Krankenversicherung
Bariatrische Operation als Sachleistung
Eintritt der Genehmigungsfiktion und Sachleistungsanspruch
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine bariatrische Operation als Sachleistung zusteht.
Mit Schreiben vom 24.06.2013, das am selben Tag per Telefax an die Beklagte übermittelt wurde, beantragte der bei der Beklagten
gegen Krankheit versicherte Kläger eine adipositas-chirurgische Maßnahme, die in der A.-Klinik in B-Stadt durchgeführt werden
sollte. Er legte eine Teilnahmebescheinigung vor, nach der er vom 30.10.2012 bis 21.05.2013 regelmäßig an der Maßnahme "Abnehmen
- aber mit Vernunft" teilgenommen hatte.
Mit Schreiben vom 24.06.2013 wurde dem Kläger ein Fragenkatalog übersandt. Die Beklagte bat in diesem Zusammenhang, die entsprechenden
Nachweise beizubringen. Danach könne der Vorgang zur Begutachtung an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)
weitergeleitet werden.
Mit Schreiben vom 20.07.2013 legte der Bevollmächtigte des Klägers nochmals eine Bestätigung über die Teilnahme an dem Programm
"Abnehmen - aber mit Vernunft" vor. Sämtliche sonst noch erforderlichen Unterlagen lägen der Beklagten vor; die Sache sei
zuletzt unter dem Az. S 14 KR 496/11 beim Sozialgericht Regensburg anhängig gewesen. Es werde erneut und dringend um Kostenzusage für die beantragte bariatrische
Operation gebeten.
Mit Schreiben vom 29.07.2013 wandte sich die Beklagte an den Bevollmächtigten. Aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen seien
der derzeitige Gesundheitszustand sowie Größe, aktuelles Gewicht, Therapie und Operationsmethode nicht erkennbar. Laut persönlichen
Angaben des Klägers plane das Krankenhaus B-Stadt eine andere Operationsmethode als das Klinikum W. im Jahr 2011. Auch wurde
angeführt, dass neben der Tatsache der Teilnahme an der multimodalen Behandlung keine weiteren Angaben aus den vorgelegten
Unterlagen ersichtlich seien. Es folgten noch Ausführungen zu den möglichen Operationsmethoden. Es werde um Übersendung der
entsprechenden Unterlagen bzw. um eine Selbstauskunft des Klägers gebeten.
Mit Schreiben vom 18.09.2013 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers, der Antrag gelte als genehmigt, nachdem er nicht innerhalb
der 5-Wochen-Frist des §
13 Abs.
3a SGB V verbeschieden worden sei. Aus diesem Grunde werde die Beklagte gebeten, die Kostenübernahmeerklärung kurzfristig auszufertigen
und zu übersenden.
Mit Schreiben vom 19.09.2013 lehnte die Beklagte es ab, kurzfristig eine Kostenübernahmeerklärung auszufertigen. Bei unvollständigen
Anträgen sei dies dem Versicherten unverzüglich mitzuteilen und die zur Prüfung des Leistungsanspruches erforderlichen Unterlagen
seien zu bezeichnen und anzufordern. Die Anforderung der für die Prüfung des geltend gemachten Sachleistungsanspruchs erforderlichen
Unterlagen stelle einen hinreichenden sachlichen Grund im Sinne des §
13 Abs.
3a Satz 5 und 6
SGB V dar. Ein Hinweis auf die Regelungen des §
13 Abs.
3a SGB V sei hierbei nicht notwendig.
Mit Schreiben vom 23.09.2013 übersandte der Bevollmächtigte des Klägers ein Schreiben der A. Klinik B-Stadt vom 19.09.2013.
Darin heißt es, der Kläger habe vom 30.10.2012 bis zum 21.05.2013 das Präventionsprogramm "Abnehmen - aber mit Vernunft" mit
gleichzeitiger Fitness- und Physiotherapie eines speziell ausgebildeten Adipositasphysiotherapeuten durchgeführt. Trotz konsequenter
regelmäßiger Durchführung des Programms habe der Kläger weiterhin einen BMI von 47 (Größe 1,77 m, Gewicht 145 kg).
