Erstattung der Kosten für eine CISIS-Behandlung am Auge
Fehlende Kausalität für die Selbstbeschaffung einer Leistung
Keine Genehmigungsfiktion für eine Geldleistung
Behandlung im europäischen Ausland
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Erstattung der Kosten für eine CISIS-Behandlung am linken Auge in
Höhe von 3.000,- Euro.
Die 1987 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung vom 19.09.2015,
ausgestellt von Dr. D., Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie am Internationalen Keratokonuszentrum in C-Stadt, Österreich,
beantragte die Klägerin die Kostenübernahme einer sogenannten CISIS-Behandlung mit MyoRing Implantation (zum Antragsdatum
s.u.). Es bestehe ein Keratokonus an beiden Augen. Beim Keratokonus handle es sich um eine Erkrankung, die durch eine kegelförmige
Vorwölbung der Hornhaut mit einer irregulären Hornhautkrümmung gekennzeichnet und durch eine zu geringe Hornhautstabilität
bedingt sei. Dies führe zu einer schlechten optischen Abbildungsqualität des Auges. Die CISIS sei ein minimal invasiver Eingriff
mit Implantation eines MyoRings in die Hornhaut. Durch den geschlossenen, steifen Ring, der in die Hornhaut geschoben werde,
könne die Irregularität der Hornhaut ausgeglichen und meist eine gute Sehschärfe erreicht werden. Die Kosten für die Behandlung
betrügen 3.000,- Euro pro Auge.
Mit Schreiben vom 02.10.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) zur Stellungnahme weitergeleitet worden seien. Weitere vom MDK angeforderte Unterlagen wurden von der Klägerin vorgelegt.
Mit Gutachten vom 23.10.2015 führte der MDK aus, dass es sich bei der beantragten Operationsmethode um eine Methode handle,
die noch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bewertet worden sei. Durch den eingeführten Ring in die Hornhaut solle
die zentral abgeflachte Hornhaut mit insgesamt verstärkter Bio-Mechanik ausgestattet werden, damit die fortschreitende Ausdünnung
der pathologischen Hornhaut gehemmt werde. Von der Augenärzteschaft werde zunehmend das Crosslinking als versteifende Hornhaut-OP
empfohlen und mit Erfolg durchgeführt, auch wenn dieses Verfahren noch nicht im Regelkatalog der Krankenkasse enthalten sei.
Im Finalstadium der Erkrankung sei die Durchführung einer Hornhauttransplantation die bisher einzige vertragliche Alternative.
Es handle sich vorliegend nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei der akute Erblindungsgefahr vorliege. Die Studienlage
zur beantragten Operation sei noch nicht ausreichend, um dieses Verfahren als vertragliche Leistung zu etablieren. In Zusammenschau
der Befunde könne die Kostenübernahme nicht empfohlen werden.
Mit Bescheid vom 11.11.2015 wurde die Kostenübernahme von der Beklagten unter Hinweis auf das Gutachten des MDK abgelehnt.
Am 09.12.2015 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Sie legte weitere Unterlagen von Dr. D. vor und führte aus, seit
kurzem übernehme die Beklagte die Behandlung mit dem Crosslinking-Verfahren, das für sie aufgrund der Linsenunverträglichkeit
nicht in Betracht komme.
Mit Gutachten vom 07.01.2016 teilte der MDK mit, es handle sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Ein Fall
einer lebensbedrohenden oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung liege nicht vor. Mit Stellungnahme vom 16.03.2016
führte der MDK aus, laut den vorliegenden Unterlagen wäre die Durchführung einer Crosslinking-Behandlung bei der Versicherten
medizinisch denkbar gewesen. Die Auswahl und Durchführung des Eingriffs liege jedoch beim Operateur und die Leistungsentscheidung
bei der Krankenkasse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Behandlungen seien im Oktober
und Dezember 2015 durchgeführt worden. Eine Kostenerstattung richte sich nach §
13 Abs.3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Die Ablehnung am 11.11.2015 sei nicht ursächlich gewesen, da die erste Behandlung bereits am 19.10.2015 durchgeführt worden
sei. Es habe sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt, welche ein unmittelbares Handeln erforderlich gemacht
hätte und nicht rechtzeitig hätte erbracht werden können. Somit handle es sich nicht um eine Notfallbehandlung. Bei der von
der Klägerin beantragten Methode handle es sich zudem nicht um eine Behandlungsmethode, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
in Anspruch genommen werden könne. Es liege noch keine Empfehlung des GBA vor. Damit sei die beantragte Methode nicht zu Unrecht
abgelehnt worden. Seit 01.04.2015 übernehme die Beklagte korneales Crosslinking im Rahmen eines Selektivvertrages als Zusatzleistung
für Versicherte. Eine Kostenübernahme sei nur innerhalb des engen vertraglichen Rahmens möglich, eine Kostenerstattung sei
ausgeschlossen.
