Anspruch auf plastische Operationen als Sachleistung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf zwei postbariatrische plastische
Operationen an den Oberarmen und der Brust als Sachleistung hat.
Bei der im Jahr 1952 geborenen Klägerin wurde am 26.06.2014 zu Lasten der Beklagten eine Magenbypassoperation durchgeführt.
Das Körpergewicht der Klägerin von früher 125 kg hat sich seitdem bei rund 80 kg stabilisiert.
Am 19.10.2015 reichte die Klägerin medizinische Unterlagen bei der Beklagten ein, mit denen sie postbariatrische plastische
Straffungskorrekturen an Bauchdecke, Oberarmen, Oberschenkeln, Brust und Gesäß beantragte,
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In dem Bericht des Universitätsklinikums E. (Plastisch- und Handchirurgische Klinik) vom 09.10.2015 wurde als Therapieempfehlung
ein mehrzeitiges Vorgehen vorgeschlagen, nämlich eine Abdominalplastik in inverser T-Schnitt-Technik mit Nabeltransposition,
eine Oberarmstraffung beidseits, eine Oberschenkelstraffung beidseits, eine modifizierte Bruststraffung mit Autoaugmentation
nach Rubin beidseits sowie eine Gesäßstraffung. Die Klägerin habe fünf Kinder, die sie nicht gestillt habe. Aufgrund der massiven
Gewichtsreduktion von ca. 45 kg bestehe nun eine generalisierte Lipomatose mit ausgeprägten Haut-/Weichteilüberschüssen, insbesondere
im Bereich des Abdomens, der Oberarme beidseits, der Oberschenkel beidseits sowie des Gesäßes. Zudem bestehe eine ausgeprägte
Ptosis beider Brüste (Grad III nach Regnault). Die Mamillen-Areola-Komplexe befänden sich auf Höhe der Ellenbeuge. Der Jugulum-Mamillen-Abstand
betrage rechts 29,5 cm und links 30 cm. Die Auflagefläche betrage rechts 15 x 11 cm und links 15 x 10 cm. Insbesondere in
den Unterbrustfalten zeige sich das Integument deutlich gerötet als Zeichen von aktiven und abgelaufenen Entzündungen. Im
Bereich des Gesäßes und der unnatürlich ausgeprägten Gesäßfalte aufgrund des massiven Haut-/Weichteilüberschusses bestünden
zum Untersuchungszeitpunkt teils offene Wunden mit chronischem Umgebungsreiz im Sinne einer Rötung. Die Klägerin berichte,
aufgrund dieser Haut-/Weichteilüberschüsse unter rezidivierenden Hautausschlägen zu leiden. Zudem bestehe laut Klägerin eine
ausgeprägte Schweißneigung sowie ein Jucken und Reiben in den genannten Arealen, wodurch die Klägerin funktionell sowie in
ihrem Alltag stark eingeschränkt sei. Aus plastisch-chirurgischer Sicht sei die medizinische Indikation für vorgenannten Therapieempfehlungen
gegeben, um eine möglichst dauerhafte Behebung der Beschwerden zu erzielen.
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Vorgelegt wurde ferner ein Bericht des Facharztes für Plastische und Ästhetische Chirurgie Dr. H. vom 25.06.2015 "zur Vorlage
bei der Krankenkasse" über eine dortige Vorstellung der Klägerin am 24.06.2015, in dem als Therapie eine Abdominalplastik
konventionell, Fasziendoppelung, Nabelneuformung und Schamhügellift empfohlen wurden, ferner eine Bruststraffung beidseits,
eine Oberarmstraffung beidseits, eine Oberschenkelstraffung beidseits sowie ein Gesäßlifting beidseitig zur Komplettierung.
Die Operationen würden im R.-Krankenhaus in S-Stadt mit einer Liegezeit zwischen fünf und sieben Tagen unter stationären Bedingungen
erfolgen. Die Klägerin beklage die Bauchfettschürze, die Hängebrüste beidseits und die Hautmantelüberschüsse an beiden Oberarmen,
Flanken, Oberschenkeln und am Gesäß. Durch die feuchte Kammerbildung im Nabel und in der Unterbauch- und Unterbrustfalte käme
es laut Klägerin zu Rötungen, Juckreiz und Entzündungen. Die Rumpfbeweglichkeit sei deutlich eingeschränkt. Die BH-Träger
würden schmerzhaft auf den Schultern einschnüren. Die Hautmantelüberschüsse an beiden Flanken, beiden Oberarmen und Oberschenkeln
würden sich bei Bewegungen schmerzhaft in die Kleidung einklemmen, was zu einer deutlichen Funktions- und Aktivitätseinschränkung
führe. Klinisch handele es sich um eine Mamaptosis beidseits. An beiden Oberarmen zeigten sich girlandenartige, herunterhängende
Hautmantelüberschüsse mit leichter Restlipomatose. Gleiches gelte für die Oberschenkelinnenseiten. Ferner bestehe u.a. eine
ausgeprägte überhängende Ober- und Unterbauchhautschürze mit aktuell sichtbaren Rötungen an der aufliegenden Bauchhaut.
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Weiter wurde eine "Ärztliche Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenversicherung" des Facharztes für Plastische und Ästhetische
Chirurgie Dr. R. vom 25.06.2015 miteingereicht, wonach die Klägerin sich an den Gewebeüberschüssen im Bereich des Bauches,
der Brust, der Oberschenkelinnenseiten und der Oberarme störe.
