Inwieweit die Ärzte bzw. Therapeuten der Klägerin deren Angaben jedoch kritisch hinterfragt
haben, muss hier allerdings dahinstehen; dies gilt insbesondere auch für die Zeugin, die Sozialpädagogin M ... Dabei ist zu
beachten, dass die Ärzte und Therapeuten als Behandler und nicht als Gutachter tätig waren. Zudem hat die Sachverständige
G. überzeugend darauf hingewiesen, dass die Klägerin gegenüber den Therapeuten nur Angaben auf Behauptungsebene gemacht hat,
bei welchen bereits aufgrund der Pauschalität die Hypothese einer Falschaussage nicht zurückgewiesen werden kann. Außerdem
haben sich bei der Begutachtung durch die Dipl.-Psych. G. und bei der durch diese vorgenommenen Aktenanalyse Hinweise auf
verzerrende und verfälschende Einflüsse auf die Aussage bereits zu früheren Zeitpunkten gefunden (siehe oben).
Nach alledem hält der Senat es nicht für völlig ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihrer Kindheit oder Jugend sexuell missbraucht
worden sein könnte. Wie ausführlich dargestellt mangelt es vorliegend aber auf jeden Fall am notwendigen Beweis (Vollbeweis
und Glaubhaftmachung gem. § 15 KOVVfG, s.o.). Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet),
so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen
(vgl. z.B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ders./ Schmidt.,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast
die Folgen tragen, dass eine Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen
der Voraussetzungen des Angriffs im Sinne des §
1 Abs.
1 OEG trägt der Anspruchsteller die objektive Beweislast. Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft.
Im Übrigen weist der Senat, ohne dass es vorliegend darauf ankommen würde, darauf hin, dass selbst bei der Annahme eines sexuellen
Missbrauchs zu Lasten der Klägerin ein Berufungserfolg für diese äußerst fraglich wäre. Für diesen Fall erscheint es dem Senat
nämlich eher unwahrscheinlich, dass mit hinreichender Sicherheit (Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, vgl.
z.B. das Urteil des BSG vom 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R) der ursächliche Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und den Gesundheitsstörungen der Klägerin feststellbar wäre.
Diese Einschätzung ergibt sich für den Senat bereits aus den von der Klägerin gegenüber Behandlern selbst gemachten Angaben
bezüglich ihrer desolaten (früheren) Lebensumstände z.B. durch ihre schwer alkoholkranke Mutter und die durch das Verhalten
des Vaters und Großvaters gewalttätige Familienatmosphäre etc. So hat die Psychotherapeutin T. u.a. berichtet (s.o.), dass
die Klägerin innerhalb der chaotischen und von Substanzabusus der Mutter und der Gewalt durch den Vater geprägten familiären
Atmosphäre kaum konstante Beziehungserfahrungen machen könne. Die Abspaltung traumatisierter Selbstanteile fungiere bei ihr
bereits früh als Traumakompensation. Die Klägerin könne sich langfristig im sozialen Gefüge nicht etablieren und scheine in
den letzten Jahren mehr Zeit in als außerhalb der Psychiatrie verbracht zu haben. Im Hinblick auf die strengen Regeln der
Rechtsprechung (vgl. BSG vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R) müsste ein sexueller Missbrauch für den Eintritt der Erkrankung der Klägerin allein mindestens soviel Gewicht wie alle übrigen
Umstände zusammen haben. Aufgrund der zahlreichen Problematiken erschiene eine solche Feststellung jedoch sehr schwierig.
Die Berufung kann somit keinen Erfolg haben. Sie ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).