Mit ihrer am 07.07.2016 beim Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Ablehnung der Kostenerstattung gewandt. Es sei im Verwaltungsverfahren das
falsche Behandlungsverfahren (Ringsegmente statt MyoRing) abgelehnt worden. Die lange Bearbeitungszeit durch die AOK sei hinderlich
gewesen. Es sei nachweislich zu einer Verschlechterung der Augen im Krankheitsverlauf gekommen. Für sie sei das Crosslinking-Verfahren
aufgrund einer bestehenden Kontaktlinsenunverträglichkeit nicht möglich gewesen. Der Operationstermin für das erste Auge sei
bei Antragstellung am 22.09.2015 mitgeteilt worden.
Die Klägerin hat einen Arztbrief von Dr. D. vom 22.06.2016 vorgelegt. Darin hat dieser den Behandlungserfolg anhand der Visus-
und Refraktionsdaten bestätigt. Es sei deutlich zu erkennen, dass aus der irregulären Hornhaut präoperativ eine weitgehend
reguläre Hornhaut geworden sei. Aus seiner Sicht sei der Keratokonus bei der Klägerin geheilt, zumal durch die MyoRing Implantation
in die Hornhaut nicht nur eine visuelle Rehabilitation erreicht, sondern auch das Fortschreiten der Erkrankung gestoppt worden
sei. Die Klägerin hat weiter die Rechnung von Dr. D. vom 30.09.2015 für die Operation am rechten Auge am 19.10.2015 und die
Rechnung vom 25.11.2015 für die Operation am linken Auge am 14.12.2015 in Höhe von jeweils 3.000,- Euro vorgelegt.
Das SG hat mit Urteil vom 21.07.2017 den Bescheid vom 11.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 teilweise
aufgehoben, soweit die Operation am linken Auge abgelehnt wurde, und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die ihr verauslagten
Kosten für die durchgeführte Operation am linken Auge in Höhe von 3.000,- Euro zu erstatten. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von 3.000,- Euro für die Kosten,
die durch die Operation am linken Auge entstanden seien. Im Übrigen sei die Klage abzuweisen, da sie keinen Anspruch auf Erstattung
der Kosten für die Operation am rechten Auge habe.
Der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 sei teilweise rechtswidrig
und verletze die Klägerin insofern in ihren Rechten. Die von der Klägerin beantragte Operation beider Augen gelte für das
linke Auge als genehmigt. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Kostenerstattung für die Operation des linken Auges mit der
CISIS-Behandlung.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin sei §
13 Abs.3a S.7
SGB V, dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegend erfüllt seien. Die Klägerin sei als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt
im Sinne der Regelung. Die Beklagte habe zu dem Antrag der Klägerin vom 22.09.2015 auf Kostenübernahme für die Operation beider
Augen eine gutachtliche Stellungnahme des MDK eingeholt und die Klägerin am 02.10.2015 hiervon unterrichtet. Demnach sei nach
§
13 Abs.3a S.1
SGB V hier wegen der Einschaltung des MDK die Fünfwochen-Frist maßgeblich. Die Frist des §
13 Abs.3a S.1
SGB V beginne nach § 26 Abs.1 und 3 S.1 SGB X i.V.m. §§
187 Abs.1, 188 Abs.2
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) am auf den Antragseingang folgenden Tag und ende mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs
entspreche. Der die begehrte Krankenbehandlung genau bezeichnende und damit hinreichend bestimmte, fiktionsfähige Antrag der
Klägerin auf Kostenübernahme sei im Schreiben von Dr. D. vom 19.09.2015 zu sehen. Die maßgebliche Fünfwochen-Frist sei am
27.10.2015 abgelaufen. Eine den Eintritt der Genehmigungsfiktion verhindernde schriftliche Mitteilung nach §
13 Abs.3a S.5
SGB V sei nicht erfolgt. Zwar habe die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 02.10.2015 die Klägerin über die Einschaltung des MDK informiert
und mitgeteilt, über das Anliegen der Klägerin daher noch nicht abschließend entscheiden zu können. Dabei habe sie jedoch
weder dargelegt, welche Entscheidungsfrist (drei oder fünf Wochen) maßgeblich sei, noch ob und aus welchem Grunde innerhalb
der maßgeblichen Frist nicht über den Antrag entschieden werden könne.
Der Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung für die Operation mittels CISIS habe auch eine Leistung betroffen, die sie nach
der vorliegenden fachärztlichen Stellungnahme von Dr. D. vom 29.09.2015 für erforderlich habe halten dürfen und die ihrer
Art nach nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gelegen habe. Bei
der Klägerin bestehe unzweifelhaft eine behandlungsbedürftige Krankheit i.S.d. §
27 Abs.1 S.1
SGB V. Dabei könne dahinstehen, in welchem Stadium der Keratokonus bereits gewesen sei. Die Klägerin habe von ihrem behandelnden
Arzt eine entsprechende Empfehlung erhalten. Außerdem habe sich die Beklagte selbst zur Abklärung durch den MDK veranlasst
gesehen und habe nicht die streitgegenständliche Behandlung sofort ohne weiteres als außerhalb des Leistungsspektrums der
GKV abgelehnt. Nicht maßgeblich sei, ob die Leistung auch im Sinne von §
2 Abs.1
SGB V erforderlich sei, denn dies stünde dem Sanktionscharakter von §
13 Abs.3 a
SGB V entgegen.
