Übernahme von Schulden und Bewilligung von Leistungen zur Überwindung von sozialen Schwierigkeiten nach dem SGB XII
Sicherungsfähiges Recht eines Antragstellers für eine Regelungsanordnung
Feststehende Erfolglosigkeit der Hauptsache
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin (AG) die Übernahme von Schulden
bzw. die Bewilligung von Leistungen zur Überwindung von sozialen Schwierigkeiten nach den Vorschriften des Zwölften Buchs
Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der 1976 geborene Ast ist dauerhaft erwerbsgemindert. Er bewohnt eine 3-Zimmer-Wohnung in der A-Straße in A-Stadt. Die Kosten
für die Wohnung betrugen ab dem 01.08.2017 monatlich 562,39 Euro (Grundmiete: 398,48 Euro, Betriebskostenvorauszahlung: 100
Euro, Heizkostenvorauszahlung: 63,91 Euro). Mit Schreiben vom 08.01.2018 nahm die Vermieterin des Ast eine Neuberechnung der
Miete ab 01.04.2018 auf 582,15 Euro (Grundmiete: 398,48 Euro zuzüglich Erhöhung in Höhe von 19,76 Euro, Betriebskosten: 100
Euro, Heizkosten: 63,91 Euro) vor. Eine Zustimmung des Ast zum Mieterhöhungsverlangen erfolgte nach Aktenlage nicht.
Der Ast steht seit dem 01.10.2009 bei der AG im Bezug von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 22.02.2018 wurden ihm zuletzt ab April 2018 Leistungen in Höhe von monatlich 1064,85
EUR unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizkosten in Höhe von 460,91 Euro bewilligt. Einkommen bezieht der
Ast nicht, auch kein Renteneinkommen.
Vom 31.03.2016 bis 04.05.2016 befand sich der Ast in Strafhaft. In diesem Zeitraum übernahm die AG die Kosten zum Erhalt der
Wohnung. Am 19.09.2017 beantragte der Ast bei der AG erneut die Übernahme der Kosten zum Erhalt seiner Wohnung während einer
Strafhaft im Zeitraum 11.09.2017 bis 11.01.2018. Zu diesem Zeitpunkt bestand laut Auskunft der Vermieterin vom 04.10.2017
bereits ein Mietrückstand für August und September 2017 i.H.v. 61,82 EUR. Soweit noch höhere Mietrückstände bestanden hätten,
seien diese mit einem Betriebskostenguthaben des Ast verrechnet worden.
Der Ast teilte der AG in einem Schreiben vom 08.12.2017 mit, dass er schon seit Monaten Probleme habe, seine Miete zu zahlen.
Bislang hätten sein Bruder und seine Mutter die nicht gedeckten Mietkosten übernommen. Allerdings hätten sie ihm mitgeteilt,
dass sie das nicht mehr lange mitmachen. Die Miete sei einfach zu hoch und er müsse definitiv aus der Wohnung raus. Er wisse
allerdings nicht, wie er eine neue Wohnung finden könne. Außerdem habe er noch Rückstände bei seiner Krankenkasse. Mit Bescheid
vom 03.01.2018 lehnte die AG den Antrag vom 19.09.2017 ab. In der Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Ast
nicht zum Personenkreis des § 1 Abs. 3 der Verordnung zu § 69 SGB XII gehöre. Besonderer sozialer Schwierigkeiten lägen beim Ast nicht vor. Eine Leistungsgewährung nach § 67 SGB XII komme im Übrigen nur in Betracht, sofern es wirtschaftlich sinnvoll und vertretbar sei, eine Wohnung während der Dauer eines
Gefängnisaufenthaltes beizubehalten. Die Kosten der Unterkunft des Ast würden jedoch über der geltenden Mietobergrenze liegen.
