Pflegeversicherung
Häusliche Krankenpflege in Form von Beatmungspflege
Widerklage
Beginn der Verjährung
Unterlaufen der maßgeblichen Pflegequalifikation
Tatbestand
Strittig ist ein Zahlungsanspruch gegen die Mutter einer Versicherten, für welche der Beigeladene Intensiv-Pflegedienstleistungen
zu Unrecht abgerechnet hatte.
1. Die 1998 geborene A. (im Folgenden: R.S.) ist bei der Widerklägerin gesetzlich familienkrankenversichert. Die Widerbeklagte
ist die Mutter der R.S. und zugleich mit dem Vater U. S. deren gesetzliche Vertreterin.
Seit der Geburt leidet R.S. u.a. am "Undine-Syndrom", einer seltenen, angeborenen Erkrankung des zentralen Nervensystems mit
Störung der autonomen Atmungskontrolle. Dabei ist insbesondere die Atemantwort auf niedrige Sauerstoffsättigungen sowie auf
Kohlendioxidanstieg im Wachzustand eingeschränkt, wenn auch oft noch ausreichend. Beim Schlafen sowie in Fällen zusätzlicher
Erkrankungen ist die unzureichende Atemantwort weiter reduziert. R.S. wurde deshalb nach der Geburt mehrere Monate stationär
behandelt, wobei die Widerbeklagte zugleich ein krankheitserkennungs- und krankheitsreaktives Know-How erwarb. Im Anschluss
wurde R.S. intensivmedizinisch sowie intensiv-/beatmungspflegerisch behandelt und betreut. Im streitmaßgeblichen Jahr 2001
war R.S. nach dem
SGB XI der Pflegestufe III zugeordnet, nach dem
SGB IX war ein GdB von 100 anerkannt.
Seit dem 29.5.1999 gewährte die Widerklägerin der R.S. häusliche Krankenpflege in Gestalt von Beatmungspflege rund um die
Uhr nach §
37 Abs.
1 SGB V zur Vermeidung stationärer Behandlung. Mit gesprächsbestätigendem Schreiben vom 22.10.1999 teilte die Widerklägerin der Widerbeklagten
dazu mit, die Intensivpflege könne auf drei Wegen sichergestellt werden. Erstens über den Sachleistungsweg durch Leistungserbringer,
welche mit der Widerklägerin abrechnen. Zweitens durch eine - zunächst selbst beschaffte und bezahlte - examinierte Krankenpflegerin,
deren Kosten nach Quittungsvorlage erstattet werden. Oder drittens durch eine im Haushalt lebende Person, deren Kosten aber
nicht übernommen werden; insofern bestand Einigkeit, dass die Widerbeklagte wegen der erforderlichen Qualifikation sowie wegen
der rund um die Uhr erforderlichen Pflege sowie Bereitschaft und Belastung nicht in der Lage ist, diese Pflegemöglichkeit
sicherzustellen.
2. Der Beigeladene ist Mediziner. Seit 1998 war er Inhaber und Betreiber des Pflegedienstes C.V ... Für diesen galt als Leistungserbringer
der häuslichen Krankenpflege der damalige zwischen den Pflegeverbänden und den gesetzlichen Kassen abgeschlossene Rahmenvertrag
nach §§
132,
37 SGB V. Der seit 1999 gültige Rahmenvertrag bestimmte verbindlich u.a. in §
3 "Allgemeine Bedingungen der häuslichen Krankenpflege", dass die versicherten Patienten entsprechend dem allgemein anerkannten
Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu pflegen sind sowie dass die Grundsätze der Qualität und Qualitätssicherung
Geltung besitzen.
Im Frühjahr 2001 kam es zwischen der Widerklägerin und der Widerbeklagten zu Differenzen wegen der Pflegeleistungen für R.S.