Rechtsfolge der Nichteinhaltung der hier maßgeblichen Fünfwochen-Frist sei der Eintritt der Genehmigung der Leistung. Durch
die Genehmigungsfiktion gelte die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen.
Fingierte Verwaltungsakte hätten die gleichen Rechtswirkungen wie tatsächlich erlassene Verwaltungsakte (Noftz, in: Hauck/Noftz,
SGB V, Stand: EL 12/2015, §
13 Rn.58l). Durch die Fiktion der Genehmigung sei die Leistungsberechtigung der Klägerin wirksam verfügt und die Beklagte mit
allen Einwendungen betreffend die medizinische Notwendigkeit der beantragten Behandlung ausgeschlossen (vgl. SG Düsseldorf,
Urteil vom 02.03.2015, S 9 KR 903/14).
Da die Klägerin die Operation am rechten Auge bereits am 19.10.2015 habe durchführen lassen, könne sie die Kostenerstattung
nach §
13 Abs.3a S.7
SGB V nur für die Operation am linken Auge beanspruchen, die sie am 14.12.2015 habe durchführen lassen. Die Operation am rechten
Auge sei vor Ablauf der Frist am 27.10.2015 erfolgt. Die Genehmigungsfiktion beziehe sich unstreitig auf die nachträgliche
Kostenerstattung einer selbstbeschafften Leistung. Eine fingierte Genehmigung bleibe wirksam, solange und soweit sie nicht
zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt sei (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R). Daher stehe auch die ablehnende Entscheidung vom 11.11.2015 nicht dem Kostenerstattungsanspruch für die Operation am linken
Auge entgegen. Die fingierte Genehmigung schütze den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den
allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliere. Ihre Rechtmäßigkeit
beurteile sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§
13 Abs.3a
SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die spätere Mitteilung der ablehnenden
Entscheidung der Beklagten lasse die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion daher unberührt.
Im Übrigen sei die Klage abzuweisen, da ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin für die Operationskosten des rechten Auges
nicht bestehe. Als Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch komme §
13 Abs.3 S.1
SGB V in Betracht. Eine unaufschiebbare Leistung habe hier nicht vorgelegen. Der Anspruch auf Kostenerstattung scheitere jedenfalls
daran, dass der Anspruch nach §
13 Abs.3 S.1 2.Variante
SGB V nur gegeben sei, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte
sich die Leistung selbst beschafft habe, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung
bestehe. Der Versicherte dürfe sich insbesondere nicht - unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfalle
- von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt haben.
Da hier die Versorgung bereits am 19.10.2015 vor der Entscheidung der Krankenkasse über den Antrag am 11.11.2015 erfolgt sei,
fehle es insoweit an der erforderlichen Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung. Eine Unterteilung hinsichtlich
der Kosten für die Operation des linken und des rechten Auges sei aber angezeigt. Man könne hier nicht von einer einheitlichen
Behandlung ausgehen.
Auch ein Kostenerstattungsanspruch aus §
13 Abs.4
SGB V sei nicht gegeben. Ebenso wie §
13 Abs.3 Satz 1
SGB V habe der Anspruch auf Kostenerstattung nach Absatz 4 einen konkreten Sach- oder Dienstleistungsanspruch (Primäranspruch)
zur Grundvoraussetzung. Die Behandlung im CISIS-Verfahren sei bisher vom GBA nicht überprüft worden. Eine positive Empfehlung
nach §
135 Abs.1
SGB V liege nicht vor. Daher bestehe kein geschuldeter Anspruch auf diese ambulante Leistung und die Klägerin habe diese Leistung
nicht von der Beklagten vE-Stadt können. Es liege auch kein Ausnahmefall vor, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedürfe.
Die Beklagte habe die Leistung damit grundsätzlich zu Recht abgelehnt. Ein Anspruch aus §
13 Abs.4
SGB V scheide daher aus.
Die Beklagte hat am 04.09.2017 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Klägerin leide an einem
Keratokonus, die Erkrankung werde zunächst mit Sehhilfen korrigiert; sollten Patienten ein fortgeschrittenes Stadium erreichen,
erfolge eine Hornhauttransplantation. Mit einem nahezu noch voll erhaltenen Visus von 1,0 am linken Auge habe die Klägerin
über ihren behandelnden Arzt Dr. D. eine Behandlung beider Augen mit der CISIS-Methode beantragt. Dieser betreibe in C-Stadt
in Österreich ein Keratokonuszentrum. Es handle sich um keine Methode, für die eine Empfehlung des GBA vorliege. Die Tatsache,
dass die Behandlung nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre, sei der Klägerin aufgrund des Schreibens
ihres Arztes bewusst gewesen. Der MDK habe angegeben, dass die Methode wohl singulär von Dr. D. ausgeführt werde. Die Beratungsärzte
der Beklagten ordneten die Methode als experimentell ein.
