Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 23. August 2006 eine Verletztenrente nach einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 v.H. zu gewähren ist.
Der 1975 geborene Kläger war als Lagerarbeiter tätig. Am 23. August 2066 verdrehte er sich beim Befahren einer Überladebrücke
mit einer sog. Ameise den rechten Lenkarm. Nach dem Durchgangsarztbericht des Dr. M. vom 25. August 2006 erlitt er dadurch
eine MC-V-Fraktur der rechten Mittelhand. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) vom 27. Oktober 2006 bestätigte einen Zustand
nach subcapitaler Fraktur des fünften Mittelhandknochens mit Achsenabweichung nach volar und radial. Die Fraktur verheilte
in Fehlstellung. Es folgte eine stationäre Behandlung vom 29. November bis 2. Dezember 2006 im Unfallkrankenhaus B ...
Am 6. Februar 2007 zog sich der Kläger - unfallfremd - eine Clavidulafraktur rechts zu mit dadurch bedingter stationärer Behandlung
vom 6. bis 9. Februar 2007.
Der Durchgangsarzt Dr. M. bescheinigte am 19. April 2007 eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 5. Februar 2007; die MdE
sei mit unter 10 v.H. festzulegen. Nach dem neurologischen Befundbericht des Unfallkrankenhauses B. vom 13. August 2007 ist
eine unfallabhängige Schädigung des Nervus ulnaris im Sulcusverlauf nicht herzuleiten.
Am 4. August 2009 reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Untätigkeitsklage, gerichtet auf Verbescheidung des
"Widerspruchs vom 5. September 2007", beim Sozialgericht Regensburg (Az.: S 5 U 201/09) ein. Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Dr. H. vom 22. Januar 2010 ein, der als wesentliche Unfallfolgen eine
Bewegungseinschränkung des 5. und 4. Fingers rechts nach Metacarpale-V-Fraktur, osteosynthetisch versorgt, mäßiggradige arthrotische
Veränderungen im Metacarpophalangealgelenk rechts sowie einen Rotationsfehler des 5. Fingers rechts feststellte. Die MdE sei
auf 10 v.H. festzulegen.
Mit Bescheid vom 16. März 2010 erkannte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls am 23. August 2006 mit Fraktur des
5. Mittelhandknochens rechts sowie eine unfallbedingte Arbeits- und Behandlungsbedürftigkeit bis 5. Februar 2007 an. Weitere
Leistungen, insbesondere auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und auf eine Verletztenrente, lehnte sie ab. Unfallunabhängig
lägen ein Zustand nach äußerer Schlüsselbeinmehrfragmentfraktur rechts mit Schulterhochstand rechts und deutlicher Minderung
der Schulterkappenmuskulatur sowie ein Zustand nach Sulcus-ulnaris-Syndrom rechts, mit Missempfindungen im Bereich des 4.
und 5. Fingers rechts, vor. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2010 zurück. Die Untätigkeitsklage
erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 19. April 2010 für erledigt.
Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Regensburg erhoben. Das Sozialgericht hat u.a. ein handchirurgisches Gutachten
der Dr. W. vom 21. Oktober 2010 eingeholt. Die derzeitigen Beschwerden beruhten hauptsächlich auf Sensibilitätsstörungen des
Ring- und Kleinfingers rechts und auf deren Bewegungseinschränkung. Als Unfallfolgen seien ein Zustand nach Fraktur des 5.
Mittelhandknochens bei Zustand nach alter Fraktur (2005) mit palmarer Achsknickung verheilt, ein Zustand nach Osteosynthese
der Fraktur und Fixierung sowie einer eingezogener Längsnarbe an der ulnaren Handkante festzustellen. Die MdE betrage unter
10 v.H.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist dabei weitgehend der gerichtlichen
Sachverständigen Dr. W. gefolgt.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, das Sozialgericht sei seiner Aufklärungspflicht
nicht genügend nachgekommen. Dem Vorbehalt der Schwerhörigkeit der Gutachterin sei die Kammer nicht nachgegangen. Es bestünden
erhebliche Unterschiede zwischen dem Gutachten des Dr. H. und der Dr. W ... Es läge eine vollständige Funktionsbeeinträchtigung
von D 4 und D 5 vor, die allein zu einer MdE von 20 v.H. (10 v.H. + 10 v.H.) führe.
