Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung mit Hilfs- und Verbandsmitteln zur Stoma-Versorgung nach Maßgabe des Vertrages
"Über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie" ohne Anstellung eines Stoma-Therapeuten oder
Anmeldung eines Mitarbeiters zur Weiterbildung zum Stoma-Therapeuten ab 01.04.2009 streitig.
Die Klägerin betreibt ein Sanitätshaus in A-Stadt und ist Mitglied des Fachverbandes für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel
Bayern e.V. Im Unternehmen sind neben dem Ehemann der Geschäftsführerin der Klägerin als Orthopädietechnikmeister zehn Mitarbeiter
beschäftigt, davon zwei Krankenschwestern. Seit 1989 versorgt die Klägerin im Jahr durchschnittlich 40 Stoma-Patienten (Versicherte
der Beklagten) als Außenversorger und nicht Klinikversorger. Die Versorgungen erfolgen durch den Ehemann der Geschäftsführerin
der Klägerin und die beiden Krankenschwestern. Die Klägerin beschäftigt keinen Stoma-Therapeuten und könnte eigenen Angaben
gemäß (auch) keinen Mitarbeiter zur Fortbildung zum Stoma-Therapeuten abstellen.
Die Kosten für die Ausbildung zum Stoma-Therapeuten an den sieben bundesweiten Ausbildungsstätten betragen zwischen 4.000,00
und 6.000,00 EUR. Die als Fachweiterbildung gewertete Ausbildung wird in verschiedenen Modellen angeboten.
Die Versorgung von Stoma-Patienten durch die Klägerin bis 01.04.2009 erfolgte auf der Grundlage des ab 01.11.1981 gültigen
Rahmenvertrages über die Versorgung mit orthopädischen Heil- und Hilfsmitteln.
Diesen Vertrag kündigten die Beklagten zum 31.12.2008 und boten der Klägerin an, sofern bis 01.01.2009 kein neuer Vertrag
nach §
127 Abs.1 und 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) geschlossen sein sollte, die Versorgung der Versicherten zu den Bedingungen des gekündigten Vertrages durchzuführen. Bis
(zunächst) 30.04.2009 erbrachte die Klägerin in unverändertem Umfang Leistungen der Stoma-Versorgung an die Versicherten der
Beklagten und rechnete die bis 31.12.2008 vertraglich vereinbarten Preise ab.
Nachdem die Beklagten gemeinsam festgestellt hatten, dass entsprechend den Empfehlungen der maßgeblichen Vereinigungen (u.a.
"Deutsche ilco") die Ausschreibung von Verträgen für die Stoma-Versorgung nicht zweckmäßig sei, gaben sie nach §
127 Abs.2 Satz 2
SGB V ihre Absicht, für diesen Bereich Verträge zu schließen, am 26.08.2008 im Internet öffentlich bekannt. Gleichzeitig wurde
mit der Bekanntmachung ein Vertragsentwurf veröffentlicht.
Gegenstand des Vertragsentwurfs zwischen dem Fachverband für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. und den
beklagten Krankenkassen ist die Versorgung der Versicherten der Beklagten mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen, die für die
Stoma-Versorgung im Rahmen der Produktgruppe 29 und bei der Urostomie im Rahmen der Produktgruppen 15.25.05. bis 15.25.07
(= Stomaartikel) des Hilfsmittelverzeichnisses nach §
139 SGB V unter Berücksichtigung des Medizinproduktegesetzes (MPG), der Medizinproduktebetreiber-Verordnung (MPBetreibVO) und des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§
12 SGB V) benötigt werden (§
1 des Vertrages). Der Geltungsbereich erstreckt sich auf alle Leistungsträger - sowohl Mitglieder des Fachverbandes als auch
Nichtmitglieder -, die ihren Beitritt zum Vertrag erklären (§ 2). Des Weiteren sieht der Entwurf u.a. in § 4 vor, dass der
Leistungserbringer eine qualitätsgesicherte Stoma-Versorgung für die Versicherten der Krankenkassen gemäß Anlage 1 leistet.