Am 28.10.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und die Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V beantragt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte die Fünf-Wochen-Frist des §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V nicht eingehalten habe. Er habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Vorlage weiterer Antragsunterlagen nicht für erforderlich
erachtet werde und deshalb nicht vorgesehen sei. Es obliege dem Antragsteller, ob und in welchem Umfang ergänzende Unterlagen
und Nachweise beigefügt würden. Als Folge der Nichteinhaltung der Fünf-Wochen-Frist trete die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V ein. Den gesetzlichen Krankenkassen sei aufgegeben, die Versicherten zu informieren, wenn es nicht möglich sei, die in §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V normierten Fristen einzuhalten. Eine solche Mitteilung sei durch die Beklagte nicht erfolgt. Die Mitteilung dieser Gründe
könne nicht konkludent erfolgen. Die entsprechende Norm sei in der Mitteilung zu benennen. Nachdem die Beklagte den Eintritt
der Genehmigungsfiktion schriftlich bestritten habe, sei nunmehr Klage geboten.
Die Beklagte hat demgegenüber ausgeführt, die Anforderung der für die Prüfung des geltend gemachten Sachleistungsanspruches
erforderlichen Unterlagen stelle einen hinreichenden Grund im Sinne des §
13 Abs.
3 Satz 5 und 6
SGB V dar. Nach §
17 Abs.
1 Nr.
1 SGB I seien die Leistungsträger verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in
zeitgemäßer Weise umfassend und zügig erhalte. Seien jedoch vor einer Entscheidung weitere Sachverhaltsermittlungen notwendig
- etwa auf Grund eines unvollständigen Leistungsantrages - stelle dies einen hinreichenden Grund dar, wenn dadurch die Krankenkasse
nicht fristgemäß entscheiden könne. Hierbei gelte das aus dem Amtsermittlungsgrundsatz abgeleitete rechtsstaatliche Verbot
des vorzeitigen Verfahrensabschlusses. Ein zusätzlicher Hinweis auf die Regelungen des §
13 Abs.
3a SGB V sei hierbei nicht notwendig. Somit trete die Sanktionswirkung des §
13 Abs.
3a SGB V nicht ein.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27.02.2014 abgewiesen.
Der Antrag auf Kostenübernahme für eine adipositaschirurgische Maßnahme sei per Telefax vom 24.06.2013 gestellt worden. Die
Beklagte habe eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes für erforderlich erachtet. Für diesen Fall sehe das
Gesetz vor, dass diese Stellungnahme von der Krankenkasse unverzüglich eingeholt werde und der Leistungsberechtigte hierüber
unterrichtet werde (vgl. § 13 Abs. 3a Satz 2). Mit der Unterrichtung werde dem Leistungsberechtigten darüber Kenntnis verschafft,
ob die 3- oder die 5-Wochen-Frist gelte. Dies sei dem Kläger von der Beklagten mit Schreiben vom 24.06.2013 auch mitgeteilt
worden.
Die Beklagte habe den Kläger in mehreren Schreiben darüber unterrichtet, dass sie sich anhand der vorgelegten Unterlagen nicht
in der Lage gesehen habe, den Vorgang dem MDK zur Beurteilung vorzulegen. Der Schriftwechsel der Beklagten mit dem Prozessbevollmächtigten
des Klägers ergebe, dass die Beklagte nicht die Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers geteilt habe, dass - von
der übersandten Bestätigung der Klinik B-Stadt vom 20.06.2013 abgesehen - alle notwendigen Unterlagen vorlägen.
