Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung von psychischen Gesundheitsschäden als Folgen eines von der Beklagten anerkannten
Arbeitsunfalls des Klägers vom 29.10.2000.
Der 1971 geborene Kläger war nach Ausbildung zum Lokführer im Jahr 1993 anschließend als solcher im Streckendienst bei der
Deutschen Bahn AG abhängig beschäftigt. Ab Juni 2003 wurde er vom Bahnarzt nicht mehr für diese Tätigkeit zugelassen. Seit
Februar 2005 bezieht er volle Erwerbsminderungsrente.
Am Sonntag, dem 29.10.2000, gegen 21.00 Uhr steuerte der Kläger als Lokführer einen Regionalexpress in Richtung P. und bemerkte
beim planmäßigen Halt in O. starke Rauchentwicklung im Führerstand. Er stieg aus, verständigte den Fahrdienstleiter, rangierte
den Zug bei geöffnetem Fenster für etwa 15-20 Minuten, um die Strecke zu räumen, verließ den Zug und stellte die Arbeit ein.
Der Durchgangsarzt Dr. S., den der Kläger am 30.10.2000 gegen 11.00 Uhr aufsuchte, diagnostizierte einen Zustand nach Exposition
von Schwelbrandgasen. Beschwerden wurden laut Bericht des Durchgangsarztes nicht vom Kläger geschildert. Die Lunge zeigte
sich auskultatorisch gleichseitig belüftet. Dr. S., der keine Behandlungsbedürftigkeit sah, bescheinigte Arbeitsunfähigkeit
nur bis 30.10.2000.
Mit Schreiben vom 27.08.2007 an die Beklagte führte der Kläger aus, dass er im Fahrbetrieb als Lokführer seit ca. 2003/2004
schwer psychiatrisch erkrankt sei und seit Februar 2005 eine volle Erwerbsminderungsrente beziehe. Er machte einen Anspruch
auf eine Unfallrente geltend und wies auf die allgemeine Belastung als Lokführer hin. Er habe persönlich einige traumatische
Erlebnisse erfahren. Er nannte Beinahekollisionen (an einem nicht technisch gesicherten Bahnübergang, mit schweren Lastkraftwägen,
das beinahe Überfahren eines kleinen Kindes), eine schwere Entgleisung im Rangierdienst, den Aufenthalt von Personen im Gleisbereich
und eine toxische Rauchentwicklung im Führerstand durch eine defekte Gebläseheizung. Auf Nachfrage der Beklagten gab er an,
er habe am 29.10.2000 knapp 2 Stunden toxischen Rauch eingeatmet bzw. sehr spät erkannt, dass sich Rauch im Führerraum befunden
habe. Dadurch habe er bei der Rückfahrt einen Nervenzusammenbruch erlitten. Hinsichtlich der Schilderung weiterer Ereignisse
(u.a. das Auffinden einer leblosen Person im Gleisbereich, Bedrohung durch gewalttätige Personen im Zug, das Auffinden einer
bewusstlosen Person im Zug, Wurf eines Gegenstandes von einer Brücke auf seinen Zug) wird auf das Antwortschreiben des Klägers
zur Anfrage der Beklagten vom 21.07.2008 Bezug genommen. Der Kläger gab an, dass er durch diese Ereignisse eine depressive
Verstimmung und zunehmende Angstzustände bekommen habe; er leide an Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen und Angstzuständen.
Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der Bahn-BKK und der BKK-Mobil und ärztliche Unterlagen bei, u.a. einen Abschlussbericht
der Privat-Nervenklinik Dr. R./Dr. Sch. in Ulm vom 29.03.2004 über den Aufenthalt des Klägers vom 09.12.2003 bis 05.03.2004
und vom 10.03. bis 19.03.2004, einen Rehabilitationsentlassungsbericht der D. Klinik E. - Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie
- über den Aufenthalt des Klägers vom 05.10.2004 bis 22.10.2004, einen Arztbrief des Bezirkskrankenhauses H. über den Aufenthalt
des Klägers vom 27.10.2004 bis 27.05.2005, nervenärztliche Gutachten von Dr. G. vom 02.09.2005 und vom 23.08.2007 für den
Rentenversicherungsträger (Deutsche Rentenversicherung - DRV - Knappschaft Bahn See) und Befundberichte der Psychiaterin und
Psychotherapeutin Frau H. vom 07.07.2005 sowie vom 19.07.2007 für den Rentenversicherungsträger. Ferner holte die Beklagte
einen weiteren Befundbericht von Frau H. ein, den diese mit Datum vom 16.09.2008 erstellte. Auf den Inhalt dieser Unterlagen
wird hiermit Bezug genommen.
Die den Kläger seit August 2004 behandelnde Psychiaterin und Psychotherapeutin Frau H. nannte in ihren Befundberichten als
Diagnose eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie nach ICD F 20.0. Beim Kläger bestünden paranoide Ideen und akustische
Halluzinationen, die emotionale Schwingungsfähigkeit fehle, es bestehe eine Antriebsschwäche; Konzentration und Aufmerksamkeit
seien schwer eingeschränkt. Auch in den weiteren beigezogenen ärztlichen Unterlagen wird als Diagnose eine paranoide Schizophrenie
bzw. eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, zum Teil mit ängstlich antriebsgemindertem Syndrom, genannt.
Im Befundbericht vom 16.09.2008 führte Frau H. u.a. aus, dass der Kläger seine Psychose, wie er erstmals in einem Gespräch
am 26.08.2008 berichtete, auf diverse Unfallereignisse in seinem Berufsleben zurückführe. Die Ärztin sah dies als Verarbeitungsmechanismus,
mit einer so schwerwiegenden Erkrankung wie einer paranoiden Psychose klar zu kommen und seine Integrität wahren zu können.
