Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr.2108 Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) anzuerkennen ist.
Der 1955 geborene Kläger ist gelernter Akustikbauer. Er war zwischen 1970 und 1999 als Rollladenbauer, Schlosserhelfer, Trockenbauer
und Stapelfahrer tätig, zuletzt seit 1982 als Trockenbauer. Seit 1999 ist er berentet. Bei einer Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule
(LWS) des Klägers am 01.07.1999 waren Bandscheibenvorfälle in den Bereichen L3/4, L4/5 und L5/S1 festgestellt worden. Mit
Schreiben vom 04.01.2000 beantragte er, seine Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen.
Mit Bescheid vom 20.09.2000 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Eine Berufskrankheit
liege nicht vor. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2000 zurückgewiesen.
Hiergegen legte der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg ein (Az.: S 5 U 475/00). In der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2002 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach sich die Beklagte bereit
erklärte, das Vorliegen der arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen nochmals zu überprüfen und neu zu verbescheiden.
Der TAD überprüfte die arbeitstechnischen Voraussetzungen des Klägers. Für den Kläger errechnete sich nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell
eine Lebensdosis von 29,782 MNh. Damit sei der vorgeschlagene Richtwert für eine Mindestexposition von 25 MNh, ab der ein
Risiko für die Entstehung bandscheibenbedingter Bandscheibenerkrankungen durch schweres Heben und Tragen sowie durch extreme
Rumpfbeugehaltungen angenommen wird, überschritten. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen wurden bejaht. Daraufhin holte
die Beklagte ein orthopädisches Gutachten bei Dr. L. ein. Dieser kam am 12.03.2003 zum Ergebnis, dass eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der LWS vorliege. Die berufliche Belastung sei im Rahmen der maßgeblichen Teilursachen als höchstens gleichwertig
den endogenen Faktoren gegenüber zu sehen. Es kämen auch diverse konkurrierende Ursachen (muskuläre Dysballance, Rumpfadipositas,
Nikotinabusus) für die Entstehung der Erkrankung in Betracht.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.06.2003 die Anerkennung einer Bk-Nr.2108 und die Gewährung von Leistungen
ab.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2003 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 06.10.2003 Klage beim Sozialgericht Augsburg (SG). Nach Beiziehung dieser Befunde wurde der Dr. P. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Er kam in seinem Gutachten
vom 25.10.2004 zum Ergebnis, dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne von Nr.2108 der Anlage
zur
BKV vorliege. Die MdE schätzte er mit 10 v.H. ein. Die Beklagte legte eine gutachterliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. K.
vor. Dieser sah im Bereich der LWS keine dem Altersmaß vorauseilende Sklerosierung der Deck- und Grundplatten und keine dem
Alter des Versicherten vorauseilende spondylotischen Stützungsvorgänge im Bereich der mittleren und oberen LWS oder direkt
am dorsolumbalen Übergang. Eine BK nach Nr. 2108 sei nicht zu begründen.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.11.2005 wies das SG die Klage ab. Es fehle am einwirkungskonformen Krankheitsbild. Der Gutachter Dr. P. habe ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass hier ein atypisches Schadensbild gegeben sei. Es lägen nämlich starke Veränderungen im Bereich der BWS bzw. im Übergangsbereich
von BWS und LWS vor, wohingegen die Veränderungen im Bereich der unteren LWS eher gering ausgeprägt seien. Aufgrund der Veränderungen
im Bereich der BWS sei davon auszugehen, dass sich die Verschleißerscheinungen aus innerer Ursache entwickelt hätten. Das
Gericht könne Dr. P. nicht folgen, der gerade aus diesem untypischen Schadensbild einen Kausalzusammenhang hergeleitet habe.
