Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
Gründe
I.
In dem Klageverfahren unter dem Az.: S 2 KR 2321/16 vor dem Sozialgericht München hat die Klägerin, eine private Auslandsreisekrankenversicherung in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft,
vor dem Sozialgericht München im Rahmen einer Stufenklage sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, zunächst Auskunft
zu erteilen, in welcher Höhe die von der Klägerin verauslagten Kosten einer Auslandsbehandlung für die bei der Beklagten gesetzlich
krankenversicherten E.H. nach den Vergütungssätzen der GKV zu erstatten wären. Sie trägt vor, für die gesetzlich Versicherte
aufgrund eines privaten Auslandskrankenversicherungsvertrags Leistungen für Behandlungskosten im Ausland in Höhe von 11.196,03
EUR erbracht zu haben. Diese Kosten seien ihr von der Beklagten in Höhe der GKV-Sätze nebst Zinsen zu erstatten. Die Klägerin
hat geltend gemacht, dass zunächst ein Auskunftsanspruch zur Begründung einer bezifferten Leistungsklage erforderlich sei.
Der Zahlungsanspruch basiere auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus abgetretenem Recht sowie auf zivilrechtlichen
Ansprüchen nach Bereicherungsrecht (§§
812 ff.
BGB), Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff.
BGB) und Gesamtschuldnerausgleich (§
426 BGB, § 78 VVG). Die Beklagte hat vorgetragen, dass weder eine Anspruchsgrundlage auf Auskunft noch auf Erstattung ersichtlich sei und Klageabweisung
beantragt.
Das Sozialgericht hat sich nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 21.06.2017 für sachlich unzuständig erklärt und
den Rechtsstreit an das Amtsgericht Kassel verwiesen. Der private Versicherungsvertrag und nicht das
SGB V bestimme das Rechtsverhältnis des Auslandskrankenschutzes. Die private Auslandskrankenversicherung diene nicht überwiegend
den Interessen der Allgemeinheit.
Dagegen richten sich die Beschwerden der Klägerin und der Beklagten. Beide Beteiligte halten den Weg zu den Sozialgerichten
für eröffnet. Sie begründen dies im Wesentlichen damit, dass der geltend gemachte Anspruch auf einem öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch basiere, wie ihn das BSG analog zu den zivilrechtlichen Vorschriften bejaht. Andere Kammern des Sozialgerichts München hätten den Sozialrechtsweg
für zulässig gehalten.
Die Klägerin und die Beklagte beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 21.06.2017 aufzuheben und den Rechtsweg zum Sozialgericht München für zulässig
zu erklären.
II.
Die Beschwerden sind zulässig und begründet.
1. Die beiden nach §
17a Abs.
4 S. 3
GVG, §
172 SGG statthaften Beschwerden, mit der sich sowohl die Klägerin als auch die Beklagte gegen die Feststellung der Unzulässigkeit
des Sozialrechtsweges und gegen die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht wendet, ist zulässig. Der Beschluss des
Sozialgerichts stellt eine Rechtswegverweisung nach §
17a Abs.
2 GVG dar. Da das
Sozialgerichtsgesetz die in §
17a Abs.
4 Satz 3
GVG genannte sofortige Beschwerde nicht kennt, tritt an deren Stelle die Beschwerde nach §
172 SGG (BSG, SozR 3-1500, § 51 Nr. 24).
2. Die Beschwerden sind in der Sache begründet, der Sozialrechtsweg ist gemäß §
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG zulässig.
Nicht zweifelhaft ist, dass der Sozialrechtsweg für Streitigkeiten zwischen Krankenkassen einerseits und ihren Versicherten
andererseits gegeben ist und alle Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis erfasst. Die Klägerin stützt ihre Klage auf die Behauptung,
die Beklagte von Verbindlichkeiten befreit zu haben, die der Versicherungsnehmer gegen die Beklagte gehabt hätte.