Die Beklagte legte die Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vor, der in seinem sozialmedizinischen
Gutachten vom 29.10.2015 unter Berücksichtigung der Unterlagen und einer Fotodokumentation eine zwingende medizinische Indikation
für eine Abdominalplastik und Oberschenkelstraffung sah, nicht aber für die geplante Straffung an den Oberarmen, dem Gesäß
und den Mammae; für letztere lägen nur kosmetisch-ästhetische Gründe vor.
Mit Bescheid vom 03.11.2015 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Krankenhausbehandlung zur Abdominalplastik
und beidseitigen Oberschenkelstraffung in der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik des Universitätsklinikums E. gemäß ärztlicher
Verordnung vom 09.10.2015. Eine Kostenübernahme für die geplante beidseitige Oberarmstraffung, die Gesäßstraffung und die
modifizierte Bruststraffung mit Autoaugmentation nach Rubin wurde unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK abgelehnt.
Am 19.11.2015 erhob die Klägerin hinsichtlich der Ablehnung Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren führte die Klägerin unter
anderem aus, dass sie, insbesondere in den warmen Monaten, offene Stellen an Brust und "Unterarmen" habe. Ohne ständiges Pudern
sowie Mulleinlagen sei es ihr nicht möglich, ohne Schmerzen bzw. Reduzierung der Schmerzen dies zu ertragen. Es könne nicht
angehen, dass ihr, der Klägerin, die Brust bzw. das Kreuz schmerze durch die Bewegungen. Auch wenn sie sich, wie zur Zeit,
dreimal täglich dusche, könne sie es nicht vermeiden, unter den Armen, unter der Brust sowie am Gesäß wund zu werden. Auch
teure Cremes würden nichts helfen. Sie verbitte sich die Unterstellung, sie sei psychisch krank. Ihre Ehe leide sehr stark
unter ihrem Aussehen. Auch könne es nicht angehen, dass sie unter Schmerzen laufen solle. Sie habe bereits dreimal Pilzinfektionen
unter der Brust sowie unter den "Unterarmen" gehabt.
Im Widerspruchsverfahren wurden folgende weitere medizinische Unterlagen vorgelegt:
* Schreiben von Dr. H. vom 19.11.2015, wonach die Klägerin weiterhin die feuchte Kammerbildung in der Unterbrustfalte mit
rezidivierenden Entzündungen und die dadurch schwer durchführbare Körperhygiene sowie die deutliche Funktions- und Aktivitätseinschränkung
durch das schmerzhafte Einklemmen der Hautmantelüberschüsse an den Flanken, den Oberarmen und am Gesäß beklage.
* Eine kurze Bestätigung durch den Allgemeinarzt H., Medic Center S., vom 20.12.2015, wonach bei der Klägerin eine Mykose
unter der rechten Brust, in der rechten Achselhöhle und in den Gesäßfalten beidseits bestehe.
* Ein Befundbericht des Universitätsklinikums E., Plastisch- und Handchirurgische Klinik, vom 18.01.2016, der in Ergänzung
zum dortigen Befundbericht vom 09.10.2015 als weitere Diagnosen einen Zustand nach mehrfachen dermatologischen Therapien aufgrund
rezidivierender und chronischer Hautentzündungen sowie eine ausgeprägte Schweißneigung der Klägerin nennt. Wie bereits im
letzten Arztbrief beschrieben, zeige sich auch bei erneuter Vorstellung am 08.12.2015 eine deutliche Rötung des Integuments
im Bereich der Unterbrustfalten als Zeichen von aktiven und abgelaufenen Entzündungsreaktionen.
* Eine Fotodokumentation, die sich nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten befindet.
Nachdem der MDK trotz Vorlage der neuen Unterlagen in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 03.03.2016 bei seiner bisherigen
Auffassung geblieben war, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2016 zurück. Nach Beurteilung
des MDK sei die Notwendigkeit der beantragten Kostenübernahme für eine Gewebestraffung der Brüste, Oberarme und des Gesäßes
nicht erkennbar, es ergäben sich keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen, chronisch rezidivierende, nicht therapierbare
Ekzeme seien nicht nachgewiesen und konservative Therapieansätze bezüglich der vorliegenden Intertrigo, wie z.B. das Aufbringen
von dermatologischen Salben und Hautschutzpasten, seien nicht nachweislich ausgeschöpft, weshalb eine fachärztliche Mitbehandlung
durch einen Dermatologen angeraten werde.
Dagegen hat die Klägerin am 07.11.2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben.
Im Erörterungstermin am 04.09.2017 hat die Klägerin erklärt, sie sei zuletzt vor ca. sechs bis acht Wochen beim Hautarzt gewesen.
Sie habe einen Ausschlag am ganzen Körper gehabt. Weiter hat die Klägerin angegeben, bei folgenden Ärzten in Behandlung zu
sein:
* Dr. H., S. (Hausarzt),
* Dr. Z., S-Stadt (Plastische und Ästhetische Chirurgie),
* Dr. R., N-Stadt (Plastische und Ästhetische Chirurgie),
* Universitätsklinikum E. Plastische und Handchirurgische Klinik,
* Prof. Dr. H., S-Klinik F-Stadt (Chefarzt der Allgemein- & Viszeralchirurgie mit Adipositas-Chirurgie & Proktologie).
