Keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für das cannabishaltige Schmerzmittel "Dronabinol"
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol.
Der 1935 geborene Antragsteller (Ast.) ist Mitglied der Beklagten. Mit Schreiben vom 20.05.2015 wandte sich sein behandelnder
Neurologe Dr. C. an die Antragsgegnerin (Ag.) und teilte mit, der Ast. leide unter einem chronischen Schmerzsyndrom mit somatischen
und psychischen Faktoren (Fibromyalgiesyndrom). Er habe in den Jahren 2006 bis 2007 nach vielfältigen Behandlungsmaßnahmen
eine deutliche Besserung der Beschwerdesymptomatik durch Einnahme eines THC-Präparats (Dronabinol) erreicht. In den folgenden
Jahren sei es dem Ast. gut gegangen. Jetzt verspüre er seit einigen Wochen wieder vermehrte Schmerzen und bitte daher um Verordnung
des Präparates. Die Ag. lehnte mit Bescheid vom 28.05.2015 die Übernahme der Kosten ab, da Dronabinol als Rezepturarzneimittel
in Deutschland keine Arzneimittelzulassung habe. Einzig das Arzneimittel Sativex mit dem Extrakt der Cannabispflanze sei für
die Therapie der Spastik bei Patienten mit Multipler Sklerose zugelassen. Eine Verordnungsfähigkeit von Dronabinol bestehe
nach §135
SGB V erst nach Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens sowie der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Die Behandlung von Erkrankungen mit entsprechenden Rezepturen sei bisher von
den zuständigen Gremien noch nicht bewertet worden. Da außerdem auf dem deutschen Arzneimittelmarkt verschiedene Schmerzmittel,
die verordnungsfähig sind und vorrangig zur verschreiben sind, zur Verfügung stehen, scheide eine Verordnung zu Lasten der
gesetzlichen Krankenkasse aus. Ohne Bedeutung sei dabei, dass im Jahr 2007 positive Erfahrungen damit gemacht wurden. Dieser
Umstand reiche nicht aus, erneut eine Therapie mit Cannabis zu genehmigen. Dem Ast. wurde empfohlen, sich vom behandelnden
Arzt über alternative Behandlungsmöglichkeiten beraten zu lassen.
In einem Schreiben vom 01.06.2015, das die Ag. offenbar als Widerspruch wertete, beschrieb der Ast. Einzelheiten der Antragstellung
und seiner Erfahrungen mit dem Medikament. Vorgelegt wurden Verordnungen offenbar über diverse Schmerzmittel durch Dr. M.
vom Januar 2013 bis März 2015. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen
(MDK). Dieser stellte im Gutachten vom 26.06.2015 fest, dass ein chronisches Schmerzsyndrom zwar die Lebensqualität erheblich
beeinträchtigen könne und einer qualifizierten schmerztherapeutischen Behandlung bedürfe, das Ausmaß einer lebensbedrohlichen
Erkrankung jedoch bei weitem nicht erreicht werde. Ein Fibromyalgiesyndrom erfordere ein multimodales und langfristiges Behandlungskonzept,
bestehend aus medikamentöser Therapie, physikalischer und krankengymnastischer Maßnahmen, regelmäßiger Bewegungstherapie,
regelmäßiger aeroben Ausdauertrainings, Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapie sowie einer Patientenschulung. Das THC,
das mittlerweile der therapeutisch wichtigste Bestandteil von Cannabis sei, werde in den USA seit längerem für die Behandlung
des Zystostatikabedingten(?) Erbrechens und der Anorexie von HIV-Patienten eingesetzt. Das Medikament Sativex sei seit Juni
2010 in der EU zugelassen zur Symptomverbesserung bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer und schwerer Spastik aufgrund
von Multipler Sklerose (MS), die nicht angemessen auf eine andere antispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben.
Über den medizinischen Nutzen von Cannabinoiden in der Schmerztherapie bestehe dagegen in Fachkreisen weiterhin keine Einigkeit.
Bei gleichzeitig hohem Suchtpotenzial falle die Nutzen-Risiko-Bewertung für diese Anwendungsindikationen eher ungünstig aus.
Mit einer Einsatzerweiterung durch die EMA oder den GBA sei daher in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Die Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 06.12.2005 kämen im Falle des Klägers nicht zum Tragen, da keine lebensbedrohliche
oder im Schweregrad vergleichbare Erkrankung vorliege.