Der Kläger selber habe auf ihre Nachfrage angegeben, dass er zuvor nicht von den Versicherungen zur Ursache befragt worden
sei.
Laut Abschlussbericht der Klinik Dr. R. vom 29.03.2004 hatte der Kläger geschildert, dass seine Probleme plötzlich im Juni
2003 bei einer Hochzeitsfeier begonnen hätten. Er hätte gemeint, dass ihm jemand etwas in den Saft getan habe; er sei in einem
Trance-Zustand gewesen und habe einen Schwächeanfall gehabt. Der Kläger schilderte optische und akustische Halluzinationen,
Coenästhesien, Störungen des Ich-Erlebens, innerliche Unruhe, starke Furcht, Verfolgungs- und Beobachtungsgefühle, Konzentrationsschwierigkeiten,
plötzliche "Sprachlosigkeit" in Gesellschaft und ständiges Grübeln. Er schlafe schlecht ein, wache nachts öfter auf und habe
beängstigende Träume. Während seines Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus H. vom 27.10.2004 bis 27.05.2005 gab der Kläger an,
er fürchte sich vor vielen Menschen und deren Betriebsamkeit. Deshalb habe er sich zunehmend in seine Wohnung zurückgezogen.
Es sei ihm schwergefallen, zu akzeptieren, dass er wohl den Beruf eines Lokführers nicht mehr ausüben könne.
Weitere Unfallereignisse außer dem Ereignis vom 29.10.2000 waren laut Personalakte bzw. den Akten der Beklagten nicht bekannt.
Insbesondere lagen der Deutschen Bahn nach deren Auskunft vom 02.12.2008 keine Unterlagen darüber vor, dass am 03.01.2000
ein von einer Brücke heruntergeworfener Gegenstand einen vom Kläger geführten Zug beschädigt hätte.
Der Neurologe und Psychiater Dr. B. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.12.2008 aus, dass der Kläger
seit 2003 unter einer schizophrenen Psychose leide, die eine anlagemäßige Erkrankung sei. Auf keinen Fall handele es sich
um eine Sonderform einer posttraumatischen Belastungsstörung oder Ähnliches. Eine Schizophrenie breche in aller Regel plötzlich
aus und lasse sich weder durch äußere Ereignisse hinreichend begründen noch durch eine etwaige Hirnschädigung, auch nicht
sauerstoffmangelbedingter Art. Zudem seien zwischen der Rauchvergiftung im Jahr 2000 und der Manifestation der Schizophrenie
fast drei Jahre vergangen. Auch die vom Kläger aufgelisteten übrigen Ereignisse könnten nicht als Teilursache der Psychose
angesehen werden. Zwar würden bei Psychosen nicht selten Lebensereignisse wie partnerschaftliche Konflikte, berufliche Belastungen
oder politische Veränderungen in das krankhafte Denken des Psychosekranken eingehen. Die gedankliche Ausgestaltung der Psychose
habe aber keinen Bezug zu ihrer eigentlichen Ursache. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über zwei Tage hinaus bestünde
nicht. Behandlungsmaßnahmen wegen der Unfallfolgen seien nicht erforderlich und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
liege nicht vor.
Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 13.01.2009 über das Ereignis vom 29.10.2000 einen Anspruch des Klägers auf
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bis zum 30.10.2000 an. Hingegen
wurde ein Anspruch auf Leistungen über den 30.10.2000 hinaus abgelehnt, insbesondere ein Anspruch auf Rentengewährung aus
der GUV. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger bei dem Unfallereignis einer Rauchentwicklung im Führerstand eines
Triebfahrzeuges ausgesetzt gewesen sei und der Durchgangsarzt einen Zustand nach Exposition von Schwelbrandgasen diagnostiziert
hatte. Unfallbedingt habe Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis 30.10.2000 bestanden. Nach Auswertung der vorliegenden
Unterlagen seien die erlittenen Verletzungen folgenlos ausgeheilt. Die beim Kläger vorliegende psychische Erkrankung (schizophrene
Psychose) sei weder auf das oben genannte Unfallereignis noch auf andere Unfallereignisse, die außerdem nicht nachgewiesen
werden konnten, zurückzuführen.
Zur Begründung seines Widerspruchs vom 04.02.2009 übersandte der Kläger den Befundbericht von Frau H. vom 19.07.2007 für den
Rentenversicherungsträger und eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises vom 26.08.2004, wonach ein GdB von 60 bestand.
Er führte aus, die psychiatrische Erkrankung sei definitiv auf die genannten Unfallereignisse zurückzuführen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwar sei mit Bescheid vom
13.01.2009 das Ereignis vom 29.10.2000 mit Arbeitsunfähigkeit von einem Tag als Arbeitsunfall anerkannt worden. Leistungen
über den 30.10.2000 seien hingegen abgelehnt worden, weil die beim Kläger vorliegende psychische Erkrankung mit dem Ereignis
vom 29.10.2000 nicht in Verbindung gebracht werden könne. Dieses Ereignis sei nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft
nicht geeignet gewesen, eine psychische Störung hervorzurufen. Es fehle bereits am Eintritt eines dokumentierten psychischen
Erst-Schadens, der darüber hinaus als abgeklungen anzusehen wäre.
Mit der am 22.04.2008 beim Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage hat der Kläger unter Abänderung des Klageantrags vom 09.09.2009 mit Schriftsatz vom 02.11.2009 zuletzt
begehrt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2009
zu verurteilen, die posttraumatische Belastungsstörung als Folgen des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Auf einen Artikel der Neuro-Depesche
vom Dezember 2004 über eine Komorbidität von Psychosen und posttraumatischen Belastungsstörungen wurde hingewiesen.