Die Beklagte hat sich auf das Gutachten der Dr. W. bezogen. Ein Stützrententatbestand sei nicht bekannt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Einholung eines Gutachtens nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Dr. B. beantragt und im Anschluss die Prozessvertretung niedergelegt. Der geforderte Kostenvorschuss an die Staatskasse
wurde nicht gezahlt, so dass die Einholung des Gutachtens unterblieben ist.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 27. Januar 2011 und unter Abänderung
des Bescheides vom 16. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 zu verurteilen, ihm aufgrund des
Arbeitsunfalls vom 23. August 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß §
136 Abs.
2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§
143,
151 SGG), aber unbegründet.
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit
der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§
110,
126,
132 SGG).
Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§
7 Abs.
1,
8 Abs.
1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VII), der in dem Ereignis vom 23. August 2006 zu sehen ist. Zu entscheiden ist jedoch über die Frage, ob sich hieraus ein Anspruch
auf eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. ergibt.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus
um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, §
56 Abs.
1 S. 1
SGB VII. Die MdE richtet sich gemäß §
56 Abs.
2 S. 1
SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit
des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; vom 26.11.1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; vom 30.05.1988, aaO., Nr. 28). Maßgeblich ist aber nicht die konkrete Beeinträchtigung
im Beruf des Versicherten, sondern eine abstrakte Berechnung (vgl. Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 Rdnr.
10.1).
Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung
stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen
beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der
Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber
sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender
Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche
Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar
war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte,
sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte.
Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt
vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden
Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht
gemäß §
128 Abs.
1 S. 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 25/05 R; BSG vom 02.05.2001, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 26).
Sowohl der medizinische Sachverständige Dr. H. als auch Dr. W. kamen zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Gewährung
einer Verletztenrente - eine MdE von mindestens 20 v.H. - nicht gegeben sind. Gemäß §
153 Abs.
2 SGG wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen. Das Sozialgericht stützt sich insbesondere
auf das Gutachten der Dr. W ... Das Gutachten ist sowohl in der Befunderhebung und Diagnosestellung wie in der Bewertung der
Minderung der Erwerbsfähigkeit gründlich und überzeugend. Es beruht auf einer ambulanten Untersuchung vom 15. Oktober 2010
und würdigt die vorliegenden Befunde sowie den medizinischen Inhalt der Akten. Für die im Berufungsverfahren erneut vorgebrachte
Einwendung des Klägers, die Gutachterin habe ihm nicht richtig zugehört und sei schwerhörig, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
Insbesondere enthält das Gutachten auch eine persönliche Anamnese.
Soweit der Kläger ferner im Rahmen der Berufungsbegründung auf das Gutachten des Dr. H. verweist, gelangte auch dieser zu
einer MdE von lediglich 10 v.H. Auch Dr. H. hat darauf hingewiesen, dass mit beiden Händen differenzierte Greifarten durchgeführt
werden können und auch ein Spitzgriff möglich ist, allerdings rechts unter deutlich verminderter Kraft. Dr. W. hat dargelegt,
dass eine Ulnarisschädigung bzw. ein Sulcus-ulnaris-Syndrom nicht in kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht, sondern
mit Wahrscheinlichkeit auf einen späteren Unfall zurückzuführen ist. Die Sachverständigte sieht in einem Unfallereignis vom
19. Dezember 2006 die Ursache für die jetzigen Gesundheitsstörungen der rechten Hand im Sinne einer sensiblen und motorischen
Teilparese des Nervus ulnaris. Entgegen der Annahme des Klägers bestätigt sich damit eine vollständige Funktionsbeeinträchtigung
von D 4 und D 5 nicht, so dass die MdE auf unter 20 v.H. zu bewerten ist.
Schließlich ergibt sich für eine Bewegungseinschränkung des 4. und 5. Fingers - insbesondere in der Beugung und An- und Abspreizung
- auch nach der einschlägigen Fachliteratur keine MdE von mind. 20 v.H. Eine MdE von 20 v.H. wäre z.B. bei einem vollständigen
Verlust von Ringfinger und kleinem Finger anzuerkennen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
8. Aufl., S. 566).
Da ein Stützrententatbestand nicht ersichtlich ist, kann der Senat offen lassen, ob dem Gutachten des Dr. H. (MdE von 10 v.H.)
oder der Dr. W. (MdE unter 10 v.H.) zu folgen ist.
Der medizinische Sachverhalt ist durch die beiden vorliegenden Gutachten umfassend aufgeklärt. Ein Gutachten nach §
109 SGG durch Dr. B. ist nicht einzuholen, da der Kostenvorschuss - wie auch angekündigt - nicht eingezahlt wurde. Der Senat hält
es aufgrund der insoweit im Wesentlichen übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen für angezeigt, die Gutachteneinholung
von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen (vgl. auch BSG NZS 1998, 302). Die Einholung des Gutachtens unterbleibt bei Nichtzahlung des Kostenvorschusses innerhalb der gesetzten angemessenen Frist
(vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
109 Rdnr. 14 c).
Die Kostenfolge stützt sich auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.