Sozialversicherungspflicht von Synchronsprechern bei Film- und Fernsehproduktionen
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Entscheidung der Einzugstelle zur Versicherungspflicht.
1.
Die 1961 geborene Klägerin ist von Beruf Schauspielerin und u.a. aus internationalen Filmproduktionen sowie aus mehreren Fernsehfilmen
und -serien einem breiteren Publikum bekannt (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ A.). Sie ist auch als Synchronsprecherin
tätig z.B. als die "deutsche Stimme" von S. M. und C. G ... Sie ist aufgrund mehrerer unständiger Beschäftigungen versichertes
Mitglied der Beklagten.
Am 19.06.2007 übernahm die Klägerin eine Synchronisierungstätigkeit für die Beigeladene zu 1) zu einer Episode der Serie "D.
T.". Für die Beigeladene zu 2) synchronisierte die Klägerin am 28.12.2007 C. G. im Kinofilm "I. N. T.". Hier hatte der Verleiher
die bestehende Synchronisierung durch eine andere Sprecherin als Fehlbesetzung angesehen und ausdrücklich eine Neu-Synchronisierung
durch die Klägerin gewünscht.
Am 09.02.2008 erinnerte die Klägerin die Beklagte daran, als zuständige Einzugstelle die Gesamtsozialversicherungsbeiträge
einzuziehen für mehrere (hier nicht streitgegenständliche) Synchronisierungen sowie für die beiden Tätigkeiten am 19.06.2007
und am 28.12.2007, wo sie als Synchronsprecherin abhängig beschäftigt gewesen sei. Mit rechtsbehelfslosem Schreiben vom 20.02.2008
und 04.03.2008 erläuterte die Beklagte, dass in diesen beiden Fällen keine versicherungspflichtigen Beschäftigungen vorlägen,
sondern selbstständige Tätigkeiten. Dies akzeptierte die Klägerin nicht und machte geltend, das Sozialrecht ordne im Unterschied
zum Steuerrecht die Synchronsprecher den abhängig Beschäftigten zu. Mit Bescheid vom 16.07.2008 lehnte die Beklagte den Beitragseinzug
der Synchronsprechertätigkeiten für die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) mit der Begründung ab, nach den festgelegten
Abgrenzungskriterien seien Synchronsprecher selbstständig Tätige. Einen dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 17.12.2008 zurück. Sie bezog sich zur Begründung im Wesentlichen auf die gemeinsame Verlautbarung
der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zu Synchronsprecher-Tätigkeiten.
2.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und die Feststellung der Synchronsprecher-Tätigkeiten für
die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) als abhängige Beschäftigung beantragt. Sie hat betont, dass der Verweis auf
die Verlautbarung der Spitzenverbände ihrem Fall nicht gerecht werde. Denn sie sei am jeweiligen Sprechtag ganz eng in die
Betriebsabläufe und Vorgaben der Beigeladenen zu 1) und 2) eingebunden gewesen. Spielräume für eine selbstständige Tätigkeit
hätten nicht bestanden.
Mit Gerichtsbescheid vom 24.10.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt,
dass die Verlautbarung der Spitzenverbände den zutreffenden Maßstab für die Abgrenzung der Tätigkeiten als Synchronsprecherin
bilde. Die Beklagte habe diesen Maßstab auch zutreffend auf den Fall der Klägerin angewandt.
3.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt und unterstrichen, dass die Synchronsprechertätigkeit keinen
Raum für etwas anderes als weisungsgebundene abhängige Beschäftigungen biete. Allein die Synchronproduzenten hätten die Ausstattung
und Gerätschaften, um Film- und Fernsehproduktionen zu synchronisieren. Diese stellten den fertigen Film und den zu sprechenden
Text, gäben die Zeit vor, wann zu sprechen sei, bestimmten also detailliert, was wann wo wie zu sprechen sei. Diese Vorgaben
erlaubten keinen Spielraum für eigenschöpferische Entfaltungen. Auch künstlerische Sprecher seien deshalb als Beschäftigte
tätig.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihre Tätigkeit als Synchronsprecherin sowie die jeweiligen Positionen
von Verleiher, Tonmeister, Cutter und Organisator näher erläutert. Sie hat u.a. die Synchronisierung des englischen "No" zu
einem deutschen "Nein" demonstriert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 24.10.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.07.2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2008 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin als unständig Beschäftigte am 19.06.2007
für die Beigeladene zu 1) und am 28.12.2007 als unständige Beschäftigte für die Beigeladene zu 2) sozialversicherungspflichtig
beschäftigt war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Arbeit von Synchronsprechern für eine selbständige, nicht beitragspflichtige Tätigkeit.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten
beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
153,
154 SGG), aber unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17.12.2008 die Tätigkeit der Klägerin am 19.06.2007 für die Beigeladene zu 1) und am 28.12.2007 für die Beigeladene zu
2) als selbstständige Tätigkeit qualifiziert und den Einzug von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen abgelehnt.
1.
