Grundsicherung für Arbeitsuchende - sozialrechtliches Verwaltungsverfahren; Erstattung von Kosten im Vorverfahren; Freistellungsanspruch;
Bedarfsgemeinschaft; Gesamtschuldner; Gesamtgläubiger
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der vom Beklagten zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung einer Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren.
Die 1979 geborene Klägerin lebte mit ihrem 2002 geborenen Sohn in einer Bedarfsgemeinschaft und bezog Leistungen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnten in der Jstraße in D eine 74,69 m² große 3 1/2 Zimmerwohnung mit einer Grundmiete iHv 379,16 EUR zzgl 122,93
EUR Betriebskosten und 112,02 EUR Heizkosten. Der Lebensgefährte der Klägerin und Kindsvater, der ebenfalls Mitglied der Bedarfsgemeinschaft
war, starb 2009.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2010 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass nach seinen Feststellungen die derzeitigen Kosten
der Unterkunft und Heizung den für den Landkreis Märkisch-Oderland angemessenen Umfang um 163,66 EUR überstiegen. Er bat die
Klägerin mitzuteilen, ob Gründe vorlägen, die Einfluss auf die Beurteilung der Angemessenheit bzw die Zumutbarkeit kostensenkender
Maßnahmen haben könnten und wies darauf hin, dass er die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nur bis zum 31. Juli
2010 berücksichtigen werde und danach nur noch iHv 450,45 EUR. Gegen dieses Schreiben sei der Widerspruch zulässig. Am 09.
Februar 2010 legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Widerspruch "der Bedarfsgemeinschaft" ein und benannte als Widerspruchsführer
namentlich die Klägerin und ihren Sohn und wies darauf hin, dass nach dem Tod des Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft die Nebenkosten
erheblich sinken würden und der Verbrauch an Wasser und Heizenergie sich bereits verringert habe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2010 verwarf der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unzulässig, da das Schreiben
vom 14. Januar 2010 keinen Verwaltungsakt iSd § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstelle und irrtümlich eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen sei. Gleichzeitig verfügte der Beklagte, dass die
im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen erstattet würden.
Daraufhin reichte die Prozessbevollmächtigte mit am 23. Februar 2010 beim Beklagten eingegangenen Schreiben eine Rechnung
iHv insgesamt 506,46 EUR (Geschäftsgebühr nach § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG], Nr 2400 Vergütungsverzeichnis [VV] in der Anlage 1 des RVG iHv 312,00 EUR, Gebührenerhöhung nach Nr 1008 VV RVG um 0,3 wegen zwei Auftraggebern iHv 93,60 EUR, Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr 7002 VV RVG iHv 20,00 EUR, 19 % Mehrwertsteuer nach Nr 7008 VV RVG iHv 80,86 EUR) ein.
Mit dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 03. März 2010 setzte der Beklagte die zu erstattenden Kosten im Widerspruchsverfahren
auf 57,12 EUR (Geschäftsgebühr nach § 14 RVG Nr 2400 VV RVG iHv 40,00 EUR, Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr 7002 VV RVG iHv 8,00 EUR, 19 % Mehrwertsteuer nach Nr 7008 VV RVG iHv 9,12 EUR) fest. Es sei ein Betrag unterhalb der Regelgebühr festzusetzen, da die Tätigkeit hinsichtlich des Umfangs und
der Schwierigkeit deutlich unter dem Durchschnittsfall gelegen habe. Es könne der Bevollmächtigten aufgrund ihrer Fachkenntnisse
unterstellt werden, dass ihr die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gewesen sei. Der mit der Einlegung des
vorsorglichen und unzulässigen Widerspruchs verbundene notwendige Arbeitsaufwand habe nicht über der mit dem Mindestbetrag
der Geschäftsgebühr abgegoltenen allgemeinen Verfahrensförderung gelegen.
Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin und ihres Sohnes vom 10. März 2010 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid
vom 12. März 2010 als unbegründet zurück.
Dagegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 15. April 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) erhoben. Im vorliegenden Fall sei die Angelegenheit von durchschnittlichem Umfang und durchschnittlicher
Schwierigkeit gewesen. Die Prozessbevollmächtigte habe am 04. Februar 2010 Kontakt mit einer Mitarbeiterin des Beklagten aufgenommen
und die Auskunft erhalten, das Anhörungsschreiben vom 14. Januar 2010 habe eine Regelung beinhalten sollen und die Rechtsmittelbelehrung
habe dementsprechend ihre Richtigkeit. Nach richterlichem Hinweis, dass nur die Klägerin und nicht ihr Sohn, der im Widerspruchsverfahren
beteiligt gewesen ist, geklagt habe, nahm die Prozessbevollmächtigte Abstand von der sogenannten Erhöhungsgebühr nach Nr 1008
VV RVG (72,00 EUR) und machte nunmehr einen Gesamtbetrag iHv 395,08 EUR (Geschäftsgebühr nach § 14 RVG Nr 2400 VV RVG iHv 312,00 EUR, Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr 7002 VV RVG iHv 20,00 EUR, 19 % Mehrwertsteuer nach Nr 7008 VV RVG iHv 63,08 EUR) geltend.
Das SG hat mit Urteil vom 12. Oktober 2016 den Beklagten unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheids vom 03. März 2010 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2010 verurteilt, der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens iHv 395,08 EUR
unter Anrechnung der bereits erfolgten Zahlung iHv 57,12 EUR zu erstatten und hat die Berufung zugelassen. Das SG ging dabei von einer Geschäftsgebühr iHd Schwellengebühr (240,00 EUR) aus, da der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit durchschnittlich und die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin überdurchschnittlich gewesen seien. Gleichzeitig
sei die Erhöhung der Geschäftsgebühr nach Nr 1008 VV RVG um 30 vH (72,00 EUR) zu berücksichtigen, da die Prozessbevollmächtigte ausdrücklich Widerspruch im Namen der Klägerin und
ihres Sohnes eingelegt habe. Dass die Klägerin die Kosten in diesem Umfang zuletzt nicht mehr geltend gemacht habe, sei unerheblich,
da es sich um keinen eigenen Gebührentatbestand handele. Hinzu kämen die Auslagentatbestände nach Nr 7002 VV RVG iHv 20,00 EUR sowie nach Nr 7008 iVm § 12 Abs 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) iHv 63,08 EUR. Die Klägerin könne die Erstattung dieser Kosten in voller Höhe beanspruchen. Zwar sei dem Beklagten zuzugeben,
dass von den zwei Widerspruchsführern nur einer Klage erhoben habe und dass die obsiegenden Streitgenossen gegenüber dem Kostenerstattungsschuldner
Teilgläubiger iSd §
420 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) seien. Allerdings werde in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung (Bezugnahme ua auf den Beschluss des Oberlandesgerichts
Koblenz vom 13. Februar 2007 - 14 W 91/07, juris) davon eine Ausnahme gemacht, wenn von mehreren Streitgenossen einer zahlungsunfähig sei. Der Regelfall beruhe auf
der Annahme, dass im Innenverhältnis die Streitgenossen die Anwaltskosten entsprechend ihrer Beteiligung am Verfahren tragen.
Scheitere der Ausgleichsanspruch nach §
426 BGB an der Zahlungsunfähigkeit des ausgleichspflichtigen Streitgenossen, habe der obsiegende Streitgenosse den Erstattungsanspruch
in voller Höhe gegenüber dem Prozessgegner. Dies sei vorliegend der Fall, da der zum Zeitpunkt der Klageerhebung 8-jährige
Sohn der Klägerin lediglich eine Halbwaisenrente iHv monatlich 119,50 EUR bezogen habe und keine Vermögenswerte vorhanden
gewesen seien.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil insoweit, als dass der Klägerin Kosten des Widerspruchsverfahrens
iHv mehr als 104,72 EUR zugesprochen worden sind. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei unterdurchschnittlich gewesen
und könne allenfalls eine Gebühr iHd 3-fachen Mindestgebühr (120,00 EUR) rechtfertigen. Zudem sei die zivilgerichtliche Rechtsprechung
auf diesen Fall nicht übertragbar. Zum einen sei es nicht möglich, dass der minderjährige Sohn das Verfahren verliere, während
seine Mutter das Verfahren gewinne, da er ihr Streitgenosse sei. Zum anderen habe der Sohn der Klägerin bei Obsiegen einen
Anspruch auf Erstattung der Kosten gegen den Beklagten und nicht gegen seine Mutter. Die unterlassene Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
im gerichtlichen Verfahren könne nicht nachträglich durch das zivilrechtliche Konstrukt der Streitgenossenschaft geheilt werden.