Der Ast habe selbst mitgeteilt, dass die Miete zu hoch sei und er ausziehen wolle. Zudem sei die Wohnung bereits gekündigt
worden, wegen teilweiser Mietrückstände für August und September 2017 sowie vollständig fehlender Mietzahlungen von Oktober
bis Dezember 2017. Gegen den Bescheid legte der Ast mit Schreiben vom 15.01.2018 (sinngemäß) Widerspruch ein. Über den Widerspruch
ist noch nicht entschieden.
Zwischenzeitlich hatte die Vermieterin dem Ast die Wohnung wegen vorhandener Mietrückstände gekündigt und am 29.12.2017 beim
Amtsgericht A-Stadt (AmtG) Räumungsklage eingereicht. Am 11.01.2018 wurde der Ast aus der Strafhaft entlassen. Mit rechtskräftigem
Versäumnisurteil vom 25.01.2018 verurteilte das AmtG den Ast zur Räumung und Herausgabe der Wohnung. Mit Schreiben vom 13.03.2018
forderte die Vermieterin den Ast auf, bis zum 21.03.2018 seine bestehenden Mietschulden zuzüglich Nutzungsentschädigung für
die Inanspruchnahme der Wohnung nach Kündigung und angefallener Gerichtskosten zu bezahlen. Andernfalls würde aufgrund des
erwirkten Räumungsurteils ein Zwangsräumungsauftrag erteilt. Am 23.03.2018 hat der Ast beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Die Vermieterin hat dem Ast ein Schreiben vom 23.04.2018 zukommen lassen. Darin hat sie sich bereit erklärt, eine bereits
angesetzten Zwangsräumung am 11.06.2018 abzusetzen, falls ein ausstehender Gesamtbetrag an Forderungen gegen den Ast in Höhe
von 2436,99 EUR beglichen würde. Bei erneuter unpünktlicher Zahlung der Nutzungsentschädigung oder für den Fall, dass Beschwerden
wegen Vertragsverletzungen an die Vermieterin herangetragen würden, werde aber eine Zwangsvollstreckung aus dem erwirkten
Räumungstitel erfolgen. Der Gesamtbetrag von 2436,99 EUR setzt sich aus ausstehenden Restmieten für die Monate August 2017
(36,91 Euro) und September (24,91 Euro), der Miete für Oktober 2017 (562,39 Euro), Nutzungsentschädigungen für November und
Dezember 2017 (2 x 562,39 Euro), Gerichtskosten (438,00 Euro) und Gerichtsvollzieherkosten (250,00 Euro) zusammen.
Am 24.04.2018 hat das SG im Rahmen einer nicht-öffentlichen Sitzung den Rechtsstreit mit den Beteiligten erörtert.
Mit Beschluss vom 25.04.2018 hat das SG den Antrag abgelehnt. Zwar sei ein Anordnungsgrund gegeben; es fehle aber an einem hinreichend wahrscheinlichen Anordnungsspruch
des Ast nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf Übernahme der Schulden bei der Vermieterin bzw. nach § 67 SGB XII auf Übernahme der Mieten für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2017.
Hiergegen hat der Ast Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Das SG sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Übernahme der Mietschulden und der Kosten für den Räumungsprozess
nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII nicht bestehe, weil die Wohnung des Ast nicht dauerhaft zu sichern sei. Vielmehr ergebe sich aus dem Schreiben der Vermieterin
vom 23.04.2018, dass das Mietverhältnis dauerhaft fortgesetzt werden könne. Im Übrigen habe er durchaus Interesse am Erhalt
der aktuellen Wohnung, bis er eine neue Wohnung finde. Wann dies der Fall sei, sei überhaupt nicht abzusehen. Bei Verlust
der Wohnung würde ihm Obdachlosigkeit drohen. Im Übrigen habe er auch einen Anspruch auf Übernahme der Wohnkosten nach § 67 SGB XII. Der Ast sei in der Vergangenheit in der Lage gewesen, seine Miete jedenfalls bis Juli 2017 vollständig zu begleichen. Vor
seinem Haftaufenthalt seien lediglich Mietschulden i.H.v. 61,82 EUR aufgelaufen. Nur aufgrund der Nichtübernahme der laufenden
Mietkosten während seines Haftaufenthaltes sei es zur Kündigung der Wohnung durch die Vermieterin und das Räumungsurteil gekommen.