Das SG habe eine fehlende Kausalität für die Selbstbeschaffung der Leistung nur für das rechte Auge angenommen. Konsequenterweise
sei eine fehlende Kausalität für beide Augen als einheitliche Behandlung anzunehmen. Der Antrag sei für beide Augen gestellt
worden, der Entschluss, diese Methode durchführen zu lassen, habe bereits bei Antragstellung festgestanden. Weder die Ablehnung
der Beklagten noch deren Zeitpunkt seien kausal für die entstandenen Kosten gewesen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe
auch nicht nach §
13 Abs.3a S.7
SGB V. Die Operation sei in Österreich durchgeführt werden. Die zutreffende Rechtsgrundlage sei daher §
13 Abs.4
SGB V. Es handle sich hierbei - als Ausnahme vom Sachleistungsanspruch - um einen Anspruch auf Geldleistungen, der die Anwendung
nach §
13 Abs.3a
SGB V ausschließe. Das BSG habe mehrfach entschieden, dass auf Kostenerstattungsansprüche die Regelung des §
13 Abs.3a
SGB V keine Anwendung finde. Im Übrigen werde auf die rechtskräftige Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.01.2018, L 11 KR 591/16 hingewiesen.
Selbst wenn §
13 Abs.3a
SGB V zur Anwendung gekommen wäre, hätte die Klägerin nicht davon ausgehen dürfen, dass es sich um eine erforderliche Leistung
handle. Vielmehr habe ihr behandelnder Arzt darauf hingewiesen, dass die Methode keine GKV-Leistung sei. Weiter sei hilfsweise
darauf hinzuweisen, dass die Rechnungen von Dr. D. nicht ansatzweise erkennen ließen, wie sich der Betrag von 3.000,- Euro
zusammensetze. Die Rechnungen hätten zumindest die erbrachten Leistungsziffern und sonstigen Leistungen aufführen müssen,
um die Korrektheit der Abrechnung nachvollziehen zu können.
Ein Anspruch bestehe auch nicht aus §
13 Abs.4
SGB V. Es handle sich um eine Methode, für die eine Anerkennung durch den GBA nicht bestehe. Ein Fall einer seltenen Erkrankung
liege nicht vor, eine Leistungsausweitung nach §
2 Abs.
1a SGB V komme nicht in Betracht.
Die Klägerin hat ausgeführt, es könne nicht nachvollzogen werden, warum §
13 Abs.3a
SGB V sich nicht auf eine nach §
13 Abs.4
SGB V zulässige Auslandsbehandlung erstrecken sollte. Bei einem gleichartigen Eingriff im Inland hätten die Kosten im Rahmen der
Genehmigungsfiktion ebenfalls übernommen werden müssen. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des BSG betreffe gerade nicht §
13 Abs.4
SGB V.
In der mündlichen Verhandlung am 14.03.2019 hat die Klägerin ein Informationsblatt übergeben, das sich am 21.09.2015 auf der
Homepage der AOK Nord-West befand. Ausgangspunkt sei für die Klägerin ein Hinweis der Augenklinik E-Stadt gewesen. Auch sei
ihr vor Antragstellung im Beratungszentrum in S-Stadt hinsichtlich der CISIS-Methode angeraten worden, einen Kostenvoranschlag
einzuholen. Dies habe sie dann gemacht und den Antrag bei der Beklagten gestellt.
Die Beklagtenvertreterin hat angegeben, dass mit Dr. D. kein Vertrag nach §
140 e SGB V besteht. Sie hat sich darauf berufen, dass die Klägerin zum einen die beantragte Behandlung nicht für erforderlich habe halten
dürfen und hierzu auf Seite 4 des Antrages hingewiesen. Zum anderen hat sie auf die eingereichte Rechnung hingewiesen, die
auch dem österreichischen Kostenrecht entspreche. Hierzu hat der Senat auf eine Hinweis- bzw. Beratungspflicht der Beklagten
bei Einreichung einer nicht ausreichenden Rechnung aus dem Ausland hingewiesen.
Die Klägerin hat angegeben, dass aufgrund ihrer Kontaktlinsen-Unverträglichkeit von zwei Ärzten mitgeteilt worden sei, dass
die Crosslinking-Methode eine nicht geeignete Behandlungsform bei ihr sei. Die Beklagtenvertreterin hat diesbezüglich auf
die Stellungnahme des MDK verwiesen.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sich auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Von der Beklagten
wäre ein Hinweis zu erwarten gewesen, dass die Klägerin von der CISIS-Behandlung ohne ausdrücklichen Bewilligungsbescheid
ablassen solle. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.07.2017 in den Ziffern I. und III. aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG war in den Ziffern I und III aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung
der Kosten für die erfolgte CISIS-Behandlung am linken Auge.