Der Sohn der Klägerin sei nicht gegen die getroffene Kostenentscheidung vorgegangen und habe sinngemäß die Entscheidung für
seinen Anteil akzeptiert. Die Klägerin könne deshalb nur die Hälfte des Gebührenanspruchs iHv 104,72 EUR (Geschäftsgebühr
120,00 EUR, Gebührenerhöhung weiterer Auftraggeber 36,00 EUR, Porto 20,00 EUR, Umsatzsteuer 33,44 EUR, insgesamt 209,44 EUR)
geltend machen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil aufzuheben, soweit der Klägerin Kosten des Widerspruchsverfahrens über einen Betrag iHv 104,72 EUR hinaus gewährt
werden und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach herrschender Meinung habe der vom Rechtsanwalt in vollem Umfang in Anspruch
genommene obsiegende Streitgenosse nicht nur einen anteilsmäßigen, sondern in voller Höhe einen Erstattungsanspruch gegen
den Prozessgegner.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze, sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entscheiden. Die Berufung ist zulässig. Ein Beschwerdewert von mehr als 750,00 EUR (§
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG) wird zwar nicht erreicht, jedoch hat das SG die Berufung zugelassen und das Landessozialgericht (LSG) ist an diese Zulassung gebunden (§
144 Abs
3 SGG).
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens im Sinne des §
123 SGG ist das Urteil des SG Frankfurt (Oder) vom 12. Oktober 2016 soweit der Klägerin mehr als 104,72 EUR Kosten für das Widerspruchsverfahren
gewährt worden sind.
Die zulässige Berufung ist lediglich zu einem Teil begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 395,08 EUR, den der Beklagte
durch Kostenfestsetzungsbescheid vom 03. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2010 (in Höhe von mehr
als 57,12 EUR) verneint hat, abzüglich der bereits gezahlten Summe iHv 57,12 EUR. Die Klägerin begehrt nach Auslegung gemäß
§
123 SGG die Freistellung von der Zahlung dieser Gebühren, da sie die Vergütungsforderung ihres Prozessbevollmächtigten noch nicht
beglichen hat (vgl Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 02. Dezember 2014 - B 14 AS 60/13 R, RdNr 14 und vom 21. Dezember 2009 - B 14 AS 83/08 R, RdNr 12f, beide juris).
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf die Freistellung von dem Vergütungsanspruch ihres
Bevollmächtigten (vgl BSG, Urteil vom 02. Dezember 2014, aaO.) zulässig. Sie ist jedoch nur in Höhe von 309,40 EUR (unter Anrechnung der bereits erfolgten
Zahlung iHv 57,12 EUR) begründet. Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 03. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
12. März 2010, mit dem der Beklagte lediglich zu erstattende Kosten iHv 57,12 EUR festgesetzt hat, ist rechtswidrig und verletzt
die Klägerin in ihren Rechten. Ihr steht ein Anspruch iHv insgesamt 309,40 EUR zu (dazu 1.). Der Klägerin steht auch die Freistellung
von den Kosten des Widerspruchsverfahrens insgesamt zu, da sie die Freistellung von dem gesamten Betrag - auch für ihren nicht
klagenden Sohn - verlangen kann (dazu 2.).
1.
Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin auf Erstattung weiterer Kosten dem Grunde nach ist § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit dem Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2010 sowie dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 03. März 2010. Hiernach
hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde denangefochtenenVerwaltungsakt erlassen hat,
demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen
Aufwendungen zu erstatten (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGB X). Dazu rechnen auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, wenn seine Zuziehung im Vorverfahren notwendig war (§
63 Abs 2 SGB X). In diesem Sinne ist mit den Bescheiden vom 18. Februar 2010 und 03. März 2010 bindend entschieden, dass die Beklagte die
im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten einschließlich der Gebühren des Bevollmächtigten der Klägerin dem Grunde nach
zu erstatten hat.
a)
In sozialrechtlichen Angelegenheiten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, für die - wie hier - bei Durchführung eines
gerichtlichen Verfahrens das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen danach Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs 2 RVG), die sich nach dem VV der Anlage 1 zum RVG bestimmen (§ 2 Abs 2 Satz 1 RVG). Sie umfassen nach Nr 2400 des VV zum RVG (hier in der ab 01. Juli 2006 geltenden Fassung, vgl Art 5 Abs 1 Nr 4 Buchst b sowie Art 8 Satz 2 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz [KostRMoG] aF; seit dem 01. August 2013 ersetzt durch Nr 2302 VV RVG idF des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz [2. KostRMoG] vom 23. Juli 2013, BGBl I 2586) eine Geschäftsgebühr ua für das
Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (vgl Vorbemerkung II zu Nr 2400 VV RVG aF iVm Vorbemerkung 2.3 III zu Nr 2300 VV RVG). Sie bestimmt sich in der hier geltenden Fassung innerhalb eines Betragsrahmens von 40,00 bis 520,00 EUR, wobei eine Gebühr
von mehr als 240,00 EUR (so genannte Schwellengebühr) nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig
ist. Innerhalb des vorgenannten Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass über die Bestimmung dessen, was noch als billig oder schon als unbillig zu
gelten hat, leicht Streit entstehen kann. Solchen Streit will der Gesetzgeber vermeiden, indem er dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs-
und Entscheidungsvorrecht einräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Dabei geht die Rechtsprechung von einem "Spielraum" dergestalt aus, dass der Rechtsanwalt
berechtigt ist, eine Gebühr zu erheben, die bis zu 20 vH über der vom Gericht objektiv für angemessen gehaltenen Gebühr liegt
(Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 08. Mai 1981 - 6 C 153/80; BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 13/04; BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05; BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R, allesamt juris). Ist dieGebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG). Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit
für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien. Darüber hinaus ist nach
§ 14 Abs 1 Satz 3 RVG bei Verfahren, auf die Betragsrahmengebühren anzuwenden sind, ein besonderes Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Dieses stellt
ein weiteres Kriterium für die Bemessung der Gebühr dar. Die Aufzählung der Bemessungskriterien in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG ist nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht abschließend, sodass weitere unbenannte Kriterien mit einbezogen werden können
(vgl BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 - B 4 AS 21/09, RdNr 21, juris). Die heranzuziehenden Kriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Die sogenannte Schwellengebühr
hat die sogenannte Mittelgebühr abgelöst, die (in Normalfällen) die billige Gebühr nach der früher geltenden Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung
(BRAGebO) darstellte. Die Mittelgebühr errechnete sich aus der Mindestgebühr zuzüglich der Hälfte des Unterschieds zwischen
Mindest- und Höchstgebühr. Sie war bzw ist in den Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts
nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt. Dabei bleibt es im Grundsatz auch unter Geltung des RVG, jedoch unter Beachtung der zusätzlich durch die Schwellengebühr gezogenen Grenzen. Danach ist in einem ersten Schritt von
der Mittelgebühr auszugehen. Den hinter der Mittelgebühr stehenden Wert darf der Rechtsanwalt nicht (um bis zu 20 vH) erhöhen,
ohne eine weitere Begründung für die Steigerung zu geben (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 13/04, RdNr 24 f, juris).
Es ist danach wie folgt vorzugehen: In einem ersten Schritt ist die Gebühr ausgehend von der Mittelgebühr zu bestimmen. Liegt
diese über der Schwellengebühr, ist in einem weiteren Schritt zu beurteilen, ob es bei der ermittelten Gebühr bleibt. Dies
ist der Fall, wenn der Umfang und/oder die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind. Ist dem
nicht so, wird die an sich zutreffende Gebühr in Höhe der Schwellengebühr gekappt. Dies führt zu einer Gebühr von 240,00 EUR,
wenn beispielsweise jedes der vier in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG genannten Bemessungskriterien durchschnittlich ist.