Der Ast beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.04.2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verurteilen, dem Antragsteller einen Betrag in Höhe von 2436,99 EUR zu zahlen.
Die AG beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.04.2018 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die beigezogene Akte der AG sowie auf die Gerichtsakten
beider Instanzen Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG den Eilantrag des Ast auf Erlass der hier statthaften Regelungsanordnung gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) abgelehnt. Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten Eilentscheidung auf Verpflichtung der AG zur Übernahme der
Schulden des Ast in Höhe von 2436,99 EUR bzw. auf Übernahme der Kosten des Ast für Unterkunft und Heizung für die Monate Oktober
bis Dezember 2017 i.H.v. insgesamt 1687,17 EUR liegen nicht vor.
Der zutreffende Prüfungsmaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stellt sich vorliegend wie folgt dar: Gemäß
dem hier grundsätzlich einschlägigen §
86b Abs.
2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
(= tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für die Prüfung des Hauptsacheerfolgs) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint (= tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Eilbedürftigkeit). Im Hinblick
auf den zu fordernden Überzeugungsgrad verweist §
86b Abs.
2 S. 4
SGG unter anderem auf §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO), wonach (Hauptsache-)Anspruch und Anordnungsgrund glaubhaft, d.h. überwiegend wahrscheinlich zu machen sind. Allerdings
gilt auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz des §
103 SGG. Aus den genannten Vorschriften stellt sich die in §
920 Abs.
2 ZPO genannte Glaubhaftmachung als Überzeugungsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit im Sinne eines objektiven Beweismaßes
(ohne subjektive Beweisführungslast) dar. Der Beweismaßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist durch seine Relativität
gekennzeichnet (BSG, Urteile vom 08.08.2001 - B 9 U 23/01 B, juris Rn. 4 f. und vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R, juris Rn. 116). Anders als bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, bei der absolut mehr für als gegen die jeweilige
Tatsache, etwa in Bezug auf den ursächlichen Zusammenhang, sprechen muss (vgl. dazu BSG, Urteile vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17), reicht bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer guten Möglichkeit aus, wobei
durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, 12. Aufl. 2017, § 86b
Rn. 41, 16b, §
128 Rn. 3d). §
86b Abs.
2 S. 2
SGG, §
103 SGG (Untersuchungsgrundsatz) und §
86b Abs.
2 S. 4
SGG, §
920 Abs.
2 ZPO (Glaubhaftmachung als Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ohne subjektive Beweisführungslast) regeln mithin im
Zusammenspiel, dass der Erfolg eines Eilantrags voraussetzt, dass der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht (sogenannter Anordnungsanspruch), und dass dem Antragsteller im Interimszeitraum
bis zur Hauptsacheentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine über Randbereiche hinausgehende Rechtsverletzung,
also ein wesentlicher Nachteil, droht (sogenannter Anordnungsgrund; vgl. zum Ganzen Krodel in Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche
Eilverfahren, 4. Aufl. 2017, Rn. 356 -358, 347, 337 f., jeweils mit weiteren Nachweisen).
Dieser einfachgesetzliche und für den Richter grundsätzlich bindende (Art.
20 Abs.
3, 97 Abs.
1 GG) Prüfungsmaßstab ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - unter Berücksichtigung des Rechtsschutzziels,
d.h. zur Verhinderung entsprechend schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer Beeinträchtigungen (vgl. etwa BVerfG
vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05, juris Leitsatz 2 a und Rn. 25 - 28; vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06, juris Orientierungssatz 2 - Verhinderung von schweren und unzumutbaren Nachteilen, speziell für den Leistungsanspruch der
Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung), aus verfassungsrechtlicher Sicht gegebenenfalls zu modifizieren. Werden
die einfachgesetzlich vorgeschriebenen überwiegenden Wahrscheinlichkeiten nicht erreicht und droht bei Ablehnung des Eilantrags
eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, weil schwere, über den wesentlichen Nachteil hinausgehende Beeinträchtigungen
möglich sind, ist eine verfassungskonforme Auslegung des §
86b Abs.