Mit Schreiben vom 14.07.2015 hat die Ag. daraufhin erneut mitgeteilt, dass eine Übernahme der Kosten für die Behandlung mit
Dronabinol nicht möglich sei. Den dagegen gerichteten Widerspruch begründete der Ast. erneut damit, dass er aufgrund des Wiederausbruchs
der Fibromyalgie nach acht Jahren austherapiert sei und ein Ersatzmedikament nicht zur Verfügung stehe. Über die unberechtigte
Ablehnung sei er nach 50 Jahren der Mitgliedschaft sehr enttäuscht. Wegen der nicht beherrschbaren Schmerzen habe sein Facharzt
wie bei der Ersterkrankung wegen überlanger Bearbeitungsdauer von derzeit sieben Wochen vorab ein Privatrezept ausgestellt.
Er bitte um baldige Einzelfallentscheidung und Ersatz seiner bisherigen Auslagen. Nach seinen bisherigen Erfahrungen dürften
ca. 15.000,00 Euro an Gesamtkosten anfallen. In einem weiteren Aufklärungsschreiben hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass
sowohl das Fertigarzneimittel mit dem Namen Sativex als auch die anderen Rezepturen, die individuell mit dem Wirkstoff Dronabinol
hergestellt werden, nicht für den Einsatz zur Behandlung von Schmerzen zugelassen seien. Im Übrigen bedürfe es bei einer Kostenübernahme
einem vorherigen Antrag bei der Kasse, damit diese eine Überprüfung durch den MDK unter anderem auch zur Frage, ob ein positives
Nutzen-Risiko-Verhältnis bestehe, einleiten könne. In den Leitlinien zum Fibromyalgiesyndrom hätten sich die beteiligten Experten
nicht für einen Einsatz von Cannabis ausgesprochen, da die vorliegenden Studienergebnisse ein zu hohes Nebenwirkungspotenzial
bei eher geringem Nutzen aufgezeigt hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2015 hat die Ag. den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das
begehrte Arzneimittel sei in der Bundesrepublik nicht zugelassen, und nach den Arzneimittelrichtlinien sei die Verordnung
von nichtzugelassenen Anwendungsgebieten im so genannten Off-Label-Use nur zulässig, wenn die Expertengruppen mit Zustimmung
des pharmazeutischen Unternehmens eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Anwendung
dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben und der
GBA die Empfehlung in die Richtlinie übernommen habe. Dies sei hier nicht der Fall. Im Übrigen würden die strengen Voraussetzungen
des kontrollierten Off-Label-use nach den Vorgaben des Bundessozialgerichts nicht vorliegen, da es sich nicht um eine schwerwiegende,
lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig entsprechend beeinträchtigende Erkrankung handle, bei der keine
andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat
ein Behandlungserfolg (curativ(?) oder palliativ) zu erzielen ist. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, so dass eine Kostenübernahme
nicht möglich sei.
Mit einem Eilantrag vom 27.08.2015 begehrte der Ast. beim Sozialgericht Landshut die Genehmigung der Behandlung mit Dronabinol.
Er trug vor, die Verordnung durch den Facharzt Dr. C. sei bald aufgebraucht, so dass eine weitere Verschreibung erst nach
der Entscheidung durch das Sozialgericht möglich sei. Im Weiteren wies er darauf hin, dass sowohl bei seiner Ersterkrankung
kein Abhängigkeitspotenzial bemerkt worden sei, als auch sich in den bisherigen Studien dafür keine Hinweise gefunden hätten.
Er erfülle die rechtlichen Voraussetzungen für die Einzelfallentscheidung. Denn das Medikament habe als einziges von vielen
Medikamenten, die ärztlich verordnet wurden, einen hohen Wirkungsgrad. Aufgrund seines hohen Alters und seiner schwerwiegenden
Erkrankung benötige er eine sofortige Entscheidung dazu. Er legte die Unterlagen über die Bewilligung durch die Beklagte aus
dem Jahr 2006 bei sowie Unterlagen aus einer Selbsthilfegruppe von Fibromyalgieerkrankten bei.
Die Ag. beantragte, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass ein Anordnungsanspruch
als Voraussetzung für eine Entscheidung nach §
86 b Abs.
