Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
Mehrbedarf für Alleinerziehende im Zugunstenverfahren
Keine SGB XII-Leistungen für Asylbewerber
Kein ergänzender Rückgriff auf pauschale Leistungen nach dem SGB XII
Tatbestand
Die 1988 geborene Klägerin (die Bezeichnung der Beteiligten aus der 1. Instanz wird beibehalten) begehrt die Gewährung eines
Mehrbedarfs für Alleinerziehende im Zugunstenverfahren.
Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und lebt zusammen mit ihrem am 25.07.2014 geborenen Kind, das sie alleine
aufzieht. Sie verfügt über eine Aufenthaltsgestattung. Nachdem sie am 02.07.2014 einen Asylantrag gestellt hatte, bezog sie
bis zum 02.10.2015 Grundleistungen nach §
3 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG). Seit dem 03.10.2015 erhält die Klägerin sog. Analogleistungen nach §
2 AsylbLG. Die Tochter der Klägerin, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, erhält Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII.
Am 14.01.2015 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die bereits bestandskräftigen Bescheide über Leistungen nach
dem
AsylbLG gemäß § 44 SGB X zu überprüfen und neu über die Leistungen im Hinblick auf die Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend
§ 30 Abs. 3 SGB XII zu entscheiden und ihr ab sofort einen Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß §
6 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG zu gewähren. Auch bei Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG sei ein Mehrbedarf für Alleinerziehende in entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 3 SGB XII als unerlässliche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Gesundheit anzuerkennen. Denn bei diesem Mehrbedarf
handele es sich um einen bei Alleinerziehenden typischerweise auftretenden atypischen Bedarf. Dieser Mehrbedarf entstehe,
weil Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit hätten, preisbewusst einzukaufen und zugleich
höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssten. Diese Sonderbedarfe könnten
aus den zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts gewährten Grundleistungen nach §
3 AsylbLG nicht gedeckt werden. Der Gesetzgeber dürfe nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren.
Dies sei nur möglich, sofern der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG von dem anderer Bedürftiger signifikant abweichen würde. Die Anknüpfungstatsachen geringe Beweglichkeit, zusätzliche Aufwendungen
für die Kontaktpflege und zusätzliche Aufwendungen für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter lägen bei Alleinerziehenden
im Leistungsbezug nach § 3 AsylblG und nach dem SGB II gleichermaßen vor. Zwar treffe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Mehrbedarf keine Aussage, jedoch könnten
auf der Grundlage des §
6 AsylbLG auch die laufenden Mehrbedarfe analog zum SGB XII beansprucht werden. Das Ermessen nach §
6 AsylbLG sei auf Null reduziert, den Alleinerziehenden-Zuschlag zu gewähren. Da kein sachlicher Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung
vorliege, verstoße eine Weigerung, einen pauschalen Mehrbedarf auf Grundlage des §
6 AsylbLG entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII anzuerkennen, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art.
3 Abs.
1 GG. Der Beklagte lehnte die Bewilligung eines pauschalierten Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung ab dem 14.01.2015 mit Bescheid
vom 09.02.2015 ab. Mit Bescheid gleichen Datums wurde aufgrund des Antrags auf Überprüfung gem. § 44 SGB X die rückwirkende Bewilligung eines pauschalierten Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung abgelehnt. Zwar sei der Überprüfungsantrag
formell zulässig, der Antrag sei erst für die Zeit vor dem 01.01.2014 verfristet unter entsprechender Anwendung von § 116 a SGB XII i. V. m. §§
9 Abs.
3 AsylbLG, 44 Abs. 4 S. 1 SGB X. Die rückwirkende Bewilligung von Leistungen sei jedoch aus materiell-rechtlichen Gründen abzulehnen. Die Bewilligung eines
pauschalierten Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII sei in den §§
3 bis
7 AsylbLG nicht vorgesehen. Eine einzelfallbezogene Leistung für Alleinerziehende könne im Rahmen des §
6 AsylbLG ebenfalls nicht gewährt wird. Dies sei nur möglich, wenn Bedarfe bestünden, die im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts
oder der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen
Mitwirkungspflicht erforderlich seien. Derlei sei nicht konkret dargestellt worden.