Beschäftigung ist gemäß §
7 Abs.
1 SGB IV die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Dies liegt vor, wenn der Tätige in einem fremden
Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers
unterliegt. Eine selbstständige Tätigkeit ist dagegen anzunehmen, wenn sie durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein
einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete
Tätigkeit geprägt ist. Dabei ist eine Gesamtabwägung der Umstände vorzunehmen, unter denen die jeweilige Tätigkeit ausgeübt
wird (st. Rechtsprechung vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2004 - B 12 KR 26/02 R; Senat Urteil vom 28.06.2011 - L 5 R 880/10).
Für versicherungspflichtige Beschäftigungen sind nach den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung Beiträge zu entrichten
(§§
253 SGB V, 174 Abs.
1 SGB VI, 60 Abs. 1 Satz 1
SGB XI sowie 348 Abs. 1 Satz 1
SGB III). Die aus dem jeweiligen Arbeitsentgelt (§
14 Abs.
1 SGB IV) zu tragenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Sinne des §
28 d SGB IV hat der Arbeitgeber zu zahlen (§
28 e Abs.
1 Satz 1
SGB IV). Zu entrichten sind die Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Krankenkasse - als Einzugstelle, deren Zuständigkeit sich
aus §
28 i
SGB IV ergibt. Sie entscheidet über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe und erlässt auch den entsprechenden Bescheid/Widerspruchsbescheid
(§
28 h Abs.
2 SGB IV).
2.
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist festzustellen, dass die Beklagte als zuständige Einzugsstelle nach §
28 i
SGB IV, §
28 h Abs.
2 SGB IV die beiden Synchronsprechertätigkeiten der Klägerin am 19.07.2007 und am 28.12.2007 zutreffend nicht als Beschäftigungen
iSd §
7 Abs.
1 SGB IV, sondern als selbstständige Tätigkeiten eingeordnet und damit zu Recht den Beitragseinzug dafür abgelehnt hat. In beiden
Fällen ergibt sich die Selbstständigkeit aus der eigenschöpferischen, künstlerischen Leistung der Klägerin, die der Tätigkeit
das Gepräge gegeben hatte.
a) Hierzu ist festzustellen, dass die Klägerin wegen ihrer besonders intensiven und erfolgreichen Ausbildung als Schauspielerin
mit dem Schwerpunkt des Sprechens und wegen ihrer langjährigen, erfolgreichen Karriere in diesem Beruf über eine besonders
präsente und charaktervolle Stimme verfügt. Dies hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2012 gezeigt. Das Sprechen
der Klägerin weist Unverwechselbarkeiten auf, die die ihr eigene Stimme und Redeweise besonders hörbar macht. Die Klägerin
kann wegen ihrer Einfühlungs- und Schauspieler-Fähigkeiten sprachliche Freiräume selbst erkennen und durch die ihre eigene
Charakteristik ausgestalten. Sie setzt ihre individuelle, bestimmte Art und Weise zu sprechen ein und gibt dabei mit ihrer
Stimme jedem Moment ein eigenes Gepräge. Diese schauspielerisch-künstlerischen, stimmlichen und sprecherischen Fähigkeiten
hat die Klägerin in beiden Synchronisierungsaufträgen auch umgesetzt. Dabei handelte es sich beim Tätigwerden für die Beigeladene
zu 1) um eine international beachtete Serie, bei der die jeweiligen Rollen ein eigenes Gepräge hatten. Diese Charakteristika
konnte die Klägerin durch ihr Sprechen ausgestalten. Dies gilt in noch höherem Maße für die Tätigkeit für die Beigeladene
zu 2). Hier hatte der Verleiher als Endkunde der Synchronarbeiten die bereits vorgenommene Synchronisierung durch eine andere
Sprecherin als Fehlbesetzung abgelehnt. Deshalb wurde die Klägerin für C. G., die sie bereits mehrfach synchronisiert hatte,
als einzig richtige Synchron-Besetzung angesehen und eingesetzt. Beide Beigeladenen hatten als Auftrageber also besonderen
Wert gelegt auf die speziellen Fähigkeiten, das namentliche Können und die individuelle Rollenausgestaltung der Klägerin.
Als "wesentliches Arbeits- und Gestaltungsmittel" hat die die Klägerin zudem in beiden Fällen auf ihre Stimme und Sprechweise
zurückgegriffen. Diese wesentlichen Arbeits- und Gestaltungsmittel hat die Klägerin eigenständig ausgebildet, diese pflegt
sie durch permanentes Üben, Trainieren und Verbessern. Darauf nehmen ihre Auftraggeber - hier die Beigeladenen zu 1) und zu
2) - keinen Einfluss, sie könnten dies auch nicht.
b) Nicht übersehen wird, auch folgende Gesichtspunkte festzustellen sind, die für eine abhängige Beschäftigung der Klägerin
als Synchronsprecherin sprechen. Sie musste sich im voll von den Auftraggebern (Beigeladene zu 1) und zu 2)) ausgestatteten
Synchronraum einfinden und die dortigen Gerätschaften und technischen Arbeitsmittel verwenden. Sie hat vorgegebene Texte von
einzelnen bereits existierenden, von Filmschaffenden in Regie, Bild und Dramaturgie schon fertig ausgestalteten fremdsprachigen
Werken artikuliert. Sie war dabei an die Weisungen der jeweiligen Synchronisationsorganisatoren, -regisseure, -tonmeister
und -cutter gebunden. Gegeben und fremdbestimmt waren daher Satzlänge, Rhythmus und Betonungen insbesondere bei Labialen.