Die Anlage 2 des Vertragsentwurfes sieht vor, dass die nach diesem Vertrag erbrachte Leistung durch eine Monatspauschale vergütet
wird, die nicht nur den Monatsbedarf an Hilfsmitteln abdecken soll, sondern auch die Beratungsleistungen mitvergütet (§ 2
des Vertrages).
Am 09.02.2009 schlossen die Beklagten mit der E.-Service-GmbH einen Vertrag nach §
127 Abs.2
SGB V über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen für die Stoma-Therapie (im Folgenden: Stoma-Vertrag), entsprechend
dem bekannt gemachten Vertragsentwurf ab. Bis zum 31.03.2009 wurden weitere 41 Verträge mit einzelnen Leistungserbringern
abgeschlossen, die regional, aber auch überregional tätig sind.
Die Klägerin ist dem Vertrag noch nicht beigetreten. Sie hat am 22.03.2009 Klage zum Sozialgericht München (SG) erheben lassen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Regelungen über das Erfordernis und die Anstellung
eines Stoma-Thera-peuten seien nichtig, jedenfalls aber rechtswidrig. Die Klägerin habe Anspruch darauf, dem Vertrag beizutreten,
ohne die in § 4 Abs.2 in Verbindung mit Anlage 1 geforderten personellen Voraussetzungen, soweit sie über die bisher geltenden
hinausgehen, erfüllen zu müssen. Nach §
127 SGB V habe der Vertrag die Einzelheiten der Versorgung, insbesondere die Anforderungen an die Qualität, zu sichern. Hierbei dürften
nicht beliebige Anforderungen gestellt werden, sondern es seien die Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses zu beachten
(§
127 Abs.2 Satz 2
SGB V), in dem gemäß §
139 Abs.2
SGB V indikations- oder einsatzbezogene besondere Qualitätsanforderungen festgelegt sind. Existierten solche besonderen Anforderungen
nicht, habe die Krankenkasse nicht die Kompetenz, solche besonderen Anforderungen, wie das Erfordernis eines Stoma-Therapeuten,
durch vorgegebene Verträge zu schaffen. Vielmehr müssten die Qualitätsanforderungen im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) selbst festgelegt und im Bundesanzeiger veröffentlicht sein (§
139 Abs.1 Satz 3
SGB V), um von den Leistungserbringern zu Recht abgefordert werden zu können. Die Kompetenz, einen Stoma-Therapeuten in einem Vertrag
nach §
127 Abs.2
SGB V zu verlangen, leite sich auch nicht aus §
127 Abs.2 Satz 2
SGB V her. Durch §
4 Abs.2 in Verbindung mit Anlage 1 (nachstehend Klausel genannt) des Vertrages werde ferner unzulässig die Qualität gemäß §
126 SGB V mit der Versorgungsqualität vermischt. Bei der Klausel handele es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung, die im Verhältnis
zur Klägerin einseitig aufgestellt worden sei. Die Klägerin dürfe zum Vertrag nach §
127 Abs.2a
SGB V nur zu den vorgegebenen Bedingungen als Vertragspartner beitreten, ohne selbst etwas an diesem Vertrag ändern zu können.
Auf die Klausel sei die Inhaltskontrolle entsprechend §
307 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) anwendbar. Die Anwendbarkeit der Vorschrift erfolge über §
69 S.3
SGB V. Des Weiteren benachteilige die Klausel die Klägerin in der Ausübung ihres Gewerbebetriebes unangemessen. Durch die Klausel
werde auch unzulässig in das System der Festpreisregelungen nach §
36 SGB V eingegriffen. Schließlich würden in dem Vertrag unterschiedliche Berufsbilder vermischt. Eine Weiterbildung zu verlangen,
sei willkürlich, unverhältnismäßig und im Übrigen wettbewerbswidrig. Der Vertrag greife in rechtswidriger Weise in das Berufsbild
des Orthopädietechnikmeisters ein. Im Übrigen verletze die Klausel auch den Grundsatz der Beitragsstabilität.