2 SGG geboten. Die Verhältnismäßigkeit im konkreten Fall ist dann durch offene (Güter- und Folgen-)Abwägung unter Berücksichtigung
der festgestellten Wahrscheinlichkeits- und Beeinträchtigungsgrade zu gewährleisten. Im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen
sind aber unter Beachtung der Gesetzesbindung der Gerichte (Art.
20 Abs.
3, 97 I
GG) auch dann die Regelungen des §
86b SGG zur Anwendung zu bringen. Ob der Eilantrag des Antragstellers Erfolg hat, ist daher nach Feststellung (zumindest) der Möglichkeit
eines prospektiven Hauptsacheerfolgs und der ohne Eilrechtsschutz drohenden Beeinträchtigungen (als aus §
86b Abs.
2 SGG abgeleitete und daher wegen der Gesetzesbindung zwingend zu beachtende Abwägungselemente) nach offener Abwägung unter Berücksichtigung
aller Umstände des konkreten Falles zu entscheiden. Von der in Vornahmesachen als objektives Beweismaß gesetzlich vorgegebenen
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im oben dargestellten Sinn) darf in diesen Fällen aus verfassungsrechtlichen
Gründen, nämlich zur Vermeidung einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, zu Gunsten des Antragstellers abgewichen
werden. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Beeinträchtigung und die Wahrscheinlichkeit des Hauptsacheerfolgs werden
vom Gericht ohne Bindung an das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit in Relation gesetzt zur Schwere der drohenden
Beeinträchtigung. Auf diese Weise kann eine über den einfachgesetzlich geforderten wesentlichen Nachteil hinaus drohende Beeinträchtigung
im konkreten Fall in angemessener Weise Berücksichtigung finden. Im Rahmen des so verfassungskonform ausgelegten §
86b Abs.
2 SGG bedeutet dies zusammenfassend, dass die in die Eilentscheidung einzubeziehenden Abwägungselemente des prospektiven Hauptsacheerfolgs
und der ohne Eilrechtsschutz drohenden Beeinträchtigungen nach Beeinträchtigungs- und Wahrscheinlichkeitsgraden im Rahmen
einer offenen Abwägung vom Richter zu gewichten sind (vgl. dazu BVerfG vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96, juris: eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage bei entsprechendem Anlass; BVerfG vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02, juris Leitsatz 4 und Rn. 9: besonders intensive und nicht nur summarische Prüfung bei mittelbarer Lebensgefahr; BVerfG vom
12.05.2005 - 1 BvR 569/05, juris Rn. 25: abschließende Prüfung bei möglicher Verletzung der Menschenwürde; BVerfG vom 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12, juris Rn. 3 u. vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12, juris Rn. 10: Pflicht, "desto intensiver (zu) prüfen, je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre
Eintrittswahrscheinlichkeit ist"). Um dem Eilantrag stattzugeben, kann so bei entsprechender Schwere der ohne Eilrechtsschutz
drohenden Beeinträchtigungen bereits die Möglichkeit des Bestehens eines Hauptsacheanspruchs ausreichen. Um den Eilantrag
unter Orientierung an der Hauptsache abzulehnen, ist bei entsprechender Schwere der ohne Eilrechtsschutz möglichen Beeinträchtigung
gegebenenfalls schon im Eilverfahren eine abschließende Prüfung der Hauptsache durchzuführen. Die Fachgerichte haben mithin
im Rahmen des Eilrechtsschutzes eine verfassungsrechtliche Vorprüfung durchzuführen. Ergibt sich dabei, dass ohne Eilrechtsschutz
schwere Beeinträchtigungen im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls möglich sind, ist §
86 b SGG gegebenenfalls im oben dargestellten Sinne verfassungskonform auszulegen, um insbesondere die grundrechtlichen Belange des
Antragstellers in angemessener Weise zur Geltung zu bringen. Ergibt sich jedoch, dass auch ohne Eilrechtsschutz keine schweren
Beeinträchtigungen im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung möglich sind, verbleibt es bei der einfachgesetzlichen
Regelung des §
86b SGG.