Gegen den Überprüfungsbescheid vom 09.02.2015 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 10.03.2015 Widerspruch ein
und wiederholte die im Antrag formulierte Begründung. Gegen den weiteren Bescheid vom 09.02.2015 betreffend die Leistungen
ab dem 14.01.2015 wurde ebenfalls Widerspruch eingelegt, das Widerspruchsverfahren wurde ruhend gestellt. Der Widerspruch
wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 02.09.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Eine Pauschalierung
des durch Alleinerziehung bedingten Mehrbedarfs nach §
6 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG sei ausgeschlossen. Eine Pauschalierung des Mehrbedarfs sei auch nicht verfassungsrechtlich geboten.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 17.09.2015 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 09.02.2015 und des Widerspruchsbescheides
vom 02.09.2015 zu verpflichten, der Klägerin ab 25.07.2014 Leistungen nach dem
AsylbLG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII zu gewähren.
Das Ermessen nach §
6 AsylbLG sei auf Null reduziert, den Alleinerziehenden-Zuschlag zu gewähren. Eine andere verfassungskonforme Auslegung sei nicht denkbar,
da eine Alleinerziehende, die lediglich Grundleistungen nach §
3 AsylbLG beziehe, den gleichen Einschränkungen unterliege wie Alleinerziehende, die sog. Analogleistungen nach §
2 AsylbLG oder Leistungen nach dem SGB II oder XII erhielten. Für diese bestünde jedoch unstreitig ein Anspruch auf Mehrbedarf. Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund
für die Ungleichbehandlung liege nicht vor. Auch stelle der Mehrbedarf nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage (BT-DRS. 18/1628) einen Ausgleich dafür dar, dass die Regelbedarfe für Kinder nach dem SGB II und SGB XII aus den Verbrauchsangaben von Familienhaushalten ermittelt würden, die Kosten für die Haushaltsführung jedoch größtenteils
bei der Regelbedarfsstufe 1 berücksichtigt würde.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ein Anspruch auf pauschalierte Mehrbedarfsleistungen analog § 30 Abs. 3 SGB XII bestehe nicht.
Ein unerlässlicher Bedarf, der im Einzelfall entstanden sei und nach § 6 Abs. 1 SGB XII gedeckt werden könne, sei nicht konkret dargelegt worden.
Die Klage ist mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2015 als unbegründet abgewiesen worden. Ein Anspruch auf pauschalierte Mehrbedarfsleistungen
für Alleinerziehende könne nicht aus einer analogen Anwendung von § 30 Abs. 3 SGB XII hergeleitet werden. Die richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie dürfe nur Platz greifen, wenn das Gericht aufgrund
einer Betrachtung des einfachen Gesetzestextes eine Regelungslücke festgestellt habe und der nicht geregelte Sachverhalt mit
dem geregelten vergleichbar sei. Dagegen sei es den Gerichten in Fällen eindeutig normativer Entscheidungen verwehrt, diese
aufgrund eigener rechtspolitischer Überlegungen durch eine judikative Lösung zu ersetzen. Eine im Wege der Analogie zu schließende
Gesetzeslücke liege nur vor, wenn der Anwendungsbereich der Norm wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck nicht vereinbaren
Regelungsversäumnisses unvollständig sei und sich aufgrund einer Gesamtwürdigung feststellen lasse, dass der Gesetzgeber die
von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (BVerfG,
Nichtannahmebeschluss vom 28.07.2010, 1 BvR 2133/08, BVerwG, Urteil vom 25.04.2013, 6 C 5.12, BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 8 SO 1/13 R). Eine im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke liege nicht vor. Der Gesetzgeber
habe im
AsylbLG bewusst von einer entsprechenden Mehrbedarfsregelung Abstand gehalten. Er habe mit §
6 AsylbLG lediglich eine leistungsrechtliche Auffangvorschrift geschaffen, mit der zusätzlicher Mehrbedarf aufgrund der besonderen
Umstände des Einzelfalles anerkannt werden könne. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte daneben ein ergänzender Rückgriff
auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht in Betracht kommen. Auch §
6 AsylbLG sei keine Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin. Die Vorschrift sei als restriktiv auszulegende Ausnahmebestimmung
für außergewöhnliche und atypische Bedarfsfälle konzipiert und daher von vornherein nicht geeignet, strukturelle Leistungsdefizite
im Regelbereich des §
3 AsylbLG zu kompensieren. Daher lasse sich ein Anspruch auf einen pauschalen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung nicht auf §
6 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG gründen. Ein solcher wäre dem
AsylbLG auch systemfremd, da Grundgedanke die konkret-individuelle Bedarfsdeckung durch Sachleistungen sei. Auch Leistungen nach