Seit 1.5.2001 wurde auf Initiative der Widerbeklagten der Pflegedienst des Beigeladenen mit der intensivpflegerischen Betreuung
der R.S. für 24 h/Tag an sieben Tagen/Woche beauftragt. Mit Schreiben vom 25.6.2001 teilte der Beigeladene der Widerklägerin
mit, bedingt u.a. durch die hohen pflegerischen Anforderungen könne die Pflege der R.S. nur durch entsprechend geschultes
Fachpersonal durchgeführt werden, so dass ein Stundensatz von 60 DM pro Stunde tagsüber sowie von 70 DM für Nachtzeiten berechnet
werde. Die entsprechende Zusage erteilte die Widerklägerin dem Beigeladenen mit Schreiben vom 25.6.2001.
3. In der Folgezeit rechnete der Beigeladene gegenüber der Widerklägerin die entsprechenden Leistungen ab, die die Beklagte
auch bezahlte. Tatsächlich aber erbrachte der Beigeladene gemäß geplantem Vorgehen mit der Widerbeklagten die Leistungen nicht.
Vielmehr stellte er zur Betreuung der R.S. nur Personal ohne beatmungspflegerische Qualifikation zur Verfügung, weite Strecken
der Intensivpflege und Atemüberwachung nahm die Widerbeklagte entweder selbst an ihrer Tochter R.S. vor oder sie ließ diese
Pflege und Überwachung durch von ihr selbst organisierte Personen erbringen, welche aber die verabredete Qualifikation nicht
besaßen. Im Gegenzug erstattete der Beigeladene der Widerbeklagten 40% der Vergütungen, die ihm die Widerklägerin gezahlt
hatte.
Nach Einsatz einer Detektei, welche feststellen konnte, dass die vertragsgemäße Anzahl von qualifizierten Pflegekräften nicht
zu R.S. kamen, erstattete die Widerklägerin in Darstellung des Sachverhaltes unterlegt durch mehrere Dokumente am 6.2.2002
bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht C-Stadt Strafanzeige gegen den Beigeladenen. Mit Schriftsatz vom 21.3.2001
erweiterte die Widerklägerin in Unterbreitung weiteren Sachverhalts die Strafanzeige auf die Widerbeklagte. Die Ermittlungen
führten zu einem Haftbefehl gegen die Widerbeklagte (Amtsgericht C-Stadt, 26.11.2002), zu Durchsuchungen von Geschäfts- und
Wohnräumen sowie zu Beschlagnahmen u.a. von Konten, welche die entsprechenden Rechnungen und Zahlungsbelege zu Tage brachten
sowie namentlich zur Zeugenvernehmung der als Pflegekraft eingesetzten Arzthelferin/Erzieherin B ... Zur Hausdurchsuchung
der gemeinsamen Wohnräume der R.S. sowie der Widerbeklagten am 16.12.2002 ist deren Aussage dokumentiert, sie bestreite die
vom Beigeladenen erhaltenen Beträge nicht, diese seien möglicherweise nichtversteuerte Schwarzgelder. Dort ist auch die Aussage
der Widerbeklagten dokumentiert, sie habe unzutreffend Leistungserbringungen durch den Beigeladenen bestätigt, obwohl im Innenverhältnis
andere Kräfte tätig waren, zB eine Israelin mit Namen S. M ...
Am 3.4.2003 erhob die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht C-Stadt Anklage wegen Betruges gegen den Beigeladenen. Dieser
veräußerte am 2.6.2003 sein Immobilieneigentum in C-Stadt an seine Ehefrau. Am 6.2.2004 formulierte er ein Geständnis, wonach
u.a. das an die Widerbeklagte ausbezahlte Geld nicht für pflegefremde Zwecke verwendet worden sei, sondern für von der Widerbeklagten
besorgte Pflegekräfte. Eine Rückfrage bei seinem Steuerberater habe die steuerliche Unbedenklichkeit dieses Vorgehens ergeben,
die Weiterleitungen an die Widerbeklagte sei für Feiertags-, Sonntags-, Nacht-, also Ausnahmezeiten erfolgt. Nach Zahlung
einer Geldauflage wurde das Strafverfahren durch das Amtsgericht C-Stadt am 18.8.2004 gemäß §
153a Abs.