a. Soweit der Ast eine Übernahme der von seiner Vermieterin mit Schreiben vom 23.04.2018 geltend gemachten Gesamtforderung
in Höhe von 2436,99 EUR begehrt, fehlt es bereits an einem zu sichernden Hauptsacheanspruch (Anordnungsanspruch).
Für den Erfolg einer Regelungsanordnung ist - auch im Rahmen des beschriebenen Prüfungsmaßstabes - stets ein sicherungsfähiges
Recht des Antragstellers zu fordern (vgl. dazu ausdrücklich vom BVerfG vom 29.7.2003 - 2 BvR 311/03, juris Rn. 14). Ansonsten geht der Eilantrag ins Leere. Aus der aus Art.
19 Abs.
4 GG abgeleiteten Sicherungsfunktion und in Vornahmesachen wie der vorliegenden zusätzlich aus der Bindung des Gerichts an §
86b Abs.
2 SGG, wo der Hauptsacheanspruch tatbestandlich verankert ist (dazu Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Aufl. 2016,
Rn. 368 f, 428), ergibt sich von Verfassungs wegen zwingend das Gebot, die Rechtsfragen der Hauptsache im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes zu prüfen und der Entscheidung (neben anderen Belangen) zugrunde zu legen; die materielle Rechtslage ist als
obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium für das sozialgerichtliche Eilverfahren verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich
vorgegeben (vgl. zur
VwGO Windoffer, Die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes, S. 41). Steht bereits im Eilverfahren fest, dass die Hauptsache erfolglos ist, gibt es kein im Eilverfahren
sicherungsfähiges Recht. Die Ablehnung des Eilantrags ist dann auch verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. z.B. BVerfG vom
12.05.2005 - 1 BvR 569/05, juris Rn. 25).
Zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der vom Ast geltend gemacht Anspruch auf Übernahme seiner Schulden in Höhe
von 2436,99 EUR nicht besteht. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Übernahme seiner Schulden durch die AG sind
nicht gegeben.
Als Rechtsgrundlage für eine Übernahme der Schulden kommt vorliegend alleine § 36 SGB XII in Betracht (zur Abgrenzung zu den Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67, 68 Abs. 1 S. 1 SGB XII s. Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 68 Rn. 26 und BSG vom 12.12.2013 - 8 SO 24/12 R, juris Rn. 21).
Nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage
gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten
droht (S. 2). Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden (S. 3).
Die Übernahme der Schulden des Ast ist zur Sicherung der Unterkunft - Mietwohnung in der A-Straße, A-Stadt - nicht gerechtfertigt.
