LSG Bayern, Urteil vom 25.10.2011 - 3 U 52/11
Anerkennung eines Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung für einen Busfahrer während einer reisebedingten Pause
Verunfallt ein Busfahrer während einer reisebedingten Pause, ist er nur dann gesetzlich unfallversichert, wenn auch die unfallbringende
Tätigkeit in dieser Pause in einem inneren Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Busfahrer steht. Der Besuch eines
Fußballspiels als Zuschauer (hier: Unfall in der Allianz Arena) ist jedoch dem privaten, nicht versicherten Bereich zuzurechnen.
[Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Vorinstanzen: SG Regensburg 16.12.2010 S 7 U 306/09
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.12.2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Unfallereignis vom 24.09.2008 als Arbeitsunfall im Sinne von §§ 2 Abs.1 Nr.1, 8 Abs.1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung ( SGB VII) anzuerkennen ist. Der 1952 geborene Kläger ist bei der Firma O.B. KG in K. als Busfahrer beschäftigt gewesen, als er am
24.09.2008 eine Reisegruppe zu dem Pokalspiel Bayern München gegen 1. FC Nürnberg zur Allianz Arena in München gefahren hat.
Ein Bekannter des Klägers ist hierbei als Organisator der Fanfahrt(en) aufgetreten. Üblich ist gewesen, die Karten für das
Fußballspiel erst im Bus zu verteilen. Sofern, wie am 24.09.2008, ein Fan trotz Vorbestellung nicht erschienen ist, ist die
Eintrittskarte dem Kläger überlassen worden. Dieser hat sich das Fußballspiel ebenfalls angesehen und ist am 24.09.2008 gegen
22.30 Uhr beim Verlassen der Allianz Arena auf der vorletzten Stufe der sogenannten "Kaskadentreppe" ausgerutscht bzw. umgeknickt
und hat sich dabei im linken Oberschenkel einen Muskelfaserriss zugezogen. Der Kläger ist deswegen in das Krankenhaus K. am
25.09.2008 stationär aufgenommen worden. Dr.H. hat mit Durchgangsarztbericht vom 29.09.2008 eine ausgeprägte Schwellung des
linken Kniegelenkes und Hämatombildung bei Streckinsuffizienz und peripherer Sensibilität und Durchblutung beschrieben. Der
Arbeitgeber des Klägers hat am 12.01.2009 telefonisch mitgeteilt, der Kläger sei von der Firma dazu angehalten, neben der
Fahrt selbst den Bus nach dem Eintreffen "auf Vordermann zu bringen" (z.B. Müll zu entsorgen). Anschließend habe der Kläger
eineinhalb Stunden Pause, welche dieser in seinen Stundenzettel eintragen müsse und welche ihm auch nicht bezahlt werde. Was
der Kläger in dieser Pause mache, sei allein seine Sache. Am Unfalltag habe er sich das genannte Spiel angesehen. Verunfallt
sei er auf der Treppe, welche Zugang zur oberen Ebene des Stadions gewähre, wo sich auch die Plätze befunden hätten.