Die jeweiligen Takes bestanden aus nur zwei bis drei Sätzen, die der sofortigen technischen und regiekünstlerischen Nachkontrolle
unterzogen wurden. Die Klägerin war damit entsprechend dem typischen Tätigwerden von Synchronsprechern in einem Fremdbetrieb
tätig und dort aufs Engste eingebunden in fremdbestimmte Abläufe (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 21.03.2012 - S 112
KR 264/10).
c) Die vorzunehmenden Gesamtabwägung der Gesichtspunkte, die für und die gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen, entscheidet
sich vorliegend danach, dass die technischen und werkerstellenden Vorgaben im Synchronstudio zurücktreten hinter der festgestellten
besonderen künstlerischen Ausgestaltung der Synchronsprache durch die Klägerin. Denn auch bei vorgegebenen Texten bereits
erstellter Filmwerke bildet die Sprache ein wesentliches künstlerisches Element, das über die Wirkung des dargestellten Charakters
entscheidet. So kann ein Film ohne Bild, also allein aus seinem Ton aufgenommen werden, während die Bilder allein ohne Ton
nicht annähernd die gleiche Verständlichkeit und Wirkung erzielen. Film und Fernsehfilm sind Kunstformen mit dem Ziel, in
den Zuschauern einen Eindruck zu erwecken von Tiefgang und Schicksal. Ausgangspunkt dafür ist nur eine Sammlung auf Papier
geschriebener Worte, die Rolle des Darstellers. Daraus die beschriebene Wirkung zu erzielen bedarf es eines besonderen Zusammenspiels
von Schauspielern, Regie, Bühnenbild, Kameraführung, Dramaturgie einerseits mit dem gesprochenen Wort andererseits. Dass dabei
Stimme, Sprache und Sprechweise eine eigene besonders tragende Bedeutung zukommt, ist allgemein anerkannt. Im Rahmen der für
Beschäftigungsverhältnisse iSd §
7 Abs.
1 SGB IV erforderlichen Typisierung (vgl. BVerfG Beschluss vom 20.05.1996 - 1 BvR 21/96, Rn. 7f - zitiert nach [...]) ist deshalb die Synchronsprechertätigkeit wegen des Vorranges der künstlerischen Ausgestaltung
regelmäßig als selbständige Tätigkeit anzusehen. Dies vorliegend umso mehr als die Klägerin für die Beigeladenen zu 1) und
zu 2) die ihr eigenen schauspielerische Erfahrungen und Fähigkeiten namentlich eingesetzt hat und mit Tonhöhe, Rhythmus und
Sprechart ihrer Stimme sowie mit der ihr eigenen Präsenz den beiden Rollen Unvergleichlichkeit, Charakter und besonderes Gepräge
verliehen hat, ohne die das Gesamtwerk Film bzw. Fernsehfilm nicht gelungen wäre. Dies ergänzt sich mit der Tatsache, dass
sich die Klägerin subjektiv auch in Bezug auf Synchronisierungsarbeiten als Schauspielerin begreift.
In den beiden hier streitigen Fällen ergibt sich somit ein deutlicher Vorrang der künstlerischen Ausgestaltung. Beide Aufträge
sind als selbstständige, künstlerische Tätigkeit zu werten. Vom Grundsatz abzuweichen, dass Synchronsprecher in Film- und
Fernsehwerken als selbstständig Tätige zu behandeln sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2003 - L 9 KR 135/00, Rn 23 ff; vgl. auch BGH Urteil vom 22.09.1983 - I ZR 40/81, Rn 16 - zitiert jeweils nach [...]), besteht vorliegend kein Anlass. Insoweit steht diese Entscheidung auch im Übereinstimmung
mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (BFH Urteile vom 01.03.1973 - IV R 231/69; vom 03.8.1978 - VI R 212/75; vom 12.10.1978 - IV R 1/77 - jeweils zitiert nach [...]), die sich zur Abgrenzung der selbständigen Tätigkeit vom abhängigen Dienstverhältnis (§
2 Abs
1, §
19 Abs
1 EStG, § 1 Abs 1, 3 LStDV) im Wesentlichen der Kriterien bedient, die vorliegend für die Abgrenzung des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zur
Anwendung gelangen. Ob Synchronsprecher auch bei Werken minderer Güte oder beim Sprechen von nur wenigen Sekunden abweichend
vom typischen Tätigwerden abhängig beschäftigt oder aber ebenfalls selbständig sind - dies könnte vorliegend die Mitgliedschaft
der Klägerin gefährden - ist hier nicht zu entscheiden. Denn strittig sind allein der Auftrag am 19.06.2007 für die Beigeladene
zu 1) und der Auftrag am 28.12.2007 für die Beigeladene zu 2).
Die Berufung bleibt somit in vollem Umfange ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, §
160 SGG.