§
6 AsylbLG seien nach §
6 Abs.
1 S. 2
AsylbLG vorrangig als Sachleistungen zu gewähren. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände könnten Leistungen als Geldleistung gewährt
werden. Ein konkreter auf den Umstand der Alleinerziehung zurückzuführender unerlässlicher Mehrbedarf sei nicht nachgewiesen
worden. Ein Verstoß gegen das
Grundgesetz sei nicht zu erkennen. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012
(1 BvL 10/10). Das Gericht habe sich dort nicht zur Frage der Auslegung des §
6 AsylbLG verhalten. Soweit die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT-Drs. 18/1628) mitteile, dass die im Rahmen
des Bundessozialhilfegesetzes im Jahr 1985 verankerten Vorschriften und Begründungen zur Einführung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für die heutige
Regelbedarfssystematik ohne Bedeutung sei, rechtfertige dies keine abweichende Bewertung. Denn es sei für die Frage eines
pauschalierten Leistungsanspruches nach § 6 AsylblG oder einer konkret-individuellen Betrachtungsweise ohne Belang, welche
Gründe der Gesetzgeber für die Zuerkennung eines pauschalierten Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung in anderen Existenzsicherungssystemen
gibt.
Gegen den am 28.10.2015 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 25.11.2015 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und
zur Begründung die Ausführungen der ersten Instanz wiederholt.
In der mündlichen Verhandlung am 18.07.2017 begründet der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weiter, dass der Mehrbedarf
primär zur Sicherung des physischen Existenzminimums gewährt werde. Ein solcher sei seiner Natur nach nicht konkret bezifferbar.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 21.10.2015 und des Bescheides des Beklagten vom 09.02.2015 sowie
des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015 zu verpflichten, der Klägerin für den Zeitraum 25.07.2014 bis13.01.2015 Leistungen
nach dem
AsylbLG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in Höhe von 140,76 Euro monatlich bzw. 143,64 Euro monatlich
ab 01.01.2015 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte
des Beklagten und die Widerspruchsakte der Regierung von Niederbayern verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht gemäß §
151 SGG am 25.11.2015 gegen den am 28.10.2015 zugestellten Gerichtsbescheid erhoben. Sie ist auch gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750.-Euro übersteigt. Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen
nach dem
AsylbLG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII für den Zeitraum 25.07.2014 bis 13.01.2015 in Höhe von monatlich 140,76 Euro im Jahr 2014 sowie 143,64 Euro im Jahr 2015.
Insgesamt begehrt die Klägerin damit weitere Leistungen i. H. v. 798,88 Euro (140,76 Euro x 5 plus 7/30 von 140,76 Euro plus
13/30 von 143,64 Euro).
B.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. I.
Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 09.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Niederbayern
vom 02.09.2015, mit dem der Beklagte aufgrund des Überprüfungsantrages gemäß § 44 SGB X die rückwirkende Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter Aufhebung/Änderung der bestandskräftigen Leistungsbescheide
abgelehnt hat. Streitgegenständlicher Zeitraum ist entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Zeitraum
vom 25.07.2014 bis 13.01.2015.
II.
1. Der Antrag der Klägerin war gem. §
123 SGG dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Aufhebung des Überprüfungsbescheides sowie die Verpflichtung des Beklagten
zur Aufhebung der zur Überprüfung gestellten Leistungsbescheide und Neuverbescheidung mit Gewährung eines Mehrbedarfs für
Alleinerziehende im streitigen Zeitraum begehrt. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
gemäß §
54 Abs.
1 SGG. Das Gericht hat auf Anfechtungsklage über die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs auf Rücknahme des Verwaltungsaktes
zu entscheiden, mit der damit verbundenen Verpflichtungsklage wird die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des früheren
Verwaltungsaktes und der Erlass des beantragten Verwaltungsaktes verfolgt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
SGG, 12. Aufl., §
54 Rn. 20 c). Da die Klägerin von einer Ermessensreduzierung auf Null bzgl. des Leistungsanspruches aus §
6 AsylbLG ausgeht, wäre im Falle des Obsiegens die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes nach §
131 Abs.
2 Satz 1
SGG auszusprechen gewesen (Keller a. a. O., Rn. 29).
