Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII; Sachermittlung und Beweiswürdigung im sozialgerichtlichen Verfahren bei ernährungsbedingtem Mehrbedarf
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger ein ernährungsbedingter Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII zusteht.
Der im Jahre 1946 geborene, ledige und allein lebende Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger iranischer Abstammung, erhält
seit dem 01.04.2010, ergänzend zu einer Rente, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von der Beklagten.
Bis zum 31.03.2011 berücksichtigte die Beklagte einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 77,-
Euro im Hinblick auf eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz.
Am 03.06.2010 unterzog sich der Kläger einer Nierentransplantation im Iran.
Mit Bescheid vom 09.03.2011 setzte die Beklagte die dem Kläger für die Zeit vom 01.04.2011 bis 31.03.2012 zustehenden Leistungen
fest; dabei berücksichtigte sie keinen Mehrbedarf mehr.
Gestützt auf ein ärztliches Kurzgutachten ihres Referats für Gesundheit und Umwelt (Dr. B. ) vom 11.04.2011 lehnte die Beklagte
mit Bescheid vom 10.05.2011, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 25.05.2011, die Gewährung
eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab.
Gegen diese Entscheidung richtete sich die am 03.06.2011 beim Sozialgericht München (SG) eingegangene Klage. Der Kläger hat ausgeführt, er sei heute in sehr viel stärkerem Maße auf eine gesunde Kost angewiesen,
als vor seiner Operation. Um seine Gesundheit zu erhalten, sei eine "Bio-Diät" erforderlich. Das SG hat Befundberichte eingeholt, insbesondere auch einen solchen von Dr. C., dem behandelnden Nephrologen des Klägers. Die Beklagte
ist der Klage entgegengetreten und hat eine weitere Stellungnahme ihres Referats für Gesundheit und Umwelt (Dr. B. ) vom 08.02.2012
vorgelegt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. Juli 2012 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig.
Dem stehe insbesondere nicht entgegen, dass der Mehrbedarf, über den die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden entschieden
habe, streng genommen keinen isolierten Anspruch darstelle, sondern lediglich ein Anspruchselement, bezogen auf die dem Kläger
gewährte Grundsicherung. Bestehe jedoch, wie hier, ein laufender Anspruch auf Grundsicherung, so könne man zugunsten des Klägers
von der Zulässigkeit einer Entscheidung über die Gewährung eindeutig abgrenzbarer weitergehender Leistungen in Form eines
"Mehrbedarfszuschlags" (und einer entsprechenden Klage) ausgehen.
Die Klage sei jedoch nicht begründet. Der Kläger benötige in dem hier streitigen Zeitraum (ab 01.04.2011) keine besondere
Kostform. Ausreichend sei vielmehr eine ausgewogene Mischkost ("Vollkost"), welche einer gesunden Normalkost entspreche; diese
könne, bei preisbewusster Einkaufsweise, aus dem Regelsatz eines Alleinstehenden finanziert werden (siehe die Empfehlungen
des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl. 2008, S. 19). Die entsprechende, schlüssige
und überzeugende Einschätzung von Dr. med. B. aus ihren gutachtlichen Stellungnahmen vom 11.04.2011 und vom 08.02.2012 werde
durch die Ergebnisse der gerichtlichen Ermittlungen bestätigt. Danach benötige der Kläger eine "cholesterin- und purinarme
Kost" (Entlassungsbericht vom 10.11.2010); erforderlich seien weiter eine "dünndarmresorbierbare, keimfreie Kost", sowie eine
"fettarme, salzreduzierte" Ernährung (Dr. med. C.). Dies bedinge jedoch nicht die Einhaltung einer speziellen Kostform. Vielmehr
sei für die Vermeidung einer übermäßigen Zufuhr von tierischem Fett, Salz und Zucker die genannte Vollkost ideal (vgl. die
o. g. Empfehlungen, Seite 16). Die ärztlich empfohlene keimarme Ernährung beinhalte vor allem den Verzicht auf ungewaschenes
Obst und Gemüse, Rohmilchprodukte und nicht durchgegartes Fleisch (siehe die Stellungnahme von Dr. med. B. vom 08.02.2012).
