Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung; Feststellung weiterer Unfallfolgen; Erhöhung der MdE
bei Schmerzen
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger durch den Arbeitsunfall vom 17. Juli 2007 weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten hat und
ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 v.H. zu gewähren ist.
Der 1958 geborene Kläger, der als Wasserbauwerker tätig war, stürzte am 17. Juli 2007 bei der Heimfahrt von der Arbeitsstätte
zu seiner Wohnung mit dem Motorrad. Dabei zog er sich nach dem Bericht der Durchgangsarztes Dr. S. vom selben Tag ein Thoraxtrauma
links mit Rippenserienfraktur 2 bis 12 sowie eine Milzlazeration zu. Es fand eine stationäre Behandlung bis 29. Juli 2007
im Bundeswehrkrankenhaus A-Stadt statt. Nach dem Entlassungsbericht des Krankenhauses vom 30. Juli 2007 bestand ferner ein
Restless legs-Syndrom sowie eine endogene Depression. In der Folgezeit klagte der Kläger weiter über Schmerzen. Vom 14. Februar
bis 27. März 2008 fand eine stationäre Reha-Maßnahme in der Fachklinik I. statt, aus der er gemäß dem Abschlussbericht vom
27. März 2008 arbeitsunfähig entlassen wurde.
Die Beklagte holte ein internistisches Gutachten des Dr. G. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) vom 18. September
2008 ein. Durch den Unfall sei es zu Rippenreihenbrüchen links 2 bis 12 dorsal, einem Pneumothorax links und einer gedeckten
Milzverletzung gekommen. Unfallbedingt bestünden noch eine geringe Einengung der linken Brustkorbhälfte, geringe Pleuraschwielenbildungen
und geringe intrapulmonale Narbenbildungen als Folge der Rippenreihenbrüche links. Diese Veränderungen führten aber zu keiner
messbaren Beeinträchtigung der Lungenfunktion oder der körperlichen Belastbarkeit. Die geklagte Bronchialverschleimung sei
nicht objektivierbar. Diese sei aber typisch für jahrzehntelangen Zigarettenkonsum. Auch bestünden keine Hinweise auf eine
unfallbedingte Ursache der Schwellneigung beider Beine. Unfallunabhängig bestünden ein erhebliches Übergewicht, eine erhebliche
Fettstoffwechselstörung, eine beginnende Glucosestoffwechselstörung, eine Fettleber, erhöhte Serum-Harnsäure, eine Neigung
zu Hypoventilation, vermehrte Bronchialverschleimung, eine Neigung zu statischen Beinödemen und eine chronische venöse Insuffizienz
am rechten Bein mit vermehrter Ödemneigung. Da eine isolierte Brustkorbverletzung nicht zu einer dauerhaften Beeinträchtigung
der Gehfähigkeit und auch nicht zwangsläufig zur Gewichtszunahme führt, könne die zeitlich nach dem Unfall aufgetretene Ödemneigung
nicht als mittelbare Unfallfolge anerkannt werden. Die MdE schätzte der Sachverständige auf internistischem Fachgebiet auf
10 v.H.
Ferner holte die Beklagte ein unfallchirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage des Prof. Dr. B. vom 23. September 2008
ein, der unter Einbezug eines radiologischen Zusatzgutachtens des Dr. E. vom 18. September 2008 und des internistischen Gutachtens
des Dr. G. zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger ein ausgedehntes Thoraxtrauma links mit Rippenserienfraktur der Rippen 3 bis
9, ein Pneumothorax mit Teilatelektase, eine gedeckte Milzruptur sowie eine Rückenprellung erlitten hatte. Eine Fraktur im
Wirbelsäulenbereich konnte in einer CT-Untersuchung ausgeschlossen werden. Es habe kein einschlägiger Vorschaden bestanden.
