Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Prüfung der hinreichende Erfolgsaussichten bei der Gebotenheit
einer erneuten Zeugenvernehmung
Gründe:
I. Streitig ist, ob dem Kläger für das Verfahren vor dem Sozialgericht München Prozesskostenhilfe zu gewähren ist.
Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) begehrt im Klageverfahren vor dem Sozialgericht München im Rahmen eines
Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit Bescheid vom 17. Mai 2006 in der Gestalt des bestandskräftigen Widerspruchsbescheides
vom 27. Mai 2008 hatte es die Beklagte und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Bg.) abgelehnt, ein Ereignis vom 13. Juli 1989
als Arbeitsunfall anzuerkennen und Leistungen zu gewähren. Dabei hatte sie auch das Ergebnis einer amtlichen Zeugeneinvernahme
des Herrn K. S. und des Herrn D. A. durch das Versicherungsamt bei der Landeshauptstadt A-Stadt berücksichtigt.
Den Überprüfungsantrag vom 3. Februar 2009 lehnte die Bg. mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23. Februar 2010 ab. Das geltend gemachte Unfallereignis lasse sich weiterhin nicht mit Gewissheit nachweisen. Die beiden
Zeugen hätten nicht übereinstimmend und zweifelsfrei bestätigt, dass sie den Sturz vom Nebenraum aus unmittelbar mitbekommen
haben.
Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage hat der Bf. erneut auf die Aussagen des Arbeitskollegen K. sowie seines Bruders
D. A. verwiesen. Beide Zeugen hätten bei ihrer Aussage am 29. November 2006 bestätigt, dass sie gemeinsam mit dem Kläger am
Unfalltag auf einer neuen Baustelle tätig gewesen seien, wobei jeder der drei Kollegen in einem anderen Raum Arbeiten verrichtet
habe. Beide hätten ferner bestätigt, dass sie den Sturz im Nebenraum gehört hätten und dass der Bf. unmittelbar nach dem Sturz
bereits Beschwerden an der Schulter geäußert hätte.
Zugleich hat der Bf. die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Zuziehung der Prozessbevollmächtigten beantragt.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 27. August 2010 abgelehnt. Die Klage
habe keine Erfolgsaussicht. Es seien keine neuen Tatsachen oder Beweismittel ersichtlich, die vorliegend zu einer erneuten
Sachprüfung Anlass geben würden. Bereits in dem mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2008 abgeschlossenen Verwaltungsverfahren
seien sämtlich, bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Tatsachen und Beweismittel einschließlich der Zeugenaussagen des Herrn A.
und des Herrn K. gewürdigt worden.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss hat der Bf. erneut mit den o.g. Zeugenaussagen begründet. Aufgrund dieser, viele Jahre
später eingeholten Zeugenaussagen sei zumindest das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bewiesen.
Die Bg. hat auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Aus der Beschwerdebegründung ergäben sich keine Gesichtspunkte,
die bisher nicht berücksichtigt worden seien.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach §
73 a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i. V. m. §§
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe. Voraussetzungen sind die Glaubhaftmachung der
Bedürftigkeit, des Ausschlusses der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung und eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten
Rechtsverfolgung. Ist, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben,
wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§
121 Abs.
2 ZPO).
Das Sozialgericht ging zu Unrecht davon aus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet. Zur Beurteilung der Erfolgsaussicht darf und muss sich das Gericht mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussicht
begnügen. Der Erfolg braucht zwar nicht gewiss zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für sich haben. Dies kann vorliegend nicht verneint werden.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder
Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Erforderlich ist, dass der Verwaltungsakt bei Erlass rechtswidrig war. Anders als bei § 48 SGB X ist eine Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen nicht erforderlich.
Der Bf. begründet seine Einwendungen mit der Nichtberücksichtigung der Zeugenaussagen. Darüber hinaus ist aber weder der Versicherungsträger
noch das Gericht bei der Überprüfung des ursprünglichen Verwaltungsaktes auf die vom Betroffenen vorgebrachten Einwände beschränkt
(BSGE 79, 297, 299). Ergeben sich jedoch im Einzelfall keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit, so kann sich die Entscheidung darauf
beschränken, nur das Vorbringen abzuhandeln (zum Ganzen: KassKomm-Steinwedel, § 44 SGB X, Rdnr. 43).
Die Bg. hat sich in dem streitgegenständlichen Bescheid nochmals mit der Würdigung der Zeugenaussagen befasst. Zwar geben
beide Zeugen ausweislich der Niederschrift des Versicherungsamtes an, den Unfall nicht direkt gesehen zu haben. Beide bestätigen
jedoch, dass der Bf. an diesem Tag über Schulterschmerzen klagte. Vor allem der Bruder des Bf. berichtete von einem Geräusch
im Nebenzimmer, das sich wie ein Sturz anhörte. Er sei sofort hinüber gelaufen, habe den Bf. am Boden liegen sehen und ihm
aufgeholfen. Allerdings verkennt auch der Senat nicht, dass es in der Zeugenaussage vor allem einen Widerspruch zu der Wahrnehmung
des Zeugen K. gibt. Dieser hatte angegeben, erst in der Mittagspause von dem Ereignis erfahren zu haben, während der Bruder
angegeben hat, zusammen mit Herrn K. dem Bf. sofort geholfen zu haben. Ferner ergibt sich aus der Akte der Krankenkasse, dass
der Bf. dem Bruder das Unfallereignis erzählt hatte. Danach soll sich der Unfall auch erst um 16.00 Uhr und somit nicht vor
dem Mittagessen ereignet haben.
Das Sozialgericht hat sich allein aufgrund der Aktenlage in dem angefochtenen Beschluss im Ergebnis der Ansicht der Bg. angeschlossen,
dass die Zeugenaussagen zum Teil widersprüchlich sind und insgesamt nicht zum Nachweis eines Arbeitsunfalls ausreichen. Bislang
hat es sich aber noch kein eigenes Bild über die Glaubwürdigkeit der Zeugen gemacht. Dies ist jedoch aber im Grundsatz vor
allem dann zu fordern, wenn das Gericht die Zeugenaussagen für nicht glaubhaft hält. Auch erscheint es dem Senat erforderlich
zu versuchen, die bestehenden Widersprüche aufzuklären. Zu Recht weist der Bf. nämlich darauf hin, dass zwischen dem Unfallereignis
und der Zeugenvernehmung viele Jahre vergangen sind. Eventuell kann mit der zu fordernden Gewissheit noch das Vorliegen eines
Unfallereignisses als solches nachgewiesen werden; hierbei ist es Aufgabe des Gerichts, Widersprüche in bestimmten, konkreten
Angaben unter Berücksichtigung des Zeitablaufs zu gewichten und die Glaubwürdigkeit der Aussage insgesamt zu bewerten. Da
dies bislang noch nicht geschehen ist, ist vom Vorliegen einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage auszugehen. Da
auch die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, ist Prozesskostenhilfe zu gewähren. In Folge dessen ist auch die Prozessbevollmächtigte
beizuordnen.
Auf die Beschwerde war daher der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben.
Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen §
73 a Abs.
1 S. 1
SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.