Das SG hat die Klägerin im Erörterungstermin aufgefordert, weitere sie behandelnde Ärzte bis zum 18.09.2017 dem Gericht mitzuteilen.
Außerdem hat die Klägerseite die Möglichkeit erhalten, bis zum 04.10.2017 dem Gericht einen Gutachter vorzuschlagen.
Die Klägerseite hat mit Schriftsatz vom 03.10.2017 dem Gericht Dr. G., K-Stadt, als Gutachter vorgeschlagen und Beweisfragen
formuliert, die die Klägerseite für zweckmäßig halte, jedoch keine weiteren ärztlichen Behandler dem Gericht genannt.
Mit Beweisanordnung vom 10.10.2017, deren Beweisfragen zum Teil den von der Klägerseite vorgeschlagenen entsprachen, hat das
SG Dr. G., Städtisches Klinikum K-Stadt, Oberarzt, Sektionsleiter Adipositas-Chirurgie, Facharzt für Chirurgie, für Viszeralchirurgie
und spezielle Viszeralchirurgie, mit der Erstellung eines Gutachtens gemäß §
106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nach ambulanter Untersuchung der Klägerin beauftragt.
In seinem Gutachten vom 15.12.2017 ist Dr. G. zu der Einschätzung gelangt, dass die von der Klägerin begehrte operative Therapie
erforderlich sei. Die operative Behandlung, wie sie angestrebt sei, sei in ihrer Wirksamkeit sicher beurteilbar und belegt.
Bei der Klägerin lägen keine Erkrankungen vor, die ein besonderes Operationsrisiko darstellten. Insgesamt sei von einem positiven
Nutzen-Risiko-Verhältnis auszugehen.
Die Klägerin sei verheiratet und habe fünf Kinder.
Eine psychiatrische Therapie sei aktuell nicht und in der Vergangenheit ebenfalls nie notwendig gewesen. Die Klägerin beschreibe
ein gestörtes Körpergefühl. Früher habe sie sich für ihr Aussehen aufgrund ihrer ausgeprägten Adipositas geschämt. Jetzt sei
diese Erkrankung kontrolliert, dennoch könne sie ihre Körperhülle in dem jetzigen Zustand mit den Falten nicht akzeptieren.
Normalerweise trage die Klägerin Körbchengröße B/C, aktuell trage sie eine Nummer größer, da sie ständig Läppchen unterlege,
um das Nässen zu vermeiden.
Bei der Gutachtenuntersuchung habe die Klägerin digitales Bildmaterial vorgelegt, das im Bereich der Hautkontaktflächen der
Brüste beidseits ausgeprägte Rötung und ein Nässen im Sinne einer Hautmazeration zeige.
Direkte mechanische Einschränkungen der Gelenksbeweglichkeit lägen bei der Klägerin nicht vor, allerdings entstünden dennoch
funktionelle Beeinträchtigungen der Bewegungsabläufe in der Folge von Fehlhaltung, um die Reibung der Hautfalten oder deren
Pendeln zu vermeiden. Eine weitere Einschränkung liege in der Vermeidung von sportlicher Ausdaueraktivität. Dies könne mittelfristig
in diesem Fall auch das Gesamtergebnis der adipositaschirurgischen Maßnahme beeinträchtigen.
Im Bereich der Oberarme finde sich ein erschlaffter Weichteilmantel mit überschüssiger Haut und starker Faltenbildung beidseits
und der lateralen Thoraxwand. Nachfolgend komme es im Bereich des Haut-Haut-Kontaktes zu Nässen und damit einhergehend zur
Hautreizung und rezidivierend zu Geruchsbildung sowie zu Pilzinfektionen.
Es liege auch eine deutliche Erschlaffung der Brüste vor. Dadurch komme es im Bereich der Haut-Haut-Auflagefläche zu rezidivierenden
Hautproblemen wie Nässen und Pilzinfektionen. Im Submammärbereich finde sich im Bereich des Haupthautkontaktes aktuell kein
Nässen, zum Untersuchungszeitpunkt keine Rötung, jedoch eine leichte Pigmentierungsveränderung als Hinweis auf die stattgehabten
rezidivierenden entzündlichen Veränderungen. Aktuell bestünden keine weiteren Hautveränderungen im Sinne von Mazeration oder
offenen Stellen. Funktionelle Einschränkungen im Bereich der Brüste lägen nicht vor.
Die ausgeprägte Hautfaltenbildung im Bereich der Oberarme und der Brüste wegen des erschlafften Weichteilmantels mit überschüssiger
Haut stelle eine deutliche Abweichung vom Normalbefund des Körpers dar und habe für die Klägerin relevanten Krankheitswert.
Massive, überschüssige Hautareale mit Faltenbildung, insbesondere wenn diese durch eine operative Maßnahme zur Gewichtsreduktion
herbeigeführt worden seien, stellten keinen normalen Körperzustand des Menschen dar, sondern seien als pathologisch zu werten.