Links dorsalseitig habe sich eine Pseudarthrose der Rippen 6 bis 9 mit mäßiggradiger Impression der lateralen Thoraxwand links
und entsprechender Verschmälerung der Organgrenze der linken Lunge ausgebildet. Es sei zu einer geringgradigen Einschränkung
der Lungenfunktion gekommen. Die Milzruptur sei verheilt, die Rippenfrakturen 3 bis 5 linksseitig knöchern konsolidiert. Es
bestünde weiterhin Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit. Die Gesamt-MdE schätzte er auf 20 v.H. Die Durchführung
einer EFL-Testung wurde vorgeschlagen. Der beratende Arzt Dr. B. schloss sich in seiner Stellungnahme vom 15. Oktober 2008
diesen Einschätzungen an. Durch die Möglichkeit der Instabilität des Brustkorbs in dem von den Rippenbrüchen betroffenen Bereich
und aufgrund einer vor allem muskulären Auswirkung bei einer dorsalen und weiter proximal angesiedelten Lokalisation könnten
die von den Gutachtern beschriebenen Beschwerden und Funktionsstörungen vorliegen. Die im November 2008 begonnene EFL-Testung
wurde abgebrochen.
Der Neurologe und Psychiater Dr. J. ist in seinem Gutachten vom 9. Dezember 2008 zu dem Ergebnis gelangt, dass es bei dem
Unfall nicht zu einer Verletzung der Strukturen des Nervensystems gekommen sei. Eine Schädel- oder Schädel-Hirn-Verletzung
habe nicht stattgefunden. Auch sei es nicht zu einer Läsion am Rückenmark gekommen. Die jetzt geklagten Beeinträchtigungen
motorischer und sensibler Natur am linken Arm wie auch im Rumpfbereich links und am linken Bein seien Ausdruck einer Somatisierung
und ursächlich der vorbestehenen psychischen Erkrankung mit wechselnd ausgeprägter depressiver Verstimmung und Neigung zur
Ausgestaltung in körperlichen Beschwerden und Symptomen anzulasten.
Vom 16. Dezember 2008 bis 13. Januar 2009 fand eine weitere stationäre Reha-Maßnahme in der Fachklinik I. statt, aus der der
Kläger arbeitsunfähig entlassen wurde. Therapieziel war u.a. eine Schmerzlinderung.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2009 stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 31. Januar 2009 ein. Berufsfördernde
Maßnahmen seien nicht zu erbringen. Im Rahmen des hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 6. Februar 2009 holte die Beklagte
ein Rentengutachten des Internisten Dr. H. vom 5. Mai 2009 sowie des Orthopäden Dr. G. vom 13. Mai 2009 ein.
Dr. H. sah auf internistischem Fachgebiet keine unfallbedingten Folgen gegeben. Leistungseinschränkungen ergäben sich ausschließlich
durch Verletzungsfolgen auf chirurgisch/orthopädischem Fachgebiet. Gegenüber dem Gutachten des Dr. G. hätten sich keine Änderungen
in den erhobenen Befunden ergeben.
Dr. G. schätzte die MdE ab 1. Februar 2009 auf 10 v.H. ein. Als wesentliche Unfallfolgen lägen vor: Ausbildung von Falschgelenkbildung
der Rippen 6 bis 9 links bei mäßigem Eindrücken der seitlichen Brustwand links; knöcherne Konsolidierung der Rippenbrüche
3 bis 5 links.
Mit Bescheid vom 24. Juli 2009 erkannte die Beklagte das Unfallereignis als Arbeitsunfall an, lehnte jedoch einen Anspruch
auf Rente ab. Durch den Unfall seien folgende Körperschäden eingetreten: Brustkorbprellung mit Serienbruch der Rippen 3 bis
9 links; Luftansammlung im Rippenfellspalt (Pneumothorax) mit teilweise zusammengefallenem Lungenabschnitt (Teilatelektase);
Ansammlung von Blut zwischen der inneren Oberseite des Brustkorbs und dem Brustfell (Haemothorax); gedeckter Milzriss mit
Bluterguss; Prellung des Rückens. Hierdurch sei es zu einer Falschbildung der Rippen 6 bis 9 links zum Rücken hin gerichtet
mit mäßiggradigem Eindruck in die seitlich auswärtige Brustkorbwand links gekommen. Die Brüche der 3. bis 5. Rippe seien knöchern
fest verheilt. Eine MdE von wenigstens 20 v.H. werde dadurch nicht erreicht.
Den Widerspruch hinsichtlich der Einstellung des Verletztengeldes wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. August
2009 zurück. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Juli 2009 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2009 zurück.
