Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Arbeitsunfall vom 12.11.2004 bleibende Folgen in rentenberechtigendem Maße
hinterlassen hat.
Die 1943 geborene Klägerin war als kaufmännische Angestellte bei der Agentur P. beschäftigt. Am 13.12.2004 erstellte der Arzt
für Orthopädie Dr. P. in G. einen H-Arzt-Bericht. Er habe die Klägerin erstmalig am 14.11.2004 wegen Schmerzen im Bereich
der Brustwirbelsäule (BWS) seitlich ausstrahlend rechts, Klopfschmerz über der BWS, Rotationseinschränkung, segmentaler Ausstrahlung
mit Angabe von Taubheitsgefühl, endgradiger Einschränkung der Brustwirbelsäulenbeweglichkeit behandelt. Es liege ein Bandscheibenvorfall
BWK 7/8 rechts vor. Die Klägerin habe ihm mitgeteilt, dass sie beim Herausheben eines 25 kg Salzsteinsackes aus einer Palette
bei Drehbewegung des Oberkörpers plötzlich einen einschießenden Schmerz im Bereich der BWS, seitlich ausstrahlend gespürt
habe. Am 18.11.2004 wurde die Klägerin radiologisch untersucht. Das MRT der BWS vom 18.11.2004 erbrachte den Nachweis eines
Diskusprolaps BWK 7/8.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27.12.2004 die Anerkennung des Ereignisses vom 12.11.2004 als Arbeitsunfall ab, da der
von der Klägerin geschilderte Hergang des Ereignisses nicht die rechtlichen Voraussetzungen eines Unfallereignisses erfülle.
Die Heilbehandlung müsse daher zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt werden.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. In ihrer Unfallschilderung vom 16.01.2005 führte die Klägerin aus, dass sie
für das Lagerwesen zuständig sei und es zu ihren Aufgaben gehöre, Salz, Salzsteine und Nahrungsergänzung zu packen und versandfertig
zu machen. Bei dem Versuch einen Salzsteinsack mit 25 kg aus einer Palette zu heben, habe sie sich verletzt. Da sie der Meinung
gewesen sei, sich nur verrissen zu haben, habe sie zunächst bis 17.30 Uhr weitergearbeitet und noch zwei Pakete fertig gestellt.
Am Sonntag den 14.11.2004, habe sie dann den Bereitschaftsarzt Dr. V. gerufen.
Dem Zwischenbericht des Krankenhauses B-Stadt vom 02.02.2005 ist zu entnehmen, die Klägerin habe in der dokumentierten Anamnese
des Notfallberichts einen seit zwei Tagen bestehenden Schmerz im BWS-LWS-Übergang ohne Trauma beschrieben. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis
der KKH ergibt sich, dass die Klägerin u.a. 1991 an einem Brachio-Cervical-Syndrom litt. Der beratende Arzt der Beklagten,
der Chirurg Dr. G., kam zu dem Ergebnis, das geschilderte Ereignis erfülle nicht die Kriterien, die für einen Unfallzusammenhang
bezüglich traumatischem Bandscheibenschaden gefordert werden. Die Ablehnung sei deshalb zu Recht erfolgt. Mit Widerspruchsbescheid
vom 28.06.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 15.07.2005 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) erhoben. Im Erörterungstermin vom 25.06.2007 hat die Klägerin erklärt, der Sack sei ihr aus einer Hand gerutscht. Beim Nachfassen
habe sie sofort einen stechenden Schmerz im Brustbereich gespürt. Der Sack habe aus einer Euro-Palette mit einer Höhe von
80 cm aus der 2. Lage herausgehoben werden müssen. Der Karton habe auf einer Palette von etwa 15 cm Höhe gestanden, so dass
sie sich über den Rand von einer Höhe von etwa 95 cm habe beugen müssen.