Mit Urteil vom 01.04.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach Beitritt zum Stoma-Vertrag wäre die Klägerin
nicht berechtigt gewesen, die Versicherten der Beklagten zu versorgen und entsprechend des Stoma-Vertrages abzurechnen, ohne
einen Stoma-Therapeuten zu beschäftigen bzw. einen Mitarbeiter zur Ausbildung zum Soma-Therapeuten anzumelden. Dies folge
unmittelbar aus den §§ 9 und 4 des Stoma-Vertrages in Verbindung mit dessen Anlage 1. Die in § 4 des Vertrages in Verbindung
mit der Anlage 1 geregelte Verpflichtung der Leistungserbringer sei im Falle des Vertragsabschlusses für die Vertragsparteien
verbindlich, denn sie sei wirksam. Weder sei sie rechtswidrig noch nichtig. Die Regelung verstoße auch nicht gegen §
127 SGB V. Die Regelung des §
4 des Stoma-Vertrages i.V. mit dessen Anlage 1 sei durch §
127 SGB V unmittelbar gedeckt, dessen Abs.
2 den Vertragspartnern ausdrücklich die Kompetenz übertrage, Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln und die Anforderungen
an die Fortbildung der Leistungserbringer zu regeln. Dabei hätten sie die im HMV festgelegten Qualitätsstandards zu beachten. Eine Unwirksamkeit der Klausel gemäß §
307 BGB liege nicht vor. Die Vorschriften des
BGB würden hier nicht entsprechend gelten, da die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Leistungserbringern
vorrangig durch das 4. Kapitel des
SGB V sowie die §§
63,
64 SGB V geregelt seien. Das 4. Kapitel des
SGB V, namentlich die §§
126 und
127 SGB V würden die vertraglichen Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern von Hilfsmitteln regeln. Insoweit bleibe
kein Raum für §
69 Satz 4
SGB V, der die entsprechende Anwendung des
BGB anordne, soweit es um Sachverhalte gehe, die gerade nicht im 4. Kapitel des
SGB V bzw. der §§
64 ff.
SGB V geregelt seien. Die Klausel greife auch nicht unzulässig in das System der Festpreisregelung nach §
56 SGB V ein. Des Weiteren sei eine Verletzung des Grundsatzes der Beitragsstabilität (§
71 SGB V) nicht ersichtlich. Ebenso wenig überzeuge die Kammer der Vorwurf, hier werde unzulässig in das Berufsbild des Orthopädietechnikermeisters
eingegriffen bzw. es würden unterschiedliche Berufsbilder vermischt. Weder sei eine Rechtsnorm ersichtlich noch auf eine solche
Bezug genommen worden, die es verbieten würde, Angehörige anderer Berufsgruppen in der Beratung und Betreuung von Stoma-Patienten
weiterzubilden, insbesondere deren Beratungs- und Kommunikationskompetenz zu stärken. Im Übrigen liege auch keine unangemessene
Benachteiligung der Klägerin vor. Ebenso wenig sei ein unzulässiger Eingriff in die Gewerbefreiheit gegeben. Letztlich sei
die Klausel weder unverhältnismäßig noch willkürlich. Auf die Stellungnahmen der einschlägigen Verbände, z.B. der Deutschen
Morbus Crohn/Cholitis-ulcerosa-Vereinigung DCCV eV. werde verwiesen.
Den Streitwert hat das SG auf 6.200,00 EUR festgesetzt.