Gegen letzteren hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben, das, nach Vorlage medizinischer Befunde aus der
Schwerbehindertenakten, den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt hat.
Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 28. September 2010 zu dem Ergebnis gelangt, dass das Unfallereignis für die
Entstehung der Rippenfrakturen mit folgenden Pseudoarthrosenbildungen alleine ursächlich war. Für die folgende Schmerzsymptomatik
mit Verdacht auf Interkostalneuralgie sei es zumindest wesentlich mitursächlich. Zwar bestehe auch eine psychogene Komponente
der Schmerzsymptomatik im Rahmen einer Somatisierungsneigung bei rezidivierender depressiver Störung, der unfallbedingten
Komponente komme jedoch eine überwiegende ursächliche Bedeutung zu. Als Unfallfolge bestehe ab Februar 2009: Zustand nach
Rippenserienfraktur links mit Ausbildung von Pseudarthrosen der 6. und 9. Rippe links mit fortbestehender Schmerzsymptomatik,
Verdacht auf Irritationen von Interkostalnerven (Interkostalneuralgie). Die unfallbedingte Schmerzsymptomatik führe zu Körperhaltungen,
die nur vorübergehend beibehalten werden können, sowie zu Schlafstörungen. Die MdE sei vorwiegend auf chirurgisch/orthopädischem
Fachgebiet zu bestimmen - sie dürfte jedoch unter 20 v.H. liegen.
Der gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf Antrag des Klägers gehörte Orthopäde Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 19. Februar 2011 die Ansicht vertreten, dass
die MdE 20 v.H. betrage. Nicht unfallbedingt seien das chronisch rezidivierende HWS- und LWS-Syndrom sowie die Adipositas.
Unfallbedingt stehe die Pseudoarthrose der Rippen 6 bis 9 links dorsalseitig im Vordergrund. Durch die Unfallfolgen sei eine
deutliche Minderbelastbarkeit der BWS, der linken Schulter und des linken Arms eingetreten. Es handele sich um eine instabile
Situation dorsal wirbelsäulennah in der mittleren BWS. Durch diese instabile Situation sei vor allem das linke Schulterblatt
betroffen. Erklärbar sei eine Minderbeweglichkeit der linken Schulter. Nach der Fachliteratur sei diese mit einer MdE von
20 v.H. zu bewerten.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Dem Gutachten des Dr. F. sei nicht zu folgen,
da angesichts dokumentierter degenerativer Veränderungen im MRT vom 22. Oktober 2007 nicht erkennbar sei, dass die Bewegungseinschränkungen
und die Reduzierung der Beweglichkeit des linken Schultergelenks wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Insgesamt
ist das Gericht dem Gutachten vor allem des Prof. Dr. B. sowie hinsichtlich der MdE-Bewertung des Dr. A. gefolgt.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung hat sich der Kläger zum einen auf das Gutachten des Dr. F. gestützt, zum
anderen ein ärztliches Attest der Dres. K./V./F. vom 17. Mai 2011 vorgelegt. Danach liege nach dem Unfallereignis ein chronisches
Schmerzsyndrom als Unfallfolge vor. Durch das Schmerzsyndrom bestehe auch eine deutliche Funktionsstörung der linken Brustkorbseite/Schulterblatt
und im Bereich des linken Armes. Die Minderbelastbarkeit der linken Schulter sei - nach Ansicht des Klägers - Unfallfolge.
Der Senat hat von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten der Dr. C. vom 18. November 2011 eingeholt. Unfallbedingt seien
ein chronisches Schmerzsyndrom der linken Thoraxhälfte sowie ein Verdacht auf die Ausbildung einer Pseudarthrose 6. bis 9.
Rippe links dorsal. Die Muskulatur sei an beiden Schultern, Ober- und Unterarmen seitengleich und kräftig entwickelt. Nach
den Messwerten sei die Schulterbeweglichkeit rechts und links identisch und im Normwert. Die MdE liege auch unter Berücksichtigung
des nervenärztlichen Gutachtens des Dr. A. unter 20 v.H.