Der zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. L., M., führte im Gutachten vom 16.08.2007 aus, die strittige Frage
nach dem zur Diskussion stehenden Unfallmechanismus, welcher die zentrale Antwort auf die traumatische Genese des Bandscheibenvorfalles
gebe, sei zweifellos divergierend abgehandelt worden. So habe die Klägerin weder in der radiologischen Praxis am 18.11.2004
noch im Krankenhaus B-Stadt am 02.02.2005 von einem Trauma berichtet. Dr. L. bezog sich dann auf die Aussagen der Klägerin
im Erörterungstermin. Danach würden Kriterien erfüllt, die für die Entstehung eines traumatisch bedingten Bandscheibenvorfalles
im Sinne einer Vorbeuge-/Rotations-haltung bei kontrahierter Muskulatur sprächen, verbunden mit der Notwendigkeit des Nachfassens
des abrutschenden Sackes bei fixierter vorwärtsgebeugter Brustwirbelsäule und dem Nachfassen mit der rechten Hand und einer
sofort eintretenden Schmerzsymptomatologie. Dr. L. kam deshalb zum Ergebnis, dass im Hinblick auf ein fehlendes Vorschadenregister,
den tatsächlichen Unfallhergang, die zeitnah durchgeführte radiomorphologische Diagnostik unter Einfluss unfallspezifischer
Eckdaten die Voraussetzungen für die Entstehung eines traumatischen Bandscheibenvorfalles erfüllt seien. Die Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) auf Dauer betrage 10 v.H ...
Die Beklagte holte eine fachärztliche Stellungnahme des Chirurgen Dr. K. ein. Dieser widersprach Dr. L ... Entscheidend sei
das Schadensbild. Auszugehen sei von einem isolierten Bandscheibenvorfall, also einem verletzungsunspezifischen Schadensbild.
Laut Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit sei bei isoliertem Bandscheibenvorfall die Schadensanlage
wesentlich. In der Tat würden segmentale Scher-, Torsions- und Kippungsbelastungen durch den knöchernen und ligamentären Apparat
soweit begrenzt, dass in jedem Bewegungssegment nur etwa die Hälfte der Bewegungsausschläge erfolgen könnten, die zur Schädigung
der Bandscheibe notwendig wären. Damit komme dem versicherten Ereignis hinsichtlich der Wirbelsäulenveränderung nur der Stellenwert
eines Anlassgeschehens zu.
Dr. L. führte in einer ergänzenden Stellungnahme aus, entsprechend der Schilderung der Klägerin sei der hier geschilderte
Unfallhergang geeignet, eine Bandscheibe zu schädigen. Auch der zeitliche Zusammenhang sei gegeben.
Mit Urteil vom 19.03.2008 wies das SG die Klage ab. In seiner Begründung stützte sich das SG auf die schlüssigen und aufgrund der Beweisunterlagen nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichtsgutachters Dr. L. in seinem
Gutachten vom 16.08.2007 und der ergänzenden Stellungnahme vom 06.02.2008. Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Angaben komme
den Erstangaben der Klägerin, die sie noch unbeeinflusst und ohne Kenntnis der rechtserheblichen Tatsachen gemacht habe, eine
entscheidende Bedeutung zu. Das SG ging deshalb davon aus, dass die Klägerin beim Versuch, einen Salzsteinsack mit 25 kg aus einer Palette zu heben, bei gedrehtem
Oberkörper einen plötzlich einschießenden Schmerz im Bereich der BWS verspürte. Im Hinblick auf diese zeitnahen Äußerungen
seien die späteren Unfallschilderungen nicht zweifelsfrei nachvollziehbar. Die Ergänzung im Erörterungstermin sei erst nach
Darlegung geeigneter Unfallmechanismen erfolgt. Der vom SG zugrunde gelegte Unfallhergang sei, wie Dr. L. ausführe, nicht geeignet, einen isolierten Bandscheibenvorfall ohne begleitende
Verletzung der Knochen und Bänder hervorzurufen.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht ein. Die Klägerin versicherte, der Arbeitsunfall habe
sich, genau wie von ihr beschrieben, zugetragen - ohne Vorschädigung ihrer Wirbelsäule. Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen
ernannte Orthopäde Dr. G. kam in seinem Gutachten vom 18.09.2008 zum Ergebnis, durch das Unfallgeschehen vom 12.11.2004 sei
allenfalls eine Zerrung bzw. Irritation oder Blockierung der Facettgelenke (kleine Wirbelgelenke) bzw. des Rippenwirbelgelenkes
im mittleren Brustwirbelsäulenbereich anzunehmen. Es handle sich hier aber um eine rein funktionelle Störung ohne strukturelle
Schäden an den Wirbelkörpern, Bandscheiben oder Bandapparat. Diese Verletzung bzw. Schädigung sei als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Wesentliche strukturelle Schäden seien durch das Kernspintomogramm vom 18.11.2004 ausgeschlossen worden. Vorbestehend seien
bereits deutliche Verschleißerscheinungen in den mittleren Brustwirbelsäulenabschnitten. Die Unfallfolge mit Zerrung bzw.