2 SGG nach summarischer Prüfung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Nach ihren Darstellungen
zum Off-Label-Use liege ein Anordnungsanspruch des Ast. nicht vor. Im Übrigen sei auch ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich,
denn aus der Stellungnahme des MDK ergebe sich, welche vorhandenen alternativen Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen des Sachleistungsanspruchs
vom Ast. in Anspruch genommen werden könnten. Sowohl die vom BSG aufgestellten Grundsätze zum Off-Label-Use als auch die vom Bundesverfassungsgericht genannten Kriterien im so genannten
Nikolausbeschluss (1 BvR 347/98) seien nicht erfüllt.
Das Sozialgericht Landshut hat mit Beschluss vom 31.08.2015 den Antrag die Ag. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
die Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol vorläufig zu gewähren, abgelehnt. Zur Begründung führte das Sozialgericht
aus, dass für das Begehren des Ast. auf Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol weder ein Anordnungsanspruch als
materieller Anspruch noch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht
wurden. Der begehrte Sachleistungsanspruch bzw. Kostenerstattungsanspruch für die Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel
Dronabinol sei nicht gegeben. Das BSG habe bereits im Urteil vom 27.03.2007 einen Anspruch auf das cannabionidhaltige Rezepturarzneimittel Dronabinol abgelehnt.
Für diese damals neuartige Schmerztherapie fehlte es nach den Ausführungen des BSG an der erforderlichen Empfehlung des Bundesausschusses. Das SG hat dazu ausgeführt, dass es sich dieser Rechtsprechung des BSG anschließe. Der Ast. habe auch auch keinen Anspruch aus den Gründen eines Systemversagens, da hier kein Seltenheitsfall vorliege.
Ein Anspruch aus notstandsähnlicher Situation scheide ebenfalls aus, da die vom Bundesverfassungsgericht und BSG festgelegten strengen Voraussetzungen, einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder zumindest wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung hier nicht vorliegen. Hier könne insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass nach den konkreten
Umständen des Falles bereits ein, für die verfassungskonforme Auslegung erforderlicher, so schwerwiegender Krankheitsverlauf
angenommen werden könne, dass bereits innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums mit hoher Wahrscheinlichkeit sich
ein tödlicher Krankheitsverlauf verwirklichen würde. Das SG hat dann die in der Rechtsprechung bereits entschiedenen Erkrankungen genannt, die aus verfassungsrechtlichen Gründen zu
einer Anerkennung eines so genannten Off-Label-Use geführt haben. Es kam aber zur Überzeugung, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
keine derart schwere Erkrankung im Sinne dieser Notfallstandssituation beim Ast. vorliege, es könne also keine wertungsmäßig
vergleichbare Schwere der Erkrankung festgestellt werden, die in absehbarer Zeit zu einem nicht kompensierbaren Verlust eines
wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion führe.
Mit der am 04.09.2015 eingelegten Beschwerde verfolgt der Ast. seinen Antrag auf Verurteilung der Ag., die Versorgung mit
dem Rezepturarzneimittel Dronabinol zu gewähren, weiter. Er verweist auf sein bisheriges Vorbringen sowie auf ein der Begründung
beigefügtes ärztliches Attest von Dr. C. vom 29.09.2015. Dr. C. verweist dabei erneut auf die frühere zufriedenstellende Besserung
des Beschwerdebildes und auf die Schwierigkeit der Verordnung des begehrten Arzneimittels auf Privatrezept. Der Kläger erklärte
in Form einer eidesstattlichen Versicherung, dass er davon ausgegangen sei, durch das Schreiben vom 27.08.2015 an das Sozialgericht
Landshut neben einem Eilantrag auch ein Rechtsmittel gegen den Widerspruchsbescheid eingelegt zu haben. Der Bevollmächtigte
begründete im Weiteren zum einen den Eilantrag, legte aber auch einen Schriftsatz vom 30.09.2015 vor, der als Klage an das
Sozialgericht Landshut gerichtet war.
Die Begründung des Eilantrags richtet sich vor allem gegen die Ausführungen des Sozialgerichts Landshut im Beschluss vom 31.08.2015.
Es wird vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch nachgewiesen
sei. Es werde auch deutlich, dass der Antragsteller einer Entscheidung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bedürfe,
da von ärztlicher Seite die notwendige Verordnung sonst nicht ausgestellt werden könne. Der Senat hat ein Schreiben an Dr.
