Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Leistungen wegen häuslicher Pflege nach Stufe III statt Stufe II zustehen.
Die beklagte Pflegekasse gewährt der bei ihr versicherten, 1944 geborenen Klägerin Leistungen wegen häuslicher Pflege nach
Stufe II.
Schreiben der Klägerin vom 28. Februar und 5. März 2006, die sowohl bei der Beklagten als auch beim Sozialgericht München
eingingen, wertete die Beklagte als Antrag auf Höherstufung. Sie ließ die Klägerin durch ihren Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) begutachten. Nach Hausbesuch am 31. März 2006 kam der MDK am 5. April 2006 zum Ergebnis, bei der Klägerin liege eine
Adipositas per magna, Polyarthrose der großen Gelenke, Lipilymphödeme beider Beine, Harninkontinenz und astmoiide Bronchitis
vor. Seitens der Mobilität sei es zu einer Verschlechterung gekommen. Es bestünden jetzt generalisierte Schmerzen und Gleichgewichtsstörungen.
Den Hilfebedarf für die täglich wiederkehrenden Verrichtungen schätzte der MDK mit insgesamt 181 Minuten (82 Minuten für Körperpflege
; 99 Minuten für Mobilität) ein.
Mit Bescheid vom 10. April 2006 lehnte die Beklagte höhere Leistungen als nach der Pflegestufe II ab. Dagegen erhob die Klägerin
Widerspruch, den sie mit diversen Schreiben begründete, in denen unter anderem Ausführungen zu einer in Aussicht genommenen
Entstauungstherapie, Knieoperation und Gewebereduktion gemacht wurden. Der MDK erklärte, das Widerspruchsvorbringen liefere
keine Erkenntnisse bezüglich eines höheren Hilfebedarfs. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2006 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück.
Bereits am 6. März 2006 war beim Sozialgericht München ein Schriftsatz der Klägerin vom 5. März 2006 eingegangen. Darin wurde
die Feststellung der Pflegestufe III begehrt mit der Begründung, es bestünden verschiedene Schmerzzustände, wie Knie -, Hüft-
und Bauchschmerzen mit Versteifungen und Krämpfen in den Beinen und des Bauchraums auch in Ruhelage. Sie könne das rechte
Bein nur noch nachziehen. Sie leide unter Gleichgewichtsstörungen.
Die Beklagte erklärte, sie habe das Schreiben vom 5. März 2006 ebenfalls erhalten sowie ein weiteres Schreiben der Klägerin
vom 28. Februar 2006, das sie als Höherstufungsantrag aufgefasst habe. Ein anfechtbarer Bescheid liege noch nicht vor.
Die Klägerin ließ vortragen, die Behauptung der Beklagten, dass kein anfechtbarer Bescheid vorliege, sei falsch. Ihr zustehende
Leistungen der Pflegeversicherung würden seit 1996 laufend veruntreut. Den Vorwurf der Veruntreuung wiederholte sie mehrmals.
Sie betonte, dass sie auch Ansprüche gegenüber der Krankenversicherung habe. Sie leide unter unerträglichen Schmerzen und
sei auf fremde Hilfe angewiesen. Im Schreiben vom 27. April 2006 trug sie vor, für Aufstehen, auf die Couch und auf das Bett
Setzen, zum Waschen, Duschen und Baden sowie zum Gang zur Toilette sei jeweils Hilfe von zehn Minuten notwendig. Bei solchen
Bewegungsvorgängen müsse erst gewartet werden, bis die Schmerzen nachlassen und der Blutfluss in die Beine erfolge. Hinzu
kämen jeweils weitere fünf Minuten für das Dahinschleppen zum Bad, zur Dusche und zum WC. Dabei träten erhebliche Schmerzen
auf, so dass weitere zehn bis 15 Minuten gebraucht würden.