Hiergegen hat der Kläger am 09.12.2005 Berufung eingelegt. Der Senat hat ein Gutachten bei dem Chirurgen Dr. R. vom Städtischen
Krankenhaus E-Stadt eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.01.2007 ausgeführt, dass für die Anerkennung einer BK
2108 ein von kranial nach kaudal zunehmender Schaden anzunehmen sei. Die Sklerosierung der Grund- und Deckplatten sei neben
dem Bandscheibenschaden sicherstes Indiz einer relevanten mechanischen Belastung. Beim Kläger ließen sich nennenswerte sklerotische,
also belastungsverursachte Veränderungen der Grund- und Deckplatten, welche die altersgemäß zu erwartenden Ausprägungen deutlich
und mit von kranial nach kaudal zunehmende Intensität überschreiten würden, nicht erheben. Das Maximum der Verschleißerkrankung
finde sich beim Kläger nicht im Bereich der LWS, explizit hier die Bandscheibenschädigung L4/5 ausgenommen, sondern im Bereich
der BWS. Deshalb sei ein belastungsspezifisches Schadensbild nicht vorliegend und eine BK 2108 nicht anzuerkennen.
Auf Antrag des Klägers hat der Dr. W. ein weiteres Gutachten erstellt. Er hielt die berufliche Exposition für die Entstehung
der Gesundheitsstörung für überwiegend bedeutsam. An der LWS liege eine dreisegmentale Erkrankung der Bandscheibe an LWK 3/4,
LWK 4/5 und LWK 5/S1 mit Bandscheibenvorfall und Osteochondrose sowie diskreter Spondylose vor. Daneben fand er degenerative
Veränderungen der BWS im Segment BWK 7 bis BWK 11 sowie Abnutzungserscheinungen der HWS in den Segmenten C3 bis C7. Eine BK
nach der Nr.2108 sei bei multisegmentaler Bandscheibenerkrankung mit Wurzelreizsyndrom anzuerkennen.
Auf Antrag des Klägers hat das Gericht ein röntgenologisches Zusatzgutachten bei Dr. G., B-Stadt, in Auftrag gegeben. Dieser
ist am 11.05.2009 zum Ergebnis gekommen, dass sämtliche röntgenmorphologische Veränderungen der BWS charakteristisch seien
für einen sog. Morbus Forestier. Die bildmorphologischen Kriterien zeigten einen durchgemachten Bandscheibenvorfall in den
Segmenten L4/5 und L5/S1 mit deutlicher Rechtsbetonung seit 1999. In der Folge sei es zu einer weitgehenden Stabilisierung
der Bandscheibenverhältnisse gekommen. Einen Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit als Trockenbauer hat Dr. G. nicht
erkennen können. Die Wirbelsäulenschäden seien nur zum geringeren Teil belastungsabhängig.
In der mündlichen Verhandlung vom 05.08.2009 wurde darauf hingewiesen, dass die bisher gehörten Gutachter sich nicht zu den
Voraussetzungen nach dem Konsenspapier geäußert hätten. Der Senat hat daraufhin den Orthopäden Dr. E. zum Sachverständigen
ernannt. Er ist in seinem Gutachten vom 31.10.2009 zum Ergebnis gekommen, beim Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung
der Wirbelsäule im Sinne von Nr. 2108 der Anlage zur
BKV vor. Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren lägen bei Beachtung der Konsensempfehlungen nicht vor. Die MdE sei mit 10
v.H. einzuschätzen.
Auf die Einwendungen der Beteiligten hin hat Dr. E. am 19.04.2010 eine ergänzende Stellungnahme erstellt. Unter Berücksichtigung
der Konsensempfehlungen liege die Konstellation B 1 vor. Erkenne man die geringen Spondylophyten nicht als Begleitspondylose
an, so sei Konstellation B 2 anzusetzen.
Auf die Einwendungen der Beklagten hat der Senat bei dem Sachverständigen Dr. R. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt.