Gegen das Urteil vom 01.04.2009 richtet sich die Berufung der Klägerin. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen lässt sie
vortragen, es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Versorgung von Stoma-Patienten über Jahrzehnte ohne Beanstandungen
stattgefunden habe. Hier liege eine durch nichts zu rechtfertigende Benachteiligung der Klägerin im Verhältnis zu Großbetrieben
vor, die einen Stoma-Therapeuten finanziell mittragen könnten, zumal, wenn für Anbieter, die überregional in Bayern tätig
werden, schon die Beschäftigung von drei Stoma-Therapeuten ausreichend sei. Erneut werde auch darauf hingewiesen, dass in
dem Vertrag unterschiedliche Berufsbilder vermischt würden. Nach der Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen
im praktischen und fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Orthopädiemechaniker-Bandagisten-Handwerk sei unter §
1 Abs.1 Nr.4 geregelt, dass die Auswahl, Anmessung, Anfertigung und Anpassung von Artikeln zur Stoma- und Inkontinenzversorgung
zum Berufsbild des Orthopädiemechanikers- und Bandagistenmeisters zähle. Nach dem Vertrag dürfe der Orthopädietechnikmeister
ohne angestellten Stoma-Therapeuten bzw. ohne nachgewiesener Weiterbildung einer Pflegekraft, Stoma-Patienten nicht mehr versorgen,
obwohl er die weitaus qualifiziertere Ausbildung absolviert habe. Die zwingende Einführung des Stoma-Therapeuten schließe
ein ganzes Fach (Berufsbild) von der Stoma-Versorgung aus, zumal dem Orthopädietechnikermeister eine Weiterbildung zum Stoma-Therapeuten
aufgrund der jeweiligen Ausbildungsvereinbarungen nicht möglich sei. Voraussetzung zur Ausbildung zum Stoma-Therapeuten sei
insoweit die Ausübung eines pflegerischen Berufs. Im Übrigen werde auch auf die (neuen) "Empfehlungen gemäß §
126 Abs.1 Satz 3
SGB V für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen zur ausreichenden, zweckmäßigen und funktionsgerechten Herstellung, Abgabe
und Anpassung von Hilfsmitteln vom 18.10.2010 nebst Kriterienkatalog vom Spitzenverband Bund der Kranken- und Pflegekassen,
Berlin", verwiesen.
Aufgrund zweier Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 21.12.2009 - L 4 KR 43/09 ER - und 21.06.2010 - L 4 KR 232/10 ER -) war die Klägerin berechtigt, bis längstens 31.12.2010 die Versicherten der Beklagten nach Maßgabe des Vertrages "Über
die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie" zu versorgen, ohne einen Stoma-Therapeuten anzustellen
oder einen Mitarbeiter zur entsprechenden Weiterbildung anzumelden.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.04.2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, mit
der Klägerin einen Vertrag nach §
127 Abs.2
SGB V für die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie ohne die Beschäftigung eines Stoma-Therapeuten
bzw. einen Mitarbeiter zur Weiterbildung als Stoma-Therapeut anzumelden, abzuschließen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Ein Feststellungsinteresse der Klägerin ist zu bejahen. Zu Recht hat das SG B-Stadt im angefochtenen Urteil die Feststellungsklage nach §
55 Abs.1
SGG für zulässig erachtet. Denn der Subsidiaritätsgrundsatz gilt nicht bei Feststellungsklagen gegen juristische Personen des
öffentlichen Rechts, insbesondere weil angenommen werden kann, dass die Beklagten angesichts ihrer in der Verfassung verankerten
Bindung an Gesetz und Recht die Klägerin auch ohne Leistungsurteil mit Vollstreckungsdruck befriedigen (vgl. BSGE 10, 21, 24; BSG 22.07.2004, B 3 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 125 Nr.2). Hinzu kommt der Gedanke der Prozessökonomie.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet, da das SG mit Urteil vom 01.04.2009 die Klage zu Recht abgewiesen hat. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dem Stoma-Vertrag beizutreten,
ohne einen Stoma-Therapeuten anzustellen bzw. einen Mitarbeiter zur Weiterbildung anzumelden.
Im Kern vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Beklagten keine Qualitätsanforderungen an besondere Versorgungen mit
Hilfsmitteln stellen dürfen, die nicht durch das Hilfsmittelverzeichnis als Qualitätskriterium festgelegt sind oder durch
das Präqualifizierungsverfahren und die Empfehlung des Spitzenverbandes Bund nach §
126 Abs.1a
SGB V gegeben sind. Die Vertragsparteien seien hinsichtlich der für die beitretenden Leistungserbringer verbindlichen Vertragsregelungen
Schranken unterworfen, d.h. insbesondere die GKV dürfe nicht nach "Gutdünken" Bedingungen diktieren. Gleichzeitig verneint
die Klägerin die Anwendbarkeit des §
135a Abs.1
SGB V auf Leistungserbringer, die Hilfsmittel abgeben.