Blockierungsphänomenen im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule rechtfertige einen Behandlungszeitraum von längstens vier
Wochen. Die darüber hinaus anhaltende Beschwerdesymptomatik sei auf die bereits vorbestehenden Verschleißerscheinungen im
mittleren Brustwirbelsäulenbereich zurückzuführen. Eine traumatische Genese des Bandscheibenvorfalles sei widerlegt.
Daraufhin unterbreitete die Beklagte am 09.10.2008 ein Vergleichsangebot zur Erledigung des Rechtsstreits. Das Ereignis werde
als Arbeitsunfall anerkannt. Unfallfolge sei eine folgenlos abgeheilte Zerrung der Brustwirbelsäulenmuskulatur. Unfallbedingte
Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit habe bis einschließlich 10.12.2004 bestanden. Die Klägerin nahm in der mündlichen
Verhandlung das Angebot der Beklagten als Teilvergleich an.
Die Klägerin beantragt im Übrigen,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 19.03.2008 sowie des Bescheids vom 27.12.2004 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2005 in der Fassung des heutigen Teilvergleichs zu verurteilen, festzustellen,
dass der Bandscheibenvorfall im Segment BWK 7/8 Folge des Arbeitsunfalls vom 12.11.2004 ist und ihr zumindest Stützrente zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
136 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Landshut die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat das Ereignis vom 12.11.2004 als Arbeitsunfall
anerkannt. Dieser Arbeitsunfall hat keine bleibenden Unfallfolgen hinterlassen. Der Bandscheibenvorfall im Segment BWK 7/8
ist nicht Folge des Arbeitsunfalls. Ein Rentenanspruch der Klägerin gemäß §§
8 Abs.
1,
56 des Siebten Buches Sozialgesetzbuchs (
SGB VII) wegen des Unfalls, auch im Sinne einer Stützrente besteht nicht.
Der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. G. hat im Rahmen seiner gutachterlichen Untersuchung vom 10.09.2008 bei der
Klägerin eine geringgradig eingeschränkte Funktion der Brustwirbelsäule bei freier Funktion der Lendenwirbelsäule festgestellt.
Bei der manual-therapeutischen, segmentalen Untersuchung der Brustwirbelsäule zeigte sich ein Blockierungsphänomen bzw. eine
Irritation der kleinen Wirbelgelenke sowie der Rippenwirbelgelenke in den Segmenten BWK 7/8 bzw. 8/9 rechts auf Höhe der unteren
Schulterblattbegrenzung. Es fand sich eine verminderte Aufrichtung der Brustwirbelsäule in der Rückneigung sowie insgesamt
eine verminderte Segmentbeweglichkeit in dem mittleren Brustwirbelsäulensegment. Eine Gefühlsstörung bzw. Taubheit oder Kribbeln
oder eine segmentale Schwäche im Sinne einer Nervenwurzelreiz- oder Kompressionssymptomatik zeigte sich nicht. Das Kernspintomogramm
vom 18.11.2004 zeigte degenerative Veränderungen in den mittleren Brustwirbelsäulensegmenten. Anhand der Röntgenaufnahmen
anlässlich der Begutachtung durch Dr. L. konnte der von den Radiologen bereits beschriebene Degenerationsprozess in den mittleren
Brustwirbelsäulensegmenten bestätigt werden. Traumafolgen fanden sich weder im Kernspintomogramm vom 18.11.2004 noch in den
beschriebenen Röntgenaufnahmen vom August 2007.