Das Sozialgericht holte ein Gutachten des Arbeitsmediziners Dr. H. ein. Dieser kam nach Hausbesuch am 5. August 2006 im Gutachten
vom 6. August 2006 zum Ergebnis, der Hilfebedarf sei auf 225 Minuten im Grundpflegebereich angestiegen. Für Körperpflege benötige
die Klägerin Hilfe von 92 Minuten, für Ernährung von sechs Minuten und im Bereich der Mobilität von 127 Minuten täglich. Auch
nachts sei sie auf Hilfe angewiesen. Seit etwa Juli 2006 sei eine Verschlechterung eingetreten. Seither könne die Klägerin
nicht mehr gehen, weil es zu einem Wegknicken der Knie- und Hüftgelenke komme.
Die Klägerin wandte ein, der Hilfebedarf sei zu niedrig eingeschätzt. Sie benötige wegen der Dekubitusgefahr eine weitergehende
Versorgung. In zahlreichen weiteren Schriftsätzen machte sie Ausführungen, die sich auf andere Probleme als den Hilfebedarf
wegen Pflegebedürftigkeit beziehen.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. August 2006 erklärte Dr. H., für weitere Transfers seien allenfalls weitere sieben
Minuten erforderlich; Pflegestufe III werde dadurch aber nicht erreicht.
Nach Anhörung wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2006 die Klage ab. Es sah die Voraussetzungen für
Leistungen nach Pflegestufe III auf Grund des Beweisergebnisses nicht als erfüllt an. Die Klage sei zwar noch vor Bescheiderlass
und ohne Widerspruch erhoben worden, sie sei aber zulässig und richte sich gegen den Bescheid vom 10. April 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2006.
Dagegen legte die Klägerin - mit von ihrem Ehemann unterschriebenen Schriftsatz - Berufung ein. Für sie bestellte sich RA
O. unter Vorlage einer Vollmacht. Den Antrag, der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren, wies der Senat mit Beschluss vom
11. August 2008 zurück, weil die Berufung nach dem derzeitigen Beweisergebnis keine Aussicht auf Erfolg biete. Rechtsanwalt
O. legte am 23. Dezember 2008 die Vertretung nieder.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2006 und Aufhebung des Bescheids
vom 10. April 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2006 zu verurteilen, ihr Leistungen wegen häuslicher
Pflege nach Pflegestufe III anstatt Pflegestufe II zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte der Beklagten sowie auf die Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die am 6. März 2006 zum Sozialgericht erhobene Klage auf "Feststellung der Stufe III" war unzulässig, da weder für eine Feststellungsklage
noch für eine Anfechtungs- und Leistungsklage ein Rechtsschutzbedürfnis bestanden hat. Zu diesem Zeitpunkt lag kein Leistungen
von Pflegegeld nach der Stufe III ablehnender Verwaltungsakt vor. Sichtlich begehrte die Klägerin, ihr statt Leistungen nach
Pflegestufe II solche nach Stufe III zu gewähren. Der Streitgegenstand, nämlich das von der Klägerin an das Gericht gerichtete
Begehren, eine bestimmte Rechtsfolge auszusprechen (BSG SozR 3-1500 § 96 Nr. 9), war hierauf gerichtet.
Es kann dahinstehen, ob nach Erlass des Bescheides vom 10. April 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2006 die
Wirkungen des §
96 SGG eintreten konnten. Nach dieser Bestimmung wird ein Verwaltungsakt Gegenstand eines anhängigen, wenn auch unzulässigen, Verfahrens,
wenn dieser den ursprünglichen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Nach Rechtsprechung und Literatur genügt es, dass Rechtshängigkeit
eingetreten ist. Ob die ursprünglich erhobene Klage zulässig oder unzulässig war, wird nicht für entscheidend gehalten. Im
hier vorliegenden Fall hat der Senat Bedenken, ob §
96 SGG unmittelbar oder mittelbar anzuwenden ist, weil sich die zunächst erhobene Klage nicht gegen einen Verwaltungsakt, der zu
diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen hatte, richten und infolgedessen ein Verwaltungsakt auch nicht abgeändert oder ersetzt
werden konnte. Die Klärung dieser Frage kann jedoch dahinstehen, weil zumindest eine zulässige Klageänderung gem. §
99 Abs.
1 oder Abs.