A.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Kostenerstattung aufgrund fingierter Genehmigung ihres Leistungsantrags gemäß §
13 Abs.3a S.7
SGB V nicht zu.
1.) Die Beklagte hat zwar - wie das SG zu Recht festgestellt hat - den Antrag der Klägerin, der nach übereinstimmenden Ausführungen der Beteiligten am 22.09.2015
gestellt worden ist, nicht innerhalb der maßgeblichen Frist beschieden. Die Frist des §
13 Abs.3a
SGB V ist abgelaufen. Gemäß §
13 Abs.3a
SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang
oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung,
eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme
für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische
Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten,
teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung
eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Vorliegend war die Fünf-Wochenfrist maßgeblich,
weil die Beklagte den MDK eingeschaltet hatte und dies der Klägerin mitgeteilt hatte. Die Frist, die am 27.10.2015 geendet
hat, wurde überschritten. Über den Antrag wurde mit Bescheid vom 11.11.2015 entschieden.
2.) Die Regelung über die Genehmigungsfiktion ist aber nicht sachlich anwendbar. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung
des geforderten Betrages aus §
13 Abs.3a S.7
SGB V, weil sie keine Sach-, sondern eine Geldleistung beantragt hat.
Die Klägerin hat bei der Beklagten am 22.09.2015 die Übernahme der Kosten einer in Österreich durchzuführenden Operation beantragt.
Bereits bei Antragstellung hat sie den in Österreich vereinbarten Operationstermin für das erste Auge mitgeteilt.
Gegenstand ist damit ein Erstattungsanspruch aufgrund einer von vornherein im europäischen Ausland geplanten und entsprechend
beantragten ärztlichen Behandlung.
Die Regelung des §
13 Abs.3a
SGB V findet keine Anwendung auf Ansprüche gegen Krankenkassen, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind (BSG, Urteile vom 07.11.2017, B 1 KR 2/17 R und B 1 KR 24/17 R; vom 26.09.2017, B 1 KR 6/17 R und B 1 KR 8/17 R; vom 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, und vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R). Das sind nach der Rechtsprechung des BSG andere Ansprüche der Versicherten wegen sachleistungsersetzender Kostenerstattung etwa nach §
13 Abs.2, 3
SGB V und wegen Geldleistungen mit Unterhaltsersatzfunktion. Der gesetzliche Erstattungsanspruch für die selbstbeschaffte erforderliche
Leistung passt hierauf nach dem Wortlaut und dem Regelungssystem nicht. Versicherte können sich jederzeit Kredite zur Überbrückung
von Zeiten verschaffen, in denen bei ihnen ein Bedarf entsteht, weil Krankenkassen den Versicherten zustehende Geldleistungsansprüche
nicht auszahlen. Es bedarf hierfür keines besonderen Rechtsmechanismus, die gesetzliche Verzinsungsregelung greift (vgl. §
44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I). Der Gesetzgeber ging für die Regelung des §
13 Abs.3a
SGB V von einer "Ausnahme vom Sachleistungsprinzip" aus (vgl. hierzu Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Verbesserung
der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drucks 17/10488). Die späteren Änderungen des Gesetzentwurfs (vgl. Beschlussempfehlung
und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und
Patienten der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710, S.11) geben keinen Anlass zu einer hiervon abweichenden Auslegung (vgl.
BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R). §
13 Abs.3a
SGB V ist - ebenso wie die Absätze 2, 3, 4 und 5 - als Ausnahmevorschrift im Sinne von §
13 Abs.
1 SGB V konzipiert (vgl. Helbig in jurisPK-
SGB V, 3. Auflage, 2016, Stand 05.02.2018, §
13 Rn.60.1).
Zu der Anwendbarkeit von §
13 Abs.3a
SGB V auf eine von vornherein beantragte ärztliche Behandlung im Ausland hat sich das BSG bisher nicht geäußert. Es hat vielmehr in seinem Urteil vom 11.09.2018, B 1 KR 1/18 R ausgeführt, es könne dahinstehen, wie zu entscheiden wäre, wenn der dortige Kläger von vornherein eine Behandlung im Ausland
beantragt hätte. Der klägerische Antrag sei allgemein auf eine Versorgung mit einer Straffung der Haut im Brust- und Bauchbereich
gerichtet; eine Behandlung gerade in der Türkei sei nicht Gegenstand des Antrags.
