Besorgnis der Befangenheit gegenüber einem Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Umstand vorliegt, der geeignet wäre, die Besorgnis der Befangenheit gegenüber
dem Sachverständigen Dr. C. zu begründen. Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Kläger in einem Rechtsstreit betreffend die Herabsetzung
der Belastungsgrenze für Zuzahlungen auf ein Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen nach §
62 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Der Bf. ist in diesem Rechtsstreit der Auffassung, aufgrund eines Zustands nach offener Handwurzelfraktur links mit Nerven-
und Gefäßdurchtrennung liege bei ihm eine schwerwiegende chronische Erkrankung vor.
Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat mit Beweisanordnung vom 12.11.2012 den Chirurgen Dr. C. zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung
eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Die Beweisfragen lauteten, ob beim Bf. Krankheiten eine Dauerbehandlung i. S.
d. § 2 Abs. 2 der "Chroniker-Richtlinie" in den Jahren 2010/11 zur Folge gehabt hätten und ob eine der Voraussetzungen nach
§ 2 Abs. 2 lit. c der Richtlinie erfüllt sei, ob also ohne eine kontinuierliche ärztliche Versorgung wegen der dauerbehandelten
Krankheiten eine lebensbedrohliche Verschlimmerung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung
der Lebensqualität zu erwarten gewesen wäre.
Das Gutachten des Sachverständigen Dr. C. vom 23.12.2012 ist am 28.12.2012 beim SG eingegangen. In dem Gutachten ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bf. am 28.09.2009 eine sehr schwere
Verletzung der linken Hand erlitten habe und dass die Behandlung überwiegend mit dem Ziel einer Funktionsverbesserung erfolgt
sei. Inzwischen könne jedoch von einem Dauerzustand ausgegangen werden. Aus handchirurgischer Sicht sei kaum noch eine weitere
Verbesserung zu erwarten. Er sehe auch keinen Sinn in einer dauerhaften Ergotherapie. Eine Verschlechterung der Handfunktion
sei auch ohne Ergotherapie nicht mehr zu erwarten. Es sei deshalb nicht erkennbar, dass der Bf. zur Abwendung einer erheblichen
Minderung der Lebensqualität dauerhaft einer ergotherapeutischen Behandlung bedürfe. Der Sachverständige hat abschließend
betont, er habe "natürlich" keinen Zweifel daran, dass durch die Verletzung selbst beim Bf. eine Minderung der Lebensqualität
in Form der eingeschränkten Gebrauchsqualität der linken oberen Extremität bei einem Linkshänder vorliege. Diese werde aber
nicht mehr verändert - weder im positiven noch im negativen Sinne. Am 28.12.2013 hat die Kammervorsitzende die Weiterleitung
an die Parteien verfügt.
Mit Schriftsatz vom 25.01.2013, eingegangen bei Gericht am selben Tage, hat der Bf. den Sachverständigen Dr. C. wegen Besorgnis
der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat der Bf. ausgeführt, der Sachverständige habe sein substantiiertes Vorbringen
gänzlich unberücksichtigt gelassen. Er habe nämlich mit Schriftsatz vom 19.10.2011 vorgetragen, dass er im Jahr 2010 dauerhaft
auf die Mithilfe anderer Personen bei alltäglichen Dingen, die im Einzelnen benannt wurden, angewiesen gewesen sei. Weiter
habe er vorgetragen, dass er im Jahre 2010 an erheblichen Schmerzen gelitten habe, die sich unter dem Einfluss der Physio-
und Ergotherapie gebessert hätten. Schließlich habe er vorgebracht, dass ohne Physiotherapie das Handgelenk nicht mehr in
ausreichendem Maße durchblutet würde, was zum Abbau von Knochenhaut und Knochen und somit zur Herausbildung sog. "Glasknochen"
führen würde, die leicht brechen könnten, so dass die Hand drohe, bei fehlender Behandlung völlig funktionslos zu werden.
Zum Beleg seiner Auffassung habe er ein Schreiben des Universitätsklinikums B-Stadt vom 04.11.2011 vorgelegt. Der Sachverständige
habe diesen Vortrag komplett unterschlagen. Die Feststellungen des Sachverständigen zum Vorbringen der fortschreitenden Arthrose
seien nur lapidar und zeigten, dass dieser nicht bereit sei, sich mit dem sehr substantiierten Vortrag des Bf. ernsthaft auseinanderzusetzen.
Das SG hat mit Beschluss vom 07.03.2013 Az. S 11 KR 427/11 den Antrag auf Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. C. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Antrag
sei zulässig, weil er innerhalb der vom Gericht zur Äußerung zu dem Gutachten gesetzten Frist von drei Wochen eingegangen
sei. Der Antrag sei jedoch nicht begründet. Tatsächlich habe der ärztliche Sachverständige das Vorbringen des Klägers durchaus
berücksichtigt.
Gegen diesen am 14.03.2013 dem Bf. zugestellten Beschluss hat dieser mit beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am 15.04.2013
- einem Montag - eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt.