Der Kläger hat u.a. ein weiteres ärztliches Attest des Dr. V. vom 25. Januar 2012 vorgelegt, wonach unfallbedingt ausgeprägte
Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparats vorliegen. Es habe sich ein chronisches thorakales Schmerzsyndrom gebildet mit
jetzt auch zunehmenden Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule aufgrund der vorliegenden Fehlstatik durch die Rippenserienfrakturen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Augsburg vom 2. Mai 2011 und unter Abänderung des Bescheides
vom 24. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2009 zu verurteilen, ein chronisches Schmerzsyndrom
der linken Thoraxhälfte, eine funktionelle Beeinträchtigung des Schulterblattes links und der linken Schulter als weitere
Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juli 2007 festzustellen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H.
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß §
136 Abs.
2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet. Als weitere Unfallfolge ist ein chronisches Schmerzsyndrom der linken Thoraxhälfte anzuerkennen und dem Kläger
ab 1. Februar 2009 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens beantragte der Kläger die Feststellung weiterer Unfallfolgen. Zulässige Klageart ist insoweit
eine Feststellungsklage nach §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG. Es liegt gegenüber dem Antrag im Klageverfahren eine Erweiterung des Klageantrags vor, die als Klageerweiterung im Sinne
des §
99 SGG anzusehen ist (BSGE 37, 245, 247). Da die Feststellung weiterer Unfallfolgen wesentlich für die Durchsetzung des Anspruchs auf Gewährung der beantragten
Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. ist und insoweit eine Klärung im Rahmen der hierfür erforderlichen medizinischen
Sachverhaltsermittlung erfolgte, ist die Klageänderung zumindest als sachdienlich nach §
99 Abs.
1 SGG anzusehen.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus
um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, §
56 Abs.
1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (
SGB VII). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und
geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, §
56 Abs.
2 S. 2
SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen
(BSGE 21, 63, 66; v. 26.11.1987, SozR 2200
§ 581 Nr. 27; v. 30.05.1988, a.a.O., Nr. 28).
Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung
stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen
beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der
Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber
sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender
Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche
Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar
war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte,
sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte.
Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt
vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden
Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.
Als Unfallfolgen hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid bislang anerkannt:
- Brustkorbprellung mit Serienbruch der Rippen 3 bis 9 links;
- Luftansammlung im Rippenfellspalt (Pneumothorax) mit teilweise zusammengefallenem Lungenabschnitt (Teilatelektase);
- Ansammlung von Blut zwischen der inneren Oberseite des Brustkorbs und dem Brustfell (Haemothorax);
- gedeckter Milzriss mit Bluterguss;
- Prellung des Rückens.
Der Arbeitsunfall hat zu einer Falschbildung der Rippen 6 bis 9 links zum Rücken hin gerichtet mit mäßiggradigem Eindruck
in die seitlich auswärtige Brustkorbwand links geführt, die von der Beklagten berücksichtigt wurde.
Nicht als Unfallfolge hat die Beklagte zwar Schmerzen im Thoraxbereich anerkannt. Allerdings sind mit Anerkennung bestimmter
Unfallfolgen wie auch einer Pseudoarthrose der Rippen 6 bis 9 die üblicherweise damit verbundenen Schmerzen im Rahmen der
MdE-Bewertung mit umfasst. Vorliegend gehen die Schmerzen aber darüber hinaus, so dass diese Chronifizierung als weitere Unfallfolge
anzuerkennen ist.
Bereits Prof. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 23. September 2008 persistierende Schmerzen im hinteren Thoraxbereich linksseitig
diskutiert, ohne diese jedoch als eigenständige Unfallfolge zu benennen. Nach dem vom Senat eingeholten Gutachten der Dr.
C. kam es aber darüber hinaus zu einem chronischen Schmerzsyndrom der linken Thoraxhälfte. Auch Dr. A. ist zu dem Ergebnis
gelangt, dass eine Schmerzsymptomatik - mit Verdacht auf eine Interkostalneuralgie - eingetreten ist, die zumindest wesentlich
mitursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Zwar sind als Konkurrenzursachen im Sinne der Bedingungstheorie auch
psychische Vorschäden wie insbesondere eine depressive Symptomatik zu berücksichtigen, doch ist die rezidivierende depressive
Störung nach Ansicht des Dr. A. vorliegend nicht überwiegend ursächlich für die Schmerzsymptomatik. Die Entwicklung eines
chronischen Schmerzsyndroms in Folge der Rippenserienfrakturen wird auch in dem Reha-Bericht der Fachklinik I. vom 27. März
2008 geschildert. Die Schmerzlinderung war ferner Therapieziel der Reha-Maßnahme 2008/2009.