Es handele sich um einen regelwidrigen Befund mit Entwicklung eines hohen Leidensdruckes bei der Klägerin. Allgemein führe
die Beeinträchtigung des sozialen Lebens und vor allem auch die stigmatisierende Störung des postoperativen Körperbildes zu
ausgeprägten Schamgefühlen und psychischen Belastungen. Eine allein psychiatrische Behandlung mit dem Ziel der Krankheitsakzeptanz
sei abzulehnen, da eine Korrekturmöglichkeit bestehe. Kausaltherapien sollten vor der symptomatischen Therapie bevorzugt eingesetzt
werden, wenn, wie vorliegend, keine Kontraindikationen vorlägen.
In wissenschaftlichen Studien sei belegt, dass eine Rekonstruktion der Körperform nach massiver Gewichtsreduktion durch eine
bariatrische Operation zu einer deutlichen Outcome-Verbesserung im Hinblick auf eine nachhaltige Gewichtskonstanz führe. Damit
spiele die plastische Rekonstruktionschirurgie eine nicht zu unterschätzende Rolle in der interdisziplinären Behandlung von
Patienten mit Adipositas und sei nicht vergleichbar mit einer kosmetischen, schönheitschirurgischen Operation.
Zwar bestehe die Möglichkeit, durch permanente Einlage von Mullkompressen der Entstehung von nässenden Arealen und dadurch
bedingten Hautwunden und Geruchsbildungen sowie Pilzinfektionen entgegenzuwirken. Bei Auftreten von Hautmazeration und Pilzinfektion
sei die Anwendung von dermatologischen Salben möglich. Diese Maßnahmen stellten jedoch lediglich symptomatische Therapien
dar und könnten, wie der Verlauf bei der Klägerin zeige, die Probleme nicht dauerhaft vermeiden. Die Pigmentierungsveränderung
im Bereich der submammären Haut belege die bereits stattgehabten Entzündungen.
Im Bereich der pendelnden Hautlappen der Oberarme existiere keine Möglichkeit der konservativen Therapie, abstützende Bandagen
oder Ähnliches sei nicht sinnvoll. Eine erfolgreiche Behandlung überschüssiger Haut in der vorliegenden Ausprägung könne konservativ
nicht erreicht werden. Es könne kaum ein derartiger Muskelmantel an den Oberarmen auftrainiert werden, dass die Hautlappen
kompensiert würden. Im Bereich der Brüste gebe es überhaupt keine Möglichkeiten, nicht-chirurgisch erfolgreich zu therapieren.
Dass es im Bereich der Haut-Haut-Kontaktzonen zu vermehrtem Schwitzen und damit zu Geruchsbildung und Mazeration komme, sei
unbestritten. Durch überdurchschnittlich gute Hygiene und Körperpflege seien diese Probleme bei der Klägerin aktuell kontrollierbar,
jedoch nicht dauerhaft heilbar.
Bei der Begutachtung sei der kosmetische bzw. ästhetische Aspekt der Operation grundsätzlich schwer abgrenzbar. Dennoch müsse
man hier in die Bewertung einbeziehen, dass die Klägerin nach der Magenbypassoperation eine drastische Gewichtsreduktion erlebt
habe und die geschilderten Hautprobleme zuvor nicht vorhanden gewesen seien. Die Gewichtsreduktion sei für den jetzigen pathologischen
Befund hauptverantwortlich, sodass es sich hier nicht allein um eine altersbedingte physiologische Erscheinung handele.
Die im Gutachten von Dr. G. erwähnten, ihm von der Klägerin vorgelegten Fotos sind dem SG nicht vorgelegt worden.
Mit Urteil vom 07.05.2018 hat das SG der Klage stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 03.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2016
abgeändert sowie die Beklagte verpflichtet, der Klägerin zwei postbariatrische Operationen an den Oberarmen und der Brust
als Sachleistung zu gewähren. Derartige postbariatrische Operationen könnten in Einzelfällen bei dermatologischer Indikation
zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Das Gutachten von Dr. G. belege, dass die von allen behandelnden
Ärzten der Klägerin und dem Universitätsklinikum E. empfohlenen Operationen zur Unterarmstraffung beidseits und Bruststraffung
beidseits geeignete Maßnahmen seien, um die Gesundheit der Klägerin zu erhalten, wiederherzustellen oder den Gesundheitszustand
der Klägerin zu verbessern, vgl. §
1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Bei den beantragten postbariatrischen Operationen handele es sich nicht um Schönheitsoperationen, sondern um Operationen,
die die Funktionsfähigkeit der Oberarme der Klägerin und die funktionalen Beschwerden der Klägerin im Brustbereich beheben
würden, während die Beklagte die Klägerin auf eine dauerhafte, möglicherweise lebenslange Symptombehandlung verweise. Die
Kammer vertrete die Auffassung, dass die Behebung der Dysfunktionen Vorrang habe vor einer dauerhaften Symptombehandlung.
Mit den Operationen würden die Dysfunktionen (Haut-/Weichteilüberschuss) dauerhaft beseitigt mit der Folge, dass für die Beklagte
künftig keine Kosten für die Symptombehandlung (Hautarzttermine, ggf. Arzneimittel) anfallen würden.
