Entschädigung von Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren; Erstattung von Zehrkosten
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Wahrnehmung eines Gerichtstermins, für den sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist. Insbesondere macht
er Zehrkosten geltend.
In dem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) geführten Rechtsstreit des Antragstellers gegen die Deutsche Rentenversicherung
Bund fand am 26.08.2010 ein Erörterungstermin statt; das persönliche Erscheinen des Antragstellers war angeordnet. Der Termin
dauerte von 12.10 Uhr bis 13.15 Uhr.
Mit Entschädigungsantrag vom 02.09.2010 beantragte der Antragsteller die Entschädigung (Fahrtkosten, Zehrkosten in Höhe von
14,50 EUR) für das Erscheinen beim Erörterungstermin. Er sei um 8.30 Uhr von zu Hause weggefahren und um 16.30 Uhr wieder
zurückgekommen; benutzt habe er öffentliche Verkehrsmittel. Am 08.09.2010 stellte der Antragsteller klar, dass er keine Fahrtkostenerstattung
beantrage, da er das Merkzeichen G habe.
Mit Schreiben vom 13.09.2010 lehnte die Kostenbeamtin des Bayer. LSG eine Entschädigung ab. Ein Ersatz von Auslagen für Speisen
und Getränke komme nur in Betracht, wenn die Abwesenheit mindestens acht Stunden betrage.
Dagegen hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 23.09.2010 gewandt. Während seiner fast achtstündigen Abwesenheit wegen
des Gerichtstermins habe er Auslagen für Speisen und Getränke in Höhe von 14,40 EUR gehabt. Wegen seiner schwerwiegenden Erkrankung
hätte er den Gerichtstermin ohne vorheriges Mittagessen nicht wahrnehmen können.
II.
Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 23.09.2010 sinngemäß die gerichtliche Festsetzung
beantragt.
Die Entschädigung für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 26.08.2010 ist auf 0,- EUR festzusetzen.
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der von der Kostenbeamtin vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige
Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch die Kostenbeamtin handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die
durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Entscheidung vom 05.11.1968,
Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungswege sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis
gegenstandslos (ständige Rechtsprechung, vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 4.12 - m.w.N.). Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen,
ohne auf Einwände gegen die Kostenfestsetzung im Verwaltungsweg beschränkt zu sein.
Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß §
191 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich wie hier um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinne des §
183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.
1. Fahrtkosten
Für Fahrtkosten gemäß § 5 JVEG ist keine Entschädigung zu leisten.
Der Kläger hat selbst angegeben, dass ihm als Inhaber des Merkzeichens G bei der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln
keine Kosten entstanden seien, und seinen Entschädigungsantrag, mit dem er ursprünglich auch eine Fahrkostenerstattung beantragt
hatte, entsprechend korrigiert.
2. Verpflegungskosten
Verpflegungskosten sind nicht zu erstatten.
Zehr- oder Verpflegungskosten sind als allgemeiner Aufwand im Sinne von § 6 Abs. 1 JVEG erstattungsfähig, wenn sie infolge des gerichtlich angesetzten Termins objektiv notwendig sind. Aus dem Verweis in § 6 Abs. 1 letzter Halbsatz JVEG auf das Tagegeld im Sinne von §
4 Abs.
5 Satz 1 Nr.
5 Satz 2 Einkommenssteuergesetz (
EStG) wird deutlich, wann und in welcher Höhe Verpflegungskosten in Form einer Zehrkostenpauschale als notwendiger allgemeiner
Aufwand zu erstatten sind. Nach der Regelung des §
4 Abs.
5 Satz 1 Nr.
5 Satz 2
EStG kann erst bei einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden ein Tagegeld bewilligt werden. Eine achtstündige Abwesenheit
vom Wohnort ist damit auch Voraussetzung für die Zehrkostenpauschale.
Eine durch den Gerichtstermin erforderlich gewordene Abwesenheit von dieser Mindestdauer ist im vorliegenden Fall nach den
eigenen Angaben des Antragstellers nicht gegeben gewesen. Vielmehr hat er im Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung vom
23.09.2010 ausdrücklich eine (nur) "fast 8-stündige Abwesenheit", also von weniger als acht Stunden, angegeben. Der Senat
geht von der Richtigkeit dieser Angabe aus. Wenn der Antragsteller im Antrag vom 02.09.2010 noch eine Abwesenheit von 8.30
Uhr bis 16.30 Uhr - und damit von acht Stunden - angegeben hat, hat dies für den Senat keinen so großen Beweiswert wie die
Angabe des Klägers im Schreiben vom 23.09.2010. Zum einen liegt es nahe, dass im Antrag vom 02.09.2010 vergleichsweise grob
geschätzte Zeitangaben gemacht worden sind. Zum anderen muss dem Antragsteller aufgrund des Schreibens der Kostenbeamtin vom
13.09.2010 bewusst gewesen sein, dass seine Abwesenheitszeit von zu Hause "grenzwertig" für die Gewährung der Zehrkostenpauschale
ist. Gleichwohl hat der Antragsteller seinen Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung nicht damit begründet, dass die Abwesenheit
tatsächlich acht Stunden (oder mehr) betragen habe. Vielmehr hat er eine Abwesenheit von nur "fast" acht Stunden angegeben
und seinen Antrag medizinisch damit begründet, dass er erkrankungsbedingt vor dem Gerichtstermin ein Mittagessen habe einnehmen
müssen. Auf weitergehende Ermittlungen des Senats zur objektiv erforderlichen Abwesenheitsdauer konnte daher verzichtet werden.