Der Beklagten sei darin zuzustimmen, dass die Anforderung der für die Prüfung des geltend gemachten Sachleistungsanspruches
erforderlichen Unterlagen einen hinreichenden Grund im Sinne des §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V darstelle. Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers, es habe keine Notwendigkeit für eine weitere Prüfung bestanden,
weil mit der Bestätigung der Teilnahme am Programm "Abnehmen - aber mit Vernunft" eine multimodale Therapie nachgewiesen und
damit der einzige Grund für die Klageabweisung im Verfahren S 14 KR 496/11 weggefallen sei, könne nicht gefolgt werden. Allein der Umstand, dass ein erneuter Antrag gestellt worden sei, führe nicht
dazu, dass unabhängig vom Zeitablauf ungeprüft auf die früheren Unterlagen zurückgegriffen werden könne. In diesem Zusammenhang
sei auf die der Beklagten obliegende Pflicht zur Amtsermittlung (vgl. § 20 SGB X) zu verweisen. Die Beklagte könne nicht darauf abstellen, ob der Kläger auf weitere Ermittlungen verzichte.
Eine Verpflichtung, in der Mitteilung gem. §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die Rechtsnorm des §
13 Abs.
3a SGB V zu benennen, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, die begehrte Leistung sei genehmigungsfähig; sie könne also auch Gegenstand einer
ausdrücklichen Genehmigung durch einen positiven Bescheid sein. Der GKV-Spitzenverband habe in seinem Rundschreiben zum Patientenrechtegesetz
vom 15.05.2013 die Krankenhausbehandlung ausdrücklich als eine von §
13 Abs.
3a SGB V erfasste Sozialleistung benannt (Punkt 2.3, Unterpunkt 19., Seite 14 des Rundschreibens). Der Antrag des Klägers vom 24.06.2013
sei im Zeitpunkt der Klageerhebung noch immer nicht verbeschieden gewesen. Schließlich fehle auch die Mitteilung nach §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V. Danach müsse die Krankenkasse mitteilen, dass sie die normierten Fristen nicht einhalten könne. Zusätzlich seien die Fristen
zu benennen, einschließlich der sie normierenden Vorschriften. Vorliegend könne von einer 5-Wochen-Frist ausgegangen werden.
Diese habe am Dienstag, den 25.06.2013 begonnen und am Montag, den 29.07.2013, um 24.00 Uhr geendet. In diesen Zeitraum falle
nur ein einziges Schreiben der Beklagten, nämlich jenes vom 24.06.2013. Das Schreiben der Beklagten vom 29.07.2013 sei dem
Bevollmächtigten erst am 30.07.2013 und damit nach Fristablauf zugegangen. Damit sei allein das Schreiben der Beklagten vom
24.06.2013 darauf zu untersuchen, ob es die Voraussetzungen an eine Mitteilung nach §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V erfülle. Dies sei nicht der Fall, denn dem Kläger sei nicht mitgeteilt worden, dass die Beklagte eine Frist nicht werde einhalten
können. Die Übersendung eines Fragebogens ersetze eine Mitteilung nach den gesetzlichen Vorschriften ebenso wenig wie die
Anforderung weiterer Unterlagen.
Im Übrigen gelte §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V für vollständige und unvollständige Anträge gleichermaßen. Der Gesetzgeber habe im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die
diesbezüglichen Änderungsvorschläge des AOK-Bundesverbandes bewusst nicht aufgegriffen. Dieser habe folgenden ergänzenden
Gesetzestext vorgeschlagen:
"Die Frist von drei Wochen beginnt frühestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Krankenkasse die für die Leistungsentscheidung
erforderlichen Unterlagen vorliegen."
(Quelle: Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes vom 17.10.2012 zu BT-Drs. 17/10488). Eine solche Regelung habe der Gesetzgeber
nicht gewollt.
§
13 Abs.
3a Satz 6 und 7
SGB V seien getrennt voneinander zu betrachten. Die Verauslagung von Heilbehandlungskosten sei nicht Voraussetzung für den Eintritt
der Genehmigungsfiktion.