Gegen das ihr am 01.08.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.08.2018 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht
(LSG) eingelegt. Mit Schriftsatz vom 01.10.2018 hat sie die Berufung damit begründet, dass eine medizinische Notwendigkeit
für die Kostenübernahme einer Gewebestraffung der Brüste sowie der Oberarme als Sachleistung nicht gegeben sei. Ein Anspruch
nach dem
SGB V ergebe sich nur dann, wenn Körperfunktionen beeinträchtigt seien oder eine entstellende Wirkung vorliege. Befremdlich sei
auch, dass der erstinstanzliche Sachverständige von der Klägerin benannt worden sei, obwohl es sich um ein vom Gericht gemäß
§
106 SGG eingeholtes Sachverständigengutachten gehandelt habe. Die von der Gegenseite formulierten Gutachtensfragen fänden sich in
wesentlichen Teilen unverändert als Beweisfragen im Sachverständigengutachten wieder. Der auf Vorschlag der Klägerin bestellte
Sachverständige sei Leitender Oberarzt an einem Adipositaszentrum, sodass es nicht verwunderlich sei, dass seine Ausführungen
überwiegend die Argumentation der Klägerin stützten. Die Herangehensweise des Sozialgerichts werde als sehr einseitig empfunden.
Im Übrigen habe sich das SG nicht ernsthaft mit der Argumentation der Beklagten, die sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt habe, auseinandergesetzt.
Der - als Anlage beigefügte - Begutachtungsleitfaden "Plastischchirurgische Eingriffe an der Brust und Straffungsoperationen"
des MDK vom 09.12.2014 beleuchte eindrucksvoll das Spannungsfeld zwischen der anspruchsbegründenden Vorschrift des §
27 SGB V und der sich aus §
52 SGB V ergebenden Leistungsbeschränkung durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation. Die dortigen Ausführungen
mache man sich ausdrücklich zu eigen. Zusammenfassend sei eine Korrektur der Körperoberfläche behandlungsbedürftig ausschließlich
bei chronisch rezidivierenden, fachdermatologisch therapierefraktären intertriginösen Ekzemen, bei deutlichen Hautduplikaturen
mit funktioneller Behinderung eines Gelenkes sowie bei krankheitswertiger Entstellung.
Bei der Klägerin lägen keine therapierefraktären Hautveränderungen trotz fachdermatologischer Mitbehandlung vor, bei der Brustuntersuchung
durch den gerichtlichen Sachverständigen hätten sich kein Nässen, keine Rötung, keine Mazeration und keine offenen Stellen
gezeigt, sondern leichte Pigmentierungsveränderungen als Hinweis auf stattgehabte, aber aktuell nicht bestehende Hautveränderungen.
Eine funktionelle Behinderung eines Gelenkes habe auch der Gutachter nicht beschrieben. Die von ihm erhobenen Vorwürfe gegen
den MDK seien sachfremd.
Der Gutachter habe ebenso wenig wie das SG die höchstrichterliche Rechtsprechung berücksichtigt.
Ergänzend hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme des MDK vom 01.10.2018 vorgelegt, worin ausgeführt wurde, dass eine
medizinische Indikation für die begehrten plastisch-chirurgischen Eingriffe weiterhin nicht gesehen werde. Weder liege eine
Entstellung vor noch seien chronische, therapieresistente Ekzeme belegt. Eine intermittierende Hautreizung könne nicht als
anspruchsbegründend angeführt werden, ebenso wenig wie die Ausführungen des Gutachters über Adipositas als stigmatisierende
Erkrankung.
Der am 24.10.2018 beim LSG eingegangene Antrag der Beklagten, die Vollstreckung aus dem mit der Berufung angefochten Urteil
des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.05.2018 aufzuheben, wurde mit Beschluss des LSG vom 29.10.2018 abgelehnt (L 20 KR 477/18 ER). Auch wenn die von der Beklagten gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhobenen Einwendungen durchaus Anlass gäben,
das Urteil des Sozialgerichts zu hinterfragen, würde es dennoch zu weit gehen, allein deshalb bereits von offensichtlichen
Erfolgsaussichten der Berufung auszugehen. Hinzu komme, dass die Beklagte nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihr ohne eine
Aussetzung der Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil drohe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.05.2018 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 03.11.2015 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2016 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens im Rahmen der Amtsermittlung
nach §
106 SGG, äußerst hilfsweise die Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens nach §
109 SGG.
Eine Berufungserwiderung hat die Klägerin nicht vorgelegt.
Auf Anforderung der Berichterstatterin hat der MDK dem Senat die Farbfotodokumentation über die Klägerin übermittelt, die
seiner Begutachtung vom 03.03.2016 zugrunde gelegen hatte. Darauf sind Rötungen im Unterbrustbereich zu erkennen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und im Verfahren L 20 KR 477/18 ER sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Abweisung der
Klage. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf postbariatrische Operationen an den Oberarmen und der Brust
als Sachleistung.
Versicherte haben nach §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V Anspruch auf eine Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des
gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig
macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte
in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt
(z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R).
Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf diese mittelbare
Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention,
die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander
abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R). Zu fordern ist in jedem Fall eine schwerwiegende Erkrankung, die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen Behandlungsmaßnahmen
(ultima ratio) und die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme auch den gewünschten Behandlungserfolg
bringt (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 15.04.2013, L 1 KR 119/11; LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13; LSG Hamburg, Urteil vom 25.08.2016, L 1 KR 38/15; Hessisches LSG, Urteil vom 09.02.2017, L 1 KR 134/14; Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2018, L 8 KR 254/17).