Auch unter Rückgriff auf die Konsensempfehlungen müsse beim Kläger davon ausgegangen werden, dass ein vorauseilender monosegmentaler
Bandscheibenschaden über einen längeren Zeitraum bestanden habe, welcher dann auch die Veränderungen im vorletzten lumbalen
Segment nach sich gezogen habe. Beim Kläger ergebe sich kein Hinweis für eine relevante Belastungseinwirkung. Das vorliegende
klinische Beschwerdebild sei nur zum Teil auf die Bandscheibenschäden zurückzuführen und zum Teil durch die bestehenden und
aufgelisteten Erkrankungen des Achsorgans allein zu erklären.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 16.11.2005 und des Bescheides vom 04.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25.09.2003 zu verurteilen, festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung vorliegt und ihm daraus eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) und teilweise begründet, da die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108
der Anlage zur
BKV erfüllt sind.
Berufskrankheiten sind nach §
7 Abs.
1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB VII) Versicherungsfälle. Berufskrankheiten sind dabei Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Vorliegend betrifft der Rechtsstreit Ziffer 2108 der Anlage 1 der
BKV - bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige
Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung,
Verschlimmerung oder das Wideraufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt einerseits das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der
haftungsbegründenden Kausalität, andererseits der medizinischen Voraussetzungen im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität
voraus, d.h. es muss das typische Krankheitsbild der Berufskrankheit vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen
Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sein. Dabei reicht es aus, dass die berufliche
Tätigkeit wesentlich mitursächlich für den Gesundheitsschaden ist.
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind für die Zeit bis zur Aufgabe der Tätigkeit 1999 gegeben. Dies hat die nochmalige
Überprüfung durch den TAD der Beklagten ergeben. Nach den Berechnungen der Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell
(MDD) ergibt sich, dass beim Kläger eine Lebensdosis von 29,782 MNh gegeben ist. Damit ist der vorgeschlagene Richtwert für
eine Mindestexposition von 25 MNh, ab der ein Risiko für die Entstehung bandscheibenbedingter Bandscheibenerkrankungen durch
schweres Heben und Tragen sowie durch extreme Rumpfbeugehaltungen angenommen wird, überschritten. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen
sind deshalb erfüllt.
Auch die medizinischen Voraussetzungen liegen vor. Dies hat der Gerichtssachverständige Dr. E. in seinem Gutachten vom 31.10.2009
und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.04.2010 überzeugend dargelegt.
Für die Beurteilung der Ursächlichkeit sind als Kriterien die belastenden Einwirkungen, das Krankheitsbild, insbesondere ob
ein altersuntypischer Befund und ein belastungskonformes Schadensbild vorliegen, eine zeitliche Korrelation zwischen den Einwirkungen
und dem Erkrankungsverlauf sowie das Vorliegen von konkurrierenden Ursachen wie z.B. endogene Veranlagungen zugrunde zu legen
(BSG vom 27. Juni 2006, Az.: B 2 U 13/05 R, m.w.N.). Die berufliche Exposition müsste, wie dargelegt, zumindest eine wesentliche Mitursache für die Gesundheitsstörungen
sein. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit der beruflichen Exposition notwendige Wahrscheinlichkeit
liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches
Übergewicht zukommt.
Der vom Senat bestellte Sachverständige Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 31.10.2009 bejaht, dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der Wirbelsäule im Sinne von Nr. 2108 der Anlage zur
BKV vorliegt. Dieser Ansicht ist zu folgen. Am 01.07.1999 waren durch Kernspintomographie Bandscheibenvorfälle nachgewiesen worden.
Es bestand ein sensibles Wurzelreizsyndrom rechts. Laut Dr. E. sind durch den Degenerationsprozess die Bandscheiben der drei
untersten Bewegungssegmente der LWS betroffen. Die Kernspintomographie vom 01.07.1999 zeigt eindeutige Dehydrationen der Bandscheiben
mit Bandscheibenvorfällen in der vorletzten und drittletzten Etage sowie einer Bandscheibenprotrusion der untersten Etage.
Die darüberliegenden Etagen bzw. Bandscheiben zeigen keine wesentlichen Veränderungen dieser Art. Es liegt somit eine bandscheibenbedingte
Erkrankung vor.