C. gerichtet mit der Bitte, die in seinem Attest genannten Unsicherheiten bezüglich der Indikation zu erläutern.
Der Bevollmächtigte des Ast. wurde gebeten mitzuteilen, ob dem Ast. eine betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis erteilt wurde
oder ob er diese beantragt habe. Dr. C. hat mitgeteilt, dass nach seinem Wissen Cannabispräparate nur zugelassen seien zur
Behandlung von Spastik bei Patienten mit Multipler Sklerose und bei Schmerzen im Rahmen von Tumorerkrankungen, sofern alle
anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien. Deshalb handle es sich hier um eine Off-Label-Verordnung, bei der er einem
Regress durch die Krankenkasse ausgesetzt sei und für mögliche Nebenwirkungen hafte. Studien zur Behandlung von Fibromyalgie-Schmerzen
mit Dronabinol seien ihm nicht bekannt. Die Behandlung von chronischen generalisierten Schmerzen sei grundsätzlich schwierig.
Häufig bestehe hier eine Therapieresistenz. Anzumerken sei auch, dass Dronabinol sehr teuer sei. Der Klägerbevollmächtigte
teilte mit, dass eine betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis nicht erteilt wurde und auch bisher nicht beantragt sei.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Landshut vom 31.08.2015 und des Bescheides der Antragsgegnerin
vom 28.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2015 zu verpflichten, dem Antragsteller im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes im Rahmen der Sachleistung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag des Antragstellers abzuweisen.
II.
Die Beschwerde des Ast. (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet, weil der Ast. keinen Anspruch auf Versorgung mit cannabishaltigen Schmerzmitteln
als Arzneirezepturmittel Dronabinol im einstweiligen Rechtsschutz hat.
Nach §
86 b Abs.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des 1. Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist,
das Berufungsgericht. Danach war das Sozialgericht zur Eilentscheidung aufgerufen und gegen diese Entscheidung stand dem Antragsteller
die Beschwerde offen. Allerdings ist festzustellen, dass das Sozialgericht trotz der vom Kläger vorgetragenen Eilbedürftigkeit
zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d. h. des materiellen Anspruchs,
für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Weiter muss ein Anordnungsgrund vorliegen, d. h. Gründe, aus denen eine Unzumutbarkeit
hervorgeht, die Entscheidung der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind im Eilverfahren zumindest
glaubhaft zu machen (§
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Das Gericht prüft dann grundsätzlich im Rahmen eines summarischen Verfahrens die zu Grunde liegende Rechtslage und die
maßgeblichen Gesichtspunkte einer erforderlichen Interessenabwägung. Im gerichtlichen Eilverfahren, in denen es um existenziell
bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Versicherten geht, ist den Gerichten allerdings eine lediglich summarische
Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt, sie haben vielmehr die Sach- und Rechtslage grundsätzlich abschließend zu prüfen.
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage wegen Eilbedürftigkeit der Entscheidung nicht möglich,
so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die grundsätzlichen Belange des Versicherten umfassend in die Abwägung
einzubeziehen sind. Die Gerichte haben sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen (s. hierzu
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.11.2007, Az.: 1 BvR 2496/07, zitiert nach [...]).
Trotz dieses hohen Prüfungsmaßstabs liegen im Falle des Ast. keine Gründe vor, die eine vorläufige Regelung erfordern. Insbesondere
ist bei dem Krankheitsbild der Fibromyalgie nicht von einer lebensbedrohlichen Erkrankung auszugehen, so dass hier eine existentiell
bedeutsame Leistung der Krankenversicherung nicht im Raum steht (BVerfG vom 29.11.2007, a. a. O., Rdnr. 16). Es ist vor allem
nicht vorgetragen, dass erneut die anderen zur Verfügung stehenden Arzneimittel ohne Wirkung geblieben sind. Nach dem Vortrag
des Ast., niedergelegt im Attest von Dr. C. vom 20.05.2015 sind vor einigen Wochen wieder vermehrt Schmerzen aufgetreten,
nach einer längeren schmerzfreien Zeit ohne Einnahme von Medikamenten. Allein die früheren positive Erfahrung mit Dronabinol
rechtfertigt es nicht, auf andere Therapiemöglichkeiten ohne erneute Behandlungsversuche völlig und von vornherein zu verzichten.