Die Beklagte hat es mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14.01.2009 abgelehnt, das Ereignis vom 24.09.2008 als Arbeitsunfall
anzuerkennen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass sich der Unfall nicht im Rahmen der betrieblichen
Tätigkeit, sondern während einer für eine private Tätigkeit genutzten Pause ereignet habe. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
ist vorgetragen worden, dass der Kläger nach Ankunft in München um ca. 18.30 Uhr 15 Minuten den Bus gesäubert habe. Anschließend
habe er 1 1/2 Stunden Pause gehabt. Zum Unfallzeitpunkt 22.30 Uhr habe die Arbeitszeit bereits wieder begonnen. Der Arbeitgeber
hat mit Schreiben vom 03.04.2009 ergänzend ausgeführt, vom Dienstbeginn bis Dienstende würden dem Fahrer bei maximal 12 Stunden
Abwesenheit 1,5 Stunden Pause angerechnet, wobei die restliche Steh- und Wartezeit bezahlt werde. Die Pauseneinteilung obliege
dem Fahrer selbst, sie könne sowohl auf der Hin- oder Rückfahrt an einer Rastanlage als auch frei wählbar am Zielort unter
Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erfolgen. Selbst wenn der Kläger die Pause in der Allianz Arena verbracht habe, sei
nach Auffassung des Arbeitgebers der Weg vom Pausen-ort zu seiner Arbeitsstelle, in diesem Falle der geparkte Bus, als Weg
zur Arbeit anzusehen und somit als Wegeunfall bzw. Arbeitsunfall zu betrachten. Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 04.11.2009 zurückgewiesen. Bei dem Besuch des Stadions habe es sich um eine rein eigenwirtschaftliche Verrichtung des
Klägers gehandelt, die zu einer mehr als nur geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit geführt habe. Ein wesentlicher
innerer Zusammenhang zwischen dem Besuch des Fußballspiels und dem Beschäftigungsverhältnis (hier: Fahrt des Fanclubs zu dem
erwähnten Fußballspiel) habe nicht vorgelegen. Die Bevollmächtigten des Klägers haben hiergegen Klage zum Sozialgericht Regensburg
erhoben und beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009
das Ereignis vom 24.09.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Das Sozialgericht Regensburg hat die Unfallakten der Beklagten
beigezogen und nach entsprechender Ankündigung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.12.2010 abgewiesen. Im vorliegenden Fall
habe sich der Unfall nicht während der eigentlichen Tätigkeit des Klägers als Busfahrer ereignet. Er habe den Unfall auf dem
Weg vom Stadion zurück zum Bus erlitten. Dieser Weg habe mit seinem Beschäftigungsverhältnis nicht in einem rechtlich wesentlichen
Zusammenhang gestanden. Das Fußballspiel sei eine Vergnügungsveranstaltung; dessen Besuch diene deshalb grundsätzlich der
Erholung und sei Teil der Freizeitgestaltung. Es fehle hier an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang. Die hiergegen
gerichtete Berufung vom 09.02.2011 ist am 11.02.2011 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) eingegangen. Von Seiten
des Senats wurden die Unfallakten der Beklagten sowie die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Eine Recherche des Senats
zu dem Unfallort (Kaskadentreppe) hat ergeben, dass die Allianz-Arena ausgehend von der U-Bahnstation bzw. dem Busparkplatz
durch eine 600 m lange Esplanade erschlossen wird. Vorgelagerte Ticketschalter sind als sogenannte "Kassencanyons" in die
Esplanade abgesenkt. Anschließend finden sich die Zugangskontrollen. Von dieser Verteilerebene aus (Esplanade) gelangt man
entweder durch schmale, radial angelegte Treppenröhren nach oben in das Innere der Stadionschüssel und zum Unterrang, oder
man nutzt die fortgeführten "Kaskadentreppen", die am äußeren Rand liegen und in einer Flucht 4 Geschosse nach oben führen
(Prof.Dr.-Ing.Wolfram Jäger, Technische Universität Dresden; www.tu-dresden.de). Dort ist der Kläger - wie bereits erwähnt
- beim Verlassen der Allianz Arena auf der vorletzten Stufe gestürzt. In der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2011 erklärt
der Kläger auf Befragen, dass er die Eintrittskarte nur wegen des Fehlens eines Fans erhalten habe und er sonst wahrscheinlich
etwas anderes gemacht hätte. - Beide Beteiligten erklären ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung. Die Bevollmächtigte
des Klägers beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.12.2010 sowie den Bescheid vom 14.01.2009
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 24.09.2008
um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Regensburg vom 16.12.2010 zurückzuweisen. Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung
des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage gegen den Bescheid vom 14.01.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009 mit Gerichtsbescheid vom 16.12.2010 zutreffend abgewiesen. Bei dem Ereignis vom 24.09.2008
hat es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne von §§ 2 Abs.1 Nr.1, 8 Abs.1 SGB VII gehandelt. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist es danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten
des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche
Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr.92 S.258; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.19; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr.10) ist wertend zu ermitteln, indem
untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen
Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr.70 S.197; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr.84 S.234; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr.10). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung
ist der volle Nachweis erforderlich; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis
für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können (BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr.1 S.4 mit weiteren Nachweisen; BSGE 61, 127, 128 = SozR aaO.). Innerhalb dieser Wertung stehen Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund (BSG SozR
2200 § 548 Nr.19). Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten (BSG SozR 3-2200 § 540 Nr.4 und Nr.17) sowie sie insbesondere
durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.90 und SozR 3-2200 § 550 Nr.14; BSG,
Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 35/03 R, SozR 4-2700 § 8 Nr.6 = NZS 2005, S.381 ff.).