Medizinische Fragestellungen seien nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Der materielle Sachleistungsanspruch sei die
Folge des Eintritts der Genehmigungsfiktion, nicht dessen Voraussetzung. Die Beklagte sei nach dem Eintritt der Genehmigungsfiktion
mit allen Einwendungen (insbesondere mit der Einwendung fehlender medizinischer Notwendigkeit) ausgeschlossen.
Fehlende Mitwirkung hemme die Fristen des §
13 Abs.
3a SGB V nicht. Stelle fehlende Mitwirkung einen hinreichenden Grund im Sinne von §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V dar, so müsse die Kasse dies gegenüber ihrem Versicherten aktiv und schriftlich kommunizieren. Im Übrigen sei die Sanktion
für fehlende Mitwirkung eine Ablehnungsentscheidung nach §
66 SGB I und nicht das Ruhenlassen der weiteren Antragsbearbeitung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27.02.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine bariatrische Operation
in einer Vertragsklinik als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat ausgeführt, sie habe die Leistung mit Bescheid vom 14.02.2014 mangels Mitwirkung versagt, diesen Bescheid
jedoch am 10.03.2014 zurückgenommen. In der Folgezeit habe sie den Kläger erneut aufgefordert, terminliche und inhaltliche
Belege bezüglich der Durchführung der Maßnahme "Abnehmen - aber mit Vernunft" vorzulegen. Der Kläger habe jedoch nur eine
Stellungnahme der Klinik bezüglich eines anderen Klägers sowie allgemeine Unterlagen eingereicht.
Ein Anspruch aus §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V könne nicht weiter reichen als ein solcher nach §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V (Knispel, SGb 2014, S. 374 ff.). Die Genehmigungsfiktion könne demnach nur erforderliche Leistungen umfassen. Diese Auslegung sei auch deshalb geboten,
weil fraglich sei, ob eine rechtswidrige fingierte Genehmigung zurückgenommen werden könne. Ob die begehrte Leistung im konkreten
Fall erforderlich sei, könne weiterhin nicht festgestellt werden, weil der Kläger keine individuellen Belege über die Durchführung
des Programms "Abnehmen - aber mit Vernunft" vorgelegt habe. Insoweit sei auf den Gerichtsbescheid des SG Regensburg im Verfahren
S 14 KR 496/11 zu verweisen.
Im Übrigen habe die Beklagte bereits mit Schreiben vom 24.06.2013 mitgeteilt, dass ihr eine Entscheidung noch nicht möglich
sei. Das Abwarten von Arztunterlagen stelle einen hinreichenden Grund dar, so dass keine Genehmigungsfiktion eingetreten sei.
Der Gesetzgeber habe mit der Einführung von §
13 Abs.
3a SGB V nicht erreichen wollen, dass die Mitwirkungspflichten der §§
60 ff.
SGB I ausgehebelt werden.
Die Beklagte hat den Bescheid vom 04.11.2014 übersandt, mit dem sie den Antrag vom 24.06.2013 wegen fehlender Mitwirkung und
des Fehlens der medizinischen Anspruchsvoraussetzungen abgelehnt hat. Die Beteiligten haben übereinstimmend mitgeteilt, dass
der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt hat; eine Entscheidung ist noch nicht ergangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogene Akte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung ist ohne Zulassung statthaft,
weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- Euro übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG).
Die Berufung ist auch begründet.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG zulässig.
Zwar war die ursprünglich erhobene Feststellungsklage unzulässig. Die Feststellungsklage ist gegenüber einer Gestaltungs-
oder Leistungsklage subsidiär (BSG, Urteil vom 28. März 2013, B 4 AS 42/12 R, Rn. 12; BSG, Urteil vom 20. Mai 1992, 14a/6 RKa 29/89, Rn. 19; BSG, Urteil vom 30. Oktober 1980, 8a RU 96/79, Rn. 15). Eine Feststellung kann daher nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage
verfolgen kann (BSG, Urteil vom 20. Mai 1992, a.a.O.). In einem solchen Fall fehlt es am notwendigen Feststellungsinteresse.