Zu folgen ist damit auch dem zuletzt vom Kläger vorgelegten Attest des Dr. V. vom 25. Januar 2012, nach dem als Unfallfolgen
ein Zustand nach Rippenserienfraktur mit bleibender Thoraxdeformität linksseitig und ein chronisches thorakales Schmerzsyndrom
anzuerkennen sind.
Entgegen der Darlegung von Dr. F. ist jedoch eine funktionelle Beeinträchtigung im Sinne einer Minderbeweglichkeit der linken
Schulter nicht anzuerkennen. Nach dem Gutachten der Dr. C. liegt die Schulterbeweglichkeit links im Normbereich und ist identisch
mit der Schulterbeweglichkeit rechts. Anzeichen einer Schonhaltung wie Unterschiede bei der Muskelausbildung waren nicht gegeben.
Auch sonst ergibt sich am linken Arm keine messbare Einschränkung der Beweglichkeit, insbesondere auch nicht am Ellenbogengelenk.
Prof. Dr. B. beschreibt in dem Gutachten aus dem Jahre 2008 eine Schmerzhaftigkeit im Bereich des linken Schulterblatts und
deutliche Bewegungseinschränkungen. Vergleichbare Beschwerden traten beim Kläger auch bereits Jahre vor dem Unfall bei der
rechten Schulter auf mit der Folge einer offenen Schultergelenksrevision. Bei der radiologischen Untersuchung vom September
2009 zeigten sich Zeichen einer Omarthrose mit osteophytären Anbauten sowie einer Sklerosierung der Gelenkfläche und Zeichen
einer AC-Gelenksarthrose - die auch von Dr. F. bestätigt wird. Diese Veränderungen sind als degenerativ und somit unfallunabhängig
einzustufen. Zutreffend weist das Sozialgericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Bewegungseinschränkungen und eine
Reduzierung der Belastbarkeit des linken Schultergelenks degenerative Ursachen haben. Die geschilderten degenerativen Symptome
ergeben sich auch aufgrund des MRT der linken Schulter vom 22. Oktober 2007.
Die Einschränkung der Beweglichkeit am linken Schulterblatt und am linken Arm war jedoch wesentlich für die Annahme des Dr.
F., dass die MdE mit 20 v.H. zu bewerten sei. Da sich dies nach den Vorbefunden und der medizinischen Sachverhaltsaufklärung
nicht objektivieren lässt, vermag der Senat den Ausführungen des Dr. F. zu der MdE-Bewertung nicht zu folgen.
Dennoch gelangt der Senat nach Auswertung vor allem des Gutachtens des Prof.
Dr. B., des Dr. A. und der Dr. C. zu dem Ergebnis, dass die MdE für den Zeitpunkt ab Ende der Verletztengeldzahlung zum 31.
Januar 2009 mit 20 v.H. anzusetzen ist.
Die MdE-Bewertung enthält eine zu Annäherungswerten kommende Schätzung (BSGE 41, 99, 100 ff). Die Bewertung der Höhe der MdE ist letztlich eine Rechtsfrage, die das Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen
hat. Der Senat ist dabei nicht an die Schätzungen der Gutachter gebunden (BSG a.a.O., S. 101; zum Ganzen: KassKomm-Ricke, §
56 SGB VII Rdnr. 25 m.w.N.).
Zwar schlägt Dr. C., ohne nähere Begründung, eine MdE von unter 20 v.H. vor. Prof. Dr. B. empfahl unter Einbezug des internistischen
Zusatzgutachtens des Dr. G., der auf internistischem Fachgebiet die MdE auf 10 v.H. einschätzte, eine MdE von 20 v.H ... Dr.
A. folgte, ebenfalls ohne nähere Begründung, dem weiteren von der Beklagten eingeholten internistischen Gutachten des Dr.
