Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Heilbehandlung und Verletztengeld ab 1. August 2004.
Der 1963 geborene Kläger wurde am 14. April 2004 als Autofahrer von einem anderen Fahrzeug von rechts angefahren. Der Orthopäde
Dr. M. diagnostizierte am 15. April 2004 ein HWS-Beschleunigungstrauma und HWS-Steilstellung. Der Kläger berichtete ihm, er
habe nach dem Unfall weitergearbeitet. Dr. M. stellte eine starke Verspannung, leicht eingeschränkte Beweglichkeit, unauffällige
Durchblutung, Sensibilität und Motorik fest. Ein Kernspintomogramm vom 16. April 2004 zeigte eine Fehlhaltung der Halswirbelsäule
mit Kyphosierung, eine geringe Protrusion bei HWK5/6, keinen Hinweis auf einen Kontusionsschaden und keine Subluxation. Am
5. August 2004 gab der Kläger an, seine Beschwerden seien weiter rückläufig. Dr. M. erklärte den Kläger für arbeitsfähig.
Am 9. September 2004 klagte der Kläger über zunehmende Schmerzen.
Der beratende Arzt der Beklagten, der Chirurg Dr. B., erklärte in der Stellungnahme vom 22. Oktober 2004, die Kernspintomographie
habe keine frischen Verletzungszeichen ergeben, wohl aber eine beginnende Degeneration der Bandscheibe im Segment C5/C6. Unfallbedingte
Behandlung sei längstens bis Ende Juli 2004 erforderlich gewesen. Die über den 1. August 2004 hinausgehend geklagten Beschwerden
stünden nicht in Unfallzusammenhang.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von weiteren Maßnahmen der Heilbehandlung und Verletztengeld
aus Anlass des Unfalles mit Wirkung für die Zukunft ab. Die ab Unfalltag bis zur Erteilung des Bescheides zuviel gezahlten
Kosten seien nicht zurückzuerstatten.
Der Kläger legte Widerspruch ein und übersandte ein Schreiben des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 21. Oktober
2004: nach anfänglicher Beschwerdefreiheit habe der Kläger am Abend des Unfalltages heftige Nacken- und Schulterschmerzen
gehabt und deshalb am nächsten Tag Dr. M. aufgesucht. Es scheine ein organisches Psychosyndrom zu bestehen mit Reaktionseinschränkung
und Verlangsamung, außerdem Verspannungen mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule. Unfallfolgen seien eine traumatische
Discopathie mit Schädigung der 7. Cervicalwurzel sowie in Höhe HWK 5/6 und 6/7, eine vertebragene Basilarisinsuffizienz und
ein leichtes organisches Psychosyndrom. Dr. M. bezog sich auf ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des Radiologen Dr. V. vom
1. Oktober 2004 mit den Diagnosen: Zustand nach Kopf-Hals-Achsentrauma, weiterhin Discopathie der Segmente HWK 2/3 bis HWK
6/7 mit Bandscheibenprotrusion bei HWK 4/5 und 5/6 mit möglicher Beeinträchtigung der Facettgelenke im Rahmen einer posttraumatischen
Disharmonie. Im Schreiben vom 21. Dezember 2004 erklärte Dr. M. auf Einwendungen der Beklagten, Schleuderverletzungen der
Halswirbelsäule könnten zu starken Gefügeänderungen vor allem im Bereich des zweiten und dritten Halswirbels, insbesondere
auch im Bereich der Kopfgelenksbänder führen. Diese seien nur mit einer speziellen Untersuchungstechnik, wie sie Dr. V. durchführe,
festzustellen. In einem weiteren MRT stellte Dr. V. Instabilitäten im Kopf-Gelenkverband fest.
Beigezogen wurde ein im zivilgerichtlichen Schadenersatzverfahren eingeholtes Gutachten des Diplom-Ingenieurs Dr. B., in dem
ausgeführt wurde, aus biomechanischer Sicht sei der Verkehrsunfall nicht geeignet gewesen, die vom Kläger geltend gemachte
Beschwerdesymptomatik in einen beweissicheren Kausalzusammenhang zum Verkehrsunfall zu bringen. Dabei seien sämtliche ungünstigen
Grundprämissen für den Kläger, wie etwa eine schlecht justierte Sitzposition, eine schwächliche Gesamtkonstitution und eine
möglicherweise bereits deutliche Degenerierung an der Halswirbelsäule angesetzt und deshalb die für einen normal konstituierten
Fahrzeuginsassen relevante Toleranzgrenze reduziert worden.