2 StPO endgültig eingestellt.
Eine gegen die Widerbeklagte erhobene Anklage führte nach vollständiger und rechtzeitiger Erfüllung der festgesetzten Auflagen
und Weisungen ebenso zur endgültigen Einstellung gemäß Beschluss des Amtsgerichts C-Stadt vom 15.10.2003.
4. Gegenüber dem Beigeladenen machte die Beklagte mit Bescheid vom 12.2.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
1.7.2002 die Rückforderung von 118.125,65 EUR Pflegevergütung für Mai bis Dezember 2001 sowie weitere Ermittlungskosten geltend.
Das dazugehörige Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (Az.: S 47 KR 644/02) haben die Widerklägerin und der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vom 3.5.2005 nach dortiger Erhebung einer Widerklage
erledigt erklärt. Die Widerklage (Az.: S 17 KR 449/05) führte zum antragsgemäßen Urteil vom 15.11.2012, wonach der dortige Widerbeklagte (und vorliegend Beigeladene) der Widerklägerin
(und vorliegend ebenfalls Widerklägerin) 101.757,42 EUR zzgl. Zinsen zu zahlen hatte. Die dagegen eingelegte Berufung zum
Bayerischen Landessozialgericht (Az.: L 4 KR 497/12) wurde durch Vergleich vom 9.6.2015 erledigt. Danach zahlt der dortige Widerbeklagte 50.000 EUR in monatlichen Raten à 1.000
EUR.
5. Der vorliegende Rechtsstreit geht zurück auf den Bescheid vom 19.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
28.4.2006. Dort forderte die Widerklägerin von der Widerbeklagten 38.196,84 EUR. Diese habe im Zusammenwirken mit dem Beigeladenen
über die Anzahl der für R.S. geleisteten Intensivpflegestunden durch Fachpersonal getäuscht. Die Widerklägerin habe die Vergütung
geleistet, obgleich sie nicht zur Zahlung verpflichtet gewesen sei. Der dagegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht München
mit Urteil vom 18.5.2010 (Az.: S 43 KR 1183/08) stattgegeben. Es fehle an einer Rechtsgrundlage für den strittigen Bescheid/Widerspruchsbescheid. Nicht die Versicherte,
die Leistungsempfängerin R.S., sondern deren Mutter - die vorliegend Widerbeklagte - werde per Zahlungsbescheid für zu Unrecht
vergütete Pflegeleistungen in Anspruch genommen. Ein Rückforderungs- und Erstattungsverhältnis komme aber nur mit der Versicherten
in Betracht. Die Widerbeklagte werde nicht als gesetzliche Vertreterin der R.S. in Anspruch genommen, was zudem nach den Prinzipien
der gesetzlichen Vertretung nicht möglich wäre. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch könne nur mit dem Leistungserbringer
- dem vorliegend Beigeladenen - bestehen, Leistungserbringer aber sei die Widerbeklagte nicht. Zudem habe der Bescheid mangels
Bestimmtheit keinen Bestand, weil ausdrücklich zugleich Schadensersatz sowie Rückforderung geltend gemacht werde.
Dagegen hat die Widerklägerin Berufung eingelegt und im Erörterungstermin vom 25.11.2013 die hier zu entscheidende Widerklage
auf Zahlung von 30.157,85 EUR erhoben. Der Senat hat mit Urteil vom 18.11.2014 die Berufung zurückgewiesen sowie die Widerklage
als unzulässig verworfen. Wie zutreffend von der Erstinstanz entschieden fehle es für den strittigen Bescheid an der erforderlichen
Rechtsgrundlage. Die Widerklage erfasse keinen Rückerstattungs-, sondern einen Schadensersatzanspruch, welcher vor den ordentlichen
Gerichten geltend zu machen sei.