In diesem Sinne stellt die überschüssige Haut im Bereich der Brüste und der Oberarme der Klägerin für sich genommen keinen
krankhaften Befund bzw. regelwidrigen Körperzustand dar (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13; Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2018, L 8 KR 254/17). Dass die ausgeprägte Hautfaltenbildung vom Normalbefund des Körpers abweicht, reicht, anders als Dr. G. meint, nicht aus,
um ihr Krankheitswert zuzusprechen.
Nach der Rechtsprechung des BSG kommt gerade nicht jeder Abweichung vom Normalbefund des Körpers Krankheitswert zu. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine
Abweichung im Sinne einer Entstellung vorläge. Dabei ist bei der Beurteilung der Entstellung vom bekleideten Zustand des Betroffenen
auszugehen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006, L 4 KR 60/04; Hessisches LSG, Urteil vom 15.04.2013, L 1 KR 119/11; LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13).
Entstellend sind die Hautfalten an den Oberarmen sowie die Brust der Klägerin jedenfalls nicht, selbst im unbekleideten Zustand
nicht, wie aus der von Dr. G. angefertigten Fotodokumentation ersichtlich ist. Erst recht kann dann im bekleideten Zustand
von einer Entstellung nicht die Rede sein. Es wäre mit der aufgezeigte Rechtsprechung des BSG und der Landessozialgerichte, der sich der Senat anschließt, nicht zu vereinen, Hautüberschüsse nach Gewichtsabnahme allgemein
- ohne Berücksichtigung etwaiger funktioneller Beeinträchtigungen - bereits deshalb als Krankheit zu betrachten, weil sie
vom "Normalzustand" abweichen.
Die Klägerin mag (weiterhin) ihre Körperhülle in dem jetzigen Zustand mit den Falten nicht akzeptieren, sich in ihrer Ehe
beeinträchtigt fühlen und insgesamt einen diesbezüglichen Leidensdruck empfinden, worauf Dr. G. hinweist. Bei einer starken
Ausprägung dieser Gefühle ist die Klägerin jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R) auf eine psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung zu verweisen. Für die Annahme einer Regelabweichung im Sinne
einer Entstellung ist nicht die subjektive Betrachtungsweise des betroffenen Versicherten, sondern allein ein objektiver Maßstab
entscheidend. Danach liegt eine schwere Entstellung erst dann vor, wenn - anders als im Falle der Klägerin - eine körperliche
Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen
quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Dies
gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse der Eingliederung behinderter Menschen fordert,
dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R).
Auch aus dermatologischen Gründen besteht kein Anspruch auf die streitgegenständlichen Hautstraffungsoperationen.
Grundsätzlich sind dermatologische Erkrankungen mit den Mitteln dieser Fachrichtung zu behandeln. Sollte sich herausstellen,
dass mit diesen Mitteln kein dauerhafter Erfolg erzielt werden kann, so wäre erst im Anschluss zu prüfen, ob als ultima ratio
eine Hautstraffung notwendig ist (LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13; vgl. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2018, L 8 KR 254/17).
Eine Entfernung der überschüssigen Hautlappen aus dermatologischen Gründen kommt nur in Betracht, wenn durch den Hautüberschuss
ständige Hautreizungen wie Pilzbefall, Sekretionen oder entzündliche Veränderungen auftreten, die sich als dauerhaft therapieresistent
erweisen (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006, L 4 KR 60/04).
Die die Klägerin behandelnden Ärzte haben Funktionsmängel im Sinne von wiederkehrenden Hautentzündungen bzw. -mazerationen
bei der Klägerin beschrieben. Auch wenn Dr. G. bei seiner Untersuchung der Klägerin einen solchen Befund aktuell nicht erheben
konnte, bestätigte er stattgehabte Hautentzündungen aufgrund der Pigmentierungsveränderungen im Bereich der submammären Haut.
Diese Hautreizungen im Unterbrustbereich, die sich auch aus der vom MDK vorgelegten Fotodokumentation folgern lassen, treten
jedoch nicht ständig auf. So konnte Dr. G. bei seiner Untersuchung der Klägerin im Unterbrustbereich kein Nässen und keine
Rötung feststellen, ebenso wenig Hautveränderungen im Sinne von Mazeration oder offenen Stellen. Zudem kommt eine Hautstraffungsoperation
als zumindest teilweise mittelbarer Eingriff in auch nicht entzündetes bzw. nicht betroffenes Hautgewebe nur in Betracht,
wenn sie als ultima ratio nach erfolgloser Anwendung der zur Verfügung stehenden konventionellen Behandlungsoptionen notwendig
ist. Eine Therapieresistenz bezüglich konventioneller Behandlungen kann der Senat jedoch nicht feststellen. Zum einen liegen
die Hautirritationen, wie dargestellt, nicht permanent vor. Zum anderen sind die fachdermatologischen Behandlungsmöglichkeiten
nicht ausgeschöpft. Die Klägerin hat im Erörterungstermin vor dem SG nur angegeben, einige Wochen zuvor wegen eines Ausschlages am ganzen Körper in dermatologische Behandlung gewesen zu sein.
