Verpflichtung einer Bank zur Erstattung zu Unrecht geleisteter Rentenzahlungen nach Tod des Rentenbeziehers
Kenntnis der Bank vom Versterben
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob das beklagte Geldinstitut (rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts) verpflichtet
ist, dem klagenden Rentenversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen (Rentenzahlungen iHv 5.315,02 EUR) zurück
zu überweisen.
Der 1942 geborene und 2008 verstorbene Dr. O K (im Folgenden: Rentenbezieher) bezog von der Klägerin eine Altersrente (AR;
Versicherungsnummer ; Zahlbetrag zuletzt: 1.073,17 EUR monatlich ab 1. Juli 2008, zuvor monatlich 1.064,60 EUR). Die AR wurde
auf ein bei der Beklagten errichtetes Girokonto des Rentenbeziehers überwiesen (Konto ...), und zwar auch nach dem Tod des
Rentenbeziehers jeweils mit Wertstellung zum 29. bzw 30. eines Monats und zuletzt für Oktober 2008 mit Gutschrift vom 30.
Oktober 2008. Die Beklagte hatte seit dem 7. Juli 2008 Kenntnis vom Tod der Rentenbezieherin (vgl Schriftsatz vom 30. Dezember
2010; Auskunft vom 20. Oktober 2010). Am 17. November 2008 überwies die Beklagte das gesamte verbliebene Guthaben auf dem
in Rede stehenden und am 3. November 2008 aufgelösten Konto iHv 8.510,72 EUR auf Veranlassung des Amtsgerichts Erfurt - Nachlassgericht
- vom 21. Oktober 2008 (Eingang bei der Beklagten am 24. Oktober 2008) an die Staatskasse Thüringen; am selben Tag ging das
Rückforderungsersuchen des Renten Service Leipzig bei der Beklagten ein. Auf die Kontenbewegungen seit 19. Mai 2008 wird Bezug
genommen.
Am 13. November 2008 erhielt die Klägerin vom Rentenservice die Mitteilung, dass die Zahlung der Renten aufgrund des Todes
des Rentenbeziehers eingestellt und die Rentenbeträge für Juni bis Oktober 2008 iHv 5.315,02 EUR zu Unrecht gezahlt worden
seien. Mit Schreiben vom 10. November 2009 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die überzahlten Rentenbeträge für Juni
bis Oktober 2008 iHv 5.315,02 EUR zurück zu überweisen. Mit Schreiben vom 16. März 2010 antwortete die Beklagte, das Guthaben
vor Eingang des Rückforderungsersuchens bereits an das Nachlassgericht überwiesen zu haben. Eine Erstattung komme daher mangels
Guthabens nicht in Betracht. Die Klägerin hat mit ihrer Klage beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie (die Klägerin)
5.315,02 EUR zu zahlen, dh die für Juni bis Oktober 2008 gezahlten Rentenbeträge abzüglich anteiliger Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
iHv 42,26 EUR. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 3. April 2014). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei
zulässig und begründet. Die Beklagte könne sich auf den Auszahlungseinwand des §
118 Abs.
3 Satz 3 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) nicht berufen, weil sie bereits vor der Kontenauflösung Kenntnis vom Tod des Rentenbeziehers gehabt habe (Bezugnahme auf
Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22. April 2008 - B 5a/4 R 79/06 R - juris).
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Ein Geldinstitut könne bereits aus Rechtsgründen
jedenfalls nicht für Verfügungen haftbar gemacht werden, die zwischen der Kenntnis des Geldinstituts vom Tod des Rentenempfängers
und dem Erstattungsverlangen des Rentenversicherungsträgers getätigt würden. Dies verstoße gegen zivilrechtliche Regelungen
und auch gegen Gemeinschaftsrecht. Ein Vorbehalt könne sich nach Maßgabe von §
118 Abs.
3 SGB VI allenfalls für die Zukunft nach Zugang des Aufforderungsschreibens ergeben, dürfe aber nicht in bereits abgeschlossene Zahlungsvorgänge
eingreifen. Öffentliches bundesdeutsches Sonderrecht - wie in §
118 Abs.
3 SGB VI - könne das Zahlungsdienste-Recht nicht außer Kraft setzen, das eine Überweisung mit einseitigem Vorbehalt nicht kenne. Wegen
der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten zur Sache wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Gerichtsakten und die Rentenakten der Klägerin haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß §
153 Abs.
4 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und
eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Angesichts der vorliegend nur streitigen Rechtsfragen, die
zwischen den Beteiligten ausführlich und erschöpfend erörtert worden sind, bestand keine Veranlassung, eine mündliche Verhandlung
durchzuführen. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl §
153 Abs.
4 Satz 2
SGG).
Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin 5.315,02 EUR zu zahlen.
Rechtsgrundlage des von der Klägerin erhobenen Zahlungsanspruchs ist §
118 Abs.
1 Satz 1 und
2 SGB VI. Dessen Voraussetzungen sind gegeben. Die Klägerin hat die Geldleistungen, die sie für die Monate Juni bis Oktober 2008 auf
das bei der Beklagten errichtete Girokonto des Rentenbeziehers überwiesen hat, "zu Unrecht" geleistet. Gemäß §
102 Abs.
5 SGB VI war die dem Rentenbezieher bewilligte AR nur bis zum 31. Mai 2008 leisten. Der diese AR bewilligenden Bescheid hatte sich
mit dem Tod des Rentenbeziehers "auf andere Weise" iSv § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erledigt (vgl BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 13 R 48/07 R - juris). Mit Schreiben vom 10. November 2009 hat die Klägerin von der Beklagten 5.315,02 EUR "als zu Unrecht erbracht"
zurückgefordert (§
118 Abs.
3 Satz 2
SGB VI).