Gegen die Verwerfung der Widerklage als unzulässig - nicht gegen die Zurückweisung der Berufung - hat die Widerklägerin Nichtzulassungsbeschwerde
erhoben. Mit Beschluss vom 30.9.2015 - B 3 KR 22/15 B - hat das Bundessozialgericht das die Widerklage verwerfende Urteil aufgehoben und das Verfahren an den Senat zurückverwiesen.
6. Mit Schriftsatz vom 14.1.2016 hat die Widerklägerin dargelegt, sie mache einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch
wegen der Mitwirkung der Widerbeklagten an der falschen Abrechnung von Pflegestunden durch den Pflegedienst des Beigeladenen
geltend. Zu zahlen seien in Summe 24.940,00 EUR belegter Rücküberweisungen vom 30.8.2001, 9.10.2001, 14.11.2001 sowie 18.1.2002
zzgl. angefallener Ermittlungskosten. Die Widerbeklagte hat mit Schriftsatz vom 3.3.2016 die Einrede der Verjährung erhoben.
Es greife die 10-jährige Verjährung des §
199 Abs.
3 BGB. Bereits aus dem Haftungsbescheid vom 12.2.2002 gegenüber dem Beigeladenen ergebe sich, dass die Widerklägerin den identischen
Lebenssachverhalt vollständig zur Kenntnis hatte. Im Übrigen bestünde allenfalls eine gesamtschuldnerische Haftung mit dem
Beigeladenen, so dass mit dem Vergleichsbetrag von 50.000 EUR aus dem Verfahren L 4 KR 497/12 die vorliegende Forderung erloschen sei.
Die Widerklägerin beantragt,
die Widerbeklagte zu verurteilen ihr 30.157,85 EUR zu zahlen,
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
Die Widerbeklagte beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der o.g. Verfahren S 47 KR 644/02, S 17 KR 449/05 und L 4 KR 497/12 sowie die Akten des Strafverfahrens 824 Ds 315 Js 33257/ 02 - Amtsgericht C-Stadt. Darauf sowie auf die Gerichtsakten der
bisherigen Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Widerklage ist unbegründet. Die Widerklägerin hat gegen die Widerbeklagte keinen durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung von
30.157,85 aus Bereicherungsrecht (§§
812 ff
BGB) bzw. aus Schadensersatzrecht (§
823 Abs.
2 BGB i.V.m. §
263 StGB; §
826 BGB).
I. Im Hinblick auf den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 30.9.2015 ist gem. §
170 Abs.
5 SGG zunächst klarzustellen, dass zwischen der Widerklägerin und der Widerbeklagten kein dem Sozialrecht zuordenbarer Erstattungs-
oder Zahlungsanspruch erkennbar ist.
Die gesetzlich gem. §
10 SGB V familienversicherte R.S. steht in einem eigenständigen Versicherungsverhältnis zur Widerklägerin, Leistungsansprüche stehen
damit der R.S. selbst zu (vgl. BSG SozR 3-2500 § 10 Nr. 16 S. 65 f). Rückerstattungsansprüche aus diesem Leistungsverhältnis sind daher dem Verhältnis Widerklägerin und R.S.
zu geordnet. Dass die Widerbeklagte zusammen mit dem Vater gesetzliche Vertreterin der R.S. ist, ändert insoweit nichts, §§
1626,
1629 BGB.
Ein Leistungserbringerverhältnis bestand ausschließlich zwischen der Widerklägerin und dem Beigeladenen. In dieses Verhältnis
war die Widerbeklagte nicht eingetreten. Allein das gemeinschaftliche sittenwidrige Zusammenwirken der Widerbeklagten mit
dem Beigeladenen (s.u.) bewirkt nicht, dass die Widerbeklagte in das öffentlich-rechtliche Leistungserbringerverhältnis Einzug
findet. Dementsprechend hat die Widerbeklagte ihre Widerklage auf einen zivilrechtlichen Anspruch gestützt.
Der gesetzliche Richter gem. Art.