Dieser Ansicht kann nach Überzeugung des Senats nicht gefolgt werden. Die Beklagten sind berechtigt, in den Verträgen auch
Qualitätsanforderungen zu stellen. Davon ist nach Auffassung des Senats die streitige Anstellung eines Stoma-Therapeuten bzw.
Weiterbildung eines Mitarbeiters zum Stoma-Therapeuten gedeckt.
Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - WSG - vom 26.03.2007 mit Wirkung vom 01.04.2007 (BGBl.I, S.378) traten für die Versorgung mit Hilfsmitteln umfangreiche Änderungen
ein. So dürfen seit dem 01.04.2007 Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen abgegeben werden (§
126 Abs.1
SGB V). Die letzte Änderung erfolgte durch das GKV-OrgWG vom 15.12.2008 (BGBl.I, S.2426 mit Wirkung vom 01.01.2009).
Nach §
127 Abs.1 bis 3
SGB V werden Verträge durch Ausschreibungen, Bekanntmachungen oder Vereinbarungen im Einzelfall beschlossen.
Vor dem Hintergrund der Empfehlungen der maßgeblichen Vereinigungen (u.a. "Deutsche ilko") entschieden sich die Beklagten
in Bayern gegen eine Ausschreibung, weshalb sie nach §
127 Abs.2 Satz 2
SGB V ihre Absicht, Verträge für diesen Bereich zu schließen, am 26.08.2008 im Internet öffentlich bekannt gaben. Gleichzeitig
wurde der Vertragsentwurf veröffentlicht.
Nach §
2 Abs.2 Satz 3
SGB V schließen die Beklagten zur Versorgung ihrer Versicherten mit Sachleistungen, also auch Hilfsmitteln zur Stoma-Versorgung,
Verträge mit Leistungsbringern nach dem 4. Kapitel
SGB V, z.B. nach §
127 SGB V. Anwendung finden dabei abschließend die Bestimmungen des 4. Kapitels und die §§ 19 bis 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB -, also das wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbot. Diese Bestimmungen haben die Beklagten beachtet, denn sie gewähren
jedem Leistungserbringer nach §§
126,
127 SGB V zu denselben Bedingungen Zugang zu dem Vertrag.
Nach § 127 Abs.2 SGB schließen die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften, soweit Ausschreibungen nach
Abs.1 nicht durchgeführt werden, Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer
über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu
erbringender Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung. Absatz
1 Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.
Die nach Abs.2 Satz 1 zu schließenden Verträge entsprechen im Wesentlichen den Verträgen gemäß dem Absatz
1 und
2 des §
127 SGB V a. F. Neu ist eine weitergehende Flexibilisierung der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten. So können Krankenkassen und
Organisationen der Krankenkassen in jeder möglichen Konstellation mit einzelnen Leistungserbringern Verträge schließen. Auch
wird das Augenmerk besonders auf die Qualitätssicherung gelenkt, indem zum einen die Vorgaben in §
139 SGB V zu beachten sind (Abs.1 S.2) sowie in S.2 Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer gestellt werden. Auch bei
Verträgen nach § 127 Abs.2 haben die Krankenkassen die Qualität der Hilfsmittel sowie die notwendige Beratung der Versicherten
oder sonstige erforderlichen Dienstleistungen sicher zu stellen sowie für eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten Sorge
zu tragen (BT-Drucks.16/10 609 vom 15.10.2008 S.72). Bei den Verträgen nach §
127 Abs.2
SGB V sind also ebenso wie nach dem bis zum 31.03.2009 geltenden Recht die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, außerdem
deren Wiedereinsatz und die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer zu regeln sowie die Preise und deren Abrechnung
festzulegen. Wie bereits ausgeführt, müssen, wie bei Abs.1, in diesen Verträgen die Qualität der Hilfsmittel, die Beratung
der Versicherten und sonstige erforderlichen Dienstleistungen vereinbart werden. Bei der Qualität der Versorgung und Produkte
müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Anforderungen erfüllt werden. So heißt es auch in der Gesetzesbegründung
(BT-Drucks. 16/10609 S.72) diesbezüglich u.a.: "Mit der Regelung wird klar gestellt, dass die Krankenkassen auch bei Verträgen
nach §
127 Abs.2
SGB V die Qualität der Hilfsmittel sowie die notwendige Beratung der Versicherten und sonstige erforderlichen Dienstleistungen
sicherstellen sowie für eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten sorgen müssen." Insgesamt ergibt sich somit bereits aus
dem Gesetzeswortlaut, dass die Vertragsparteien berechtigt sind, Qualitätsanforderungen zu stellen, dazu zählen auch Anforderungen
an die Fortbildung der Leistungserbringer.