2 SGG vorliegt. Die Beteiligten haben sich auf den geänderten Klageantrag schriftsätzlich eingelassen.
Streitgegenstand ist damit der Bescheid vom 10. April 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2006. Dieser
erweist sich nach Auffassung des Senats als rechtmäßig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf höheres Pflegegeld als nach der
Stufe II zu keinem Zeitpunkt zu. Maßgebend für diese Beurteilung ist das Gutachten des Dr. H. vom 6. August 2006 mit ergänzender
Stellungnahme vom 20. August 2006. Danach besteht zwar ein erheblicher, auch nächtlicher Hilfebedarf für die täglich wiederkehrenden
Verrichtungen. Der Umfang dieser Hilfe erreicht jedoch nicht den für Pflegestufe III gem. §§ 14,
15 Abs.
1 Nr.
3, Abs.
3 Nr.
3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (
SGB XI) erforderlichen Zeitaufwand. Für Pflegebedürftige der Pflegestufe III bestimmt §
15 Abs.
3 Nr.
3 SGB XI, dass der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson aufzubringen
hat, mindestens fünf Stunden pro Tag im Wochendurchschnitt für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen
Versorgung betragen muss. Auf die Grundpflege müssen dabei vier Stunden entfallen.
Dass die Klägerin pflegebedürftig i.S. von §
14 Abs.
1 SGB XI ist, bedarf keiner Erörterung. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete
Person für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, beträgt jedoch nicht
täglich im Wochendurchschnitt mindestens fünf Stunden, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen. Zugegebenermaßen
ist der Hilfebedarf der Klägerin im Laufe der Zeit angestiegen und hat zumindest ab Juli 2006, seitdem es der Klägerin nicht
mehr möglich ist, zu gehen, einen Umfang erreicht, der der Zeitvorgabe für Stufe III nahe kommt. Er beläuft sich nach dem
Gutachten des Dr. H. auf 225 beziehungsweise 229 Minuten täglich. Die Beobachtungen und Beschreibungen der Hilfebedürftigkeit
der Klägerin durch den Sachverständigen sind gut nachvollziehbar und plausibel. Sie werden von der Klägerin nicht detailliert
angegriffen. Wenn die Klägerin meint, Dr. H. habe keine Feststellungen getroffen, dass ihre Beine gelähmt seien, so übersieht
sie, dass ihr der Sachverständige ab Juli 2006 Gehen und Stehen nicht mehr zumutbar hält. Ob es sich dabei um die Folgen einer
Lähmung oder, wie der Sachverständige ausführt, um das Wegknicken der Knie- und Hüftgelenke handelt, ist für die Beurteilung
des Pflegeumfangs unbedeutend. Entscheidend ist lediglich, dass die Klägerin für alle Verrichtungen des täglichen Lebens fremde
Hilfe benötigt, die Gehen oder Stehen voraussetzen. Insoweit ist nicht maßgebend, ob bei der Klägerin ein Tumor am Rückenmark
aufgetreten ist, wie sie selbst zu diagnostizieren meint. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit und
deren Ausmaß ist der jeweilige Funktionsausfall infolge einer Erkrankung, hier der Verlust der Fähigkeit zum selbstständigen
Gehen und Stehen.
Gleichgewichtsstörungen unklarer Genese mit Sturzgefahr bewertete der Sachverständige als besonderes Risiko. Insoweit hielt
er eine Betreuung bei sämtlichen Verrichtungen im Bereich der Mobilität für notwendig. Der Senat kann nicht erkennen, dass
der Sachverständige den Hilfebedarf unzutreffend ermittelt hätte, zumal die Klägerin keine detaillierten Ausführungen dazu
macht, welche Hilfeleistungen der Sachverständige im Einzelnen übersehen hätte. Der Senat schließt sich der Beurteilung des
Sozialgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid an. Er nimmt im Übrigen auf die Ausführungen des Sozialgerichts gem. §
153 Abs.
2 SGG Bezug, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Er hält die Voraussetzungen
für Leistungen wegen häuslicher Pflege gem. §
37 SGB XI im Umfang der Pflegestufe III für nicht erfüllt.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2006 war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gem. §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.