101 Abs.
1 S. 2
GG bestimmt sich für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gem. §
13 GVG. Die Zuständigkeit des Senates ergibt sich vorliegend aus dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 30.9.2015, §
170 Abs.
5 SGG.
II. Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist nicht mehr der Bescheid vom 19.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 28.4.2006. Insofern ist die Berufungsentscheidung gem. Ziffer I des Tenors des Urteils vom 18.11.2014 rechtskräftig geworden,
die Widerklägerin hat insoweit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ihr Begehren auf Abweisung der Klage nicht mehr
weiterverfolgt (vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 30.9.2015). Auch im Verfahren nach der Zurückverweisung hat die
Widerklägerin sich vor dem Senat nicht mehr auf die Ausgangsentscheidung vom 19.10.2005/28.4.2006 gestützt, sondern ausschließlich
ihr Widerklagebegehren verfolgt sowie den entsprechenden Prozessantrag gestellt.
III. Der von der Widerklägerin geltend gemachte Bereicherungs- bzw. Schadenersatzanspruch, den sie erstmals mit der zur Verhandlungsniederschrift
erhobenen Widerklage am 25.11.2013 rechtshängig gemacht hat, war in diesem Zeitpunkt bereits verjährt.
1. Der hier noch strittige Anspruch der Klägerin ergibt sich dem Grunde nach aus §§
812 ff
BGB bzw. aus §
823 Abs.
2 BGB i.V.m. §
263 StGB sowie aus §
826 BGB.
Aus den beigezogenen Akten der Strafverfahren gegen die Widerbeklagte und den Beigeladenen sowie aus dem Beteiligten-Vorbringen
im vorliegenden Verfahren sowie im sozialgerichtlichen Verfahren gegen den Beigeladenen beruht der Anspruch in Würdigung der
dortigen Beweismittel und Aussagen zur Überzeugung des Senates auf dem nachfolgend Dargestellten:
a) Die Widerbeklagte hatte während der verlängerten, über mehrere Monate hinaus dauernden stationären Behandlung sowie in
der Zeit danach das erforderliche medizinische Wissen und Können erworben, mit der Erkrankung ihrer Tochter R.S. adäquat umzugehen.
Das bestätigt auch der behandelnde Arzt Dr. T. unter dem 11.7.2002 (Anlage K4 zur Klage S 3 KR 644/02 vom 2.8.2002). Dies untermauern die späteren, glaubhaften, im Strafverfahren dokumentierten Angaben der Pflegekraft B. sowie
die ebenfalls glaubhaften Angaben des Herrn J., Inhaber des im Anschluss an den hier strittigen Zeitraum für nur kurze Zeit
tätigen Pflegedienst J., welchem die Widerbeklagte bedeutet hatte, nur sie - die Widerbeklagte - könne R.S. fachgerecht betreuen,
ohne sie - die Widerbeklagte - werde R.S. sterben.
Nach Dissens über die weitere Pflegeerbringung Anfang 2001 ergab sich ein Kontakt der Widerbeklagten mit dem Beigeladenen.
Dieser verfügte über keine einzige Pflegekraft, welche für die erforderliche Beatmungs-/Intensivpflege ausgebildet war oder
sonstig die erforderliche Qualifikation aufweisen konnte. Obgleich dieser wusste, dass er nicht im Ansatz in der Lage war,
die nach dem Rahmenvertrag geschuldete Behandlungsverhinderungspflege für R.S. zu erbringen, übernahm er die Leistungserbringung.