Auf §
118 Abs.
3 Satz 3
SGB VI kann sich die Beklagte ab dem 7. Juli 2008 nicht berufen. Die Rentengutschriften - auch die zu diesem Zeitpunkt von dem seinerzeitigen
Kontoguthaben (5.836,36 EUR) noch voll umfasste Rentengutschrift für Juni 2008 - waren vom 7. Juli 2008 an mit dem gesetzlichen
Vorbehalt des §
118 Abs.
3 Satz 1
SGB VI belegt, so dass die Beklagte dem Rückforderungsverlangen die nach den Rentengutschriften erfolgten anderweitigen Verfügungen
- und damit auch die Überweisung an die Staatskasse Thüringen am 17. November 2008 iHv 8.510,72 EUR - nicht entgegen halten
durfte, soweit das Guthaben unter den Schutzbetrag ("entsprechenden Betrag" iSv §
118 Abs.
3 Satz 3
SGB VI) fiel.
Nach Auffassung des 5. Senats des BSG, dessen Rechtsprechung der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, kann sich ein Geldinstitut unter bestimmten Voraussetzungen
auf den Auszahlungseinwand des §
118 Abs.
3 Satz 3
SGB VI nicht berufen, nämlich ab dem Zeitpunkt, in dem es "vom Ableben des Rentenempfängers" weiß oder "zu einer entsprechenden
Prüfung" Anlass hat (vgl die Urteile des 5. Senats des BSG vom 3. Juni 2009 - B 5 R 65/07 R - und - B 5 R 120/07 R -, die zurückgreifen auf das Urteil des 5a. Senat des BSG vom 22. April 2008 - B 5a/4 R 79/06 R - jeweils juris; dieser Auffassung angeschlossen haben sich: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Juni 2010, - 2 C 14/09 -; Hessisches Landessozialgericht - LSG -, Urteil vom 13. Februar 2013 - L 2 R 262/12 - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Juli 2013 - L 13 R 2202/12 - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. September 2013 - L 4 R 496/98 - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Januar 2014 - L 14 R 1000/12 - juris; Körner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Lsbl., §
118 SGB VI Rn. 22). Die Beklagte hatte nach ihrem eigenen Vorbringen bereits seit dem 7. Juli 2008 Kenntnis vom Tod des Rentenbeziehers
und damit auch vom Vorbehalt des §
118 Abs.
3 Satz 1
SGB VI. Über die gutgeschriebenen Rentenbeträge für Juni 2008 bis Oktober 2008 hätte sie daher am 17. November 2008 nicht mehr verfügen
dürfen.
Dieser Rechtsprechung stehen auch die nach Maßgabe des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen
Teils der Zahlungsdienste-Richtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29. Juli
2009 mWv 31. Oktober 2009 in Kraft getretenen Neuregelungen der §§ 675c
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB), namentlich die §§ 675o Abs.
2,
675t Abs.
1 Satz 1,
675y Abs.
1 BGB, nicht entgegen, weil die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Bankkunde und Geldinstitut durch den öffentlich-rechtlichen
Vorbehalt in §
118 Abs.
3 SGB VI überlagert werden. Denn bei §
118 Abs.
3 und
4 SGB VI handelt es sich um ein "privatrechtsverdrängendes" öffentliches "Sonderrecht des Staates", das den Trägern der gesetzlichen
Rentenversicherung besondere Ansprüche auf "Rücküberweisung" (§
118 Abs.
3 Satz 2
SGB VI) und "Erstattung" (§
118 Abs.
4 Satz 1
SGB VI) gegen bestimmte Privatrechtssubjekte zugesteht, die dem Zivilrecht "vorgelagert" sind (vgl schon BSG, Urteil vom 4. August 1998 - B 4 RA 72/97 R - juris; BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 13 R 48/07 R - juris). Weshalb sich hier durch die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht betreffend die zivilrechtliche Ausgestaltung des
Vertragsverhältnisses zwischen Bankkunde und Geldinstitut eine andere Beurteilung ergeben sollte, ist nicht ersichtlich. Im
Übrigen verkennt die Beklagte, dass es nicht darauf ankommt, ob sie - worauf sie zutreffend hinweist - einen ausgeführten
Zahlungsauftrag oder eine ausgeführte Überweisung nicht mehr rückabwickeln kann bzw darf und die Gutschrift definitiv auf
dem Konto des Zahlungsempfängers erfolgt. Denn hier hätte sie entsprechende Zahlungsaufträge nach Kenntnisnahme vom Tod des
Rentenbeziehers gar nicht mehr ausführen dürfen, soweit dadurch das Kontoguthaben unterhalb des Schutzbetrages gesenkt wurde.
Tut sie dies dennoch, geht dies zu ihren Lasten. Schließlich kann die Beklagte der Klägerin auch nicht die Auflösung des Girokontos
des Rentenbeziehers am 3. November 2008 entgegen halten; denn auch diese stellte eine anderweitige Verfügung iSv 118 Abs.
3 Satz 3
SGB VI dar.
Die Revision war ungeachtet der von der Beklagten dargelegten anderslautenden Rechtsprechung einzelner Sozialgerichte und
eines Senats des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen. Eine grundsätzliche Bedeutung ist im Hinblick auf die höchstrichterlich bereits entschiedenen Rechtsfragen
nicht erkennbar. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von einer Entscheidung des BSG ab. Eine Divergenz im Sinne des §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG setzt voraus, dass von einem die Entscheidung des BSG tragenden Rechtsatz abgewichen wird (vgl Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
160 Rn. 13), was hier nicht der Fall ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG iVm §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).