Der Interpretation der Klägerin hinsichtlich der "Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund der Kranken- und Pflegekassen, Berlin
(GKV-Spitzenverband) vom 18.10.2010" ist nicht zu folgen. Der GKV-Spitzenverband hat aus §
126 SGB V die Aufgabe, Mindestanforderungen an die Struktur und die personellen Voraussetzungen an Hilfsmittelerbringer festzulegen.
Damit wird nur ein Teil der Anforderungen an die möglichen Vertragspartner festgelegt. Eine weitergehende Kompetenz, einseitig
Inhalte der Verträge nach §
127 Abs.1, Abs.2 oder Abs.3
SGB V abschließend zu bestimmen, wurde dem GKV-Spitzenverband weder vom Gesetzgeber zuerkannt noch hat er sich dieses angemaßt.
Die Vertragsparteien sind also berechtigt, über diese Mindestanforderungen hinaus weitere, insbesondere auftragsbezogene Vorgaben
an die Vertragspartner zu stellen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Präambel. Um eine solche Anforderung handelt es
sich bei der Forderung nach einem Stoma-Therapeuten im Stoma-Vertrag. Diese Forderung wird von der Empfehlung also gerade
nicht ausgeschlossen. Hier ist auch auf Punkt II "Erfüllung der Anforderungen in den Empfehlungen gemäß §
126 Abs.1 Satz 3
SGB V" zu verweisen, wo es u.a. heißt, ... "die Aufzählung ist nicht abschließend".
Die Ermächtigung in §
127 Abs.2 Satz 1
SGB V zur Regelung der Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln und deren Abrechnung und der damit eingeräumte Regelungsspielraum
wird grundsätzlich dem Parlamentsvorbehalt und dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot gerecht (BSG vom 07.12.2006 -
B 3 KR 29/05 R - SozR 4-2500 § 33 Nr.14).
Dass die Krankenkassen bei den Verträgen lediglich die Qualitätsanforderungen fordern dürfen, die der Spitzenverband Bund
gemäß §
126 Abs.1 Satz3
SGB V festlegt, ist also nicht zutreffend. Dies ist auch nicht erforderlich, um einen diskriminierungsfreien Zugang der geeigneten
Leistungserbringer zu einem Versorgungsvertrag zu ermöglichen. Hierfür sind die Bestimmungen des GWB, soweit sie nach §
69 SGB V Anwendung finden, ausreichend.
Wenn die Klägerin die Anwendbarkeit des §
135a Abs.1
SGB V auf Leistungserbringer, die Hilfsmittel abgeben, verneint, so kann dem nicht gefolgt werden. Diese Vorschrift richtet sich
an alle Leistungserbringer im Rahmen ihrer Leistungserbringung zu Lasten der GKV (Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und
Pflegeversicherung, Kommentar §
135a SGB V Rdnr.2). Unabhängig vom Inhalt der für sie sonst geltenden Verträge zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der
von ihnen erbrachten Leistungen werden alle Leistungserbringer verpflichtet. Den Leistungserbringern ist auferlegt, die Qualität
der von ihnen erbrachten Leistungen zu sichern und weiter zu entwickeln. Eine Einschränkung auf medizinische, im Sinne von
ärztlichen Leistungen, ist dem Wortlaut und auch dem Sinnzusammenhang nicht zu entnehmen.
Der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin, die Regelungen über das Erfordernis und die Anstellung eines Stoma-Therapeuten
sei nichtig, jedenfalls aber rechtswidrig, ist nicht zu folgen, da kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegt.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Ausfluss aus Art.