Es ging also offensichtlich damals nicht speziell um die Problembereiche Unterbrustbereich und Oberarme wegen der dortigen
Hautfalten. Auf Nachfrage des SG im Erörterungstermin hat die Klägerin die sie behandelnden Ärzte benannt. Ein Dermatologe befand sich nicht darunter. Auf
die explizite Aufforderung des Gerichts, im Nachgang zum Erörterungstermin noch etwaige weitere ärztliche Behandler zu nennen,
hat die Klägerin keine dermatologische Behandlung vorgetragen. Auch im Berufungsverfahren konnte die Klägerseite über keine
fachdermatologische Behandlung der Klägerin berichten.
Zunächst ist daher im Falle der Klägerin, sofern erforderlich, die Durchführung einer fachdermatologischen Behandlung vorrangig,
um einen etwaigen krankhaften Hautbefund wieder zu normalisieren. Die Klägerin hat nicht, auch nicht auf die explizite Nachfrage
des SG nach den sie behandelnden Ärzten, vorgetragen, dass sie wegen der Hautlappen bzw. -falten je in fachdermatologischer Behandlung
gewesen sei. Ohne den Nachweis einer über einen längeren Zeitraum erfolgten fachdermatologischen - letztlich erfolglosen -
Behandlung kann aber das Vorliegen einer von der Rechtsprechung geforderten ultima ratio-Situation und damit einer OP-Indikation
wegen der klägerischen Hautprobleme nicht bejaht werden.
Schließlich können die begehrten Operationen auch nicht zur Behandlung etwaiger Wirbelsäulen- oder Schulter-Arm-Beschwerden
beansprucht werden. Sofern die Klägerin im Widerspruchsverfahren angegeben hat, dass ihr "das Kreuz" schmerze, reicht dieser
Hinweis angesichts der oben dargestellten ultima ratio-Rechtsprechung keinesfalls, um einen mittelbaren Eingriff in ein anderes
Organ mittels Hautstraffungsoperationen zu rechtfertigen. Gleiches gilt im Hinblick auf die in die Schulterhaut einschneidenden
BH-Träger. Hier ist gegebenenfalls auf ein anderes Modell mit breiteren und gepolsterten Trägern zurückzugreifen. Dr. G. hat
in seinem Gutachten keine direkten Bewegungseinschränkungen im Sinne von Einschränkungen der Gelenkbeweglichkeit der Klägerin
festgestellt. Die Hautlappen führen laut Dr. G. nicht zu einer Beuge-, Streck- oder Drehbewegungshemmung. Jedoch führt Dr.
G. aus, dass die andauernde und gleichförmige Bewegung durch Reibung der Hautfalten und deren Pendeldynamik beeinträchtigt
werde. Damit lägen funktionelle Beeinträchtigungen der Bewegungsabläufe hinsichtlich der Haut durch die Hautlappen an den
Oberarmen vor. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zum einen hat Dr. G. nicht näher beschrieben, wie die unphysiologischen
Bewegungsabläufe durch die Hautlappen verursacht und ausgeführt werden sollen. Zum anderen kann sich der Senat keine Überzeugung
davon bilden, dass Hautlappen an den Oberarmen und lateralen Thoraxwänden so, wie sie auf der Fotodokumentation von Dr. G.
ersichtlich sind, zu Bewegungseinschränkungen in einem Ausmaß führen, dass ihnen Krankheitswert zukäme.
Sofern Dr. G. darauf hinweist, dass allein die drastische Gewichtsreduktion aufgrund der (von der Beklagten gewährten) Magenbypassoperation
die geschilderten Hautprobleme erst ausgelöst hat, vermag ein solcher Ursachenzusammenhang ebenfalls keine Leistungspflicht
der Beklagten für die begehrten Straffungseingriffe zu rechtfertigen. Zwar hat das Sächsische LSG mit Urteil vom 31.05.2018,
L 1 KR 249/16, entschieden, dass, sofern eine wegen einer Hauterkrankung erforderliche Hautfettschürzenresektion im Bauchbereich notwendige
Folge einer von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten Magenverkleinerung sei, auch die operative Beseitigung dieser
Folgeerkrankungen in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung falle. Insofern könnten, so das Sächsische
LSG, die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zur Mamaaugmentationsplastik nach Entfernung eines Mammakarzinoms (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R) entsprechend herangezogen werden.
Diese Sichtweise teilt der Senat nicht. Denn die Lebenssachverhalte einer operativen Behandlung eines Brustkarzinoms und einer
bariatrischen Operation bei Adipositas mit möglicherweise anschließend sich einstellenden Hautfaltenüberschüssen sind nicht
vergleichbar. Insofern kann die Klägerin auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes gemäß Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz nichts anderes für sich herleiten. Der Gleichheitssatz ist nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen
im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht
- BVerfG -, Beschluss vom 19.12.2012, 1 BvL 18/11). So verhält es sich hier nicht. Die Hautlappenüberschüsse aufgrund der Gewichtsreduzierung nach der bariatrischen Operation
sind einer Brustrekonstruktion bei Mammakarzinom nicht im Wesentlichen gleich, sodass beide Fallgruppen auch nicht gleich
zu behandeln sind. Denn bei der Brustkrebspatientin wird krankhaftes Gewebe entfernt und dieses wird im Rahmen der Rekonstruktion
ersetzt. Bei der Klägerin soll jedoch in Gewebe eingegriffen werden, welches nicht krank, sondern welches lediglich als Folge
der Behandlung der Lipödeme nicht mehr mit Gewebe ausgefüllt ist. Das sind zwei unterschiedliche Ausgangssituationen. Im einen
Fall geht es um den Ausgleich der unmittelbaren Folgen der Krankenbehandlung an dem erkrankten und von der Behandlung betroffenen
Organ (Brust) und im anderen Fall um den mittelbaren Ausgleich an einem zunächst von der Krankheit (Adipositas) bzw. deren
Behandlung nicht betroffenen Organ (Haut) (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13).