Der Unfallchirurg Dr. E. führte im Gutachten vom 17. März 2006 aus, die vom Kläger geschilderte Kopfhaltung habe nicht zu
einer Rückenmarkskompression führen können, dies zeigten auch die Bilder von Dr. V ... Festzustellen sei ein degenerativer
Vorschaden der Halswirbelsäule. Auch die Bandscheibenvorwölbung zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper sei als degenerativ
einzuschätzen, da in der Kernspintomographie vom 16. April 2004 keine Zeichen einer frischen Verletzung von Knochen und Weichteilen
nachzuweisen seien. In Anbetracht des Vorschadens sei von einem protrahierten Heilungsverlauf auszugehen. Insofern sei zu
Recht Behandlungsbedürftigkeit bis 31. Juli 2004 festgestellt worden. Arbeitsunfähigkeit habe nie bestanden. Eine richtungweisende
Verschlimmerung der Vorschäden sei nicht nachweisbar.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2006 zurück.
Zur Begründung der Klage übersandte der Kläger ein Attest des Dr. M. vom 2. Februar 2005, der darauf hinwies, die in den Kernspintomographien
festzustellende Instabilität der Halswirbelsäule sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen
und erkläre die Beschwerden.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. K. führte im Gutachten vom 12. November 2006
aus, der Kläger habe am 14. April 2004 eine inzwischen folgenlos verheilte Zerrung der Halswirbelsäule erlitten. Zu berücksichtigen
sei, dass der Kläger vom Zusammenprall nicht überrascht worden sei, sondern versucht habe, dem Anprall auszuweichen; von einer
Abwehrspannung der HWS- Muskulatur sei daher auszugehen. Der Unfallmechanismus sei nicht geeignet gewesen, eine höhergradige
Verletzung der Halswirbelsäule auszulösen. Eindeutig gegen einen unfallbedingten Schaden, insbesondere an der oberen Halswirbelsäule,
spreche der Erstbefund. Wenn eine relevante Kapsel-Bandverletzung vorgelegen hätte, wäre es zu einer sofort eintretenden Beschwerdesymptomatik
gekommen. Die ersten Schmerzen seien aber nach einem beschwerdefreien Intervall von acht bis zehn Stunden aufgetreten. Die
von Dr. V. attestierte Schwächung der Flügelbänder links korreliere nicht mit dem Unfallmechanismus, da der Anprall von vorne
rechts nur zu einer Verschiebung des Kopfes nach rechts mit möglicher Dehnung der Flügelbänder rechts habe führen können.
Die Schwächung der Flügelbänder links sei daher entweder anlagebedingt oder im Zusammenhang mit einer vordiagnostizierten
Rheuma-Erkrankung zu sehen, denn bei rheumatischen Veränderungen komme es auch zu Schäden an Kapsel-Band-Strukturen und zu
Instabilitäten. Mit einer Ausheilung der durch den Unfall verursachten HWS-Distorsion Grad I nach Erdmann nach drei Monaten
sei zu rechnen. Die darüber hinausgehenden Beschwerden könnten nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis gewertet werden.