Aus dem Attest von Dr. C. ergibt sich insbesondere auch nicht, dass andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen.
Im hier vorliegenden Fall ist nicht zu unterscheiden, ob der Kläger einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V geltend macht oder ob für die zukünftige Versorgung eine Sachleistung begehrt wird, denn grundsätzlich reicht auch ein Kostenerstattungsanspruch
nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Das heißt, Voraussetzung ist, dass die selbstbeschaffte oder zu
gewährende Therapie zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu
erbringen haben. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.
Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht von der Leistungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 und
3, §
31 Abs.
1 SGB V) umfasst, wenn ihnen die erforderliche, arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Wie bereits das BSG im Urteil vom 27.03.2007 (B 1 KR 30/06 R, zitiert nach [...]) festgestellt hat, ist der isolierte Hauptwirkstoff von Cannabis - Dronabinol - zwar in den USA als Fertigarzneimittel
unter dem Handelsnamen Marinol zugelassen, allerdings nicht für die vom Kläger geltend gemachten Symptome einer Fibromyalgie,
sondern zur Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Therapie der Kachexie und Appetitstimulation von Aids-Patienten.
An dieser Zulassung hat sich bis heute nichts geändert. Darüber hinaus ist auch weiterhin in Deutschland und EU-weit keine
Zulassung für cannabionidhaltige Fertigarzneimittel erfolgt, wenn man von einer Behandlung von Spastiken im Zusammenhang mit
einer Multiplen Skleroseerkrankung absieht (Sativex). Deshalb hat weiterhin Gültigkeit, soweit das BSG im genannten Urteil ausführt, dass weder das deutsche Recht noch das Europarecht eine Erweiterung der Rechtswirkungen vorsieht,
wenn nur von nationalen Behörden Zulassungen erteilt werden können (BSG, a. a. O., Rdnr. 11).
Aber für das Dronabinol kann der Kläger nach der Gesetzeslage keine Versorgung beanspruchen. Der Antragsteller begehrt die
Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol. Es handelt sich hier um ein cannaboidhaltiges Arzneimittel, das in Deutschland
als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert wird. Die Verordnung ist, wie der Einzelimport, nach § 73 Abs. 3 AMG - unter Beachtung des Betäubungsmittelrechts (vgl. insbesondere § 13 Betäubungsmittelgesetz - BTMG - sowie Anlage III zu § 1 Abs. 1 BTMG) betäubungsmittelrechtlich zulässig. Wie das BSG im Urteil vom 27.03.2007 (B 1 KR 30/06 R, zitiert nach [...] Rn. 12), ausführt, können die Krankenkassen ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel,
die vom GBA bisher nicht empfohlen ist, grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind. Für die neuartige (und vom GBA bisher nicht empfohlene)
Schmerztherapie fehlt es aber an der erforderlichen Empfehlung.
Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie nach der gesetzlichen Konzeption
beansprucht werden kann. Es handelt sich im Falle des Klägers weder um einen so genannten Seltenheitsfall noch sind die Voraussetzungen
eines so genannten Systemversagens erfüllt. Danach könnte ungeachtet des in §
135 Abs.
1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die
fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor
dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht
durchgeführt wurde (s. dazu BSG, vom 27.03.2007 a.a.O., Rn. 13 m. w. N.).
Zu keinem anderen Ergebnis kommt der Senat auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005
(1 BvR 347/98) oder in Anwendung von §
2 Abs.
1a SGB V. Denn auch eine grundrechtsorientierte Auslegung hat im Falle des Antragstellers nicht zur Folge, dass die generell erforderliche
Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden kann. Denn die für die verfassungskonforme Auslegung erforderliche
lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung liegt
beim Kläger nicht vor. Das Schmerzsyndrom der Fibromyalgie beeinträchtigt zwar die Lebensqualität, aber wie die Beklagte und
der MDK aufgezeigt haben, gibt es für dieses Krankheitsbild eine Behandlungsmöglichkeit, auf die der Kläger auch für die zweite
Behandlungsserie seiner Erkrankung verwiesen werden kann. Mit dem Sozialgericht kommt der Senat daher zu der Auffassung, dass
die Voraussetzungen für die begehrte Versorgung zulasten der GKV nicht erfüllt sind.
Die Kostenentscheidung folgt analog aus §
193 SGG.
Die Entscheidung ist endgültig (§
177 SGG).