So liegt es hier. Der Kläger begehrt die Durchführung einer nach seinem Vorbringen als genehmigt geltenden Versorgung mit
einer Magenoperation als Sachleistung. Ein Verwaltungsakt hat nach seinem Vorbringen nicht (mehr) zu ergehen, weil den geltend
gemachten Anspruch auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion gemäß §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V stützt. Das entspricht in prozessualer Hinsicht einem Begehren, das aus einem bereits ergangenen Bewilligungsbescheid geltend
gemacht wird. Hierfür ist die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart. Einer Feststellungsklage gemäß §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG bedarf es wegen der Möglichkeit der auf Gewährung der Sachleistung gerichtete Leistungsklage nicht (vgl. SG Speyer, Urteil
vom 14.07.2016, S 13 KR 245/15, Rn. 17).
Außerdem kann der Kläger mittels einer Leistungsklage weitergehenden Rechtsschutz erlangen. Denn durch ein Urteil, mit dem
lediglich den Eintritt der Genehmigungsfiktion festgestellt wird, wäre nicht geklärt, ob deswegen ein unmittelbarer Anspruch
auf Gewährung der begehrten Operation als Sachleistung besteht (s.u. unter 2.).
Der Kläger hat die Klage auf eine Leistungsklage umgestellt. Dabei kann offen bleiben, ob es sich um einen Fall des §
99 Abs.
3 (Nr.
2 oder Nr.
3)
SGG handelt, denn jedenfalls wäre eine entsprechende Klageänderung sachdienlich (§
99 Abs.
1 SGG). Zweifel an der Zulässigkeit einer Leistungsklage bestehen nicht; insbesondere ist sie weder fristgebunden noch setzt sie
die Durchführung eines Vorverfahrens voraus.
Die Klage ist auch begründet.
Der bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte und damit leistungsberechtigte Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung
mit der begehrten Operation. Die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V ist eingetreten (dazu 1.); daraus folgt unmittelbar ein Anspruch auf Gewährung einer Sachleistung (dazu 2.).
1. Die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V ist eingetreten, weil die in §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V bezeichnete Frist abgelaufen ist (dazu a) und ein hinreichender Grund hierfür nicht mitgeteilt wurde (dazu b).
a) Die Frist des §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V ist abgelaufen. Vorliegend stand der Beklagten eine Frist von fünf Wochen ab Antragseingang zur Verfügung, weil sie eine
Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) für erforderlich hielt und den Kläger mit Schreiben
vom 24.06.2013 darüber unterrichtet hat (§
13 Abs.
3a Satz 1 und
2 SGB V; BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, Rn. 28).
aa) Der streitgegenständliche Antrag des Klägers ist am 24.06.2013 bei der Beklagten eingegangen. Der Antrag war hinreichend
bestimmt. Die Genehmigungsfiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage
des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (BSG, a.a.O., Rn. 23 m.w.N.).
So liegt es hier. Zwar hat der Kläger nur allgemein "eine bariatrische Magenoperation" beantragt. Dieser Begriff umfasst mehrere
unterschiedliche Operationsmethoden (Magenband, Magenbypass, Magenverkleinerung etc.). Dies steht der Bestimmtheit jedoch
nicht entgegen, weil ein entsprechender fingierter Verwaltungsakt dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Kläger eine
bariatrische Operation erhält, die nach einer Methode seiner Wahl oder nach Wahl des Arztes durchgeführt wird.
Auch war erkennbar, dass der Kläger die Erbringung der beantragten Leistung nicht in einer Privat-, sondern in einer Vertragsklinik
begehrte.
bb) Der Antrag des Klägers betraf eine Leistung, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb
des Leistungskatalogs der GKV lag. Diese Voraussetzung hat das BSG in seinem Urteil vom 08.03.2016 (a.a.O., Rn. 25-27) aus dem Regelungszusammenhang und -zweck abgeleitet.