Dr. G. führt aus, dass Verletzungen des Anulus fibrosus und/oder ein Vorfall von Bandscheibengewebe bei Überlastversuchen
nie beobachtet wurden. Diese Feststellung war unabhängig davon, ob im Experiment eine einzige hohe Belastung (z.B. Sturz im
Sinne eines axialen Traumas) oder wiederholte axiale Überlastungen aufgebracht wurden. Nur bei massiver und forsierter Überbeugung
(Hyperflexion über die physiologische Grenze hinaus), war eine Rissbildung im Faserring der Bandscheibe im dorsalen Bereich
erkennbar oder konnte sich dieser Faserring von der Endplatte lösen. Diese traumatischen Veränderungen wären jedoch in einer
Schnittbilddiagnostik (Kernspin oder CT) unfallzeitpunktnah unbedingt erkennbar.
Im Bereich der Brustwirbelsäule ist die Bewegungsfähigkeit und damit auch die Verletzlichkeit der Bandscheiben durch das Rippengerüst
wesentlich eingeschränkter als in der Lendenwirbelsäule. Die Rippen mit ihrer mäßigen Beweglichkeit im Bereich der Rippenwirbelgelenke
und ihrer relativ starren Fixierung am Brustbein führen zu einer erheblichen Einschränkung der Rotations- wie auch Flexions-
und Streckbewegungen der Bandscheiben im Brustwirbelsäulenbereich und schützen daher vor einer Verletzung. Die selten beschriebenen
isolierten Bandscheibenverletzungen in Form der o.g. Ausrisse der Faserringe aus der End- bzw. Deckplatte wurden auch ausschließlich
im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich beobachtet.
Der Unfallhergang lässt zwar eine gewisse Rotationswirkung und Belastung der Brustwirbelsäule erkennen, schließt jedoch nach
Ansicht Dr. G. eine unphysiologische Scher- oder Rotationsbelastung der Bandscheibe im Segment BWK 7/8 aus, wenn aufgrund
bildgebender Verfahren ligamentäre oder knöcherne Begleitverletzungen ausgeschlossen werden können. Zudem zeigten sich in
der unfallnahen Bildgebung bereits Verschleißerscheinungen in den mittleren Brustwirbelsäulensegmenten, die identisch in der
Kontroll-Kernspintomographie vom Mai 2005 bestätigt werden konnten.
Es ist Dr. G. darin zu folgen, dass es durch das Unfallgeschehen vom 12.11.2004 allenfalls zu einer Zerrung bzw. Irritation
oder Blockierung der Facettgelenke (kleine Wirbelgelenke) bzw. des Rippenwirbelgelenkes im mittleren Brustwirbelsäulenbereich
gekommen ist. Es handelt sich hier aber um eine rein funktionelle Störung ohne strukturelle Schäden an den Wirbelkörpern,
Bandscheiben oder am Bandapparat. Die Unfallfolge mit Zerrung bzw. Blockierungsphänomen im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule
rechtfertigt einen Behandlungszeitraum von längstens vier Wochen. Die darüber hinaus anhaltende Beschwerdesymptomatik muss
auf die bereits vorbestehenden Verschleißerscheinungen im mittleren Brustwirbelsäulenbereich zurückgeführt werden. Der Bandscheibenvorfall
ist nicht als Unfallfolge anzuerkennen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch den Arbeitsunfall ist nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).