MdE-Bewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Knieverletzung; Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt mit gegenwärtige körperlichen Einbußen
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente über den 30.04.2005 hinaus wegen der Folgen des Unfalls vom 16.04.2004.
Der 1966 geborene Kläger erlitt am 16.04.2004 bei einem Autounfall auf einer Betriebsfahrt eine Patellatrümmerfraktur und
Patellaluxation rechts sowie eine Risswunde am linken Knie mit Bursa-Eröffnung. Ein Hinweis für eine Commotio cerebri ergab
sich bei der neurologischen Untersuchung nicht. Nach stationärer Behandlung vom 16.04. bis 27.04.2004 mit Operation erfolgte
eine Anschlussrehabilitationsbehandlung vom 27.04. bis 03.06.2004. Im Abschlussbericht ist die Kniegelenksbeweglichkeit mit
0-30-90° bei endgradigem Schmerz angegeben. Die Untersuchung vom 06.09.2004 zeigte eine zunehmende knöcherne Durchbauung;
die Beweglichkeit war nur endgradig eingeschränkt. Die behandelnden Ärzte schätzten die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus auf unter 20 v. H. ein.
Im Gutachten vom 10.11.2004 führten die Chirurgen Prof. Dr. F. und Dr. H. aus, es bestünden noch eine Bewegungseinschränkung
im Kniegelenk mit belastungsabhängigen Beschwerden sowie eine deutliche Muskelminderung. Die MdE betrage bis zum Ablauf des
ersten Unfalljahres 20 v. H., danach und nach Metallentfernung werde sie voraussichtlich 10 v. H. betragen.
Mit Bescheid vom 01.12.2004 gewährte die Beklagte Gesamtvergütung bis 30.04.2005 nach einer MdE um 20 v. H. Als Unfallfolgen
wurden anerkannt: "Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk, Belastungsbeschwerden des rechten Beines, deutliche Muskelminderung
der Ober- und Unterschenkelmuskulatur rechts nach operativ versorgtem Kniescheiben-Trümmerbruch rechts bei noch einliegendem
Material. Reizlos verheilte Risswunde am linken Knie mit Beteiligung des Schleimbeutels mit noch vorhandenen geringgradigen
Beschwerden bei freier Beweglichkeit."
Im Bericht vom 03.12.2004 gab der Orthopäde Dr. P. an, der Kläger klage über verstärkte Beschwerden am rechten Kniegelenk.
Die Oberschenkelmuskulatur sei deutlich atrophisch mit geringem Erguss. Der postoperative Verlauf nach Metallentfernung war
komplikationslos. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) vom 14.06.2005 zeigte eine knöchern durchbaute Patellarfraktur mit einer
kleinen Stufe, Chondropathia patellae Grad II, einen minimalen Erguss und einen Einriss im Innenmeniskus-Hinterhorn. Die Arthroskopie
vom 18.10.2005 zeigte eine Verbreiterung der Patella; der Gelenkbinnenbefund war unauffällig.
Der Chirurg Prof. Dr. B. führte im Gutachten vom 26.10.2005 aus, es bestünden noch eine endgradige Einschränkung beider Kniegelenke
bei Beugung, außerdem rechts eine beginnende Retropatellararthrose und eine röntgenologisch sichtbare Verbreiterung. Die MdE
sei mit 10 v. H. einzuschätzen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 07.12.2005 die Gewährung einer Rente ab, da der Versicherungsfall eine MdE in rentenberechtigendem
Grad nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes nicht hinterlassen habe.
Bei der arbeitsmedizinischen Begutachtung im Berufsförderungswerk vom 09.02.2006 zeigten sich eine leichte Muskelverschmächtigung
im Oberschenkelbereich beidseits, eine leichte Vergröberung der Kniegelenkskonturen rechts sowie diskrete Hinweise auf eine
Knorpelaufbaustörung beidseits. Dr. P. erklärte im Bericht vom 01.07.2005, es bestehe noch eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung
am rechten Kniegelenk; im Übrigen verwies er auf das MRT vom 14.06.2005.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2006 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren wies der Kläger insbesondere auf die schmerzhafte Belastungs- und Bewegungseinschränkung
hin. Der praktische Arzt Dr. N. bestätigte im Attest vom 22.08.2005 Schmerzen an beiden Knien, besonders rechts. Prof. Dr.