Auch der Kläger selbst habe in der mündlichen Verhandlung am 24.07.2012 nicht überzeugend darzulegen vermocht, welche besondere
Kostform er aus seiner Sicht benötige. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus medizinischen Gründen zwingend auf "Bio-Produkte"
angewiesen sei, wie er in seinem Widerspruchsschreiben geäußert habe, ergäben sich weder aus den Stellungnahmen seiner behandelnden
Ärzte, noch seien sie sonst ersichtlich. Das Gericht habe somit auf weitere Ermittlungen verzichten können.
Mit einem am 20.08.2012 beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Schreiben hat der Kläger Berufung eingelegt.
Das Gericht hat Befundberichte von Dr. C., dem behandelnden Nephrologen des Klägers, und einer urologischen Praxis, bei der
der Kläger bis 2011 in Behandlung war, eingeholt.
Der Senat hat ferner ein internistisch-cardiologisches Gutachten von Dr. D. (Internistin, Ernährungsmedizin) eingeholt. Am
23.06.2015 und 23.07.2015 hat die Sachverständige ergänzende Stellungnahmen vorgelegt. Die Sachverständige bestätigt in ihrem
schriftlichen Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens. Der Kläger habe 2010
eine Spenderniere rechts erhalten. Die linke Niere sei 2014 wegen eines Nierenzellkarzinoms entfernt worden. Außerdem beständen
eine Hyperurikämieneigung, eine Fettstoffwechselstörung, wohl essentieller Bluthochdruck sowie eine generalisierte Gefäßsklerose.
Der Kläger hat ausgeführt, er leide an Laktose-, Fruktose-, Histamin- und Gluten-Intoleranz, die seit 2010 durch die Einnahme
von Immunsuppressiva zu verstärktem Durchfall geführt habe. Außerdem sei ein Synergieeffekt zu berücksichtigen. Er leide an
mehreren Erkrankungen, die zwar nicht einzeln, wohl aber in ihrem Zusammenwirken einen Mehrbedarf begründeten.
Der Kläger hat im Erörterungstermin am 10.07.2014 beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2011 sowie
unter entsprechender Änderung des Bewilligungsbescheides vom 09.03.2011 und der nachfolgenden Änderungsbescheide und unter
Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 24.07.2012 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum 01.04.2011 bis 31.03.2012
einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von monatlich 77 EUR zu gewähren.
Mit Schriftsatz vom 21.07.2014 hat der Kläger mitgeteilt, er begehre
die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, den ernährungsbedingten Mehrbedarf fortwährend ab 01.04.2011 zu gewähren.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 30.07.2014 auf Anfrage des Gerichts erklärt, dass einer Klageänderung nicht zugestimmt
werde.
Mit Schriftsatz vom 30.07.2015 hat der Kläger hilfsweise die Einholung eines nephrologischen Gutachtens beantragt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat durfte nach §
124 Abs.
2 SGG ohne weitere mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu im Anschluss an den Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat am 27.07.2015 ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft. Der Kläger begehrt laufende Leistungen für mehr
als ein Jahr, so dass der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht entscheidungserheblich ist (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt (§
151 Abs.
1 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Streitgegenstand wurde zulässigerweise von dem Kläger inhaltlich mit seinem Antrag (§
123 SGG) auf die Frage begrenzt, ob ihm ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zusteht (zur Abtrennbarkeit eines Anspruchs
auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs BSG, Urteil vom 10.11.2011, B 8 SO 12/10 R, Rn. 11 m.w.N.). Der Kläger macht die begehrten zusätzlichen Leistungen zutreffend
mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend (§
54 Abs.
1 und Abs.
4 SGG). Eine Feststellungsklage wäre auf Grund ihrer Subsidiarität gegenüber der Anfechtungs- und Leistungsklage (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
55 Rn. 19a) unzulässig. Der Senat legt die Klage daher im Sinne des Klägers insgesamt als Anfechtungs- und Leistungsklage aus.