Hiervon ausgehend ist auch bei Busreisen zu unterscheiden zwischen Tätigkeiten, die mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem
rechtlich wesentlichen, inneren Zusammenhang stehen und deswegen versichert sind und solchen, die der privaten unversicherten
Sphäre zuzurechnen sind. Widmet sich ein Busfahrer wie der Kläger rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht wesentlich
beeinflussten Belangen, so entfällt der Versicherungsschutz. Ausweislich der Arbeitgeberauskünfte vom 12.01.2009 und 03.04.2009
hat es im Belieben des Klägers gestanden, wie er nach dem Säubern des Busses die 1-1/2-stündige unbezahlte Pause genutzt hat.
Wenn er die ihm überlassene übrig gebliebene Karte genutzt hat, um das Fußballspiel anzusehen, hat dies nicht in einem inneren
Zusammenhang mit seiner eigentlichen Tätigkeit als Busfahrer gestanden. Vielmehr ist dies als Teil der Freizeitgestaltung
dem unversicherten privaten Bereich zuzurechnen. Diese private Verrichtung hat auch nicht zu einer nur geringfügigen Unterbrechung
der versicherten Tätigkeit geführt. Denn unabhängig von der räumlichen Entfernung (hier: mehr als 600 m von der U-Bahnstation
bzw. dem Busparkplatz hinter dem Kassenbereich und hinter dem Bereich der Zugangskontrollen) kann auch in Berücksichtigung
des Zeitablaufs (Unfall nach etwa 1 1/2 Stunden) nicht mehr von einer nur geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit
gesprochen werden. Soweit der Kläger bzw. seine Bevollmächtigten und sein Arbeitgeber vortragen, der Kläger habe sich auf
einem versicherten Rückweg zu dem Bus befunden, stützt dies das Klagebegehren nicht (§ 8 Abs.2 Nr.1 SGB VII). Es hat sich nicht um einen versicherten Betriebsweg gehandelt (BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 35/03 R, SozR 4-2700 § 8 Nr.6 = NZS 2005, S.381 ff.). Zwar ist der Kläger unfallrechtlich nicht verpflichtet, sich in seiner Pause
stets in der Nähe des Busses aufzuhalten. Verlässt er den näheren Umkreis jedoch aus eigenwirtschaftlichen Gründen, hat er
hier den versicherten Umkreis jedoch spätestens dann verlassen, wenn er sich nach Durchschreiten der Zugangskontrollen der
Allianz Arena in dem inneren Bereich des Fußballstadions befunden hat. Auch wenn sich der Kläger wieder zu seinem Bus hat
begeben wollen, ist daher der Unfall auf der "Kaskadentreppe" in einem Bereich geschehen, der noch nicht dem versicherten
Bereich wieder zugerechnet werden kann (§ 8 Abs.2 Nr.1 SGB VII). Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2011 ergänzend darauf hingewiesen hat, Busfahrer seien bei entsprechenden
Reisen vielfach "Mädchen für alles", er habe sich das Fußballspiel auch deswegen angesehen, um auf der Heimfahrt mitreden
zu können, stützt dies das Klagebegehren nicht. Zwar sind Busfahrer auch bei Hilfstätigkeiten für den Reiseleiter oder die
Reisegruppe gesetzlich unfallversichert, wenn die entsprechende Verrichtung als Nebentätigkeit zum Fahren des Busses anzusehen
ist (z.B. Hilfen für Senioren und Behinderte bei dem Ein- und Aussteigen, Besorgen von Informationsmaterial bei der örtlichen
Tourismuszentrale für Mitreisende usw.). Der hier gegebene Nebeneffekt als Zuschauer eines Fußballpokalspiels auf der Heimreise
der Fangruppe besser mitreden zu können, begründet bei wertender Betrachtung jedoch keinen inneren Zusammenhang mit der beruflichen
Tätigkeit als Busfahrer. Denn Busfahrer sind nicht verpflichtet, in reisebedingten Pausen die persönlichen Interessen und
Neigungen ihrer Passagiere im Hinblick auf deren (möglicherweise) auf der Rückreise bestehendes Kommunikationsbedürfnis zu
teilen. Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.12.2010
zurückzuweisen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung erteilt (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
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