2. Die Klägerin hat jedoch bereits keinen Anspruch auf Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 09.02.2015 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015. Anspruchsgrundlage für das Überprüfungsbegehren stellt §
9 Abs.
4 S. 1 Nr.
1 und S. 2
AsylbLG, § 44 Abs. 1.S. 1 SGB X dar. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen,
soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen worden ist.
a. Der Beklagte hat hier zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Sachprüfung angenommen und eine solche durchgeführt.
Der Antrag auf Überprüfung wurde am 14.01.2015 für die Zeit ab 25.07.2014 gestellt, so dass die Einjahresfrist des §
9 Abs.
4 S. 2 Nr.
2 AsylbLG i. V. m. § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X für die rückwirkende Erbringung von Leistungen gegeben gewesen wäre. Da eine konkrete rechtliche Fragestellung (Anspruch
auf Mehrbedarf) benannt wird, stellt dies den erforderlichen Antrag auf Einzelfallüberprüfung dar, (BSG, Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R). Denn für ein Prüfanliegen nach § 44 SGB X ist es erforderlich, dass eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung
benannt wird, die überprüft werden soll. Hier werden konkrete, zur Überprüfung gestellte Bescheide nicht benannt (die zugrundeliegenden
Leistungsbescheide für den streitigen Zeitraum 25.07.2014 bis 13.01.2015 datieren auf den 09.09.2014, der den Bescheid vom
22.07.2014 ersetzt, 03.12.2014 und 09.11.2015), der Antrag geht auf Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide und Gewährung
eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 3 SGB XII, somit eine konkrete Rechtsfrage. Diese bestimmt den Umfang des Überprüfungsauftrags und der Überprüfungspflicht durch die
Behörde, so dass der Beklagte die (nicht konkret bezeichneten) zugrundeliegenden Bescheide aufgrund des klaren Überprüfungsantrags
nur auf einen möglichen Anspruch auf Mehrbedarf entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII zu überprüfen hatte.
b. Der Beklagte hat im Rahmen der Überprüfung zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII und damit die Rücknahme der bestandskräftigen Leistungsbescheide insoweit abgelehnt. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch
auf Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in entsprechender Anwendung von § 30 Abs. 3 SGB XII.
Der Senat sieht von einer Wiederholung der Gründe des Gerichtsbescheides vom 21.10.2015 ab und macht sich diese nach eigener
rechtlicher Überprüfung gem. §
153 Abs.
2 SGG zu eigen. Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
aa. Eine analoge Anwendung von § 30 Abs. 3 SGB XII im Rahmen einer Leistungsgewährung in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland nach §
3 AsylbLG scheidet auch aus folgenden Gründen aus: §
9 Abs.
1 AsylbLG schließt Leistungen nach dem SGB XII für Asylbewerber explizit aus. Die analoge Anwendung der Vorschriften über den pauschalierten Mehrbedarf für Alleinerziehende
war weder in der bis 28.02.2015, noch in den ab 01.03.2015 oder ab 24.10.2015 geltenden Fassungen des
AsylbLG im Rahmen der Leistungsgewährung nach §
3 AsylbLG vorgesehen. Nachdem in den weiteren Gesetzgebungsverfahren des
AsylbLG (Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 16.03.2016, Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 29.07.2016
und Integrationsgesetz vom 05.08.2016) auf die Einführung der im Leistungssystem des SGB II und SGB XII gewährten Mehrbedarfe bewusst verzichtet wurde, liegt eine klare gesetzgeberische Entscheidung hierzu vor. Zutreffend hat
das SG deshalb ausgeführt, dass keine gesetzgeberische Regelungslücke vorliegt, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Der Gesetzgeber
hat in §
6 AsylbLG eine leistungsrechtliche Auffangvorschrift geschaffen, mit der zusätzliche Bedarfe auf Grund der besonderen Umstände des
Einzelfalles zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit anerkannt und primär mit Sachleistungen gedeckt werden
können. Danach kann auch ein konkret geltend gemachter und nachgewiesener Mehrbedarf gewährt werden. Den ergänzenden Rückgriff
auf pauschale Leistungen nach dem SGB XII hat der Gesetzgeber unmissverständlich für die Dauer des Bezugs von Leistungen nach §