Im Bereich der Halswirbelsäule bestehen dagegen keine wesentlichen degenerativen Veränderungen. An der BWS zeigten Röntgenaufnahmen
aus dem Jahr 2004 ausgeprägte spondylotische Veränderungen mit teilweise spangenförmigen Osteophyten im unteren Bereich der
BWS. Die Veränderungen sind typisch für das Krankheitsbild einer Spondylosis hyperostotica, Morbus Forestier. Sie haben entsprechend
diesem Krankheitsbild, das üblicherweise erst nach dem 50. Lebensjahr in Erscheinung tritt, im weiteren Verlauf deutlich zugenommen.
Diese Veränderungen können nicht in Zusammenhang mit körperlichen Belastungen gebracht werden. Zudem ist davon auszugehen,
dass zum Zeitpunkt der Arbeitsaufgabe im Jahre 1999 kaum solche Veränderungen vorlagen. Rückschlüsse, dass die BWS vom Degenerationsprozess
stärker betroffen war als die LWS, was maßgeblich für das Urteil des Sozialgerichts Augsburg (SG) war, sind damit unbegründet.
Auch Dr. G. hat in seinem radiologischen Zusatzgutachten vom 11.05.2009 einen Morbus Forestier festgestellt. Dieser hat aber
entgegen der Beurteilung des Dr. G. keinen Einfluss auf die LWS (s.a. Schönberger/Merthens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
8. Auflage, S. 507). Der Morbus Forestier führt nicht zu einer Beeinträchtigung der LWS und gilt auch nach den Konsensempfehlungen
nicht als eine konkurrierende Ursache.
Der derzeitige wissenschaftliche Stand zu Fragen der Anerkennung als BK nach Nr. 2108 der Anlage zur
BKV wird durch die sog. Konsensempfehlungen - medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der
LWS (Konsensempfehlung von Bolm-Audorff, u.a. veröffentlicht in Trauma und Berufskrankheit III 2005, 211, 216 ff., 228 ff.),
wiedergegeben. Diese Konsensempfehlungen hat Dr. E. in seinem Gutachten vom 31.10.2009 zugrunde gelegt. Die früher in dem
Verfahren tätigen Sachverständigen Dr. G., Dr. R. und Dr. L. sowie Dr. P. hatten diese noch nicht berücksichtigt.
Das Gutachten des Dr. G. ist insoweit nicht aussagekräftig, da er zu den beruflichen Belastungen Stellung nimmt, die er für
zu gering hält. Er konnte jedoch noch nicht auf den Befund des TAD und der Belastungseinschätzung nach dem MDD zurückgreifen.
Danach ist geklärt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen, wie oben bereits ausgeführt, vorliegen.
Dr. R., und Ingenieur, geht in seinem Gutachten vom März 2002 von einer wesentlich höheren Belastung aus, als ursprünglich
vom TAD angegeben und bestätigt das Vorliegen einer BK. Es fehlt aber die entsprechende Begründung nach den Konsensempfehlungen.
Der Dr. L. schätzte berufliche und konstitutionelle Faktoren gleich hoch für die Entwicklung des Bandscheibenleidens ein.
Konkurrierende Faktoren liegen jedoch bei Beachtung des Konsenspapiers nicht vor. Beim Kläger ist zunächst die anatomische
Besonderheit mit 6 Lendenwirbeln bzw. einer Lumbalisation des 1. Sakralwirbels zu erörtern, wobei eine persistierende Wirbelbogenspalte
im untersten freien Lendenwirbel vorliegt und entsprechend zu berücksichtigen ist. Für Übergangswirbel ohne Asymmetrien, persistierende
Wirbelkörperspalten und eine hypersegmentierte, d.h. 6-gliedrige LWS ist aufgrund der Literaturangaben nicht von einer erhöhten
Bereitschaft zu Bandscheibendegenerationen auszugehen (Schönberger/Merthens/Valentin, aaO., S. 507, Konsensempfehlungen 2.1.3).