Die Klage ist zulässig, soweit sie den Bewilligungszeitraum 01.04.2011 bis 31.03.2012 betrifft. Die Beklagte hat mit Bewilligungsbescheid
vom 09.03.2011, geändert durch Bescheide vom 04.05.2011 und vom 14.06.2011, über die Höhe der Leistungen in diesem Bewilligungszeitraum
entschieden. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2011 hat es die Beklagte abgelehnt, die Bewilligung für den
laufenden Bewilligungszeitraum auf der Grundlage von § 44 SGB X bzw. § 48 SGB X dahingehend abzuändern, dass zusätzlich ein ernährungsbedingter Mehrbedarf berücksichtigt wird. Anhaltspunkte dafür, dass
der angefochtene Bescheid vom 10.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2011 dauerhafte Geltung über
den genannten Bewilligungszeitraum hinaus beansprucht, liegen nicht vor. Der Senat hält damit an seiner ständigen Rechtsprechung
fest (etwa Urteil vom 20.08.2014, L 8 SO 47/14, Rn. 16). Ein Ausnahmefall, wie ihn der Senat in seinem Urteil vom 29.08.2013
(L 8 SO 157/10, Rn. 25) angenommen hat, liegt nicht vor, weil der ablehnende Bescheid vom 10.05.2011 nicht gleichzeitig mit
einem Bewilligungsbescheid ergangen ist.
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 21.07.2014 - abweichend von seinem Antrag aus dem Erörterungstermin vom 10.07.2014 -
einen Antrag gestellt hat, der auch Bewilligungszeiträume ab dem 01.04.2012 betrifft, ist die Klage unzulässig. Weder wurden
weitere Bescheide über §
96 SGG in das Klageverfahren einbezogen noch hat sich der Kläger hinreichend deutlich gegen bestimmte Widerspruchsbescheide innerhalb
der jeweiligen Frist gewendet. Auf eine Klageänderung hat sich die Beklagte nicht rügelos eingelassen oder sonst eingewilligt;
der Senat hält eine solche auch nicht für sachdienlich (§
99 Abs.
1 SGG). Soweit ein form- und fristgerecht eingelegter Widerspruch fehlt, sind die Bescheide bestandskräftig, so dass die geänderte
Klage unzulässig wäre. Soweit ein Widerspruchsbescheid noch nicht erlassen wurde, müsste das Verfahren zunächst ausgesetzt
werden (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
78 Rn. 3a). Dies würde zu einer Verfahrensverzögerung führen, die der Senat nicht für angezeigt hält. Darin liegt kein Ermessensfehler
(Leitherer, a.a.O., Rn. 10a am Ende; BSG, Urteil vom 08.05.2007, B 2 U 14/06 R, Rn. 15). Ein solcher ergibt sich auch nicht daraus, dass das Widerspruchsverfahren nach dem Urteil des BSG vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 18 f. wohl entbehrlich ist, wenn die Widerspruchsbehörde sich - wie hier - zu der streitigen Rechtsfrage bereits eine
Meinung gebildet und diese auch geäußert hat. Durch die Behandlung der Klageänderung als unzulässig wird der Rechtsschutz
des Klägers nicht verkürzt. Gegen einen etwaigen Widerspruchsbescheid konnte bzw. kann der Kläger erneut klagen.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen für den Zeitraum
01.04.2011 bis 31.03.2012.
Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 30 Abs. 5 SGB XII. Dieser sieht vor, dass für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte
Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt wird.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die für den Kläger unter medizinischen Aspekten gebotene Ernährungsweise war im
streitgegenständlichen Zeitraum nicht mit Mehrkosten verbunden. Der Senat stützt sich dabei auf das ausführliche und schlüssige
Sachverständigengutachten von Dr. D., A-Stadt, vom 29.04.2015, und ihre ergänzenden Stellungnahmen vom 23.06.2015 und vom
23.07.2015. Das Gutachten beruht auf einer persönlichen Untersuchung des Klägers und der Auswertung umfangreicher Gesundheitsdaten
- die teilweise bereits das SG beigezogen hat - und Stellungnahmen anderer behandelnder Ärzte wie insbesondere Dr. C., des behandelnden Nephrologen, auf
den sich der Kläger beruft. Die gerichtliche Sachverständige ist als Ernährungsmedizinerin in besonderem Maße für die Begutachtung
von Fragen im Zusammenhang mit Ernährungserfordernissen qualifiziert. Der Senat stützt sich also nicht nur auf die Empfehlungen
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (aktuell
in der 4. Auflage vom 10.12.2014). Diese sind nämlich keine normähnlich anwendbaren, antizipierten Sachverständigengutachten
(BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 138/10 R). Der Senat hat seine Überzeugung vielmehr auf Grund einer den Einzelfall betreffenden Beweiserhebung gewonnen.
Beim Kläger bestehen folgende Gesundheitsstörungen: 2010 Nierentransplantation rechts, Entfernung der linken Niere 2014 wegen
eines Nierenzellkarzinoms [nicht entscheidungserheblich, weil erst nach Ende des streitgegenständlichen Zeitraums], Hyperurikämieneigung,
Fettstoffwechselstörung, essentieller Bluthochdruck, generalisierte Gefäßsklerose, Prostatakarzinom mit möglichem Rezidiv
u.a ... Hiervon ist der Senat auf Grund der von der gerichtlichen Sachverständigen gestellten Diagnosen überzeugt.
Die genannten Gesundheitsstörungen bedürfen keiner besonderen Ernährung (Krankenkost). Ihnen wird mit der Einhaltung der für
die Deutsche Gesellschaft für Ernährung generell empfohlenen gesunden Vollkost adäquat Rechnung getragen. Diese berücksichtigt
bereits die Erkenntnisse zur Prävention und Therapie von arterieller Hypertonie und Fettstoffwechselstörungen. Hiervon ist
der Senat auf Grund der überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen der Sachverständigen überzeugt.
Ein Krankheitsbild, für das der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (a.a.O.) die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs
empfiehlt, lag im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor. Dies gilt insbesondere für die Krankheitsbilder "Niereninsuffizienz,
die mit einer eiweißdefinierten Kost behandelt wird" und "Niereninsuffizienz mit Dialysediät". Der Senat hat seine Überzeugung
insofern auf Grundlage der ergänzenden Stellungnahme der gerichtlichen Sachverständigen vom 23.06.2015 gebildet. Hier hat
die Sachverständige festgestellt, worin sich das Leiden des Klägers von den o. g. Krankheitsbildern unterscheidet. Eine chronifizierte
Niereninsuffizienz im Sinne der Ernährungsmedizin mit angezeigter eiweißdefinierter Kost ist demnach definiert als Vorliegen
eines über/ gleich 3 Monate anhaltenden strukturellen Nierenschadens, der mit Veränderungen der Blut- und Urinmarker einhergehen
muss, oder einer glomerulären Filtrationsrate von unter 60 ml/ min/1,73 m2 Körperoberfläche. In solchen Fällen sollte die Eiweißaufnahme 0,6 g/kg Körpergewicht nicht überschreiten. Eine andere Situation
besteht bei Dialysepflichtigkeit. Hierbei kommt es hämodialysebedingt zu nicht unerheblichen Aminosäuren- und Proteinverlusten
sowie auch zum Verlust von Glukose und wasserlöslichen Vitaminen. Häufig besteht auch eine Mangelernährung, sei es durch Inappetenz,
inadäquate Ernährungsberatung, Begleiterkrankungen oder interkurrente Erkrankungen. Bei einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz
ist eine eiweißreiche Ernährung mit 1,5-(2-2,5) g Eiweiß pro kg Körpergewicht und Tag erforderlich. Nach einer Nierentransplantation
ändert sich die Situation erneut. Hier wird wieder eine gesunde eiweißnormalisierte Vollkost empfohlen. Es gilt nach einer
Nierentransplantation, vor allem auch die durch die Immunsuppression häufig noch geförderten Komorbiditäten wie Bluthochdruck
sowie Zucker-, Fett- und Harnsäurestoffwechselstörungen zu beachten. Wichtig sind insbesondere eine Nikotinabstinenz und ein
Normalgewicht. Hierdurch entstehen aber keine ernährungsbedingten Mehrkosten. Den Ausführungen der Sachverständigen folgend
stellt der Senat fest, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum 01.04.2011 bis 31.03.2012 nicht an Niereninsuffizienz,
die mit einer eiweißdefinierten Koste behandelt wurde, oder an Niereninsuffizienz mit Dialysediät gelitten hat.