3 AsylbLG ausgeschlossen.
Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf den geltend gemachten pauschalen Mehrbedarf bei Alleinerziehung hat, beantwortet
sich damit eindeutig aus §§
6,
9 AsylbLG. Weiterhin steht einem Anspruch auf die Gewährung einer pauschalen Geldleistung zur Deckung eines Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung
entgegen, dass ein solcher dem
AsylbLG im Rahmen der Leistungsgewährung nach §
3 AsylbLG systemfremd ist, da nach diesem Gesetz eine konkret individuelle Bedarfsdeckung durch (vorrangige) Sachleistungen erfolgt.
Zutreffend hat das SG insoweit auf die Entscheidung des BSG vom 20.12.2012, B 7 AY 1/11 R verwiesen, in dem zu den Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise im
AsylbLG Geldleistung anstelle der vorrangig zu erbringenden Sachleistungen zu erbringen sind, Stellung genommen wird. Sogar die früher
im Schrifttum vertretene einzelne Rechtsauffassung, wonach bei dem vergleichbaren Bedarf werdender Müttern nach der 12. Schwangerschaftswoche
in Anlehnung an § 30 Abs. 2 SGB XII ein Mehrbedarf gleichsam typisierend zu unterstellen sei, wird nicht mehr vertreten (vgl. Ferichs in Schlegel/Voelzke, [...]PK-
SGB XII, Stand 22.05.2017, §
6 AsylbLG, Rn. 53.1).
bb. Zutreffend hat das SG auch ausgeführt, dass die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, wegen des Alleinerziehenden-Mehrbedarfes im SGB II und SGB XII pauschale Geldleistungen zu gewähren und andererseits im
AsylbLG eine konkret individuelle Bedarfsdeckung vorzusehen, unter Grundrechtsgesichtspunkten nicht zu beanstanden sei. Der Senat
schließt sich den Ausführungen des SG an. Berücksichtigt werden muss zudem, dass auch das
AsylbLG zwei Leistungsformen vorsieht, abhängig von der Dauer des Aufenthalts. So werden Grundleistungen nach §
3 AsylbLG, die primär als Sachleistungen konkret-individuell gewährt werden, in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland
gewährt, ab dem 16. Monat besteht gem. §
2 AsylbLG ein Anspruch auf die pauschale Gewährung von Geldleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII, auch bzgl. der Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII, jedenfalls bei dezentraler Unterbringung. Auch diese Differenzierung ist nach Überzeugung des Senats verfassungskonform.
Dies gilt auch im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10. Dort hat das BVerfG ausgeführt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Menschenrecht
sei, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen
zustehe (Rn. 62 f.). Weiter stellt das BVerfG klar, dass der Umfang des Leistungsanspruchs auf Existenzsicherung nicht unmittelbar
aus der Verfassung abgeleitet werden könne. Auch wurde der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Deckung des
menschenwürdigen Existenzminimums bestätigt. So bleibe es dem Gesetzgeber unter anderem überlassen, ob er das Existenzminimum
durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichere. Weiterhin wird betont, dass der Gestaltungsspielraum enger sei, soweit der
Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere und weiter, wo es um Art und
Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe.
Der Mehrbedarf für Alleinerziehende ist nicht - wie die Klägerin hat vortragen lassen - primär zur Sicherung der physischen
Existenz erforderlich, sondern soll vielmehr einen pauschal angenommenen Mehrbedarf für soziale Belange (Kontaktpflege, Unterstützung
in Erziehungsangelegenheiten) sowie eine geringere Möglichkeit des kostenbewussten Einkaufs kompensieren (BT-Drs. 10/3079,
S. 5). Der Gesetzgeber ist hier tendenziell freier in der Ausgestaltung. Es ist grundrechtlich nicht zu beanstanden, wenn
der Gesetzgeber für den ersten Zeitraum des Aufenthalts in Deutschland eine Bedarfsdeckung durch einzelfallbezogene Sachleistungen,
entsprechend der Leistungssystematik einer konkreten Bedarfsdeckung im
AsylbLG, nach §
6 AsylbLG vorsieht und erst im Rahmen der Gewährung sog. Analogleistungen nach §
2 AsylbLG pauschale Leistungen zur Deckung des Mehrbedarfs gewährt. Durch die Herabsetzung der Aufenthaltsdauer von 48 auf 15 Monate
für einen Anspruch auf sog. Analogleistungen nach §
2 AsylbLG durch das Gesetz zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes und des
Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014 zum 01.03.2015 hat der Gesetzgeber die Zeitdauer für die Inanspruchnahme von reduzierten Leistungen
nach §
3 AsylbLG deutlich reduziert. Die Klägerin erhält entsprechend dieser neuen Gesetzeslage seit 03.10.2015 Leistungen nach §
