Beitragsbemessung in der Kranken- und Pflegeversicherung; vertikaler Verlustausgleich
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Beiträge der Klägerin zu ihrer freiwilligen Krankenversicherung bei der Beklagten.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Fachgroßhandels für Elektroartikel. Sie ist bei der Beklagten seit 1992 freiwillig versichert.
Mit streitigem Bescheid vom 05.10.2006 machte die Beklagte zugleich im Namen der Beigeladenen auf Grundlage des am 18.09.2006
vorgelegten Einkommensteuerbescheids 2004 eine monatliche Beitragsforderung ab dem 01.01.2006 in Höhe von insgesamt 502,76
Euro geltend (Krankenversicherung: 454,20 Euro; Pflegeversicherung: 48,56 Euro). Herangezogen wurden von der Beklagten Einkünfte
aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von jährlich 32.982,00 Euro sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.297,00 Euro.
Die von der Klägerin angegebenen negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (-2.226,00 Euro) wurden dagegen nicht
beitragsmindernd berücksichtigt. Es ergab sich somit eine monatliche Berechnungsgrundlage in Höhe von 2.856,58 Euro.
Mit ihrem Widerspruch vom 12.10.2006 wandte sich die Klägerin sowohl gegen die Höhe der monatlichen Berechnungsgrundlage als
auch gegen die Weigerung der Beklagten, rückwirkende Beitragserstattungen nach Vorlage neuer Steuerbescheide mit niedrigerem
Einkommen durchzuführen. Nach mehreren ausführlichen Schreiben der Beklagten zur Erläuterung ihrer Berechnung erging am 28.06.2007
der Widerspruchsbescheid, mit dem der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen wurde und die Beitragsforderungen für den Zeitraum
vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2006 bestätigt wurden.
Mit der am 31.07.2007 zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage beantragte die Klägerin eine neue Berechnung ihres Beitrags mit einer Minderung aufgrund von Verlusten aus
Vermietung und Verpachtung. Diese Verluste rührten aus notwendigen Reparaturaufwendungen oder Mietausfällen. Mit der Beitragsberechnung
der Beklagten würden Erträge, die zur Absicherung im Alter vorgesehen seien, unrechtmäßig abgeschöpft. Die Praxis orientiere
sich nur an einer fiktiven Einkommenssituation und nicht an den realen Verhältnissen.
In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2008 wurde das Begehren der Klägerin, rückwirkend Beitragserstattungen zu erhalten,
nicht weitergeführt. Mit Urteil vom 25.07.2008 wies das SG die Klage ab, da die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen von der Beklagten korrekt berechnet worden seien. Aufgrund
der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe fest, dass negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
sowie der Sparerfreibetrag unberücksichtigt bleiben müssten.
Mit ihrer Berufung vom 04.09.2007 begehrt die Klägerin weiterhin eine Saldierung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung
gegen andere Einnahmen wie z. B. Zinserträge. Sie sieht sich gegenüber Pflichtversicherten im Nachteil, bei denen nur das
Arbeitseinkommen der Beitragsbemessung unterliegt, obwohl auch bei diesem Personenkreis teilweise erhebliche Nebeneinkünfte
vorhanden seien. Laut Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund habe sie lediglich mit einer Altersrente in Höhe von
593,84 Euro zu rechnen. Zinserträge seien daher zu ihrer Alterssicherung zwingend notwendig. Sie sei früher pflichtversichert
gewesen und davon ausgegangen, dass durch den Wechsel in die Selbständigkeit keine Benachteiligung durch die gesetzliche Krankenversicherung
erfolge. Andernfalls hätte sie wegen deutlich günstigerer Tarife und besserer Leistungen eine private Krankenversicherung
gewählt. Die gesetzliche Regelung sei willkürlich, weil kein sachlicher Grund das Verbot der Saldierung rechtfertige.
In der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2009, zu der die Pflegekasse notwendig beigeladen wurde, beantragt der Ehemann der
Klägerin für die Klägerin,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 25.07.2008 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung ihres Bescheids vom 05.10.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2007 zu verurteilen, bei der Beitragsbemessung die Einkünfte aus Vermietung
und Verpachtung sowie aus Kapitalen unberücksichtigt zu lassen, hilfsweise,
für das Jahr 2006 bei der Beitragsbemessung die Verluste aus Vermietung und Verpachtung mit den positiven Einkünften aus Kapitalvermögen
zu verrechnen.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist insbesondere auf die ständige Rechtsprechung des BSG sowie ihre Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts Landshut.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Klageakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
151 SGG) ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet.
Die Bescheide der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts entsprechen der geltenden Rechtslage und sind nicht zu beanstanden.
Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich der Beitragsbescheid der Beklagten vom 05.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 28.06.2007 für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2006.
Der Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder liegt die Regelung des §
240 SGB V zugrunde. Danach wird die Bemessung der Beiträge von freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung durch
die Satzung geregelt (§
240 Abs.
1 SGB V). Es ist hierbei sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds
berücksichtigt. Die Satzung der Krankenkasse muss nach §
240 Abs.
2 Satz 1
SGB V mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig
Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung sind die für
die Krankenversicherung maßgeblichen Vorschriften anzuwenden (§
57 Abs.
4 Satz 1
SGB XI).