20 Grundgesetz -
GG -, wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (BVerfGE 61, 126/134; 69, 1/35; 76, 256/359; BSGE 59, 276/278). Zudem ergibt
er sich "bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber
dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen
unerlässlich ist" (BVerfGE 19, 342/348f; 61, 126/134; 76, 1/50f; 77, 308/334). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bindet
anerkanntermaßen alle staatliche Gewalt, sofern sie subjektive Rechte des Bürgers in irgendeiner Weise beeinträchtigt. "Der
Eingriff muss geeignet und erforderlich sein, seinen Zweck zu erreichen und er darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten,
muss diesem also zumutbar sein (BverfGE 61, 126 Rdnr. 23)." Eine Verletzung liegt hier nicht vor, da die Forderung der Beklagten
nach der Anstellung eines Stoma-Therapeuten eine sachlich gerechtfertigte Qualitätsanforderung darstellt. Nicht nur die "Deutsche
ilko", sondern auch die Deutsche Morbus-Crohn/Cholitis-ulcerosa-Vereinigung DCCV e.V. haben die Forderung nach einer Versorgung
in der poststationären Phase bzw. schon krankenhausbegleitend durch weitergebildete Stoma-Therapeuten aufgestellt. Dies rechtfertigt
sich aus der ständig fortschreitenden medizinischen Entwicklung, gerade im Bereich der Stoma-Versorgung.
Diese Versorgung hat zwischenzeitlich, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, eine fortschreitende Spezialisierung
erfahren, die nicht zuletzt dadurch bedingt ist, dass hier eine ganz besondere Versorgung einer offenen Wunde bzw. Körperöffnung
zu erfolgen hat. Damit sind komplexe Versorgungssysteme entstanden, die nicht zuletzt im Hinblick auf die Besonderheiten damit
verbundener höchstpersönlicher Bedürfnisse der Betroffenen einen besonders hohen Beratungs- und Betreuungsbedarf nach sich
ziehen. Daraus lässt sich ein Bedarf nach qualifizierter Aus- und Weiterbildung ableiten. Nachdem also sachlich gerechtfertigte
Gründe für die streitige Forderung der Beklagten vorliegen, ist die Qualitätsanforderung insgesamt nicht unverhältnismäßig.
Die Forderung der Beklagten nach Anstellung eines Stoma-Therapeuten stellt auch keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin
dar, da sie von allen Leistungsträgern auf dem Stoma-Versorgungssektor zu erfüllen sind. Es liegt daher keine Ungleichbehandlung
der Klägerin mit anderen Leistungserbringern vor. Andernfalls, würde man bei der Klägerin auf die Forderung nach einem Stoma-Therapeuten
verzichten, ergäbe sich gerade daraus eine Ungleichbehandlung mit den übrigen Leistungserbringern. Dies folgt bereits unmittelbar
aus §
127 Abs.2a
SGB V, wonach Verträgen nach Abs.2 Satz 1 Leistungserbringer zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten können.
Mit dem in S.1 des durch das GKV-OrgWG neu eingefügten Abs.2a geregelten Beitrittsrechts zu Verträgen, die gemäß Abs.2 zwischen
den Vertragspartnern verhandelt worden sind, soll die Versorgungsberechtigung derjenigen Leistungserbringer, die bisher noch
keine Verträge mit den Krankenkassen hatten, über den 31.12.2008 hinaus sicher gestellt werden. Dadurch soll ein willkürlicher
Ausschluss von Leistungserbringern von ausgehandelten Verträgen ausgeschlossen werden. Beitretende Leistungserbringer müssen
daher aber bereit und in der Lage sein, sich zu den gleichen Bedingungen an der Versorgung zu beteiligen.
Dem Vorbringen der Klägerin, aus Art.