Der Kläger hat sich auf ein Attest des Allgemeinmediziner und Psychotherapeuten Dr. P. vom 30.07.2009 berufen. Darin wird
ausgeführt, dass der Kläger, der seit Mitte 2003 an zunehmenden Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Ängsten und Erschöpfungszuständen
leide, seine Beschwerden auf die starke Belastung im Beruf zurückführe, insbesondere den Wechseldienst und mehrere traumatische
Erlebnisse. Einen Zusammenhang seiner Beschwerden mit der beruflichen Belastung bzw. als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung
halte der Arzt durchaus für denkbar.
Auf Antrag des Klägers hat das SG ein Gutachten der Psychiaterin, Psychotherapeutin und Sozialmedizinerin Dr. M. eingeholt, das diese nach Untersuchungen des
Klägers am 19.02.2010 und am 04.03.2010 unter dem Datum vom 30.04.2010 erstellt hat.
Laut Gutachten hat der Kläger zum Ereignis vom 29.10.2000 angegeben, er sei "total ausgerastet", habe einen Nervenzusammenbruch
und Wutausbrüche bekommen und gezittert. Er sei vom Durchgangsarzt einen Tag krankgeschrieben worden, dann habe er wieder
gearbeitet. Er habe unter Schlafstörungen, innerer Unruhe und Konzentrationsstörungen gelitten. Lungenbeschwerden seien nicht
aufgetreten. Aufgrund der geschilderten Ereignisse sei er innerlich angespannt und nervös gewesen, habe Angstzustände bekommen,
nicht schlafen können und sei reizbar gewesen. Er träume heute noch davon, dass Züge entgleisen. Er habe Angstzustände, einen
hohen Puls sowie Angst vor Menschen und in Menschenansammlungen. Er denke, dass andere Menschen ihm etwas antun könnten. Öffentliche
Verkehrsmittel könne er nicht nutzen; er habe ein Vermeidungsverhalten. Auf Nachfrage hat er angegeben, er könne Busse und
Straßenbahnen benutzen, weil er nicht mehr fahre. Er fühle sich nicht bzw. "nur noch leicht verfolgt". Er habe nur zu Beginn
seiner psychischen Erkrankung Stimmen gehört, jetzt nicht mehr.
Die Sachverständige hat beim Kläger eine paranoide Schizophrenie (F 20.0 nach ICD 10) diagnostiziert, die weder allein noch
wesentlich durch den Unfall (mit-) verursacht worden sei. Es handele sich um eine schicksalsafte bzw. anlagebedingte Erkrankung,
die in keinem kausalen Zusammenhang mit dem Unfall vom 29.10.2000 aufgetreten sei. Aufgrund des Unfalls habe bis 30.10.2000
Arbeitsunfähigkeit bestanden, hingegen keine Behandlungsbedürftigkeit. Ebensowenig bestünde eine unfallbedingte MdE.
Die Klägerbevollmächtigte hat ein Urteil des LSG Berlin-Brandenburg unter dem Az. L 2 U 1014/05 vorgelegt. Frau Dr. M. hat in der vom SG eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 02.07.2010 darauf hingewiesen, dass das Krankheitsbild des Klägers völlig anders
gelagert sei als das des Klägers im vorgelegten Urteil. Denn bei letzterem sei ein enger zeitlicher und kausaler Zusammenhang
zwischen einem Unfall und dem Auftreten von Symptomen einer Traumatisierung bei strittiger Diagnose einer posttraumatischen
Belastung gegeben. Im Fall des Klägers bestehe hingegen keine posttraumatische Belastungsstörung. Allenfalls könne retrospektiv
nach dem Unfall im Jahr 2000 aufgrund der Schilderungen des Klägers von einer damals aufgetretenen akuten Belastungsreaktion
ausgegangen werden, die rasch rückläufig gewesen sei. Die beim Kläger 2003 diagnostizierte paranoide Schizophrenie könne nicht
auf den Unfall aus dem Jahr 2000 oder frühere Unfälle zurückgeführt werden. Symptome, die auf eine posttraumatische Belastungsstörung
hinweisen könnten, habe der Kläger bei der Untersuchung nicht angegeben. Bei einer solchen Störung müssten dem Trauma unmittelbar,
selten mit einer Latenz von bis zu sechs Monaten, entsprechende Symptome folgen. Dies sei hier nicht der Fall gewesen; erstmals
am 26.08.2008 habe der Kläger der behandelnden Psychiaterin von diversen Unfallereignissen berichtet. Hinsichtlich der Einzelheiten
wird auf das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Bezug genommen.
Mit Urteil vom 30.03.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die
vom Kläger geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliege. Vielmehr sei er an einer paranoiden Schizophrenie
erkrankt, die anlagebedingt sei, schicksalhaft auftrete und sich nicht durch äußere Ereignisse begründen lasse. Dies ergebe
sich zur Überzeugung des Gerichts aus den schlüssigen Gutachten der Sachverständigen Dr. M., deren Einschätzung durch die
behandelnden Ärzte des Klägers bestätigt werde. Das Attest des Hausarztes Dr. P. vom 30.07.2009 könne zu keinem anderen Ergebnis
führen.
Hiergegen hat die Klägerbevollmächtigte am 18.04.2011 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung
ausgeführt, dass der Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst habe, aufgrund derer der Kläger seit Jahren
an erheblichen Ängsten und Erschöpfungszuständen sowie einer Psychose leide. Die Vorinstanz habe dies sowie die Tatsache,
dass Unfallsituationen bei Lokführern anerkanntermaßen vielfach posttraumatische Belastungsstörungen und psychiatrische Erkrankungen
auslösen könnten, nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Gutachterin Dr. M. sei pauschalierend davon ausgegangen, psychiatrische Erkrankungen wie die des Klägers seien stets anlagebedingt.