B. berichtete am 21.11.2005 über eine diagnostische Arthroskopie beider Kniegelenke vom 06.10.2005. Es zeigte sich im Bereich
des linken Kniegelenks eine geringe Knorpelerweichung, ansonsten altersentsprechende unauffällige Verhältnisse. Im Bereich
des rechten Kniegelenks fanden sich deutlich ausgewalzte Kniescheibenrückflächen mit Verwachsungen. Dr. P. diagnostizierte
am 29.10.2007 eine posttraumatische Retropatellararthrose rechts und ein Schmerzsyndrom am linken Kniegelenk. Die Befunde
hätten sich zunehmend verschlechtert. In einem weiteren Attest vom gleichen Tag verwies Dr. P. auf ein Kernspintomogramm vom
25.05.2007; danach sei es zu einer Zunahme der Knorpelschäden bzw. Femoropatellararthrose gekommen. Die Ultraschalluntersuchung
zeige eine geringe Ergussbildung am rechten Kniegelenk. Zu erwarten sei eine mögliche Verschlechterung, insbesondere der Arthrose.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. M. führte im Gutachten vom 16.01.2008 aus, eine
wesentliche Funktionsminderung bestehe an beiden Kniegelenken nicht. Bei der aktiven Bewegungsprüfung sei zwar nur eine Beugung
von etwa 90° beidseits möglich gewesen, mit passiver Unterstützung jedoch 120°. Eine Ursache für die angegebene Druckdolenz
sei nicht ersichtlich. Die Muskelminderung am Ober- und Unterschenkel rechts sei unfallbedingt. Am rechten Kniegelenk bestünden
beginnende degenerative Veränderungen, wobei die Gonarthrose als unfallunabhängig und altersbedingt anzusehen sei, während
die beginnende posttraumatische Retro-patellararthrose, die aber nur zu einer endgradigen Beugebehinderung geführt habe, unfallbedingt
sei und ohne wesentliche Funktionsminderung zu einer MdE von 10 v. H. führe. In der ergänzenden Stellungnahme vom 10.06.2008
wies Dr. M. nach Einwendungen des Klägers nochmals darauf hin, dass die Frage, ob eine geringgradige oder mittelgradige Femoropatellararthrose
bestehe, für die Bewertung der MdE keine Rolle spiele, sondern entscheidend sei, dass keine wesentliche Funktionsminderung
bestehe. Die Beweglichkeit sei in beiden Kniegelenken absolut gleich. Ein intraartikulärer Gelenkserguss habe bei der Untersuchung
am 16.01.2008 nicht vorgelegen.
Mit Urteil vom 07.10.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen
von Dr. M ...
Im Berufungsverfahren machte der Kläger geltend, er leide unter einer schmerzhaften Belastungs- und Bewegungseinschränkung
in beiden Knien, außerdem unter Rücken- und Kopfschmerzen. Dr. P. habe im Attest vom 29.10.2007 darauf hingewiesen, dass beim
Vergleich des MRT vom 14.06.2005 mit dem Kernspintomogramm vom 25.05.2007 eine Verschlechterung festzustellen sei. Zu berücksichtigen
sei auch die ungünstige Prognose. Bei der Messung der Bewegungseinschränkung habe Dr. M. die erheblichen Schmerzen nicht berücksichtigt.
Der Kläger sei auf die Verrichtung von körperlicher Arbeit angewiesen, die er aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr ausüben
könne.
Der Kläger stellte den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 07.10.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07.04.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 30.04.2005 hinaus Rente nach einer MdE um 20 v. H.
zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Landshut die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird
abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keiner anderen Beurteilung
der Sach- und Rechtslage führen konnte. Wie der ärztliche Sachverständige Dr. M. überzeugend erläutert hat, besteht eine wesentliche
Funktionsminderung an beiden Kniegelenken nicht mehr. Zwar führte der Kläger bei der aktiven Bewegungsprüfung nur eine Beugung
von etwa 90° beidseits aus, bei passiver Unterstützung waren aber ohne Weiteres 120° beiderseits zu erreichen, ohne dass ein
harter Anschlag erfolgte. Am linken Kniegelenk bestehen, wie sich auch bei der Arthros-kopie vom 06.10.2005 zeigte, bis auf
eine geringe Knorpelerweichung altersentsprechende unauffällige Verhältnisse. Massive degenerative Veränderungen oder Folgen
der Kniegelenkskontusion, die die geklagten massiven Schmerzen erklären würden, sind nicht festzustellen. Am rechten Knie
sind die Folgen der Patellatrümmerfraktur sowie eine deutlich ausgewalzte Kniescheibenrückfläche gegeben. Ansonsten bestehen
altersentsprechende unauffällige Verhältnisse, allerdings auch beginnende degenerative Veränderungen, wobei die beginnende
Gonarthrose sicherlich nicht unfallbedingt ist, da in diesem Bereich keine Verletzung stattgefunden hat. Unfallbedingt ist
dagegen die beginnende Retropatellararthrose, hat aber bislang nur zu einer endgradigen Beugebehinderung des Kniegelenkes
geführt.
Auch die Muskelminderung am rechten Ober- und Unterschenkel ist im Hinblick auf die lange postoperative Ruhigstellung und
die erforderliche Nachbehandlung mit nur ganz allmählicher Besserung der Beweglichkeit als unfallbedingt zu werten. Erst fünf
Monate nach dem Unfall wurde eine weitgehend freie Beweglichkeit im Kniegelenk erreicht, wie Professor Dr. F. im Bericht vom
06.09.2004 angegeben hat.
Der wesentliche Befund besteht also in der beginnenden retropatellaren posttraumatischen Arthrose am rechten Kniegelenk mit
endgradiger Einschränkung der Beugefähigkeit. Eine wesentliche Funktionsminderung ist aber nicht zu sehen. Berücksichtigt
sind bei dieser Einschätzung auch die erheblichen Schmerzen. Wesentlich ist aber die tatsächliche Funktionsminderung, die
keine höhere MdE als 10 v. H. bedingt.
Die angegebenen Rückenschmerzen sind sicherlich nicht unfallbedingt, da eine Wirbelsäulenverletzung nachweislich nicht vorgelegen
hat; sie sind erklärlich durch die Hyperlordose der Lendenwirbelsäule, die zu einer Fehlstatik, insbesondere des thoracolumbalen
und lumbosacralen Übergangsbereiche geführt hat. Die Kopfschmerzen mit Vergesslichkeit sind ebenfalls nicht auf den Unfall
zurückzuführen. Schon im Durchgangsarztbericht vom 16.04.2004 ist angegeben, dass kein Hinweis für eine Gehirnerschütterung
bestand, weder Übelkeit noch Erbrechen, noch Amnesie, noch Bewusstlosigkeit. Nach neurologischer Untersuchung vom 19.04.2004
wurde eine Gehirnerschütterung als unwahrscheinlich bezeichnet.
Der wesentliche Befund besteht also in der beginnenden retropatellaren posttraumatischen Arthrose am rechten Kniegelenk mit
endgradiger Einschränkung der Beugefähigkeit. Eine wesentliche Funktionsminderung ist aber nicht zu sehen. Berücksichtigt
sind bei dieser Einschätzung auch die erheblichen Schmerzen. Wesentlich ist aber die tatsächliche Funktionsminderung, die
keine höhere MdE als 10 v.H. bedingt.
Bei der Einschätzung der MdE ist zu berücksichtigen, dass, wie Dr. M. zutreffend ausgeführt hat, Rentenbegutachtung im Kern
Funktionsbegutachtung ist, wobei maßgeblich die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens aufgrund
der Unfallfolgen ist.
Dabei ist die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also nicht allein bezogen auf die vom Kläger
konkret ausgeübten Tätigkeiten, maßgebend.
Es kommt auf die gegenwärtige körperliche Einbuße an. Zukünftige, gegebenenfalls auch schon absehbare Schäden, können nicht
berücksichtigt werden (vgl. Schoenberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 153; BSGE
vom 27.01.1976, SozR 2200, § 581 Nr. 6 m. w. N.). Eine möglicherweise sich in den nächsten Jahren verstärkende Arthrose ist
bei der jetzigen Beurteilung der Frage, wie die MdE über den 30.04.2005 hinaus einzuschätzen ist, nicht maßgeblich.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.