Er tat dies auch weiter, obgleich er mit Schreiben vom 25.6.2001 selbst auf die erforderliche Fachqualifikation bezogen eine
höhere Vergütung eingefordert hatte, welche ihm daraufhin gewährt wurde. Entsprechend gemeinsamer Verabredung überwies der
Beigeladene der Widerbeklagten in mehreren Fällen, die sich mit den in der Widerklage geltend gemachten Teilzeiträumen überlappen,
40% der Vergütung. Dies belegt nicht zuletzt das im Strafverfahren vorgelegte Geständnis des Beigeladenen. Insbesondere aus
den Angaben, dieser habe sich beim Steuerberater (!) nach der Zulässigkeit des Vorgehens erkundigt, beweist zumindest, dass
dem Beigeladenen die rechtliche Zweifelhaftigkeit dieser Konstruktion bewusst war und dass er mit deren Rechtswidrigkeit gerechnet
hatte, sich mit dieser Möglichkeit aber abgefunden hatte. Dies gilt umso mehr, als im Geständnis die Rede davon ist, die Widerbeklagte
habe in eigener Organisation die Pflege sichergestellt, davon seien aber in erster Linie Sonderzeiten (Wochenenden, Feiertag,
Nachtzeiten) betroffen gewesen, obgleich der Beigeladene eine rund-um-die-Uhr-Pflege als Leistungserbringer sicherzustellen
hatte und obgleich ihm als Arzt die Besonderheiten der Pflege der am Undine-Syndrom erkrankten R.S. bekannt waren.
Der Widerbeklagten waren wegen ihres erworbenen Wissens die Erfordernisse und Qualifikationsanforderungen im Rahmen der Behandlungsverhinderungspflege
ihrer Tochter R.S. wie dargestellt bekannt. Dies ergibt sich zudem aus dem Schriftwechsel, welchen die Widerbeklagte diesbezüglich
mit dem Bundesversicherungsamt geführt hat. Ihr war auf Grund des gesprächsbestätigenden Schreibens vom 22.10.1999 zudem bekannt,
dass die Widerklägerin als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung keine Vergütung für pflegerische Leistungen der Widerklägerin
zahlen werde. Gleichwohl hat die Widerklägerin im von der Widerklage umfassten Zeitraum mit Wissen und Wollen die Pflegeleistungen
selbst erbracht oder durch nicht qualifiziertes Personal erbringen lassen. Dafür hat sie - wie die im Strafverfahren sichergestellten
Belege beweisen - vom Beigeladenen 40% der diesem gezahlten Beträge erhalten, jedenfalls aber die von der Widerklage umfassten
Rücküberweisungen vom 30.8.2001, 9.10.2001, 14.11.2001 sowie 18.1.2002.
Dabei ist der Senat überzeugt, dass die Widerbeklagte im Wesentlichen persönlich die Zeiten abgedeckt hat, welche dem Beigeladenen
von der Widerklägerin als Intensivpflegeleistung vergütet wurden. Dafür spricht die Pauschalzahlung von 40% ohne Bezug auf
geleistete Zeiten oder auf eingesetzte Pflegepersonen, dafür spricht das weitreichende Fehlen von Vergütungsbelegen, aber
insbesondere auch die nicht glaubhafte Angabe der Widerbeklagten bei der Hausdurchsuchung am 16.12.2002, eine Israelin mit
Namen S. M. habe Pflegeleistungen erbracht. Diese Person taucht nämlich weder vorher noch nachher im gesamten Verfahren auf,
die Nennung des Namens entspricht einer im Moment der Anschuldigung entstandenen typischen Schutzbehauptung.
Es kann insoweit allerdings offen bleiben, ob die hier strittigen, vergüteten Leistungszeiten von der Widerbeklagten selbst
oder durch andere unqualifizierte Kräfte abgedeckt wurden. Denn sowohl der Widerbeklagten als auch dem Beigeladenen war bewusst,
dass die zwischen Ihnen im Wege gemeinsamer Sache aufgeteilten Zahlungen der Widerklägerin ausschließlich Vergütungen für
eine Leistungserbringung durch qualifiziertes Fachpersonal darstellten und dass diese Voraussetzung - Leistungserbringung
durch qualifiziertes Fachpersonal - unterlaufen wurde.
b) Das Unterlaufen der maßgeblichen Pflegequalifikation hat zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs geführt, unabhängig
davon, ob die Leistung, zB die Überwachung, im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurde (sog. streng formale Betrachtungsweise,
BGH, 16.6.2014 - 4 StR 21/14, Rn. 28 mwN - zitiert nach [...]). Damit ist auf Seiten der Widerklägerin ein Vermögensschaden entstanden.