Sie habe den Kläger nicht anhand der Kriterien eines wissenschaftlich anerkannten PTBS-Tests untersucht. Der Kläger habe die
Sachverständige darauf hingewiesen, dass er an Schlafstörungen, Albträumen, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen
und sich aufdrängenden Erinnerungen an das traumatische Erlebnis des streitgegenständlichen Unfalls leide, ferner an Erschöpfungszuständen
und verstärktem Schamgefühl. Dr. P. habe bereits darauf hingewiesen, dass durch den Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung
hervorgerufen worden sei, die zu der psychiatrischen Erkrankung des Klägers geführt habe. Ein Attest von Dr. P. vom 14.09.2011
wurde vorgelegt, auf das Bezug genommen wird.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, es fehle hinsichtlich der psychischen Erkrankung am Vollbeweis eines Gesundheitserstschadens,
da eine Erkrankung mit erheblicher psychotischer Symptomatik erstmals im Juni 2003 diagnostiziert worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2011 beantragt die Klägerbevollmächtigte,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.03.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.01.2009
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2009 zu verpflichten, die psychische Erkrankung des Klägers - eine posttraumatische
Belastungsstörung sowie die Psychose des Klägers - als Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.10.2000 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß §
136 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zur Ergänzung des Sachverhalts auf die gewechselten Schriftsätze sowie die vorliegenden Akten Bezug genommen, deren wesentlicher
Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Berufung erweist sich als unbegründet.
Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind zulässig, aber unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung
von psychischen Gesundheitsstörungen - insbesondere einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Psychose - als Folgen
des Arbeitsunfalls vom 29.10.2000 in Form von Gesundheitserstschäden oder Unfallfolgen, so dass sich die Ablehnung der Feststellung
im Bescheid vom 13.01.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2009 und das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts
als rechtmäßig erweisen.
1. Bereits mit der Klagebegründung vom 09.09.2009 hatte die Klägerbevollmächtigte zum Ausdruck gebracht, dass sie die Anerkennung
der psychischen Erkrankungen des Klägers als Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.10.2000 begehrt. Dass als Unfalldatum der 30.10.2000
genannt wurde, war offensichtlich ein Versehen. Gleichzeitig begehrte sie die Aufhebung des Bescheides vom 13.01.2009 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2009, soweit darin mit Verwaltungsakt die Anerkennung psychischer Gesundheitsstörungen
des Klägers als Unfallfolgen abgelehnt worden war. Dieses nach §
123 SGG zu ermittelnde Klagebegehren wurde mit Schriftsatz vom 02.11.2009 und in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG lediglich
neu gefasst. Dementsprechend handelt es sich nicht um eine Klageänderung gemäß §
99 Abs.
3 Nr.
1 SGG.
Diese Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind gemäß §
54 Abs.
1 SGG statthaft. Denn der Verletzte kann seinen Anspruch auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls
ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage i.S. des §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG, §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG geltend machen. Er kann wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den
Verwaltungsakt, der das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellt, und einer Verpflichtungsklage verfolgen
will (vgl. BSG vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - Juris RdNr. 12). Wie das BSG im Urteil vom 05.07.2011 (Az. B 2 U 17/10 R - Juris RdNr. 14 ff.) dargelegt hat, kann ein Versicherter grundsätzlich vom Unfallversicherungsträger den Erlass feststellender
Verwaltungsakte über das Vorliegen eines Versicherungsfalls und ggf. der diesem zuzurechnenden Gesundheitsschäden beanspruchen;
eine entsprechende Anspruchs- bzw. Ermächtigungsgrundlage im Sinne von §
31 SGB I ist insoweit §
102 SGG VII (vgl. zu den Einzelheiten BSG ebenda Juris RdNr. 15 f.).
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf, dass eine psychische Erkrankung als Gesundheitserstschaden im
Rahmen des Arbeitsunfalls vom 29.10.2000 oder als Unfallfolge festgestellt wird. Denn die psychischen Gesundheitsstörungen
des Klägers können weder der am 29.10.2000 verrichteten, bei der Beklagten versicherten Tätigkeit noch einem dabei erlittenen
Gesundheitserstschaden zugerechnet werden.
Während der Gesundheitserstschaden (Gesundheitsbeeinträchtigung, Krankheit oder Tod des Versicherten), der durch ein Unfallereignis
im Sinne von §
8 Abs.
1 SGB VII verursacht wird (sog. haftungsbegründende Kausalität), eine den Versicherungsfall selbst begründende Tatbestandsvoraussetzung
und damit keine Folge des Arbeitsunfalls ist (vgl. BSG vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - Juris RdNr. 27), ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (sog. haftungsausfüllende
Kausalität) Voraussetzung für weitergehende Leistungsansprüche wie z.B. die Gewährung einer Verletztenrente (vgl. BSG vom
18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 RdNr. 10 m.w.N.).
Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 13.01.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2009 aus Sicht eines
objektiven Empfängers das Unfallereignis vom 29.10.2000 als Arbeitsunfall anerkannt und dabei als Gesundheitserstschaden einen
"Zustand nach Exposition von Schwelbrandgasen" genannt. Zugleich hat sie in diesen Bescheiden ausgeführt, dass die beim Kläger
vorliegende psychische Erkrankung - eine schizophrene Psychose - nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen ist und damit
die Zurechnung als Gesundheitserstschaden oder die Feststellung als Unfallfolge abgelehnt. Dieser Verwaltungsakt erweist sich
als rechtmäßig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung psychischer Gesundheitsstörungen als Gesundheitserst- oder -folgeschäden
des Unfallereignisses, obwohl es sich bei der am 29.10.2000 verrichteten Tätigkeit, das Führen einer Lok, um eine versicherte
Tätigkeit und bei dem Einwirken von Schwelbrandgasen um ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis
gehandelt hat. Denn es fehlt nach Überzeugung des Senats an psychischen Gesundheitsstörungen des Klägers, die in einem wesentlichen
Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis bzw. mit Gesundheitserstschäden infolge des Unfallereignisses stehen.