Die Satzung der Beklagten regelt in § 21 Abs. 4, dass der Beitragspflicht das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung, das
Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag
der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) sowie alle sonstigen Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied
zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung unterliegen. Damit
knüpft diese Satzungsbestimmung in zulässiger Weise an §
240 Abs.
1 SGB V an und wird durch Aufzählung der durch §
226 Abs.
1 Satz 1
SGB V beitragspflichtigen Einahmen der versicherungspflichtigen Beschäftigten ergänzt.
Entsprechend dieser Vorgaben hat die Beklagte zutreffend der Beitragsbemessung sowohl die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit
als auch aus Kapitalvermögen herangezogen. Diese im Vergleich zu Pflichtversicherten unterschiedliche Regelung ergibt sich
gerade aus der von der Klägerin geforderten Gleichbehandlung zwischen freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten. Eine
solche Gleichbehandlung bzw. die Vermeidung von Privilegierungen einer Gruppe, kann nur erreicht werden, wenn die jeweiligen
Besonderheiten berücksichtigt werden, wobei eine Typisierung zulässig sein muss.
Der Gesetzgeber hat daher bei der Gruppe der Versicherungspflichtigen, die als besonders schutzbedürftig angesehen werden,
die das jeweilige Pflichtversicherungsverhältnis typischerweise prägenden Einnahmearten der Beitragspflicht unterworfen, also
insbesondere das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung, den Zahlbetrag der gesetzlichen Rente und
Versorgungsbezüge (§§
226 Abs.
1,
229 SGB V). Demgegenüber werden bei freiwilligen Mitgliedern die Beiträge nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen.
Bei vielen freiwillig Versicherten wird der Lebensunterhalt nämlich typischerweise durch andere Einnahmemöglichkeiten bestritten
oder ergänzt, so dass die Arbeitseinkünfte für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit alleine nicht aussagekräftig
sind.
Zwar mag es zutreffen, dass auch eine nicht unerhebliche Anzahl von Pflichtversicherten über Nebeneinkünfte verfügt, die dem
Lebensunterhalt dienen. Im Allgemeinen ist es aber doch eher die finanzstärkere Gruppe der freiwillig Versicherten, der über
das Arbeitseinkommen hinaus weitere Einkünfte zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass innerhalb der einzelnen
Einkunftsarten ein sogenannter horizontaler Verlustausgleich zulässig ist. Dies bedeutet, dass die jeweilige Höhe der beitragspflichtigen
Einnahmen durch Verluste in diesem Bereich beeinflusst werden kann. Diese Möglichkeit steht Pflichtversicherten in diesem
Umfang nicht zu. Zu Recht hat die Beklagte daher die Einkünfte aus Kapitalvermögen in die Beitragsbemessung miteinbezogen
(vgl. ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, z.B. Urteil vom 09.08.2006, Az.: B 12 KR 8/06 R, SozR 4-2500 § 40 Nr. 8).
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen nicht, insoweit ist auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
03.02.1993 (Az.: 1 BvR 1920/92, SozR 3-2500 § 240 Nr. 11) hinzuweisen, wonach eine Grundrechtsverletzung ausscheidet, soweit bei freiwillig Versicherten
auch Einnahmen aufgrund betriebsfremder privater Eigenvorsorge, z.B. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen,
berücksichtigt werden. Dies entspräche dem die gesetzliche Krankenversicherung beherrschenden Solidaritätsprinzip, die Versicherten
nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu Beiträgen heranzuziehen.
Auch der Hilfsantrag der Klägerin, eine Saldierung ihrer Verluste aus Vermietung und Verpachtung mit den Einkünften aus Kapitalvermögen
zu erreichen, kann aus den oben genannten Gründen nicht durchdringen. Ein solcher vertikaler Verlustausgleich wurde ebenfalls
bereits höchstrichterlich abgelehnt (vgl. hierzu zuletzt Urteil des BSG vom 09.08.2006, aaO.). Ein Verlustausgleich zwischen
den verschiedenen Einkommensarten ist ausgeschlossen, da eine solche Saldierung zu Privilegierungen der freiwillig Versicherten
gegenüber dem versicherungspflichtig Beschäftigten und anderen Versicherungspflichtigen führen würde. Dies widerspricht nach
ständiger Rechtsprechung des BSG dem Zweck der Regelung des §
240 SGB V, bei der Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds anhand der Gesamtheit
der Einnahmen zu berücksichtigen. Bei Pflichtversicherten sieht das Gesetz einen solchen Verlustausgleich nicht vor. Deren
beitragspflichtige Einnahmen aus Arbeitsentgelt, Renten und Versorgungsbezügen werden weder dem Grunde noch der Höhe nach
danach bestimmt, ob außerdem noch aus anderen Einkünften Gewinn erzielt wird oder ein Verlust entsteht. Dem Sinn und Zweck,
eine Besserstellung von freiwilligen Mitgliedern gegenüber den Pflichtmitgliedern zu verhindern, entspricht es daher allein,
die bei freiwilligen Mitgliedern beitragspflichtigen Einnahmen denselben Grundsätzen zu unterwerfen, die für die beitragspflichtigen
Einnahmen der versicherungspflichtig Beschäftigten gelten. Ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten ist
daher nicht möglich. Hiergegen bestehen auch verfassungsrechtlich keine Bedenken (vgl. Urteil des BSG vom 09.08.2006, aaO.).
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut ist daher insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.