Denn die gesetzlichen Krankenkassen müssen formale Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen voraussetzen, weil andernfalls
eine den praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle der Leistungserbringung nicht möglich ist (BSGE 98, 12 Rn. 32 mwN). Die Abrechenbarkeit von Leistungen knüpft unabänderlich an die formale Qualifikation des Personals an, wobei
die vertragliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer maßgeblich ist (SG Potsdam, 8. 2. 2008 - S 7 KR 40/07; SG Dresden, 10. 9. 2003 - S 16 KR 392/03 ER). Dem Beigeladenen als Leistungserbringer stand daher für die Pflegeleistungen, die er gemeinsam mit der Widerbeklagten
unter Verstoß gegen die vertragliche vereinbarte Qualifikation bewirkt hatte, keine Vergütung zu, obwohl diese Leistungen
im Übrigen ordnungsgemäß erbracht sein können (BSG, 17.5.2000 - B 3 KR 19/99 B, Rn. 5 - zitiert nach [...]; BSGE 94, 213, 220 Rn. 26; BSG 8.9.2004 - B 6 KA 14/03 R, Rn. 23 - zitiert nach [...]). Insoweit bestehen im Verhältnis Leistungserbringer und Krankenkasse zudem keine Ansprüche
aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag (BSG, 17.5.2000 - B 3 KR 19/99 B, Rn. 5 - zitiert nach [...]). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht, denn die Leistungserbringerregelungen
des SGB dienen der Wirtschaftlichkeit und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, also
einem überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, NJW 2014, 2340, 2341). Hatte der Beigeladene also unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen,
so ist der Widerklägerin mit den Vergütungen wirtschaftlich - nicht lediglich normativ - ein entsprechender Schaden aus dem
daraus bezogenen gemeinschaftlichen Vorgehen der Widerbeklagten und des Beigeladenen entstanden. Dieser steht ihr jedenfalls
in Höhe des Teilbetrages der Widerklage zu. Als adäquat verursachter Schaden zählen dabei auch die hier in zutreffender Höhe
geltend gemachten, bezifferten sowie belegten erforderlichen Ermittlungskosten.
Zudem waren wegen der auf das Undine-Syndrom der R.S. bezogenen verletzten vertraglichen Qualitätsvorgaben die erbrachten
Pflege-/Überwachungsleistungen nach den vorliegenden besonderen Umständen wirtschaftlich ohne Wert (vgl. BGH, 2.7.2014 - 5 StR 182/14, Rn. 13; BGH, 16. 6.2014 - 4 StR 21/14, Rn. 31 -zitiert nach [...]). Denn eine hinreichende Versorgung konnte für R.S. wegen möglicher Notfallsituationen, die eine
Beatmung notwendig machen konnten, nur erfolgen, wenn die aktuellen Pflegekräfte über eine Zusatzausbildung für Beatmungs-/Intensivpflege
von Kleinkindern verfügten.
Dem Eintritt des im geltend gemachten Umfange zutreffenden Vermögensschadens steht nicht entgegen, dass die Widerbeklagte
die der Versicherten R.S. geschuldeten Leistungen im Nachhinein nicht mehr erbringen braucht. Denn es fehlte insoweit bereits
an der erforderlichen Unmittelbarkeit des herbeigeführten Vermögenszuwachses. Dass die Widerklägerin von ihrer Leistungspflicht
gegenüber der Versicherten R.S. befreit ist, stellt keine Gegenleistung für die an den Beigeladenen gezahlte Pflegevergütung
dar, weil diese aus dem Leistungserbringerverhältnis, also einer anderen Leistungsbeziehung herrührt. Aus demselben Grund
entfällt der Vermögensschaden auch nicht dadurch, dass die Widerklägerin keinen anderen Pflegedienst mit der Pflege der R.S.
beauftragen musste und deshalb Aufwendungen erspart wurden (BGH, 16.6.2014 - 4 StR 21/14, Rn. 33 f mwN - zitiert nach [...]).