Die laufenden monatlichen Kosten für die Wohnung des Ast betragen jedenfalls 562,39 Euro ("Bruttowarmmiete"), auch wenn die
tatsächlich gezahlte Nutzungsentschädigung aufgrund des Schreibens der Vermieterin vom 08.01.2018 höher liegen dürfte (582,15
Euro). Von der AG werden im Rahmen der bewilligten laufenden Leistungen nach dem SGB XII allerdings nur 460,91 Euro monatlich an Kosten für Unterkunft und Heizung gezahlt. Ob die von der AG tatsächlich übernommenen
Kosten angemessen i.S.d. § 35 Abs. 2 SGB XII sind oder dem Ast sogar ein höherer Anspruch zustehen könnte, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Belang, da die ergangenen
Bewilligungsbescheide der AG bestandskräftig sind. Somit ergibt sich eine tatsächliche monatliche Unterdeckung der Kosten
für Unterkunft und Heizung i.H.v. derzeit mindestens 101,24 EUR. Zwar ist dem Ast zuzugestehen, dass es ihm in der Vergangenheit
(überwiegend) gelungen ist, trotz der Unterdeckung der laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung durch die bewilligten Leistungen
nach dem SGB XII keine Zahlungsrückstände auflaufen zu lassen. Allerdings ist es dennoch vor seinem Haftantritt bereits zu einem - wenn auch
geringen - Zahlungsrückstand gekommen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass er nach seinem eigenen Vorbringen zur Deckung des
Differenzbetrages auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen war. Diesbezüglich hat er gegenüber der AG geäußert, dass
seine Familienangehörigen das nicht mehr lange mitmachen würden und er unbedingt aus der Wohnung raus müsse, weil sie ihm
zu teuer sei. Daraus ist zu schließen, dass bereits zum Zeitpunkt der Haft des Ast der Erhalt der Mietwohnung für die Zukunft
- jedenfalls auf Dauer - nicht mehr gesichert war. Letztlich ist mittlerweile der Mietvertrag des Ast wirksam durch die Vermieterin
gekündigt und es besteht ein Räumungstitel, aus dem vollstreckt werden kann. Insofern ist der Vortrag des Ast, dass das Mietverhältnis
dauerhaft fortgesetzt werden könne, unzutreffend. Die Vermieterin hat ihm mit Schreiben vom 23.04.2018 lediglich unter der
Voraussetzung, dass ihre Gesamtforderung in Höhe von 2436,99 EUR erfüllt wird, in Aussicht gestellt, weiterhin gegen eine
entsprechende Nutzungsentschädigung in der Wohnung verbleiben zu dürfen. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Zahlung
der Nutzungsentschädigung pünktlich erfolgt, was nach den voranstehenden Ausführungen fraglich sein könnte. Außerdem findet
sich in dem Schreiben die zusätzliche Bedingung, dass keine Beschwerden wegen Vertragsverletzungen - durch den Ast - an die
Vermieterin herangetragen werden. Dem Wortlaut nach könnte es also jederzeit zu einer Zwangsvollstreckung aus dem Räumungstitel
kommen, wenn von dritter Seite Vertragsverletzungen - hierbei ist zum Beispiel an Verstöße gegen die Hausordnung zu denken
- moniert werden. Damit ist der Verbleib des Ast in der Wohnung aber nicht allein von der Begleichung der von der Vermieterin
geltend gemachten Gesamtforderung abhängig.
Im Übrigen ist dem Ast zwar zuzugestehen, dass die AG möglicherweise durch eine späte rechtswidrige Ablehnung der beantragten
Übernahme der Kosten zum Erhalt der Wohnung während der Strafhaft des Ast zu der nunmehr gegebenen Mietsituation des Ast beigetragen
hat. Allerdings ist auch dem Ast vorzuhalten, dass er insbesondere nach seiner Haftentlassung am 11.01.2018 nicht ausreichend
tätig geworden ist, um die Kündigung durch die Vermieterin und den Erlass des Versäumnisurteils vom 25.01.2018 sowie die dadurch
und nachfolgend entstandenen Verfahrenskosten, die nunmehr Bestandteil der Gesamtforderung der Vermieterin sind, abzuwenden.
Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine Übernahme der Schulden nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII nicht gerechtfertigt.
Nach alledem kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob einer Übernahme der Kosten des Ast für Unterkunft und Heizung
nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII jedenfalls hinsichtlich des Zeitraums Oktober bis Dezember 2017 auch deshalb ausscheidet, weil es sich insoweit nicht um
Kosten einer konkret genutzten Wohnung gehandelt hat (s. dazu BSG vom 12.12.2013 - 8 SO 24/12 R, juris Rn. 21).
b. Soweit der Ast im Wege der einstweiligen Anordnung eine Übernahme der von ihm beantragten während seiner Strafhaft angefallenen
Kosten für Unterkunft und Heizung - von denen noch die Zahlungen für Oktober bis Dezember 2017 ausstehen - begehrt, fehlt
es am erforderlichen Anordnungsgrund.