Die vom Kläger, der selbst nicht Arzt ist, vorgebrachten Bedenken sind nicht geeignet, die Überzeugung des Senats zu erschüttern.
Er setzt sich nicht mit der Frage auseinander, wodurch sich die nach seiner Auffassung erforderliche Kost von gesunder Vollkost
unterscheiden soll und für welche Lebensmittel in welcher Höhe konkret Mehrkosten anfallen sollen. Letztlich hat der Senat
vom Vorliegen eines Mehrbedarfs keine Überzeugung im notwendigen Ausmaß des Vollbeweises, also einer an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 08.07.2015 geltend gemacht, er leide an Lactose-, Fructose-, Histamin- und Glutenintoleranz,
die im Zusammenwirken mit Immunsuppressiva zu verstärktem Durchfall geführt hätten. Ob derartige Beschwerden in leichterer
Form vorliegen, kann offen bleiben, denn jedenfalls sind sie im Fall des Klägers nicht so schwerwiegend, dass sie einen ernährungsbedingten
Mehrbedarf begründen könnten. Der Senat stützt sich auch insoweit auf die Ausführungen der medizinischen Sachverständigen.
Diese hat mit ihren sachverständigen medizinischen Fähigkeiten festgestellt (S. 13 des Gutachtens vom 29.04.2015 sowie in
der ergänzenden Stellungnahme vom 23.07.2015), dass der Kläger insoweit keine wesentlichen Beeinträchtigungen hat. So hat
er über eine generelle Durchfallneigung nicht berichtet. Er hat auch nicht berichtet, dass er generell auf laktose- oder glutenfreie
Nahrungsmittel angewiesen sei. Der Kläger befand sich in einem guten Allgemein- und mit einem Gewicht von 86 kg und einer
Größe von 1,71 m in einem eher reichlichen Ernährungszustand. Der Elektrolythaushalt ist ausgeglichen. Der Kläger hat gegenüber
der Sachverständigen erwähnt, er leide an Durchfällen, wenn er Milch trinke oder mehr Konservierungsstoffe zu sich nehme.
Er hat jedoch nicht über Beschwerden bei Joghurt-, Käse- oder Butterkonsum berichtet. Durchfall nach Milchkonsum weist auf
eine Unverträglichkeit einer größeren Menge Laktose hin. Aus einer Laktoseunverträglichkeit lassen sich aber relevante Mehrkosten
nur ableiten, wenn diese extrem ausgeprägt ist, so dass grundsätzlich alle Nahrungsmittel mit auch nur geringem Laktosegehalt
vermieden werden müssen. Hierfür fehlt es im Fall des Klägers nach dem zitierten, von der gerichtlichen Sachverständigen erhobenen
Befund an hinreichenden Anhaltspunkten. Fructoseintoleranz bedarf nach den medizinischen Feststellungen der gerichtlichen
Sachverständigen - ebenso wie Laktoseintoleranz - einer Ernährungsberatung hinsichtlich der Auswahl der Lebensmittel, von
einem ernährungsbedingten Mehrbedarf kann in der Regel nicht ausgegangen werden. Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise schwere
Form von Fructoseintoleranz hat die Sachverständige unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und
der vom Kläger bei der persönlichen Untersuchung angegebenen Beschwerden nicht festgestellt, so dass für den Senat kein Anlass
besteht, eine solche anzunehmen. Zöliakie und Weizenallergie, bei deren Vorliegen eine glutenfreie Ernährung erforderlich
sein kann, sind bei dem Kläger nicht nachgewiesen.