In Anwendung dieser Grundsätze entspricht die hier abgerechnete anwaltliche Tätigkeit nach den konkreten Umständen des vorliegenden
Falles einem durchschnittlichen, sozialrechtlichen, "normalen" Widerspruchsverfahren, so dass lediglich die Erhebung einer
Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr iHv 240,00 EUR gerechtfertigt ist. Die von der Prozessbevollmächtigten geltend
gemachte Geschäftsgebühr iHv 312,00 EUR ist unbillig. Ihre vorgebrachten Argumente (durchschnittliche Schwierigkeit und durchschnittlicher
Umfang der Angelegenheit sowie überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin) sprechen gerade für die
Festsetzung der Geschäftsgebühr iHd Schwellengebühr. Der Senat gelangt damit, wie das SG, zu der Bewertung, dass es sich vorliegend um ein sozialrechtliches, durchschnittliches Widerspruchsverfahren handelte und
keine Anhaltspunkte für die Abweichung von der Schwellengebühr ersichtlich sind. Im Ergebnis ist deshalb nur die Festsetzung
der Geschäftsgebühr iHv 240,00 EUR gerechtfertigt.
Eine Gebühr über der Schwellengebühr kommt vorliegend auch nicht aufgrund des von der Rechtsprechung zugebilligten Toleranzzuschlags
in Betracht. Welche Bedeutung dabei dem Umstand zukommt, dass die Prozessbevollmächtigte eine Toleranzgrenze von 30 vH annimmt,
die das von der Rechtsprechung in den meisten Fällen zugebilligte Maß um 10 vH überschreitet, kann dabei offen bleiben. Ließe
man in Fallgestaltungen, in denen - wie hier - die Schwellengebühr die zu bestimmende Geschäftsgebühr limitiert, eine Erhöhung
gestützt auf die Einschätzungsprärogative zu, wäre es dem Rechtsanwalt unbenommen, für durchschnittliche Sachen, die nur die
Schwellengebühr rechtfertigen, die Mittelgebühr oder mehr abzurechnen. Dies verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den
Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Schwellengebühr hinaus
nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR nur gefordert werden
kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (so bei der 1,3-fachen Regelgebühr nach Nr 2300 VV RVG: BGH, Urteil vom 05. Februar 2013 - VI ZR 195/12, RdNr 8, juris). Ansonsten würde sich entgegen dem gesetzlichen Wortlaut die Schwellengebühr nach oben verschieben und damit
faktisch eine neue Durchschnittsgebühr, die 20 vH oder mehr über der rechnerischen Regelgebühr liegt, entstehen. Die von der
Prozessbevollmächtigten geltend gemachte Geschäftsgebühr iHv 312,00 EUR ist unbillig und gemäß § 14 Abs 1 Satz 4 RVG unverbindlich, da sie die Kriterien des § 14 Abs 1 Satz 1 nicht hinreichend beachtet (vgl LSG Thüringen, Beschluss vom 14. Februar 2011 - L 6 SF 1376/10 B, RdNr 28, juris). In der Folge nimmt das Gericht eine Festsetzung in angemessener Höhe vor (vgl LSG Thüringen, Beschluss
vom 26. Juni 2013 - L 6 SF 654/13 B, RdNr 4, juris).
Der Senat sieht diesbezüglich gemäß §
153 Abs
2 SGG von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er der Begründung des erstinstanzlichen Urteils (Seiten 9 bis 11) folgt,
das unter Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG zu diesem Ergebnis gekommen ist.