Aufgrund umfangreicher Literaturangaben (s. Konsensempfehlungen 2.1.7 und 2.1.8) geht auch die Hyperlordose nicht mit vermehrter
Bandscheibendegeneration einher. Die Hyperlordose muss daher für die ursächliche Bewertung außer Acht bleiben. Gleiches gilt
für die sog. Lifestylelfaktoren, die in den anderen Gutachten eingehend diskutiert wurden. Es gibt keine gesicherten Hinweise
dafür, dass durch Adipositas, Nikotinabusus und das mit der Adipositas in Zusammenhang stehende metabolische Syndrom Bandscheibenleiden
begünstigt würden (Konsensempfehlungen 2.1.16).
Damit scheiden wesentliche konkurrierende Verursachungsfaktoren für das Auftreten der bandscheibenbedingten Erkrankung beim
Kläger aufgrund der Konsensempfehlungen aus. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Bandscheibendegeneration der drei
untersten Etagen der LWS mit kernspintomographisch nachgewiesenen Bandscheibenvorfällen bzw. Bandscheibenprotrusion bei dem
damals 44 Jahre alten Kläger als altersuntypische bandscheibenbedingte Erkrankung zu werten ist. Laut Definition in den Konsensempfehlungen
(Abschn.1.2) wird zur Definition des altersuntypischen Bandscheibenvorfalles gefordert, dass Bandscheibengewebe mindestens
5 mm über die Verbindungslinie der dorsalen Begrenzungen der Wirbelkörperhinterkanten hinaus ragt. Dies ist im Falle des Klägers
in den Kernspintomographieaufnahmen vom 01.07.1999 zumindest in der vorletzten und vorvorletzten Etage der LWS der Fall. Bandscheibendegenerationen
mit Höhenminderung und Osteochondrose sowie Vorfälle in drei Etagen bestehen, in zwei Etagen sind die Forderungen bezüglich
eines Bandscheibenvorfalles entsprechend den Konsensempfehlungen erfüllt. Diese Befunde sind aus den Kernspintomographieaufnahmen
vom 01.07.1999 ersichtlich. Hierbei handelt es sich laut Dr. E. um einen für das Alter des Klägers außergewöhnlichen pathologischen
Befund.
Laut dem Sachverständigen Dr. E. ist eine Beurteilung der Begleitspondylophyten nicht möglich. Allerdings sind spondylophytäre
Anbauten in den ersten vorliegenden Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 2004 am 2. und 3. Lendenwirbelkörper erkennbar, sie haben
eine Ausdehnung von etwa 2 bis 4 mm bei einem anzunehmenden Vergrößerungsfaktor von 1:1,15. Da spondylophytäre Anlagerungen
an der HWS fehlen, können diese kleinen Veränderungen an der LWS oberhalb der bandscheibenbedingten Schädigungsregion als
Begleitspondylose gewertet werden. Es ist von einer geringen Begleitspondylose auszugehen. Die Voraussetzungen der Konstellation
B 1 des Konsenspapiers wären damit erfüllt und ein beruflicher Zusammenhang damit wahrscheinlich.
Alternativ - da die spondylophytären Anbauten nur gering sind - liegt die Konstellation B 2 vor, da beim Kläger bereits im
Alter von 44 Jahren Bandscheibendegenerationen (Black disc) mit Höhenminderungen und Osteochondrose in drei Etagen der LWS
vorlagen, wobei in zwei Etagen Bandscheibenvorfälle entsprechend der Richtlinien der Konsensempfehlungen vorlagen, in einer
weiteren Etage eine deutliche Bandscheibenprotrusion.