(1) Der Kläger durfte eine bariatrische Operation für erforderlich halten.
Die Genehmigungsfiktion ist auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen beschränkt (BSG, a.a.O., Rn. 26). Dies bedeutet gleichzeitig, dass die objektive Erforderlichkeit im Sinne der §§
27 Abs.
1 Satz 1,
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V nicht Voraussetzung für den Eintritt der Fiktion ist.
Der Kläger hielt - subjektiv - eine bariatrische Operation für notwendig; entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich.
Bei seiner Einschätzung der Erforderlichkeit durfte sich der Kläger davon leiten lassen, dass er vom 30.10.2012 bis 21.05.2013
an dem Programm "Abnehmen - aber mit Vernunft" teilgenommen hatte, ohne eine nennenswerte Gewichtsreduzierung zu erreichen.
Damit hatte er sich nämlich an den Ausführungen des SG in dem rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 03.07.2012 aus dem Vorprozess (S 14 KR 496/11) orientiert. Das SG hatte ausgeführt, dass er, bevor die Notwendigkeit einer bariatrischen Operation bejaht werden könne, zunächst eine multimodale
Therapie durchführen müsse.
Dem ist der Kläger nachgekommen. Die regelmäßige Teilnahme wurde ihm von der Kursleiterin am 21.05.2013 bescheinigt; auch
zahlreiche Eintragungen in dem in der mündlichen Verhandlung am 12.01.2017 vorgelegten kursbegleitenden Handbuch sprechen
dafür. Unter dem 20.06.2013 hat der Chefarzt Dr. P. ergänzend darauf hingewiesen, dass das Programm "Abnehmen - aber mit Vernunft"
vom Zentralverband der Krankenkassen als multimodales Konzept und Abnehmtherapie anerkannt worden sei. Schließlich hat Dr.
P. mit Schreiben vom 19.09.2013 dargelegt, dass der Kläger auch nach konsequenter regelmäßiger Durchführung des Programms
weiterhin einen BMI von 47 habe; am 20.06.2013 habe sich ein Körpergewicht von 145 kg bei einer Körpergröße von 1,77 m gezeigt.
Der Senat sieht keinen Grund, diese Angaben in Zweifel zu ziehen; dass sich aus den für den 20.06.2013 genannten Werten ein
abgerundeter BMI von 46 (nicht von 47) ergibt, ändert nichts daran, dass das Ziel des Programms deutlich verfehlt wurde. In
dem kursbegleitenden Handbuch hat der Kläger sein Gewicht am 07.11.2012 mit 147 kg und am 12.03.2013 mit 152 kg notiert. In
einer grafischen Darstellung auf Seite 126 des Handbuchs hat er das Ausgangsgewicht am 30.10.2012 mit 150 kg angegeben; nur
vorübergehend habe er eine Gewichtsreduktion um 1 kg erreicht.
Hinsichtlich der weiteren Defizite, mit denen das SG in dem Gerichtsbescheid vom 03.07.2012 seine Klageabweisung begründet hatte (starre und unflexible Persönlichkeitsstruktur,
falsche Ernährung, Bewegungsmangel) kann der Senat zwar nicht feststellen, dass der Kläger ernsthafte Anstrengungen zu ihrem
Abbau unternommen hätte. Gleichwohl durfte er subjektiv eine bariatrische Operation für erforderlich halten. Er musste sich
nicht verpflichtet sehen, zunächst den Versuch zu unternehmen, seine Persönlichkeitsstruktur und die daraus resultierenden,
eingefahrenen Verhaltensmuster zu ändern. Denn gerade eine starre und unflexible Persönlichkeitsstruktur ist dadurch gekennzeichnet,
dass tiefgreifende Änderungen subjektiv als außerordentlich schwer oder sogar als unmöglich wahrgenommen werden.