Die Rechtsprechung des BSG ist auf einen hier vorliegenden Kostenerstattungsanspruch für eine Behandlung in Österreich nach §
13 Abs.4
SGB V jedoch gleichermaßen anzuwenden (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.01.2018, L 11 KR 591/16). Für die von der Klägerin beantragte Behandlung im europäischen Ausland kommt nur ein Anspruch nach §
13 Abs.4
SGB V in Betracht, bei dem es sich um einen Kostenerstattungsanspruch handelt. Der Anspruch richtet sich also unmittelbar auf eine
Geldleistung. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift (vgl. auch BSG, Urteile vom 30.06.2009, B 1 KR 19/08 R, und 17.02.2010, B 1 KR 14/09 R). Eine Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.3a
SGB V kommt hierbei nicht zum Zuge.
a.) Für die Behandlung im europäischen Ausland kommen, soweit der Behandlungsstaat nicht der Staat ist, in dem die Person
gegen Krankheit versichert ist bzw. Ansprüche auf Leistungen zur Behandlung bei Krankheit erworben hat, und soweit - wie vorliegend
- der Wohnort nicht im Behandlungsstaat liegt und die Reise in den Behandlungsstaat erfolgt, um Gesundheitsleistungen nachzufragen,
Leistungen nach Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004, nach RL 2011/24/EU und Art.56 AEUV sowie Kostenerstattungsansprüche nach §
13 Abs.4
SGB V und Sachleistungsansprüche nach §
140e SGB V in Betracht (vgl. Bieback in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7.Auflage, 2017, S.763f.).
aa.) Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004 ist vorliegend nicht anwendbar. Dieser regelt die gezielte Inanspruchnahme von Sachleistungen
im Aufenthaltsstaat im Rahmen einer Sachleistungsaushilfe. Ein Anspruch auf eine Sachleistung gegen den Träger des Aufenthaltsstaates
setzt zum einen eine Genehmigung voraus. Weiter muss die Leistung zu den Leistungen gehören, auf die der Versicherte Anspruch
im Wohnmitgliedsstaat hat und dem Versicherten muss die Leistung im Wohnmitgliedsstaat nicht in einem unter Berücksichtigung
seines derzeitigen Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraum
gewährt werden können (vgl. Schreiber in: Schreiber/ Wunder/ Dern, VO EG Nr.883/2004, Art.20 Rn.1, 6ff, 9ff). Vorliegend sind
diese Voraussetzungen des Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht gegeben. Weder hätte die Klägerin Anspruch auf die beantragte
Leistung in Deutschland, noch lag zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Notfallsituation vor, weil eine Behandlung der Klägerin
in Deutschland nicht möglich und ein Zuwarten medizinisch nicht vertretbar war. Im Übrigen war ein Anspruch auf Sachleistung
gegen den Träger des Aufenthaltsstaates offensichtlich nicht gewollt.
bb.) Auch ein Anspruch nach Richtlinie 2011/24/EU und Art.56 AEUV kommt vorliegend nicht in Betracht. Die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nach der RL 2011/24/EU
unterscheidet sich von der Leistung nach Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004 dadurch, dass der Nachfrager auf der Basis der Richtlinie
nicht in das Leistungssystem des Behandlungsstaates integriert wird, sondern nur eine Kostenerstattung für die Leistungsinanspruchnahme
nach dem Recht des Versicherungsstaates erhält (vgl. Bieback in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7.Auflage, 2017, S.764).
Die Richtlinie beruht auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dienstleistungsfreiheit. Nach Art. 7 der Richtlinie
handelt es sich um einen reinen Kostenerstattungsanspruch, der einen Anspruch auf eine entsprechende Behandlung nach dem Recht
des Behandlungsstaates voraussetzt. Umfasst sind - mit bestimmten Ausnahmen (Langzeitpflege, Organtransplantation, Impfen)
- die Leistungen, die im Leistungskatalog des Versicherungsstaates enthalten sind. Damit ist ein Anspruch auch auf der Grundlage
der RL 2011/24/EU, bei dem es sich ohnehin um einen reinen Kostenerstattungsanspruch handelt, ausgeschlossen, da die beantragte
Operation nicht im Leistungskatalog der GKV in Deutschland enthalten ist.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Art.9 der Richtlinie, nach dem eine "angemessene Frist" für die Vorabgenehmigung
festzusetzen ist, nicht in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Die Richtlinie 2011/24/EU ist mit der Verordnung der Patientenrechteausübung
in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zum 01.01.2014 umgesetzt worden, die keine Fristenregelung enthält.
cc.) Ein Sachleistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus §
140e SGB V. Danach dürfen Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten nach Maßgabe des Dritten Kapitels und des dazugehörigen untergesetzlichen
Rechts Verträge mit Leistungserbringern nach §
13 Abs.4 S.2
SGB V in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, in den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum
oder in der Schweiz abschließen. Die Beklagte hat, wie sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, einen Vertrag nach
§
140e SGB V mit Herrn Dr. D. bzw. dem Internationalen Keratokonuszentrum in C-Stadt nicht abgeschlossen.
dd.) Damit handelt es sich vorliegend um einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.4
SGB V. §
13 Abs.4
SGB V ist mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) zum 01.01.2004
eingefügt worden. Nach der Gesetzesbegründung vollzieht der neue Absatz 4 die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
nach der die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit auch im Bereich der sozialen Sicherheit gelten,
mit der Konsequenz, dass sich Versicherte Versicherungsleistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher
Versicherungsträger selbst beschaffen können. Ein nationales Sachleistungssystem hindert den Kostenerstattungsanspruch nicht.