G., der auf internistischem Fachgebiet keine MdE ansetzte, und gelangte mit dieser Begründung zu einer MdE von wohl unter
20 v.H.
Zwar ist eine internistische Beeinträchtigung, insbesondere eine leichte Beeinträchtigung der Lungenfunktion, von der Beklagten
nicht gesondert als Unfallfolge anerkannt. Allerdings ergibt sich regelmäßig, worauf Prof. Dr. B. hinweist, aus der vorliegenden
Impression der lateralen Thoraxwand links eine entsprechende Verschmälerung der Organgrenze der linken Lunge. Außerdem ergibt
sich eine MdE von 20 v.H. auch unabhängig von der internistischen Bewertung, ob eine geringgradige Einschränkung der Lungenfunktion
gegeben ist. Denn ergänzend zu der von Prof. Dr. B. festgestellten, vom beratenden Arzt Dr. B. bestätigten und von der Beklagten
anerkannten Unfallfolgen ist - wie oben dargestellt - die Entstehung des chronischen thorakalen Schmerzsyndroms anzuerkennen.
Als chronischer Schmerz wird der Schmerz definiert, der über die erwartete normale Heilungszeit hinausgeht (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 207). Nach der Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 222)
ist ein Schmerzzustand mit leicht- bis mäßiggradiger körperlich-funktioneller Einschränkung ohne somatoformer Schmerzstörung
mit bis zu 20 v.H. anzusetzen. Da nach dem Gutachten des Dr. A. erhebliche körperliche funktionelle Auswirkungen durch das
chronische Schmerzsyndrom nicht hervorgerufen werden, ergibt sich nach Ansicht des Senats hieraus allein keine Einzel-MdE
von 20 v.H.; diese Einschätzung wird auch von Dr. C. bestätigt.
Hinzu kommt vorliegend allerdings die anerkannte Falschbildung der Rippen 6 bis 9 links zum Rücken hin gerichtet nach Serienbruch
der Rippen 3 bis 9 mit mäßiggradigem Eindruck in die seitlich auswärtige Brustkorbwand links. Rippendefekte sind, je nach
Ausdehnung, mit einer MdE von 20 bis 60 v.H. zu bewerten (z.B. Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl., S. 154).
Die Brüche der Rippen 3 bis 5 sind beim Kläger knöchern fest, ohne Schwartenbildung, verheilt. Entgegen der Feststellung der
Dr. C. ist bei der Bemessung der MdE aber nicht nur ein "Verdacht auf Ausbildung einer Pseudarthrose 6. - 9. Rippe links dorsal"
zu berücksichtigen, sondern eine anerkannte Falschgelenkbildung. Dr. C. berücksichtigte ferner nicht den mäßiggradigen Eindruck
in die seitlich auswärtige Brustkorbwand. Die entsprechende Anerkennung durch die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid
beruht auf den von Prof. Dr. B. und Dr. G. getroffenen Feststellungen. Prof. Dr. B. führt ferner aus, dass die mäßiggradige
Impression der lateralen Thoraxwand zu einer entsprechenden Verschmälerung der Organgrenze der linken Lunge führt.
Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem und nervenärztlichem Fachgebiet ist somit
neben der Pseudarthrose der Rippen 6 bis 9 und einer mäßiggradigen Impression in die seitlich auswärtige Brustkorbwand links
auch ein chronisches Schmerzsyndrom im Brustbereich zu berücksichtigen, so dass der Senat zu der Überzeugung gelangt ist,
dass die Gesamt-MdE, wie von Prof. Dr. B. und
Dr. B. im Ergebnis bestätigt, auf 20 v.H. zu schätzen ist. Aus den dargelegten Gründen war der Bewertung durch Dr. C. und
Dr. A. nicht zu folgen.
Der Senat kommt daher zum Ergebnis, dass der Kläger einen Anspruch auf Feststellung des chronischen thorakalen Schmerzsyndroms
als weitere Unfallfolge und auf Zahlung einer Verletztenrente ab 1. Februar 2009, dem Tag nach Einstellung der Verletztengeldzahlung,
hat.
Die Kostenfolge stützt sich auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.