Nach § 67 S. 1 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung
dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind.
Zwar gehört der erwerbslose, auf Dauer erwerbsunfähige, bereits straffällig gewordene und der deutschen Sprache nicht ausreichend
mächtige (siehe dazu die Niederschrift des SG vom 24.04.2018) Ast nach Auffassung des Senats zum Personenkreis des § 67 S. 1 SGB XII, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind (s. hierzu auch § 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 69 SGB XII). Auch könnte fraglich sein, ob die Auffassung der AG zutrifft, dass es für eine Übernahme der Kosten während eines Haftaufenthalts
zwingend Voraussetzung ist, dass die Wohnung auf Dauer erhalten werden kann (so aber LSG Hessen, Beschluss vom 09.11.2010
- L 7 SO 134/10 B ER, ohne nähere Begründung) und nicht nur für einen absehbaren weiteren Zeitraum, um auf diese Weise dem
Betroffenen die (für ihn erschwerte) Suche nach einer anderen Wohnung zu ermöglichen.
Allerdings kommt es hierauf nicht an, da auch unter Berücksichtigung der vom Senat vorangestellten Kriterien für den Erlass
einer Regelungsanordnung ein Anordnungsgrund für die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum Oktober
bis Dezember 2017 durch die AG nicht besteht. Denn selbst wenn man davon ausginge, dass die AG die Kosten für Unterkunft und
Heizung für diesen Zeitraum in voller Höhe - und nicht nur in Höhe der bislang für angemessen gehaltenen Kosten - zu erbringen
hätte, würde hiernach allenfalls ein Anspruch auf Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1687,17 EUR
bestehen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung über die Zahlung eines solchen Betrags durch die AG wäre aber nicht geeignet,
die dem Ast drohende Beeinträchtigung - Räumung seiner Wohnung - zu verhindern. Denn eine weitere Nutzung der Wohnung durch
den Ast kommt nach der Auskunft der Vermieterin in jedem Fall nur bei vollständiger Erfüllung der ausstehenden Gesamtforderung
in Höhe von 2436,99 EUR in Betracht.
Die auf §
193 SGG beruhende Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beschwerde gegen den Beschluss
des SG vom 25.04.2018 ohne Erfolg geblieben ist.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt C.,
B-Stadt bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Nach §
73a Abs.
1 SGG i.V.m. §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der PKH erfolgt
nur eine vorläufige Prüfung. Dabei ist der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art.
3 Abs.
1, 20 Abs.
3, 19 Abs.
4 Grundgesetz -
GG) zu beachten. Deshalb dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss
vom 07.04.2000 - 1 BvR 81/00, juris Rn. 16). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers - hier:
der Antragsteller - aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für
vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
73a Rn. 7, 7a) bzw. wenn die Erfolgsaussicht nicht nur eine entfernte ist (vgl. z.B. BVerfG vom 13.07.2005 - 1 BvR 175/05, juris Rn. 10; vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88, juris Rn. 26 = BVerfGE 81, 347; st.Rspr.). Denn der Zweck der PKH, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zum Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren,
gebietet, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das
Kostenrisiko mitberücksichtigt (BVerfG vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88, juris Rn. 25 = BVerfGE 81, 347, 356 ff = NJW 1991, 413 f; BVerfG vom 02.02.1993 - 1 BvR 1697/91, juris Rn. 13 = FamRZ 1993, 664, 665). Auch unter Zugrundelegung dieser weiten Auslegung des §
114 ZPO war eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zu verneinen, wie sich aus den obigen Ausführungen unter 1. ergibt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.