12 GG folge, dass die Versorgung (wie bislang) von Stoma-Patienten durch einen Orthopädietechnikmeister erfolgen könne, ist (ebenfalls)
nicht zu folgen. Zutreffend ist, dass in der Ausbildung zum Orthopädiemechaniker eine Kenntnisvermittlung über die Stoma-Versorgung
vorgesehen ist. Nach der Ausbildungsordnung stellt die Stoma-Versorgung aber lediglich einen Unterpunkt der Versorgung mit
Bandagen (Produktgruppe 05) dar. Nach der Verordnung über das Berufsbild und die Prüfungsanforderungen für das Orthopädiemechaniker-
und Bandagistenhandwerk vom 26.04.1994 zählen zum Berufsbild folgende Tätigkeiten: Auswahl, Anmessung, Anfertigung und Anpassung
von Artikeln zur Stoma- und Inkontinenzversorgung. Die übrigen Ziffern in § 1 Abs.1 sprechen von der Tätigkeit Auswahl, Anpassung,
etc. von Hilfsmitteln der Orthopädietechnik, von Rollstühlen etc. Hier werden also die Hilfsmittel selbst, die hergestellt
werden, benannt. Nachdem aber, wie bereits ausgeführt, auf dem Gebiet der Stoma-Versorgung eine sehr schnelle Entwicklung
stattfindet, nach der insbesondere auch die Betreuung im Vordergrund steht, ist dies von dem Berufsbild des Orthopädiemechanikermeisters
nicht mehr umfasst. Damit wird in der Ausbildung zum Orthopädiemechanikermeister schwerpunktmäßig Wissen über eine Vielzahl
von Hilfsmitteln vermittelt, die Stoma-Versorgung stellt davon nur einen ganz kleinen Teil dar. Damit ist eine Einschränkung
der Berufsübung in einem unwesentlichen Umfang gegeben.
Diese Einschränkung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen zu beanstanden. Das BSG hat in seiner Entscheidung
vom 22.07.2004 (B 3 KR 12/04 R Rdnr. 27) unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 16.07.2004 - 1 BvR 1127/01) eine Verletzung der Berufsausübungsfreiheit aus Art.
12 GG verneint, wenn "die Einschränkung der Berufsausübung durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls, nämlich der gebotenen Wirtschaftlichkeit
und Qualität der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt ist".
In der vom BSG zitierten Entscheidung des BVerfG wurde außerdem festgestellt, dass "Einschränkungen hinsichtlich der Abrechenbarkeit
bestimmter Leistungen der gesetzlichen Versicherung nicht notwendig den Schutzbereich des Art.
12, Abs.
1 GG" betreffen. Art.
12 GG gewährleistet nicht, dass "das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung alle medizinisch zulässigen und erfolgreichen
Leistungsangebote" umfasst (BVerfG aaO., Leitsatz 1a).
Ob die derzeit für die Weiterbildung zum Stoma-Therapeuten aufgestellten Voraussetzungen und Ausbildungsinhalte geeignet sind,
die entsprechende Qualifikation zu vermitteln und welche Zugangsvoraussetzungen zulässig sind, ist nicht Gegenstand des Verfahrens,
da sich die Klägerin gegen jede Art einer Zulassungsvoraussetzung wendet. Es liegt kein Verstoß gegen Art.12
GG vor, da die Klägerin weiterhin auf zahlreichen Gebieten in der Orthopädie-Technik und im Sanitätsfachhandel tätig sein kann.
Im Übrigen beschäftigt die Klägerin zwei Krankenschwestern, die sie zur Weiterbildung anmelden könnte.
Somit ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG B-Stadt vom 01.04.2009 zurückzuweisen.
Dem Ergebnis des Berufungsverfahrens steht auch nicht entgegen, dass der erkennende Senat den Anträgen der Klägerin auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes stattgegeben hat, da erst im Laufe des Berufungsverfahrens maßgebliche Unterlagen vorgelegt wurden.
Die Feststellung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs.2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Der Rechtsfrage, ob gesetzliche Krankenkassen bei den Verträgen nach §
127 Abs.2
SGB V Qualitätsanforderungen an besondere Versorgungen mit Hilfsmitteln stellen dürfen, die nicht durch das Hilfsmittelverzeichnis
als Qualitätskriterien festgelegt sind oder durch das Präqualifizierungsverfahren und die Empfehlungen des Spitzenverbandes
Bund nach §
126 Abs.1a
SGB V nicht gegeben sind, misst der Senat grundsätzliche Bedeutung zu, weshalb er nach §
160 Abs.2 Nr.1
SGG die Revision zulässt.