Die möglicherweise fehlende Anspruchsgrundlage der Klägerin ist keine Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern allein
eine Frage der Begründetheit der Klage. Hinsichtlich der Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten ist entscheidend
darauf abzustellen, dass der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfrage von Rechtssätzen
des Sozialrechts geprägt wird (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 51 Nr. 24, BSG, Beschluss v. 30.09.2014, Az.: B 8 SF 1/14 R). Die Abgrenzung bestimmt sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses (st. Rspr. BGH und BSG, vgl. etwa Beschluss des BSG vom 06.09.2007, Az.: B 3 SF 1/07 R) und muss von der Sache her getroffen werden. Die Klage betrifft einen Streit um Erstattungsansprüche einer privaten Versicherung
gegen eine gesetzliche Versicherung, wobei beide Versicherungen gegenüber dem Versicherten auf der Basis von unterschiedlichen
Rechtsverhältnissen unter bestimmten Voraussetzungen leistungsverpflichtet sein können. Die geltend gemachten Anspruchsgrundlagen
unterliegen dem öffentlichen Recht (vgl. etwa zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch BSG, Urteil vom 04.06.2013, Az.: B 11 AL 8/12 R; zur Geschäftsführung ohne Auftrag, BVerwG, Beschluss v. 07.03.2016, Az.: 7 B 45/15). Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund des effektiven Rechtsschutzes ein Rechtsstreit vor der Gerichtsbarkeit zu führen,
die durch Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den infrage stehenden Anspruch besonders geeignet ist (vgl. BSG, Beschluss vom 21.07.2016, Az.: B 3 SF 1/16 R., Rn. 8). Anhaltspunkte für die Geltendmachung von Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw. erkennbar
von der rechtssuchenden Klägerin nur mit Ziel geltend gemacht werden, um einen bestimmten Rechtsweg zu beschreiten (vgl. BSG, Beschluss v. 30.09.2014, a.a.O.) sind nicht erkennbar. Die Klage betrifft somit einen Rechtsstreit für den nach dem weitgefassten
Wortlaut des §
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG die Sozialgerichte zuständig sind.
Auf die Beschwerden beider Beteiligten wird daher der angegriffene Beschluss des Sozialgerichts aufgehoben. Zugleich wird
die Zulässigkeit des Rechtsweg zu den Sozialgerichten festgestellt.
3. Das Beschwerdeverfahren erfordert eine isolierte Kostenentscheidung nach §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG (BSG, Beschluss v. 01.04.2009, Az.: B 14 SF 1/08 R). Da sich vorliegend beide Beteiligten in ihrem Begehren, den Rechtsstreit vor den Sozialgerichten zu führen, durchgesetzt
haben, wird es als unbillig angesehen, einer Partei die Kostenlast aufzuerlegen. In Anwendung des Rechtsgedankens in §
154 Abs.
4 VwGO sind daher von den Beschwerdeführerinnen keine Gerichtskosten geltend zu machen. Im Hinblick auf die grundgesetzliche Rechtsschutzgarantie
(§ 19 Abs. 4 S. 1
GG bzw. Art.
2 Abs.
1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip, BVerfG v. 30.04.2003, 1 PBvU 1/02) sind die Klägerin und die Beklagte zudem von Kostenrisiken freizustellen, die ihnen durch die legitime Inanspruchnahme der
Rechtswegbeschwerde entstehen. Daher sind die außergerichtlichen Kosten der Klägerin von der Staatskasse zu übernehmen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a SGG in Verbindung mit § 52 GKG. Gemäß § 52 Abs. 1 GKG bemisst sich der Streitwert in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach
der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen. Betrifft der Antrag eine bezifferte
Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Es ist also auf das wirtschaftliche Interesse an der angestrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen abzustellen. Das
wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dieser Beschwerde besteht darin, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für die
Stufenklage gegen die Beklagte für zulässig erklärt wird. Der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch ist zwar nicht beziffert,
Anhaltspunkte bietet jedoch der Betrag, den die Klägerin der Versicherten E.H. geleistet hat und den die Klägerin bei Erfolg
der Klage von der Beklagten - bestenfalls in gleicher Höhe - geltend macht. Von diesem Betrag (11.196,03 EUR) ist in Anlehnung
an den Beschluss des BSG vom 06.09.2013 (Az.: B 3 SF 1/07 R) für die Rechtswegbeschwerde 1/5 anzusetzen.
5. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG). Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde an das Bundessozialgericht (§
17a Abs.
4 S. 4 und 5
GVG) liegen nicht vor.