(2) Die begehrte Operation - eine bariatrische Operation in Form einer (stationären) Krankenhausbehandlung in einer Vertragsklinik
- lag auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungsspektrums der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R, Rn. 22 m.w.N.).
cc) Die Frist begann am 25.06.2013 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
187 Abs.
1 BGB). Nicht entscheidend ist, ob zu diesem Zeitpunkt die für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen vorlagen. Der Senat teilt
insoweit nicht die Rechtsauffassung des 20. Senats des Bayer. LSG (Urteil vom 07.09.2016, L 20 KR 597/15, Rn. 26).
(1) Die Regelung des §
13 Abs.
3a SGB V enthält keine Regelung, wie sie in §
32 Abs.
1a Satz 4
SGB V für das Genehmigungsverfahren für Heilmittel vorgesehen ist. Dort hat der Gesetzgeber angeordnet, dass der Ablauf der Frist
nach §
32 Abs.
1a Satz 3
SGB V für den Eintritt einer Genehmigungsfiktion solange gehemmt ist, bis die benötigten Informationen von dem Versicherten bei
der Krankenkasse eingehen (vgl. - trotz der dort vertretenen anderen Ansicht - Bayer. LSG, a.a.O., Rn. 25). Dass hierzu eine
Begründung in den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013
(BGBl. I 277) fehlt, führt nicht dazu, dass §
13 Abs.
3a SGB V so auszulegen wäre, als enthielte er eine §
32 Abs.
1a Satz 4
SGB V entsprechende Vorschrift.
(2) Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass der AOK-Bundesverband in seiner Stellungnahme vom 17.10.2012 zu dem Entwurf
des Patientenrechtegesetzes eine entsprechende Regelung vorgeschlagen hatte ("Die Frist von drei Wochen beginnt frühestens
zu dem Zeitpunkt, zu dem der Krankenkasse die für die Leistungsentscheidung erforderlichen Unterlagen vorliegen."), der Gesetzgeber
diesem Vorschlag aber nicht gefolgt ist. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.01.2017 die Authentizität dieses Vorschlags
bestätigt. Wenn die Beklagte hierzu weiter ausführt, der Gesetzgeber habe lediglich darauf verzichtet, klarzustellen, was
ohnehin auf der Hand liege, so überzeugt dies den Senat angesichts obiger Ausführungen unter (1) nicht.
(3) Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass §
13 Abs.
3a SGB V nicht dazu dient, die Mitwirkungspflichten der §§
60 ff.
SGB I auszuhebeln. Allerdings können umgekehrt die Krankenkassen auch nicht unter Berufung auf die Mitwirkungspflichten die Vorschriften
über die Genehmigungsfiktion aushebeln. Die genannten Vorschriften sind vielmehr nebeneinander anzuwenden. Die Krankenkassen
haben in Fällen wie dem vorliegenden also zwei Möglichkeiten:
Sie können allein nach §
13 Abs.
3a SGB V vorgehen und rechtzeitig vor Ablauf der Frist mitteilen, dass sie wegen des Fehlens von Unterlagen die Frist um eine bestimmte
Anzahl von Tagen überschreiten werden. Dieses Vorgehen kann mehrmals wiederholt werden (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, Rn. 20). Die Kassen können auch parallel zum diesem Vorgehen, das dadurch nicht entbehrlich wird, eine angemessene Frist
nach §
66 Abs.
3 SGB I setzen und nach deren fruchtlosem Ablauf prüfen, ob im Ermessenswege ein Versagungsbescheid nach §
66 Abs.
1 SGB I erlassen werden kann.
dd) Die fünfwöchige Frist endete mit Ablauf des 29.07.2013 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
188 Abs.
2 BGB). Eine Fristverlängerung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X kommt nicht in Betracht, weil der 29.07.2013 auf einen Montag fiel. Innerhalb der Frist hat die Beklagte nicht über den Antrag
des Klägers entschieden.
b) Die Beklagte hat dem Kläger keinen hinreichenden Grund mitgeteilt.