Hinsichtlich des Beweismaßstabes ist zu beachten, dass das Vorliegen eines Gesundheitserstschadens bzw. eines Gesundheitsfolgeschaden
(Unfallfolgen) im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen
muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserst-
bzw. - folgeschaden die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (vgl. BSG vom 02.04.2009
- B 2 U 29/07 R - Juris RdNr. 16).
Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits(erst)schaden sowie für die Kausalität zwischen Gesundheits(erst)schaden
und weiteren Gesundheitsschäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris RdNr. 12). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis
Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich
werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich
mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung
der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. BSG vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris RdNr. 12) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen
zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (vgl. BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris RdNr. 17). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art
und Ausmaß der Einwirkung, u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das
Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte
(vgl. BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris RdNr. 16).
Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Ist jedoch eine Ursache - allein oder gemeinsam mit anderen Ursachen
- gegenüber anderen Ursachen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich"
und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245). Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist, kann auch
als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris RdNr. 15 m.w.N.).
a) Das Auftreten eines psychischen Gesundheitserstschadens im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 29.10.2000 ist nach Auffassung
des Senats nicht mit der notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Das gilt nach Überzeugung
des Senats selbst für das Auftreten einer akuten Belastungsreaktion (ICD 10 F. 43.0).
Insoweit genügt nicht, dass die Sachverständige Dr. M. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 02.07.2010 ausgeführt hat, beim
Kläger könne aufgrund seiner subjektiven Schilderungen bei der Begutachtung im Jahre 2010 "allenfalls" rückblickend im Jahr
2000 eine akute, rasch rückläufige Belastungsreaktion aufgetreten sein, welche über den 30.10.2000 hinaus keine Arbeitsunfähigkeit
zur Folge hatte. Die bloße Möglichkeit, dass der Kläger an einer solchen akuten Belastungsreaktion gelitten hat, die lediglich
auf Basis einer 10 Jahre später erfolgten Schilderung von Beschwerden des Klägers eingeräumt wird, ist nicht ausreichend,
den Nachweis im Sinne eines Vollbeweises für eine entsprechende Gesundheitsstörung zu erbringen.
Gegen eine solche akute psychische Belastungsreaktion spricht, dass der Durchgangsarzt Dr. S. in seinem am Tag nach dem Ereignis
vom 29.10.2000, nämlich am 30.10.2000 um 11.00 Uhr, erstellten Bericht ausführt, dass der Kläger keine Beschwerden beklagt.
Er erhebt auch keinen Befund, der auf psychische Beeinträchtigungen schließen lassen könnte - auch nicht in der Rubrik der
unfallunabhängigen Erkrankung. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die vom Kläger im Jahr 2007 gemachten Angaben, er habe
anlässlich des Ereignisses einen "Nervenzusammenbruch" erlitten, nicht überzeugend.
Aus den Unterlagen der Krankenkasse ergeben sich im Jahr 2000 keinerlei Behandlungen auf psychischem bzw. psychiatrischem
Fachgebiet; diese beginnen erst ab 2003. Zudem finden sich in den vorliegenden Arztbriefen aus den Jahren 2003 bis 2005 keine
Hinweise für Schilderungen des Klägers über psychische Belastungen aufgrund seiner Arbeit für die Zeit vor Juni 2003, insbesondere
aufgrund des Ereignisses vom 29.10.2000; das gilt insbesondere für den Arztbrief der Privat-Nervenklinik Dr. R./Dr. Sch. vom
29.03.2004, den Rehabilitationsentlassungsbericht der Klinik D. vom 22.10.2004, den Abschlussbericht des Bezirkskrankenhauses
H. vom 07.07.2005 und für die Gutachten von Dr. G. vom 02.09.2005 und vom 23.08.2007.
Unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen konnte sich der Senat daher nicht davon überzeugen, dass mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine akute Belastungsreaktion im Sinne von F 43.0 der ICD 10 beim Kläger bestand.
Im Übrigen handelt es sich bei der akuten Belastungsreaktion um eine Erkrankung, die typischerweise innerhalb weniger Stunden
bzw. innerhalb von 2-3 Tagen vorübergeht und war - sofern vorhanden - nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. M. rasch
rückläufig. Als wesentliche Ursache für weitere Unfallfolgen bzw. Gesundheitsfolgeschäden für psychische Erkrankungen, die
erst ab 2003 aufgetreten sind, scheidet sie damit aus.
b) Eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1 nach ICD 10 - im Folgenden: PTBS) kann nicht als Gesundheitserst- oder
-folgeschaden festgestellt werden, weil diese nach Überzeugung des Senats beim Kläger nicht vorliegt. Diese Erkrankung ist
nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Kläger nachgewiesen. Insoweit folgt der Senat den schlüssigen und
überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. und den Ausführungen der Ärzte, die den Kläger psychiatrisch bzw. psychotherapeutisch
therapiert haben.
Die Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. M. hat ausgeführt, dass in der Folgezeit nach dem Unfall vom 29.10.2000 bis zum
Jahr 2003 keine psychischen Auffälligkeiten des Klägers aktenkundig wurden, insbesondere keine Symptome einer PTBS. Dies entspricht,
wie bereits ausgeführt, den vorliegenden ärztlichen Unterlagen und der Auskunft der Krankenkasse des Klägers.