b)
Nach Nr 1008 VV RVG erhöht sich grundsätzlich die Geschäftsgebühr für jede weitere Person um 30 vH, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit
mehrere Personen sind. Da jedoch die Prozessbevollmächtigte ihre Ausgangsrechnung geändert hat und unter Verzicht auf die
Erhöhung der Geschäftsgebühr die Gesamtforderung von 506,46 EUR auf 395,08 EUR und damit den ursprünglich streitigen Betrag
im Sinne einer Klagebegrenzung reduziert hat, ist der Begehrensumfang (vgl §
123 SGG) der Klage lediglich darauf gerichtet gewesen, die Geschäftsgebühr nach § 14 RVG Nr 2400 VV RVG (berechnet mit 312,00 EUR, siehe bereits oben) und davon ausgehend die Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr 7002
VV RVG iHv 20,00 EUR zzgl 19 % Mehrwertsteuer nach Nr 7008 VV RVG (= 63,08 EUR) geltend zu machen. Ausgehend von diesem Begehren muss sich die Klägerin an dem "Verzicht" der Gebührenerhöhung
ihrer Prozessbevollmächtigten - entgegen den Ausführungen des SG - festhalten lassen. Eine Prüfung und Entscheidung, ob die Voraussetzungen für die Gebührenerhöhung vorliegen, kann durch
den Senat deshalb nicht mehr erfolgen.
c)
Die zwischen den Beteiligten nicht streitigen und mit der Klage geltend gemachten Auslagentatbestände nach Nrn 7002 VV RVG und 7008 VV RVG iVm § 12 Abs 1 Umsatzsteuergesetz sind zur Geschäftsgebühr hinzuzurechnen. Hieraus ergibt sich insgesamt ein Freistellungsbetrag von 309,40 EUR (240,00 EUR
+ 20,00 EUR + 49,40 EUR = 309,40 EUR) abzüglich des vom Beklagten bereits festgesetzten Betrags iHv 57,12 EUR.
2.
Die Klägerin hat in diesem Umfang einen Freistellungsanspruch und muss sich - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht
auf die Hälfte des Betrags verweisen lassen, da sie und ihr Sohn Gesamtgläubigers nach §
428 BGB sind.
Unstreitig schuldet die Klägerin - unabhängig von der Beteiligtenstellung ihres Sohnes im Widerspruchs- und Klageverfahren
- gemäß § 7 Abs 2 Satz 1 RVG die Gebühren und Auslagen, die sie schulden würde, wenn der Rechtsanwalt nur in ihrem Auftrag tätig geworden wäre (vgl BSG, Urteil vom 02. April 2014 - B 4 AS 27/13 R, RdNr 10, juris). Sie bildet mit ihrem Sohn eine Gesamtschuldnergemeinschaft gegenüber der Prozessbevollmächtigten. Es
ist sachgerecht, dass der Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten, der seiner Struktur nach dem Innenverhältnis zwischen
der Klägerin und ihrem Sohn entspricht, dazu führt, dass beide Gläubiger durch die gemeinsame Festsetzung eines Betrages vertraglich
eine Gesamtgläubigerschaft begründen wollten bzw zumindest so zu behandeln sind.
Zwar gilt nach §
420 BGB, dass, wenn mehrere eine teilbare Leistung zu fordern berechtigt sind, im Zweifel jeder Gläubiger nur zu einem gleichen Anteil
berechtigt ist. Die Vorschrift enthält damit ua die Vermutung der Teilgläubigerschaft bei teilbaren Leistungen. Diese Vermutung
ist widerleglich; sie greift nur dann ein, wenn sich aus dem Gesamtinhalt des Kostenfestsetzungsbescheids nicht eindeutige
Anhaltspunkte dafür ergeben, dass von Gesamtgläubigerschaft auszugehen ist (vgl für Kostenfestsetzungsbeschlüsse: BGH, Urteil
vom 20. Mai 1985 - VII ZR 209/84, RdNr 22f, juris). Das ist vorliegend jedoch der Fall. Ausschlaggebend ist der angefochtene Kostenfestsetzungsbescheid des
Beklagten vom 03. März 2010. Bei der Auslegung des Kostenfestsetzungsbescheids ist zu berücksichtigen, dass beide Widerspruchsführer
(die Klägerin in Vertretung für ihren Sohn) die Prozessbevollmächtigte beauftragt haben, die Prozessbevollmächtigte für beide
die Kostenfestsetzung nach erfolgreichem Widerspruchsverfahren beantragt hat und der Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten
einen einheitlichen Betrag ausweist, ohne dass er bezüglich der Beteiligten differenziert.