Der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Anästhesist Dr. G. erklärte im Gutachten vom 15. Februar 2008 (nach ambulanter
Untersuchung des Klägers am 18. April 2007), mögliche Gründe der Beschwerdepersistenz seien in der Irritation von Rezeptoren
im Bereich der Kopfgelenke, der Irritation der Wurzeln C2, der Irritation der Arteria vertebralis, des Hirnstamms, einer bleibenden
Instabilität der Kopfgelenke sowie unerkannt gebliebener Schädigungen zu vermuten. Ein Beweis sei nicht möglich. Empirisch
sei das Auftreten eines solchen Syndroms bei ca. 8 bis 10% der Patienten beschrieben. Arbeitsunfähigkeit sei für bis zu vier
Wochen zu attestieren, danach sollte eine stufenweise Wiedereingliederung versucht werden. Die Verschlechterung der Beschwerden
ab August 2004 und ihr Anhalten bis zum heutigen Tag zeige eindeutig eine verlängerte Heilbehandlungsbedürftigkeit über den
29. Oktober 2004 hinaus, nämlich bis Ende 2006.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 5. Juni 2008 erklärte Dr. K., unstrittig sei, dass der Kläger weiterhin unter Beschwerden
an der Halswirbelsäule leide. Der Erkrankungsverlauf mit intermittierender Beschwerdebesserung müsse als eindeutiges Indiz
gegen einen ursächlichen Zusammenhang interpretiert werden. Die allgemeinen Ausführungen zur Entstehung von HWS-Beschwerden
seien richtig, könnten allerdings nicht als Argument für einen Traumazusammenhang gewertet werden. Konkurrierende Beschwerdeursachen
würden nicht diskutiert. Die Feststellung eines Primärschadens stelle die wesentliche Voraussetzung bei der Anerkennung von
Unfallfolgen dar. Ein solcher für die anhaltenden Beschwerden verantwortlicher Primärschaden habe bislang nicht diagnostiziert
werden können.
Im Kernspintomogramm vom 19. Januar 2007 stellte der Radiologe Dr. B. eine Haltungsstörung im Bereich der Halswirbelsäule,
Bandscheibendegeneration Grad I bis II bei C5/C6 mit einer sehr flachen Protrusion und Zeichen einer geringgradigen Instabilität
bei C5/C6 fest.
Dr. G. erklärte in der ergänzenden Stellungnahme vom 15. Juli 2008, ein Zusammenhang zwischen der Bandscheibenveränderung
bei HWK 5/6 und HWK 6/7 und dem Trauma könne nicht zwingend hergestellt werden. Die degenerativen Veränderungen an den Wirbelkörpern
stünden nicht in Zusammenhang mit dem Trauma. Eine primäre Traumafolge sei mit Sicherheit in der Fehlhaltung der Halswirbelsäule
mit flachbogiger Kyphosierung (Steilstellung) zu sehen. Dadurch sei es zu vegetativen Symptomen, vermehrter Schmerzhaftigkeit
mit sekundären Folgen gekommen. Die Behandlungsbedürftigkeit sei zu früh verneint worden. Dies habe zu den anhaltenden chronifizierten
Beschwerden geführt.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 25. September 2008 führte Dr. K. aus, eine Fehlhaltung der Halswirbelsäule mit Steilstellung
könne durch die Aufforderung des Röntgenpersonals, sich gerade hinzusetzen, provoziert werden. Ein sicherer Unfallzusammenhang
könne daher nicht angenommen werden. Die Steilstellung sei lediglich ein Indiz einer Muskelanspannung, ob diese unfallabhängig
sei, müsse offen bleiben. Unter der Annahme, dass es bei dem Unfall tatsächlich zu einer, nicht belegbaren, Zerrung der HWS-
Muskulatur gekommen sei, bleibe ein Zusammenhang damit angenommener Sekundärschäden sehr spekulativ. Konkurrierende unfallunabhängige
Schäden an der Halswirbelsäule seien von Dr. G. nicht berücksichtigt.
Dr. G. erklärte in der Stellungnahme vom 18. November 2008, er stimme Dr. K. zu, dass ein sicherer Unfallzusammenhang nicht
angenommen werden könne. Die Steilstellung sei als Indiz, bzw. als Sekundärveränderung aufgrund der traumabedingten erhöhten
Empfindlichkeit neurogener Strukturen anzusehen. Die nachfolgende Chronifizierung der hypermyalgischen HWS-Muskulatur mit
vegetativer Begleitsymptomatik stelle eine statistisch signifikante Erscheinung dar, teilweise würden 30 bis 40% chronischer
Verläufe nach traumatischer HWS-Verletzung beschrieben. Der Beweis der Ursächlichkeit des Traumas dürfte schwer zu erbringen
sein, für einen Zusammenhang spreche die hohe Zahl der chronischen Verläufe.
Mit Urteil vom 27. Januar 2009 wies das Sozialgericht München die Klage ab. Es stützte sich dabei im Wesentlichen auf die
Ausführungen von Dr. K ... Empirisch ermittelte 8 bis 10% stellten keine - in der gesetzlichen Unfallversicherung geforderte
- hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Unfallzusammenhangs dar.