Der Kläger hatte außerdem während der zweimaligen Untersuchung durch die Sachverständige keine Symptome angegeben, die für
eine PTBS sprechen würden wie z.B. Flash-Backs, Intrusionen, Hyperarousal oder ähnliches. Die von ihm geschilderten sozio-phobischen
Ängste - wie die Schilderungen von Angst vor Menschen bzw. Menschenansammlungen - sind nach den schlüssigen Ausführungen der
Sachverständigen im Zusammenhang mit latentem Bedrohungserleben und latenten Verfolgungsängsten im Rahmen der psychotischen
Erkrankung zu erklären.
Dass der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren - nach zweimaliger Untersuchung und Einholung einer ergänzenden Stellungnahme
der Sachverständigen durch das SG sowie eigenen Literaturrecherchen des Klägers zu den Krankheitsbildern einer PBTS - vortragen lässt, er habe der Sachverständigen
"Erinnerungen" an das traumatische Ereignis sowie Alpträume geschildert, begründet keinen Bedarf für weitergehende Ermittlungen.
Denn zutreffend hatte die Sachverständige nicht nur die Angaben des Klägers im Rahmen der Untersuchungen, sondern zudem die
Schilderung seiner Beschwerden in den vorliegenden ärztlichen Unterlagen berücksichtigt.
Auch in diesen Unterlagen über stationäre Behandlungen, insbesondere in den Berichten der Klinik Dr. R./Dr. Sch. vom 29.03.2004,
der Klinik D. vom 22.10.2004, des Bezirkskrankenhauses H. vom 07.07.2005 oder in den Gutachten von Dr. G. vom 02.09.2005 und
vom 23.08.2007 wurden keine vom Kläger geschilderten traumatisierenden Erlebnisse während der Tätigkeit bei der Bahn genannt.
Ebensowenig enthalten die dortigen Unterlagen Schilderungen des Klägers von Flash-Backs oder Intrusionen im Hinblick auf das
streitgegenständliche Ereignis vom 29.10.2000. Es wurden lediglich allgemein beängstigende Träume genannt bzw. Träume, in
denen Züge entgleisen (so im Arztbrief der Klinik Dr. R./Dr. Sch.), ohne dass ein Bezug zum hier konkreten Unfallgeschehen
ersichtlich ist.
Der Senat stimmt mit der Einschätzung der Sachverständigen Dr. M. überein, dass davon auszugehen ist, dass der Kläger traumatisierende
Ereignisse im Rahmen der zum Teil mehrwöchigen Behandlungen mitgeteilt hätte, wenn diese sein Erleben geprägt und Leidensdruck
verursacht hätten.
Laut Abschlussbericht der Privat-Nervenklinik Dr. R. vom 29.03.2004 hatte der Kläger geschildert, dass seine Probleme plötzlich
im Juni 2003 bei einer Hochzeitsfeier begonnen hätten. Er habe gemeint, dass ihm jemand etwas in den Saft getan habe; er sei
in einem Trance-Zustand gewesen und habe einen Schwächeanfall gehabt. Seitdem sei ihm die Arbeit sehr viel schwerer gefallen.
Der Kläger schilderte optische und akustische Halluzinationen (Farbensehen, Stimmenhören), Coenästhesien (Stromschläge), Störungen
des Ich-Erlebens, innerliche Unruhe, starke Furcht, Verfolgungs- und Beobachtungsgefühle, Konzentrationsschwierigkeiten, plötzliche
"Sprachlosigkeit" in Gesellschaft und ständiges Grübeln. Er schlafe schlecht ein, wache nachts öfter auf und habe beängstigende
Träume. Als Initialereignis für das Auftreten einer psychischen Erkrankung hatte der Kläger selbst also noch im Jahr 2004
ein Ereignis im Rahmen einer privaten Hochzeitsfeier genannt, das in keinerlei Zusammenhang mit irgendwelchen beruflichen
Ereignissen stand und auch nicht an eines der vom Kläger geschilderten Unfallereignisse hätte erinnern können.
Auch gegenüber der behandelnden Psychiaterin hat der Kläger erst am 26.08.2008 und damit mehr als 8 Jahre nach dem streitgegenständlichen
Unfallereignis und ein Jahr nach seinem Antrag auf Anerkennung der psychischen Erkrankungen als Unfallfolgen bei der Beklagten
geäußert, dass er seine psychischen Probleme auf diverse Ereignisse während seiner Tätigkeit als Lokführer zurückführt.
Bei einer PTBS folgen entsprechende Symptome dem Trauma jedoch mit einer Latenz von wenigen Wochen bis Monaten. Diese Ausführung
von Dr. M. entspricht dem allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, "Arbeitsunfall
und Berufskrankheit", 8. Auflage, S. 142 und S. 144 und den Kriterien der ICD 10 für eine PTBS. Auch danach wird eine Latenz
von wenigen Wochen bzw. Monaten genannt, nicht hingegen von - wie hier - einigen Jahren.
Der Senat folgt der Einschätzung von Dr. M. in Übereinstimmung mit der Annahme der behandelnden Psychiaterin, dass der Kläger
subjektiv seine psychische Erkrankung letztlich deswegen inzwischen im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit sieht,
um die schwerwiegende Erkrankung einer Psychose akzeptieren zu können. Da angesichts der Beschwerdeschilderungen des Klägers
und der klinischen Diagnostik Anzeichen für eine PTBS von der Sachverständigen nicht festgestellt werden konnten, war eine
Durchführung weiterer PTBS-spezifischer Test, die der Diagnosesicherung dienen, nicht erforderlich.