§
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V bestimmt: "Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten
unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit." Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für
die von der Krankenkasse prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die
Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt (BSG, a.a.O., Rn. 20).
Will die Kasse den Eintritt der Genehmigungsfiktion verhindern, muss sie also nicht nur rechtzeitig - d. h. vor Ablauf der
Frist - einen hinreichenden Grund nennen, sondern auch die exakte Dauer seines voraussichtlichen Bestehens. Vor allem aber
muss die Krankenkasse ausdrücklich auf die Frist eingehen, deren Einhaltung ihr nicht möglich ist.
Daran fehlt es vorliegend. Die Beklagte hat sich vor Ablauf der Frist am 29.07.2013 lediglich mit dem Schreiben vom 24.06.2013
an den Kläger gewandt. In diesem Schreiben ist die Beklagte in keiner Weise auf eine Frist und ihre Überschreitung - dementsprechend
erst recht nicht auf die prognostizierte Dauer der Überschreitung - eingegangen.
2. Der Eintritt der Genehmigungsfiktion bewirkt einen Anspruch des Klägers auf Gewährung der begehrten Operation als Sachleistung.
Der Senat folgt nicht dem 20. Senat des Bayer. LSG (Urteil vom 07.09.2016, L 20 KR 597/15, Rn. 28 ff.), der die Rechtsauffassung vertritt, dass die Genehmigungsfiktion lediglich eine Voraussetzung für einen späteren
Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V darstelle.
Vielmehr folgt der Senat der Rechtsprechung des BSG, das in seinem Urteil vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R), in Rn. 25 ausgeführt hat:
"Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss
hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch
im Ansatz entspricht (vgl §
13 Abs
3a S 7
SGB V). Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage
sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren ( ...)."
Der Senat verkennt nicht, dass es sich hier um ein obiter dictum handelt. In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte sich der Kläger die streitige Therapie selbst beschafft und Kostenerstattung nach §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V beantragt. Ob der Eintritt der Genehmigungsfiktion zunächst einen eigenständigen Anspruch auf Gewährung der Therapie als
Sachleistung begründet hatte, musste also nicht entschieden werden.
Gleichwohl ist die Aussage des BSG nach Auffassung des Senats eindeutig. Wenn ein Naturalleistungsanspruch besteht, der es auch mittellosen Versicherten ermöglicht,
ihren Anspruch zu realisieren, ohne sich die begehrte Leistung (zunächst) selbst zu verschaffen, dann ist ausgeschlossen,
dass die Genehmigungsfiktion lediglich eine Voraussetzung für einen späteren Kostenerstattungsanspruch darstellt (in diesem
Sinne bereits Bayer. LSG, Urteil vom 28.06.2016, L 5 KR 323/14, Rn. 27). Für dieses Verständnis spricht auch, dass das BSG den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2014 (L 5 KR 222/14 B ER, Rn. 7) zitiert, in dem ebenfalls unmissverständlich ausgeführt wird, dass §
13 Abs.
3a SGB V den Anspruch nicht auf eine Kostenerstattung beschränke, dass Satz 6 und 7 der Norm vielmehr mittels einer Genehmigungsfiktion
einen Sachleistungsanspruch oder einen Kostenerstattungsanspruch für die erforderliche Leistung gewährten. Selbst wenn man
sich der Auffassung anschließen würde, §
13 Abs.
3a SGB V gewähre nur einen Kostenerstattungsanspruch, so gelange man zu keinem anderen Ergebnis, da der Kostenerstattungsanspruch
auch einen Anspruch auf Freistellung umfasse.
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2014 die eingetretene Genehmigungsfiktion
unberührt lässt; die Ablehnung bzw. Versagung der Leistung regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich
eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl. hierzu §§ 45, 47 SGB X; BSG, a.a.O., Rn. 32).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).