Es ist im Ergebnis sachgerecht, die Rechtsprechung des BGH und die Auslegung bei Kostenfestsetzungsbescheiden, die auf Antrag
nach § 63 SGB X ergehen, anzuwenden. Es entspricht auch der Interessenlage der Beteiligten, da es dem Beklagten als Kostenschuldner idR nicht
zuzumuten ist, etwaige unterschiedliche Berechtigungen der Gläubiger zu ermitteln und in den Kostenbescheiden verbindlich
festzusetzen.
Die entgegengesetzte Ansicht (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. Februar 2017 - L 2 AS 390/15, juris) lässt diesen Aspekt außer Betracht. Auch kann für die Beurteilung, ob an Forderungen aus § 63 SGB X Teil- oder Gesamtgläubigerschaft besteht, nichts daraus gewonnen werden, dass den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft leistungsrechtlich
Einzelansprüche zustehen. Denn der Kostenerstattungsanspruch ist zwar dem Wortlaut nach wie der Sozialleistungsanspruch auf
Geld gerichtet, er stellt sich aber nach seinem sachlichen Gehalt als Schadensersatzanspruch gegen die sich nicht rechtmäßig
verhaltende Behörde nach erfolgreichem Widerspruch dar (vgl Roos in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 63 RdNr 8). Es handelt sich um die Korrektur eines rechtswidrigen Handelns eines Leistungsträgers, das auf Verwaltungsverfahrensrecht
beruht. Eine Leistung mit dieser Zweckrichtung ist gerade keine soziale Geldleistung iS von §
11 SGB I bzw 19 ff SGB II. Hierbei handelt es sich um materielle Rechte, während der Kostenerstattungsanspruch nur auf Verwaltungsverfahrensrecht beruhen
kann, soweit es um das Vorverfahren geht, dem ein gerichtliches Verfahren nicht gefolgt ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 1986 - 7 RAr 86/84, RdNr 24, juris).
Schließlich verkennt diese Ansicht, die sich auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung in gerichtskostenpflichtigen Verfahren
und insbesondere darauf beruft, dass die obsiegenden Streitgenossen kostenrechtlich gegenüber dem Kostenerstattungsschuldner
Teilgläubiger iSv §
420 BGB sind, dass diese Betrachtungsweise auf Fälle, wie dem vorliegenden gerade nicht übertragbar ist, da Beteiligte im Verfahren
nach § 63 SGB X keine Streitgenossen iSd §
74 SGG iVm §§
59 ff
ZPO sind, da sie nicht in einem Verfahren als mehrere Kläger auftreten und gerade keine voneinander unabhängigen Prozessrechtsverhältnisse,
die unterschiedlich ausgehen können, entstehen. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung wurde in den Fällen entwickelt, in denen
ein Streitgenosse obsiegt und der andere verliert und zu der Frage, ob der Prozessgegner dem obsiegenden Streitgenossen die
Kosten zu erstatten hat, die bei Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts entstanden wären und die der Haftung gemäß § 6 Abs 2 BRAGebO (jetzt § 7 Abs 2 RVG) entspricht, oder (nur) die Quote, die der Beteiligung des Streitgenossen am Rechtsstreit entspricht. Diese Problemstellung
ergibt sich im Sozialverwaltungsverfahrensrecht nicht, da das Verfahren kostenfrei ist (§ 64 Abs 1 Satz 1 SGB X).
Demzufolge steht der Klägerin der Freistellungsanspruch in Höhe der insgesamt anfallenden Rechtsanwaltsgebühren von 309,40
EUR (abzüglich der bereits 57,12 EUR) zu. Da das SG der Klage in vollem Umfang iHv 395,08 EUR stattgegeben hat, war der Tenor des Urteils insoweit abzuändern und die Klage im
Übrigen (betreffend des nicht stattgegebenen Betrags iHv 85,65 EUR) abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die Erstattungsquote entspricht dem Umfang, in dem die Klägerin erfolgreich war.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt (§
160 Abs
2 SGG).