Ergänzend sei erwähnt, dass die PTBS im Sinne von F 43.1 der ICD 10 ein belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung
oder katastrophenartigen Ausmaßes voraussetzt, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Angesichts der
Schilderungen des Unfallereignisses vom 29.10.2000, wonach der Kläger nach Entdecken der Rauchentwicklung das Fenster geöffnet
hat, den Zug noch etwa 15 bis 20 Minuten rangieren musste und anschließend verlassen hat, erscheint es für den Senat zumindest
fraglich, ob es sich dabei um ein als Ursache einer PTBS ausreichend schwerwiegendes Ereignis gehandelt hat. Wie bereits ausgeführt,
spricht die fehlende Erwähnung dieses Ereignisses gegenüber den behandelnden bzw. begutachtenden Ärzten in den Jahren 2003
bis 2007 dagegen, dass der Kläger selbst es tatsächlich als einschneidendes Erlebnis wahrgenommen hat.
Auch ein Vermeidungsverhalten mit Blick auf Situationen, die an das Ereignis erinnern wie es bei PTBS charakteristischerweise
auftritt (vgl. dazu Schönberger, Mehrtens, Valentin S. 144; ICD 10), lässt sich aus den Unterlagen der behandelnden Ärzte
nicht entnehmen. Entsprechende (anamnestische) Angaben in den Unterlagen der behandelnden Fachärzte des Klägers fehlen. Vielmehr
fiel es dem Kläger schwer, sein Ausscheiden aus dem Bahndienst zu akzeptieren, wie im Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses
H. über den Aufenthalt des Klägers von Oktober 2004 bis Mai 2005 geschildert wird. Der Kläger hat zudem nach dem 30.10.2000
weiter als Lokführer gearbeitet; häufigere oder längere Arbeitsunfähigkeitszeiten sind in den Krankenversicherungsunterlagen
erst ab 2003 belegt. Erstmals während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger gegenüber der Sachverständigen geäußert,
er könne wegen seiner früheren Tätigkeit keine öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere Züge, mehr benutzen; auf Nachfrage
der Sachverständigen räumte er allerdings ein, Busse und Straßenbahnen nutzen zu können, "weil er nicht mehr fahre".
Selbst wenn die Gesundheitsstörung einer PTBS beim Kläger im Vollbeweis nachgewiesen wäre, was der Senat verneint, kann das
Unfallereignis vom 29.10.2000 nicht als wesentliche (Teil-) Ursache angesehen werden. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs,
die Dr. P. nennt, ist nicht ausreichend. Vielmehr ist erforderlich, dass der Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Gesundheitsstörung
hinreichend wahrscheinlich ist. Mangels ausreichend zeitnaher Manifestation von psychischen Problemen im Anschluss an das
Ereignis vom 29.10.2000 bei einer für das Krankheitsbild üblichen Latenz von wenigen Wochen bzw. Monaten und der Tatsache,
dass auch nach dem 29.10.2000 noch zahlreiche, vom Kläger als belastend geschilderte Situationen aufgetreten waren, vermag
sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass gerade das Unfallereignis vom 29.10.2000 überhaupt Bedingung (conditio sine
qua non) für eine im Jahr 2003 auftretende - unterstellte - PTBS des Klägers war und zudem - gegenüber anderen belastenden
Ereignissen - hinreichend wahrscheinlich als wesentliche (Teil-) Ursache für eine solche Gesundheitsstörung des Klägers gewesen
sein könnte.
Die Atteste von Dr. P., insbesondere das im Berufungsverfahren mit Datum vom 04.09.2011 vorgelegte, vermögen keine davon abweichende
Einschätzung zu begründen. Denn im Anschluss an die eigenen Schilderungen des Klägers wird lediglich ausgeführt, dass ein
Zusammenhang des Ereignisses vom 29.10.2000 mit einer PTBS "durchaus möglich" ist. Allerdings stellt Dr. P. selbst klar, dass
er den Kläger weder nach dem Ereignis noch in der zurückliegenden Zeit psychotherapeutisch behandelt hat. Es ist schon nicht
ersichtlich, dass Dr. P. selbst die Diagnose einer PTBS gestellt hat. Die bloße Möglichkeit des Vorliegens einer PTBS genügt
- wie bereits ausgeführt - nicht. Alle Fachärzte, die die psychischen Erkrankungen des Klägers behandelt haben, haben übereinstimmend
eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Neue medizinische Erkenntnisse, die Anlass für weitergehende Ermittlungen von
Amts wegen geben könnten, sind im Attest nicht enthalten. Insbesondere lag der Sachverständigen Dr. M. bereits ein Attest
von Dr. P. vor, in dem auf die Möglichkeit eines Zusammenhangs berufliche Belastung und einer PTBS hingewiesen worden war.
c) Die beim Kläger bestehende paranoide Schizophrenie ist weder ein Gesundheitserstschaden noch eine aus einem Gesundheitserstschaden
resultierende Unfallfolge.
Unbestritten leidet der Kläger an einer paranoiden Schizophrenie mit Residualsymptomatik im Sinne von F 20.0 der ICD 10, die
ausweislich der vorliegenden Unterlagen der behandelnden Ärzte (u.a. Befundberichte von Frau H., Arztbrief der Klinik Dr.
R. und Dr. Sch.) auch mit paranoiden Ideen, Verfolgungsgedanken, Bedrohtheitsgefühlen, optischen und akustischen Halluzinationen
wie Farbensehen und Stimmenhören, Störungen des Icherlebens, Coenästhesien, Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Schlafstörungen
verbunden war.
Das Ereignis vom 29.10.2000 ist jedoch keine wesentliche Teilursache für diese beim Kläger 2003 erstmals aufgetretene und
diagnostizierte Erkrankung. Zudem lässt sich die Schizophrenie auch nicht auf den Zustand nach Exposition von Schwelbrandgasen
als Gesundheitserstschaden zurückführen.