Schließlich weist Dr. G. noch auf die nicht zu unterschätzende Rolle der plastischen Rekonstruktionschirurgie in der interdisziplinären
Behandlung der Adipositas im Hinblick auf die damit verbundenen deutlichen Outcome-Verbesserungen hin. Dies entspricht auch
der aktuellen S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen" (Seite 111 ff., Ziff. 6.4.), wonach "die
Körperformung nach massiver Gewichtsreduktion ein wichtiges Teilgebiet innerhalb der interdisziplinären Behandlung von Adipositaspatienten
ist" und deshalb bei Patientenwunsch und entsprechender medizinischer Indikation eine Straffungsoperation angeboten und durchgeführt
werden soll. Dies mag aus Sicht der Patienten wünschenswert sein. S3-Leitlinien geben Ärzte und in der Folge auch Verwaltung
und Gerichten wichtige Entscheidungshilfen, sie sind jedoch für diese nicht bindend (vgl. Hessisches LSG, Urteile vom 05.07.2016,
L 1 KR 116/15, und vom 22.05.2014, L 8 KR 7/11). Die Krankenkassen und Gerichte haben vielmehr das Wirtschaftlichkeitsgebot des §
12 Abs.
1 SGB V zu beachten, wonach nur notwendige und wirtschaftliche Leistungen bewilligt werden dürfen. Zudem ist die Rechtsprechung des
BSG zu beachten, wonach eine mittelbare Behandlung durch einen chirurgischen Eingriff in ein von der zu behandelnden Krankheit
nicht betroffenes Organ nur unter engen Voraussetzungen im Rahmen einer Güterabwägung zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R; siehe bereits oben). Die Hautstraffung erfolgt jedoch bei der Behandlung der Adipositas grundsätzlich aufgrund der kosmetische
Situation, die durch die bariatrische Operation entstanden ist (zur Sondersituation von - bei der Klägerin nicht nachgewiesenen
- auch fachdermatologisch nicht hinlänglich therapierbaren Hautfaltenüberschüssen siehe oben). Eine derartige Maßnahme kann
schon aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Betroffenen nur in sehr engen Grenzen erfolgen, die durch das Kriterium
der Entstellung ausgefüllt werden (LSG Hamburg, Urteil vom 17. Juli 2014, L 1 KR 160/13). Auch aus Leitlinien-Empfehlungen ergibt sich damit kein Anspruch der Klägerin auf die begehrten Straffungsoperationen.
Damit besteht insgesamt kein Anspruch der Klägerin auf postbariatrische Operationen an Brüsten und Oberarmen gegen die Beklagte.
Die Berufung der Beklagten war deshalb erfolgreich.
Zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen sah sich der Senat nicht veranlasst, insbesondere nicht zu der Frage,
ob bei der Klägerin therapierefraktäre Ekzeme bzw. Hautveränderungen vorliegen. Dass die Hautreizungen kein unbehandelbarer
Dauerzustand bei der Klägerin sind, zeigt sich bereits dadurch, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. G. keine aktuellen
Hautprobleme der Klägerin feststellbar waren. Zum anderen wäre die Klägerin hier zunächst darauf zu verweisen, überhaupt erst
einmal fachdermatologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass die Klägerin tatsächlich in (konsequenter) fachdermatologischer
Behandlung wäre, wurde aber auch in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2018 - wie bereits vor dem SG - trotz entsprechender Nachfrage nicht vorgetragen.
Der hilfsweise gestellte Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 04.12.2018, ein unabhängiges
Sachverständigengutachten im Rahmen der Amtsermittlung nach §
106 SGG einzuholen, ist abzulehnen. Denn der Antrag gibt kein Beweisthema an oder umreißt wenigstens, was die Beweisaufnahme ergeben
soll (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn. 18a m.w.N. auf die Rspr. des BSG).
Der äußerst hilfsweise gestellte Antrag, ein unabhängiges Sachverständigengutachten nach §
109 SGG einzuholen, war ebenfalls abzulehnen. Zum einen ist auch insofern unklar, zu welcher Frage der Sachverständige Stellung nehmen
sollte, zum anderen wurde auch kein bestimmter Arzt als Gutachter bezeichnet (vgl. insg. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 109 Rn.
10a). Schließlich war der erst in der mündlichen Verhandlung am 04.12.2018 gestellte Antrag auch als verspätet abzulehnen.
Bestimmt das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung, darf ein Verfahrensbeteiligter nicht bis zur mündlichen Verhandlung
mit seinem Antrag gemäß §
109 SGG zuwarten (so schon BSG, Urteil vom 22.06.1966, 8 RV 227/65). Neue Aspekte in tatsächlicher Hinsicht wurden in der mündlichen Verhandlung nicht eingeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.