Mit der Berufung wendet der Kläger ein, er habe am 14. April 2004 ein Halswirbelsäulenschleudertrauma Grad I erlitten. Das
Sozialgericht habe es versäumt, hinsichtlich des Umfangs der Beschädigungen der beteiligten Fahrzeuge und der kollisionbedingten
Geschwindigkeitsänderung ein Sachverständigengutachten einzuholen und durch ein biomechanisches Gutachten zu klären, ob der
Unfall geeignet gewesen sei, eine HWS- Distorsion hervorzurufen, die eine Leistungsgewährung über den 31. Juli 2004 in Betracht
kommen lasse. Es treffe nicht zu, dass nach einer HWS-Distorsion Grad I mit einer Ausheilung nach drei Monaten regelmäßig
zu rechnen sei. Es gebe auch Fälle, die nur einen bedingt komplikationslosen Heilungsverlauf zuließen. Dies könne auch eine
Discopathie nach sich ziehen, die zu lang anhaltenden Beschwerden führe.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Januar 2009 sowie den Bescheid vom 28. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. Mai 2006 aufzuheben und festzustellen, ihm Leistungen aufgrund der festgestellten Erkrankungen an der Halswirbelsäule,
insbesondere Heilbehandlungen über den 31. Juli 2004 hinaus, zu gewähren sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Ergänzend wird noch darauf hingewiesen, dass auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keiner anderen Beurteilung
der Sach- und Rechtslage führen konnte. Abgesehen davon, dass im biomechanischen Gutachten des Dr. B. ausdrücklich ausgeführt
wurde, der Unfall sei nicht geeignet gewesen, die Beschwerdesymptomatik zu verursachen, sprechen die von Dr. M. am 15. April
2004 erhobenen Befunde ebenso wie das Kernspintomogramm vom 16. April 2004 gegen einen unfallbedingten Schaden, insbesondere
an der oberen Halswirbelsäule und dem Kopfdrehgelenk. Hätte hier eine relevante Kapsel-Bandverletzung vorgelegen, hätte mit
einer sofort eintretenden Kopfdrehgelenksinstabilität mit entsprechenden Blockierungen oder Schonhaltungen, gerechnet werden
müssen. Derartige Befunde konnte Dr. M. aber nicht erheben, auch die Kernspintomographie zeigte keinen Nachweis einer frischen
knöchernen oder ligamentären Verletzung. Die trapezförmige Deformierung des 6. Halswirbelkörpers ist eindeutig als vorbestehend
zu werten, wie Dr. K. erläutert. Die Hauptanprallrichtung bei dem Unfall erfolgte von vorne rechts, so dass mit einer hypothetischen
Seitneigung bzw. Translation des Kopfes nach vorne rechts, mit möglicher Dehnung der Flügelbänder rechts zu rechnen gewesen
wäre; stattdessen stellte Dr. V. eine Instabilität der linksseitigen Bänder fest, die also keine Unfallfolge sein kann. Diese
Instabilität ist als anlagebedingt oder im Zusammenhang mit einer Rheuma-Erkrankung, die der behandelnde Arzt Dr. B. erwähnt
hat, zu sehen. Bei rheumatischen Veränderungen kommt es im Erkrankungsverlauf zu Schäden an Kapsel-Band-Strukturen und zu
konsekutiven Instabilitäten des Kopfdrehgelenks.
Die Einholung eines weiteren biomechanischen Gutachtens ist zur Überzeugung des Senats nicht erforderlich, da zum einen ein
derartiges Gutachten, eingeholt im Zivilrechtsstreit des Klägers, bereits vorliegt, zum anderen nicht die Frage der Geeignetheit
des Unfallhergangs von entscheidender Bedeutung ist, sondern die nach dem Unfall festgestellten Gesundheitsstörungen. Dabei
ist zwar nicht zu bestreiten, dass es auch beim Vorliegen einer Halswirbelsäulendistorsion Grad I zu einem verzögerten Heilungsverlauf,
möglicherweise auch zu einer Discopathie kommen kann. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs der vom Kläger
angegebenen Beschwerden bzw. der Discopathie mit dem Unfall ist aber nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. B. und Dr.
E., deren im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie von Dr. K.
nicht gegeben.