2. Jedoch sind die so benannten Ansprüche der Widerklägerin verjährt.
Weil keiner der in §
197 BGB normierten Ansprüche tatbestandsmäßig erfüllt ist, findet vorliegend die 10-jährige Verjährungsfrist des §
199 Abs.
3 Nr.
1 BGB Anwendung, wonach sonstige Schadensersatzansprüche ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn
Jahren von ihrer Entstehung an verjähren. Der Schadensersatzanspruch sowie der Anspruch auf ungerechtfertigte Bereicherung
sind mit Eintritt des Vermögensschadens auf Seiten der Widerklägerin entstanden, somit spätestens mit der letzten Zahlung,
welche die Widerklägerin an den Beigeladenen bzw. welche der Beigeladene an die Widerbeklagte geleistet hat. Dabei kann offen
bleiben, ob insoweit die Zahlungen im Jahre 2001 oder die insoweit letzte Zahlung am 18.1.2002 maßgeblich sind. Denn nach
§
200 BGB hatte die 10-jährige Verjährung jedenfalls mit Eingang der Zahlung vom 18.1.2002 zu laufen begonnen, Hemmungs- oder Ablaufhemmungstatbestände
sind nicht erkennbar. Somit war bei Erhebung der Widerklage am 25.11.2013 bereits Verjährung eingetreten.
Hinzukommt, dass die kürzeren Verjährungsfristen des §
195 BGB bzw. analog §
41 SGB I im Zeitpunkt der Widerklage bereits abgelaufen waren. Denn aus den beigezogenen Strafakten dokumentieren die Strafanzeigen
der Widerklägerin vom 6.2.2002 gegenüber dem Beigeladenen sowie vom 21.3.2002 gegenüber der Widerbeklagten einschließlich
der dazu vorgelegten Dokumente ebenso wie der Bescheid vom 12.2.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1.7.2002
(Rückforderung von 118.125,65 EUR Pflegevergütung für Mai bis Dezember 2001 vom Beigeladenen), dass der zuständige Sachbearbeiter
der Widerklägerin volle Kenntnis vom anspruchsbegründenden Sachverhalt hatte. Für den Verjährungsbeginn ist insoweit auf die
Kenntnis des zuständigen Bediensteten des verfügungsberechtigten Sozialversicherungsträgers abzustellen (vgl. KG Berlin, 16.
2.2015 - 8 U 67/14), hier desjenigen, der zur Erstattung von Strafanzeigen bzw. zum Erlass eines Forderungsbescheides/ Widerspruchsbescheides
über mehr als 100.000 EUR berechtigt war.
Die Einrede der Verjährung hat die Widerbeklagte mit Schriftsatz vom 3.3.2016 ausdrücklich erhoben. Dies hat gem. §
214 Abs.
1 BGB zur Folge, dass die Widerbeklagte die Leistung verweigern darf. Eine Verurteilung kommt damit nicht in Betracht.
Die Widerbeklagte war nicht nach Treu und Glauben gehindert, die Einrede der Verjährung zu erheben. Anhaltspunkte dafür sind
weder im vorliegenden Verfahren noch anderweitig erkennbar. Insbesondere hat die Widerbeklagte kein Verhalten an den Tag gelegt,
durch welches die Widerklägerin von der rechtzeitigen verjährungsunterbrechenden Geltendmachung des Anspruchs abgehalten worden
wäre.
3. Wegen der Verjährung ist nicht näher auszuführen, dass die Widerklägerin nach den Regeln der gestörten Gesamtschuld (die
Widerbeklagte und der Beigeladene sind nach dem Dargelegten gemeinschaftlich vorgegangen) infolge des Vergleiches im Verfahren
L 4 KR 497/12 und des dort enthaltenen Teilerlasses der Schuld gegenüber dem Beigeladenen nicht den vollen Anspruch gegenüber der Widerbeklagten
geltend machen darf.
Der Widerklage bleibt somit vollumfänglich der Erfolg versagt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Die Revision wird zugelassen, §
160 SGG.