Zur Begründung seiner Beschwerde wiederholt der Bf. im Wesentlichen die Argumente, mit denen er den Ablehnungsantrag begründet
hat. Ergänzend bringt er vor, zwar behaupte das SG in dem angefochtenen Beschluss das Gegenteil, jedoch könne das Gericht eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Vorbringen
des Bf. nicht aufzeigen. Die lapidare Behauptung des Sachverständigen, inzwischen könne "sicherlich" von einem Dauerzustand
ausgegangen werden, stelle aus fachlicher Sicht glatten Unsinn dar, weil bereits eine fortschreitende Arthrose zu erkennen
und das Universitätsklinikum sogar eine Versteifung des Handgelenks angeraten habe, zu deren Vermeidung die Physiotherapie
erforderlich sei. Die gänzliche Unberücksichtigung des substantiierten Vortrags einer Partei sei als Grund der Besorgnis der
Befangenheit anerkannt.
Das LSG hat hierzu die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. C. eingeholt, der am 23.07.2013 mitgeteilt hat, er halte an
seiner Auffassung fest, dass der Bf. unter einer fortgeschrittenen Arthrose des Handgelenks leide, deren Zustand sich durch
eine ergotherapeutische Behandlung nicht beeinflussen lasse. Als einzige Therapieform stehe die Teil- oder Komplettversteifung
zur Verfügung.
Der Bf. schließt aus dieser Stellungnahme, dass der Sachverständige selbst eingeräumt habe, dass er den Aspekt der Gefahr
eines Fortschreitens der Handgelenksarthrose zuvor ignoriert habe. Weiterhin seien die Ausführungen des Sachverständigen in
inhaltlicher Hinsicht viel zu dürftig. Außerdem habe er Ergo- mit Physiotherapie verwechselt.
Der Bf. beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Würzburg vom 07.03.2013 den gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. C.
wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Die Beschwerdegegnerin (Bg.) beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
II.
Zu Recht hat das SG den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. C. abgelehnt. Dieser Antrag ist aus den vom SG bezeichneten Gründen zulässig, aber unbegründet, da ein Ablehnungsgrund weder glaubhaft noch plausibel dargelegt ist.
Nach §§
406 Abs.
1 Satz 1,
42 Abs.
1 und
2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit bzw. Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt,
muss bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt der Partei aus vorliegen. Rein subjektive Vorstellungen
und Gedankengänge des Antragstellers scheiden aus (Thomas/Putzo,
ZPO, 30. Aufl., §
42 Rdnr. 9).
Grundsätzlich ist dem Bf. in seiner Rechtsauffassung, dass ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit auch darin liegen kann,
dass dieser substantiierten Vortrag einer Partei gänzlich unberücksichtigt lässt, zuzustimmen (siehe OLG Bamberg, Beschluss
vom 22.03.1993, MedR 1993, 351, Greger, in: Zöller,
ZPO, 28. A. 2010, §
406 Rdnr. 8). Der Sachverständige ist zwar nicht gehalten, in seinem Gutachten auf sämtliche Argumente der Parteien zu den aufgeworfenen
Beweisfragen einzugehen. Er muss jedoch zeigen, dass er sich mit diesen konkret auseinandergesetzt hat, und jedenfalls zu
den streitigen Fragen auch nachvollziehbar darlegen, warum er dem Vorbringen einer Partei nicht folgt oder dieses für bedeutungslos
hält (OLG Bamberg, aaO., S. 352).
Unter Zugrundlegung dieses Maßstabs liegt kein Grund vor, der geeignet wäre, die Besorgnis der Befangenheit gegen den Sachverständigen
Dr. C. zu begründen. Denn der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten vom 23.12.2012 sehr wohl mit dem Argument des Bf.,
dass ohne Ergo- oder Physiotherapie eine weitere Verschlimmerung seines Zustands drohe, auseinandergesetzt. Er hat auf den
Seiten 9 und 10 dieses Gutachtens unmissverständlich dargelegt, dass seines Erachtens eine Verschlechterung der Handfunktion
auch ohne die Therapie nicht zu erwarten sei. Damit hat er sich in der Sache mit dem Argument auseinandergesetzt, auch wenn
er das entsprechende Argument in der Sachverhaltsdarstellung nicht wörtlich zitiert hat. Dass er nur von Ergo- und nicht von
Physiotherapie sprach, stellt eine Ungenauigkeit dar, die für sich genommen nicht die Besorgnis der Befangenheit begründet.
Ob die Feststellungen des Sachverständigen zu lapidar waren oder angesichts der vom Bf. vorgelegten ärztlichen Atteste noch
besser zu begründen gewesen wären, stellt eine Frage der inhaltlichen Qualität des Gutachtens dar, die bei der verfahrensabschließenden
Entscheidung vom zuständigen Gericht zu würden ist, aber keinen Grund, der geeignet wäre, die Besorgnis der Befangenheit des
Sachverständigen zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.