Die Regelung sieht dementsprechend vor, dass Versicherte künftig auch Leistungen in anderen Mitgliedsstaaten im Wege der Kostenerstattung
in Anspruch nehmen können (vgl. BT-Drs. 15/1525, S.80). Ein Sachleistungsanspruch für Leistungen im Ausland ist hingegen grundsätzlich
ausgeschlossen, weil die ausländischen Leistungserbringer nicht in das innerdeutsche Sachleistungssystem eingebunden sind.
b.) Es liegt auch kein Verstoß gegen Art.
3 Grundgesetz (
GG) vor. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art.
3 Abs.
1 GG ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend unterschiedlich zu behandeln. Damit ist dem Normgeber
aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten
im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art
und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BSG, Urteil vom 17.09.2008, B 6 KA 46/07 R m.w.N.). Zwischen einer Behandlung innerhalb und außerhalb Deutschlands bestehen relevante Unterschiede in diesem Sinn, so
gilt - wie ausgeführt - insbesondere im innerdeutschen Recht nach dem
SGB V das Sachleistungsprinzip.
3.) Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung aufgrund fingierter Genehmigung des Leistungsantrags
auch aus weiteren Gründen nicht in Betracht käme.
a.) So betraf der Antrag der Klägerin bereits eine Leistung, die die Klägerin nicht für erforderlich halten durfte. Die Gesetzesregelung
ordnet diese Einschränkung für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang
und -zweck an.
Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen,
die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten
erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen,
indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Dieser Auslegung
steht weder das Qualitätsgebot (§
2 Abs.1 S.3
SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs.1
SGB V) entgegen. §
13 Abs.3a
SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von deren Anforderungen ab, indem er in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine
Krankenkasse einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet
und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung
auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch
hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von §
13 Abs.3a
SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des §
13 Abs.3a S 6
SGB V obsolet (BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 15/17 R). Die Klägerin hatte ihrem Antrag eine ärztliche Bescheinigung vom 19.09.2015 von Dr. D. beigefügt. In dieser hat Dr. D.
selbst darauf hingewiesen, dass es sich bei der von ihm geplanten Therapie um eine Therapie handle, die nicht im Leistungskatalog
der GKV liege. Die Klägerin hatte also Kenntnis, dass es sich bei dem geplanten Eingriff an den Augen nicht um eine anerkannte
Krankenbehandlung handelte.
b.) Die Klägerin kann sich weiter auch deshalb nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen, weil sie die beantragte Therapie
bereits vor Ablauf der Fünf-Wochen-Frist begonnen hat. Ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.3a S.7
SGB V setzt nämlich auch voraus, dass die Frist, innerhalb derer die Krankenkasse über den Leistungsantrag zu entscheiden hat,
abgelaufen ist, bevor sich der Leistungsberechtigte die Leistung selbst beschafft. Ein solcher Erstattungsanspruch kommt danach
nur in Betracht, wenn die Leistung "nach Ablauf der Frist" beschafft wurde. Neben dem Wortlaut spricht für das Erfordernis
des Fristablaufs auch die Gesetzesbegründung, nach der die Vorschrift der Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens dient
(vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten,
BT-Drucks. 17/10488), und dass die Selbstbeschaffung (nur) für den Fall einer nicht rechtzeitigen Leistungserbringung durch
die Krankenkasse vorgesehen ist. Denn die Krankenkasse muss wegen der mit der Selbstbeschaffung von Leistungen verbundenen
Gesundheitsgefahren und wirtschaftlichen Risiken weiterhin die rein faktische Möglichkeit haben, sich mit dem Leistungsbegehren
in der ihr zustehenden Zeit zu befassen, es zu prüfen und ggf. Behandlungsalternativen aufzuzeigen (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R).
Zwar handelt es sich bei den vorgenommenen Operationen am rechten und am linken Auge um zwei getrennte Eingriffe. Diese sind
aber zusammen mit Schreiben vom 19.09.2015 beantragt worden. Aus den vorgelegten Schreiben ergibt sich, dass bezüglich der
beidseitigen Augenkrankheit Keratokonus für beide Augen der entsprechende Eingriff geplant war. Den Termin für die erste Operation
hat die Klägerin nach ihren eigenen Ausführungen bereits bei Antragstellung mitgeteilt. Es ist offensichtlich, dass der Antrag
die Behandlung der beidseitigen Augenkrankheit Keratokonus und damit der Hornhaut beider Augen umfasste und somit als Einheit
anzusehen ist. Die Klägerin hatte von vornherein nicht die Absicht, die Entscheidung der Beklagten abzuwarten, sondern hatte
von vornherein die Durchführung der beantragten Therapie bei Dr. D. geplant.