Der Senat folgt insoweit den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Dr. M. und von Dr. B ... Unter Auswertung allgemein
anerkannter wissenschaftlicher Literatur (vgl. H.J. Möller "Psychiatrie und Psychotherapie", Thieme-Verlag, 3. Auflage) hat
die Sachverständige Dr. M. schlüssig ausgeführt, dass heute von einer multifaktoriellen Entstehung der schizophrenen Erkrankung
ausgegangen wird, wobei eine genetisch bedingte Vulnerabilität im Zentrum steht. Die Evidenz einer genetischen Grundlage der
Erkrankung basiert danach auf Familien-, Zwillings- und Adoptivstudien und ist gut gesichert. Im Rahmen moderner Genomforschung
werden bereits erste Genorte beschrieben, die insoweit von Bedeutung sein können. Zwar können psychosoziale Faktoren ursächlich
oder mitauslösend sein; eindeutige Ergebnisse einer pathogenetischen Bedeutung von Lebensereignissen hat die Forschung bislang
noch nicht erbracht. Ferner hat Dr. M. darauf hingewiesen, dass in der Fachliteratur (vgl. Berger "Psychische Erkrankungen",
Urban- und Fischer-Verlag, 2. Auflage) auch ein gestörter Hirnstoffwechsel bei Schizophrenen angenommen wird, der das Dopaminsystem
betrifft.
Die Sachverständige hat zusammenfassend festgehalten, dass genetische, biochemische, neurophysiologische und Umweltfaktoren
verantwortlich gemacht werden, die in ein "Vulnerabilitäts-Stress-Konzept" zusammengeführt werden, welches von einer anlagebedingten
Verletzlichkeit ausgeht, die durch äußere Faktoren (z.B. Stress) zum Zusammenbruch des vorgeschädigten Zentralnervensystems
führt. Diese Ausführungen entsprechen den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(vgl. Veröffentlichung im Internet unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.html), wonach das "Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell"
das am besten akzeptierte ätiopathogenetische Modell der Schizophrenie ist, welches neurobiologische, psychologische und soziale
Faktoren berücksichtigt. Dieses geht von einer permanenten Vulnerabilität, also einer Disposition für die Manifestation einer
Schizophrenie aus, deren Ursache in genetischen und/oder nicht-genetischen Einflüssen (z. B. Geburtskomplikationen) gesehen
wird. Hypothetische endogene und exogene Stressoren biologischer und psychosozialer Natur, die mit dem in seiner Verarbeitungskapazität
reduzierten System interagieren, führen bei nicht ausreichenden Bewältigungsmöglichkeiten (Coping) zu dessen passagerem Funktionsversagen
mit der klinischen Konsequenz akuter psychotischer Symptomatik. Neurobiochemisch findet dieser Zustand seinen Ausdruck u.
a. in einer Überaktivität des mesolimbischen dopaminergen Systems. Eine eindeutig definierbare, immer oder häufig anzutreffende
psychodynamische bzw. biographische Belastungskonstellation oder ein bestimmter somatischer Prozess sind jedoch bislang noch
nicht herausgearbeitet worden (vgl. Venzlaff/Foerster, "Psychiatrische Begutachtung", 3. Auflage S. 114).
Auf Basis allgemein anerkannter medizinischer Erfahrungssätze führt die Sachverständige für den Senat überzeugend aus, dass
im Falle des Klägers das Ereignis vom 29.10.2000 keine wesentliche Ursache oder Teilursache für die paranoide Schizophrenie
des Klägers war. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die paranoide Schizophrenie mehr als zwei Jahre nach dem Unfall
vom 29.10.2000 erstmals auftrat und manifest wurde. Damit stand die Erstmanifestation der paranoiden Schizophrenie des Klägers
nicht einmal im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Ereignis, was bereits gegen dessen Ursachenbeitrag
z.B. als bloße Gelegenheitursache spricht.
Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser gutachterlichen Einschätzung anzuschließen, die mit den Ausführungen der beratungsärztlichen
Stellungnahme von Dr. B. übereinstimmt.
Soweit die Klägerbevollmächtigte auf wissenschaftliche Veröffentlichungen zu einer Komorbität von Psychosen und PTBS hingewiesen
hat (vgl. Auszug aus der Neuro-Depesche 12/2004, S. 42 der SG-Akte), sind diese nicht geeignet, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 29.10.2000 und der paranoiden
Schizophrenie des Klägers zu begründen. Dass ein frühes Trauma neuronale Strukturen bzw. das System gegenüber Stresserlebnissen
anfälliger machen und damit den Grundstein sowohl für eine PTBS als auch für psychotische Störungen legen kann, ist nicht
geeignet, Schlussfolgerungen für den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Trauma und einer psychischen Erkrankung im konkreten
Einzelfall zu ziehen. Zudem liegt - wie ausgeführt wurde - keine posttraumatische Erkrankung des Klägers vor. Ebensowenig
können aus dem vorgelegten Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (Az. L 2 U 1014/05) abweichende Schlussfolgerungen gezogen werden, denn beim dortigen Kläger standen ein psychischer Gesundheitserstschaden
und das Vorliegen einer PTBS fest.
Weiter hat die Sachverständige Dr. M. für den Senat überzeugend ausgeführt, dass sich eine Hirnschädigung des Klägers, z.B.
durch Sauerstoffmangel bei der Rauchentwicklung nicht belegen lässt, da hirnorganisch bedingte Defizite nie beschrieben wurden
und auch im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung nicht festgestellt werden konnten. Bestehende Auffassungsschwierigkeiten
und Störungen der Konzentrationsfähigkeit sind nach Darlegung der Sachverständigen im Zusammenhang mit der schweren psychotischen
Erkrankung zu erklären. Daher lässt sich die paranoide Schizophrenie des Klägers auch nicht ursächlich auf den Zustand nach
Exposition von Schwelbrandgasen als anerkanntem Gesundheitserstschaden des Klägers zurückführen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision i.S.v. §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.