Der Kläger war bei seiner beruflichen Tätigkeit auch hohen Belastungsspitzen ausgesetzt. Wird die Gesamtbelastung durch kurzzeitige
Belastungsspitzen erreicht, so kann das Fehlen der Begleitspondylose nicht als Indiz gegen das Vorliegen einer beruflichen
Bandscheibenschädigung gewertet werden. Damit erfüllt der Kläger nicht nur ein Kriterium, sondern zwei Kriterien für die Einstufung
in die Konstellation B 2, womit ebenfalls der Zusammenhang zwischen den Bandscheibenschäden und der beruflichen Exposition
als wahrscheinlich zu werten ist.
Abschließend ist festzustellen, dass entweder die Konstellation B 1 vorliegt, sofern man die geringfügigen spondylophytären
Anbauten am 2. und 3. Lendenwirbel, also oberhalb der Bandscheibenschäden als Begleitspondylose wertet. Erkennt man die geringen
Spondylophyten nicht als Begleitspondylose an, so ist die Konstellation B 2 anzusetzen, da das Bandscheibenleiden die drei
untersten Bewegungssegmente der LWS betrifft mit nachgewiesenen Bandscheibendegenerationen unter Höhenminderung der Zwischenwirbelräume
mit Osteochondrose und Bandscheibenvorfällen in zwei Etagen und einer Bandscheibenprotrusion in einer weiteren Etage. Zudem
ist von einem besonderen Gefährdungspotential durch Belastungsspitzen auszugehen, da laut Gutachten des TAD überwiegend hohe
Belastungsspitzen mit Hebebelastungen über einen Zeitraum von wenigen Sekunden zum Erreichen der Gesamtdosis geführt haben.
Dem Gutachten des Dr. R. und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.09.2010 ist hingegen nicht zu folgen. Dr. E. ist hierauf
in seinem Gutachten eingegangen und hat die Befundung durch Dr. R. widerlegt. Dieser fordert eine Belastungsadaption,
d.h. Sklerosierung der Deck- und Bodenplatten, was laut Dr. E. bei der etwas eingeschränkten Röntgenqualität infolge der Adipositas
schwer beurteilbar ist. Weiter geht er von der falschen Annahme aus, dass die BWS durch berufliche Einflüsse verändert wurde.
Hier ist jedoch die Befundung durch Dr. G. und Dr. E. anzuführen, die beide von einem Morbus Forestier ausgehen, der keinerlei
Zusammenhang mit beruflicher Exposition hat. Die 6-Gliedrigkeit der LWS stellt keinen konkurrierenden Faktor aufgrund der
Konsensempfehlungen und der vom Expertengremium anstrengten Literaturauswertung dar. Dem Gutachten des Dr. R. ist deshalb
nicht zu folgen.
Eine BK 2108 ist deshalb dem Grunde nach zu bejahen.
Eine MdE rentenberechtigenden Grades (§
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII) ergibt sich hieraus jedoch nicht. Beim Kläger handelt es sich um ein lokales LWS-Syndrom bzw. lumbales Wurzelkompressionssyndrom
mit belastungsabhängigen Beschwerden und leichten Funktionseinschränkungen. Ein stärkeres Wurzelreizsyndrom kann nicht bejaht
werden. Gesicherte Nervendehnungszeichen fehlen ebenso wie motorische Störungen. Es liegt ein unauffälliges Reflexverhalten
vor, die angegebenen sensiblen Störungen sind nicht eindeutig radikulär zuzuordnen. Bereits Ende des Jahres 1999 war elektromyographisch
kein pathologischer Befund vorgefunden worden. Für eine wesentliche Änderung hinsichtlich des neurologischen Befundes ergeben
sich keine Hinweise. Die MdE ist deshalb mit 10 v.H. einzuschätzen.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 16.11.2005 war deshalb aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, beim
Kläger eine BK 2108 festzustellen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung
einer Verletztenrente wegen der BK. Ein Stützrententatbestand liegt nicht vor.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §
193 SGG. Die Kosten sind zu quoteln, da der Kläger wegen der Verletztenrente erfolglos blieb. Das Hauptgewicht liegt jedoch auf der
Anerkennung der BK.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.