Wegen der nicht nachgewiesenen Abwesenheitsdauer von acht Stunden können dem Antragsteller keine Zehrkosten erstattet werden.
Ein Ermessensspielraum, Zehrkosten zu erstatten, wenn die Zeitgrenze von acht Stunden nur geringfügig unterschritten ist,
ist nicht eröffnet.
Ob in der Person des Klägers eine Erkrankung vorgelegen hat, die ihn dazu gezwungen hat, vor dem Gerichtstermin ein Essen
einzunehmen, kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben. Denn es würde sich dabei um einen Gesichtspunkt
handeln, der für die Entscheidung, ob Zehrkosten zu erstatten sind, nach den gesetzlichen Regelungen keine Bedeutung hat.
Insbesondere hat der Gesetzgeber keine Härtefallregelung vorgesehen, die eine ausnahmsweise Kostenerstattung auch bei einer
Abwesenheitsdauer von unter acht Stunden oder beim Vorliegen besonderer Gründe erlauben würde.
3. Entschädigung für Zeitversäumnis
Eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Sinne des § 20 JVEG ist nicht zu leisten.
Eine Entschädigung für Zeitversäumnis wird - auch bei Beteiligten des sozialgerichtlichen Verfahrens - regelmäßig dann zu
erbringen sein, wenn weder ein Verdienstausfall noch Nachteile bei der Haushaltsführung geltend gemacht werden können. Denn
bei dieser Entschädigung für sonstige Nachteile ist es nicht erforderlich, dass dem Betroffenen geldwerte Vorteile entgehen
(vgl. Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 20.5). Zudem besteht mit § 20 letzter Halbsatz JVEG eine widerlegbare gesetzliche Vermutung dahingehend, dass ein Nachteil erstanden ist.
Mit der Frage, wann die gesetzliche Vermutung als widerlegt zu betrachten ist, hat sich der Senat eingehend in seinem grundlegenden
Beschluss vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, auseinander gesetzt. Danach ist lediglich dann, wenn dem Antragsteller "ersichtlich" kein Nachteil entstanden ist, eine
Entschädigung für Zeitversäumnis nicht zu leisten. Davon, dass ersichtlich kein Nachteil entstanden ist, ist dann auszugehen,
wenn sich aus den eigenen Angaben des Antragstellers ergibt, dass er die Zeit nicht anderweitig sinnvoll verwendet hätte,
oder wenn es offensichtlich ist, dass ein Nachteil nicht eingetreten ist. Von ersterem ist dann auszugehen, wenn ein Antragsteller
im Antrag nichts angibt, was auf eine Zeitversäumnis hindeutet und nicht einmal durch Ankreuzen der entsprechenden Stelle
im Antragsformular zu erkennen gibt, dass ihm eine Zeitversäumnis entstanden ist. Ob der Nichteintritt eines Nachteils aus
anderen Gründen ersichtlich, d.h. offensichtlich erkennbar ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Die Anforderungen
an die Prüfpflicht der Kostenbeamten sind dabei angesichts der gesetzlichen Vermutung nur sehr gering (vgl. Beschluss des
Senats vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Denn mit der Entschädigung für Zeitversäumnis gemäß § 20 JVEG wird auch der Verlust von Freizeit entschädigt, wobei die Verwendung von Freizeit sehr vielgestaltig ist und im Belieben
des Einzelnen steht. Eine Beurteilung der Wertigkeit der Freizeitgestaltung steht dem Kostenbeamten genauso wie dem Kostenrichter
nicht zu.
Im vorliegenden Fall kann eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht erfolgen, da die gesetzliche Vermutung des § 20 letzter Halbsatz JVEG als widerlegt zu betrachten ist. Der Antragsteller hat weder durch Ankreuzen der entsprechenden Stelle im Antragsformular
zu erkennen gegeben, dass ihm eine Zeitversäumnis entstanden ist, noch im Antrag etwas angegeben, das auf eine Zeitversäumnis
hindeuten könnte, noch sind irgendwelche anderen Gründe, die eine Zeitversäumnis begründen könnten, offensichtlich erkennbar.
Der Antragsteller hat daher keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der Wahrnehmung des Gerichtstermins am 26.08.2010.
Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung gemäß § 4
Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).