c.) Soweit die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass die Rechnung von Dr. D. nicht im Ansatz erkennen lasse, wie sich der
Betrag von 3.000,- Euro zusammensetzt, ist festzustellen, dass es sich um die Rechnung eines österreichischen Leistungserbringers
handelt, die die formellen Voraussetzungen der Regelungen des § 12 Abs.2-4 GOÄ (danach muss die Rechnung insbesondere u.a. die Nummer und die Bezeichnung der einzelnen berechneten Leistung einschließlich
einer in der Leistungsbeschreibung enthalten) nicht erfüllen muss. Im Übrigen wäre die Beklagte bei Einreichung einer nicht
ausreichenden Rechnung aus dem Ausland verpflichtet gewesen, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.
B.
1.) Auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung gemäß §
13 Abs.4
SGB V sind nicht gegeben. Danach sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach-
oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis
im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts
nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs
und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen
System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung
besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Dabei
verdrängt §
13 Abs.4
SGB V die Kostenerstattung nach §
13 Abs.3
SGB V.
Ebenso wie §
13 Abs.3 Satz 1
SGB V hat der Anspruch auf Kostenerstattung nach Absatz 4 einen konkreten Sach- oder Dienstleistungsanspruch (Primäranspruch) zur
Grundvoraussetzung. Das wird im Wortlaut des Satzes 1 durch die Formulierung "anstelle" verdeutlicht. Die Abhängigkeit vom
Sachleistungsanspruch bedeutet, dass dessen sachlich-rechtlichen und sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt gewesen sein
müssen. Diese Voraussetzungen sind aber gerade nicht erfüllt. Die Klägerin hätte keinen Sachleistungsanspruch auf die von
ihr beantragte CISIS-Behandlung mit MyoRing Implantation.
a.) Der Anspruch wäre bereits deswegen ausgeschlossen, weil es sich bei der beantragten Therapie um eine neuen Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden handelt und eine positive Empfehlung des GBA nicht vorliegt.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§
27 Abs.1 S.1
SGB V). Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus §
2 Abs.1 und §
12 Abs.1
SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität
und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits
dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie im vorliegenden Fall - nach eigener Einschätzung des Versicherten
oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht
der GKV umfasst sein. Dies ist bei in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
135 Abs.1 Satz 1
SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach §
92 Abs.1 Satz 2 Nr.5
SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien
nach §
92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 i.V.m. §
135 Abs.1
SGB V wird nämlich auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt
(vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R).
b.) Auch ist ein Systemversagen nicht gegeben. Ungeachtet des in §
135 Abs.1
SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs-
oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung
notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog. Systemversagen).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung bis zur Behandlung
der Klägerin hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem GBA sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert
worden sein könnte.
c.) Ein Leistungsanspruch kann auch nicht nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach
dem seit 01.01.2012 geltenden §
2 Abs.1a
SGB V gegeben sein. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer
zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz
entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Bei der
Erkrankung der Klägerin, Keratokonus, handelt es sich unstreitig bereits nicht um eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche
oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Vor allem droht nicht konkret eine Erblindung.
2.) Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus der von Klägerseite in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten
Anwendung der allgemeinen richterrechtlichen Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der sozialrechtliche
Herstellungsanspruch greift bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche
dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme
einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht
erfolgt wäre.
a.) Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ergibt sich nicht in Bezug auf das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte
Informationsblatt der AOK Nord-West, mit dem diese allgemein über die neuartige Methode des Einsatzes eines MyoRinges informiert
hat, auf die kurzsichtige Menschen hoffen könnten, in dem aber gerade nicht zum Ausdruck gekommen ist, dass die Leistung im
Leistungskatalog der GKV enthalten ist. Eine der Beklagte zuzurechnende Pflichtverletzung ist diesbezüglich nicht ersichtlich.
b.) Auch ergibt sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht daraus, dass man der Klägerin - wie von ihr vorgetragen
- geraten hat, einen Kostenvoranschlag einzuholen und sie nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sie von der CISIS-Behandlung
ohne ausdrücklichen Bewilligungsbescheid ablassen solle. Es ist bereits offensichtlich, dass bei Beantragung einer nicht vom
Leistungskatalog umfassten Operation ein Abwarten der Entscheidung tunlich ist. Im Übrigen ist der Zustand vor Durchführung
der Operation weder wiederherstellbar, noch ist dies von der Klägerin gewünscht und Ziel des Klageverfahrens.
Als rechtmäßige Amtshandlung käme damit allenfalls die Erfüllung des Kostenerstattungsanspruchs aus §
13 Abs.4
SGB V in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 5/05 R). Dessen Voraussetzungen liegen aber wie dargelegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §
160 Abs.2 Nr.1
SGG zuzulassen.