Der Kläger hat weiter vorgetragen, er leide an 7 von 10 Krankheiten, für die die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche
und private Fürsorge - jeweils für sich gesehen - eine Vollkost für ausreichend hielten. Dadurch entstehe ein Synergie-Effekt,
der einen Mehrbedarf begründe. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht, auch ohne dass sich die Sachverständige in Einzelheiten
dazu geäußert hätte. Sie lässt sich weder auf das Gesetz noch auf die Rechtsprechung des BSG stützen. Das BSG hat entschieden, dass der Ernährungsaufwand aufgrund des gesamten Krankheitsbildes konkret zu ermitteln ist, wenn bei einem
Leistungsempfänger mehrere Erkrankungen vorliegen, für die jeweils ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen
Gründen geltend gemacht wird. Maßgeblich ist stets der Betrag, mit dem der medizinisch begründete, tatsächliche Kostenaufwand
für eine Ernährung ausgeglichen werden kann, der von der Regelleistung nicht gedeckt ist (Urteil vom 09.06.2011, B 8 SO 11/10
R, Rn. 24). Dieser Vorgabe hat der Senat entsprochen, indem er die gerichtliche Sachverständige mit einer umfassenden und
nicht auf einzelne Krankheitsbilder beschränkten Begutachtung beauftragt und sie um Mitteilung gebeten hat, ob weitere ärztliche
Untersuchungen oder Zusatzgutachten für erforderlich gehalten werden. Damit waren auch etwaige Wechselwirkungen zwischen den
beim Kläger vorliegenden Erkrankungen Gegenstand der Begutachtung. Die Sachverständige hat Wechselwirkungen, die zu einem
tatsächlichen Mehrbedarf führen, aber nicht festgestellt.
Ein nephrologisches Gutachten, wie es der Kläger hilfsweise beantragt hat, hält der Senat nicht für erforderlich. Der Kläger
hat deutlich gemacht, dass er die Beurteilung seines Gesundheitszustandes durch den behandelnden Nephrologen Dr. C. für maßgeblich
hält. Der Senat hat dem Rechnung getragen, indem er einen Befundbericht von Dr. C. eingeholt hat, mit dem sich die gerichtliche
Sachverständige auseinandergesetzt hat. Weitere Sachaufklärung auf nephrologischem Fachgebiet hält der Senat im Einklang mit
der gerichtlichen Sachverständigen Dr. D. nicht für notwendig.
Da die allgemein empfohlene Vollkost für den Kläger ausreicht und § 30 Abs. 5 SGB XII keinen Auffangtatbestand für die allgemeine Kritik darstellt, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren
(zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 21 Abs. 5 SGB II BSG, Urteil vom 10.05.2011, B 4 AS 100/10 R, Rn. 24 und 26 m.w.N.), sind weitere Ermittlungen zu Lebensmittelpreisen nicht erforderlich.
Offen bleiben kann vor diesem Hintergrund auch die Frage, wie sich der Kläger in der Vergangenheit tatsächlich ernährt hat
(Selbstbeschaffung von Sonderernährung oder Wegfall des Bedarfs durch Zeitablauf, vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 12/06 R). Allerdings wirft das Verhalten des Klägers deutliche Zweifel auf. Die Sachverständige
hat ausgeführt, er habe seine Ernährungsgewohnheiten nur ungern, kurz und unpräzise geschildert und habe erklärt, auf dieses
Niveau wolle er sich nicht begeben. Seine Argumentation sei vielmehr, der Aufwand für seine Ernährung habe sich seit 2011
nicht vermindert, insbesondere nicht durch die Nierentransplantation und den Wegfall der Dialyse.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.