2 AsylbLG mit dem pauschalierten Mehrbedarf für Alleinerziehende.
Der reduzierte Leistungsumfang nach §
3 AsylbLG ist einer abweichenden Bedarfslage mindestens in den ersten 15 Monaten geschuldet. Denn in dieser Zeit ist eine Perspektive
auf einen Daueraufenthalt in Deutschland noch nicht gegeben, vielmehr ist von einem vorläufigen Aufenthalt auszugehen, da
ein Asylverfahren mit ggf. anschließendem Gerichtsverfahren in etwa 15 Monate dauert (Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung
des
Asylbewerberleistungsgesetzes und des
Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014, BT-Drs. 18/2592). Es ist grundrechtlich nicht zu beanstanden, für diese Zeitdauer eine abweichende
Bedarfssituation anzunehmen, gerade auch für den Mehrbedarf für Alleinerziehende, da eine erhöhte Bedarfslage der durch den
Mehrbedarf auszugleichenden Bedarfe (Beratung, Unterstützung in Erziehungsangelegenheiten, Betreuungsleistungen bzw. aufgrund
geringerer Möglichkeiten eines preisbewussten Einkaufs) aufgrund der primären Gewährung von Sachleistungen, Unterbringung
in Aufnahmeeinrichtungen (§§ 44, 47 AsylG) bzw. Gemeinschaftsunterkünften (§ 53 AsylG) und der ungewissen Bleibeperspektive in dieser Zeit nicht pauschal angenommen werden kann.
Ein dennoch bestehender Bedarf der alleinerziehenden Leistungsempfänger nach dem
AsylbLG kann in diesem Zeitraum über §
6 AsylbLG konkret-individuell mittels Sachleistungen gedeckt werden. Der Senat teilt die Ansicht der Klägerin nicht, dass ein solcher
Bedarf nicht bezifferbar und eine konkrete Darlegung nicht möglich ist. So könnte z. B. ein konkreter Betreuungsbedarf für
einen auswärtigen Termin der Mutter (im Rahmen des Asylverfahrens etc.) rechtzeitig vorab geltend gemacht werden.
Das Bestehen eines solchen Mehrbedarfs der Klägerin wurde jedoch nur pauschal behauptet.
cc. Auch ein Verstoß gegen EU-Recht liegt nicht vor. Insbesondere gebietet Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU vom 26.06.2013
zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen nicht, dass Mehrbedarfsleistungen
entsprechend dem SGB XII gewährt werden. Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie besagt, dass die Mitgliedstaaten in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie die
spezielle Situation von besonders schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten,
älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren
körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere
Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, berücksichtigen. Im Folgenden werden in der Richtlinie
in den Art. 23 bis 25 spezielle Vorgaben für Minderjährige, unbegleitete Minderjährige und Opfer von Folter und Gewalt gemacht.
Für Alleinerziehende verbleibt es bei der allgemeinen Regelung in Art. 21 der Richtlinie. Diesen europarechtlichen Vorgaben wird durch §
6 AsylbLG, der im Einzelfall die Gewährung sonstiger Leistungen im Ermessenswege vorsieht, entsprochen. Art. 21 ff. der Richtlinie sieht gerade keine pauschale Mehrbedarfsgewährung vor.
Im Ergebnis hat das SG zutreffend die Klage abgewiesen, da der Überprüfungsbescheid vom 09.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015
rechtmäßig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch Rücknahme der bisherigen Bewilligungsbescheide und auf die Gewährung eines
Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 3 SGB XII in streitigen Zeitraum. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.