Altersrente für Frauen
Berücksichtigung eines Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten
Kindererziehung im Ausland
Durchbrechung der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Altersrente (AR) für Frauen für die Zeit ab 1. Juli 2014 unter Berücksichtigung eines Zuschlags
an persönlichen Entgeltpunkten (EP) für die Erziehung ihrer am 29. Januar 1971 in G (ehemalige CSSR) geborenen Tochter E.
Die 1946 in Z (1949 in G umbenannt) geborene Klägerin übersiedelte nach ihrer Heirat am 11. Februar 1972 in die Bundesrepublik
Deutschland und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit; eine Anerkennung nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) erfolgte nicht. Seit Sommer 2011 lebt die Klägerin in der T R.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe mit (nicht in den Verwaltungsakten enthaltenem)
Bescheid vom 10. Mai 2000 rechtswidrig eine Kindererziehungszeit (KEZ) vom 1. Februar 1971 bis 31. Januar 1972 anerkannt;
die Erziehung sei im Ausland erfolgt. Eine Rücknahme des Bescheides sei nicht mehr möglich, so dass die KEZ bei künftigen
Leistungsansprüchen berücksichtigt werde. Die sich dann ergebende höhere Rente werde solange unverändert gezahlt, bis die
aus den eigentlich zu berücksichtigenden Zeiten berechnete niedrigere Rente infolge der Rentenanpassungen diesen Betrag erreiche.
Die Beklagte merkte sodann im Kontenklärungsverfahren für die Tochter E erneut eine Kindererziehungszeit (KEZ) vom 1. Februar
1971 bis 31. Januar 1972 vor (Bescheid vom 5. November 2003).
Auf den AR-Antrag vom April 2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin AR für Frauen mWv 1. Mai 2009 (Bescheid vom 17. Juni
2009) iH eines monatlichen Zahlbetrags von 455,29 EUR ab 1. August 2009. In dem Bescheid heißt es ua, dass die mit Bescheid
vom 10. Mai 2000 festgestellten rentenrechtlichen Zeiten der Berechnung der Rente zugrunde zu legen seien. Es erfolge aber
zwingend eine Aussparung nach § 48 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), was bedeute, dass bei künftigen Rentenanpassungen die sich aus der beiliegenden Rentenberechnung - die ohne die KEZ vom
1. Februar 1971 bis 31. Januar 1972 erfolgte - ergebenden Merkmale zugrunde gelegt würden. In der Anlage 1 des Bescheides
sind die ohne die KEZ errechneten Rentenzahlbeträge sowie die - höheren - ausgezahlten Rentenwerte mit der KEZ für die Zeit
ab 1. Mai 2009 aufgeführt. Anlässlich der mWv 1. Juli 2014 eingeführten gesetzlichen Änderungen ("Mütter-Rente") stellte die
Beklagte die AR der Klägerin unter Berücksichtigung eines Zuschlages an EP für die beiden 1976 und 1981 in Deutschland geborenen
und erzogenen Söhne der Klägerin neu fest (Bescheid vom 17. September 2014; Zahlbetrag ab 1. Juli 2014 = 577,18 EUR). Den
Widerspruch der Klägerin, mit dem diese auch einen Zuschlag an EP für die Tochter E begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 12. Januar 2015 unter Hinweis auf die erfolgte Aussparung zurück, die auch im Rahmen des §
307d Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) zu berücksichtigen sei.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf höhere AR unter Berücksichtigung eines Zuschlags an EP auch für die Tochter gerichtete Klage abgewiesen
(Gerichtsbescheid vom 16. August 2016). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Klägerin stehe höhere
AR im Hinblick auf die objektiv rechtswidrig erfolgte Anrechnung der KEZ für die Tochter nicht zu. Ein Zuschlag an EP nach
Maßgabe von §
307d SGB VI komme nur in Betracht, wenn in der Bestandsrente eine KEZ für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Geburtsmonats rechtmäßig
angerechnet worden sei. Dies sei im Falle der in der CSSR erzogenen Tochter Ester indes nicht der Fall. Die bestandskräftige
Aussparungsentscheidung wirke auch insoweit.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Sie beantragt nach ihrem Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides
vom 17. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2015 zu verurteilen, die Altersrente für Frauen
für die Zeit ab 1. Juli 2014 unter Berücksichtigung eines Zuschlages an Entgeltpunkten für Kindererziehung für die am 29.
Januar 1971 geborene Tochter E neu zu berechnen und die entsprechenden Erhöhungsbeträge auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Rentenakten der Beklagten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der sie die rentensteigernde Berücksichtigung eines EP-Zuschlages für ihre am 29. Januar 1971
in der CSSR geborene und bis zur Ausreise am 11. Februar 1972 auch dort erzogene Tochter E ("Mütter-Rente") für die Zeit ab
1. Juli 2014 weiter verfolgt, ist nicht begründet.
Nach §
307d Abs.
1 SGB VI wird bei einem Anspruch auf Rente am 1. Juli 2014 ein Zuschlag an EP für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes
Kind berücksichtigt, wenn (Nr 1) in der Rente eine KEZ für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet
wurde und (Nr 2) kein Anspruch nach den §§
294,
294a SGB VI besteht. Ein Anspruch nach den §§
294,
294a SGB VI scheidet schon aufgrund des Geburtsdatums der Klägerin aus. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
307d Abs.
1 Nr.
1 SGB VI sind indes nicht erfüllt.
Sofern der mit der Rentenanpassung zum 1. Juli 2009 beginnende Zeitraum der - mit Rentenbescheid vom 17. Juni 2009 bestandskräftig
und damit für die Beteiligten und das Gericht bindend (vgl §
77 SGG) verlautbarten - Aussparung am 1. Juli 2014 bereits abgelaufen gewesen sein sollte, fehlte es zu diesem Zeitpunkt bereits
an einer sich auf die Ermittlung des Werts des Rechts auf AR auswirkenden Anrechnung einer KEZ für die am 29. Januar 1971
geborene Tochter Ester für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Geburtsmonats, mithin für Januar 1972. Sollte die hier
nach § 48 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB X im Hinblick darauf vorgenommene Aussparung, dass der Bescheid über die Vormerkung einer KEZ wegen Ablaufs der Zweijahresfrist
des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X nicht mehr zurückgenommen werden konnte, indes am 1. Juli 2014 noch nicht beendet gewesen sein, führte dies dazu, dass sich
die objektiv rechtswidrig anerkannte KEZ vom 1. Februar 1971 bis 31. Januar 1972 zwar im Ergebnis noch anteilig auf den Rentenwert
ausgewirkt hätte, jedoch lediglich in der Form, dass der sich aus der rechtswidrig anerkannten KEZ ergebende (höhere) Teilwert
des Rechts auf Rente unverändert weiter gezahlt wird, bis die nach materiellem Recht zutreffende Sozialleistung den bisherigen
Zahlbetrag übersteigt. Dies impliziert zugleich, dass auch im Rahmen des §
307d SGB VI kein Zuschlag an EP zu der objektiv rechtswidrig anerkannten KEZ erfolgen darf (vgl zum Ganzen gleichlautend auch SG Stade,
Urteil vom 28. September 2015 - S 9 R 257/15 - juris).
Wenn schon nach § 48 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB X die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes durchbrochen werden kann, also der Sozialversicherungsträger trotz Unaufhebbarkeit
eines Verwaltungsaktes die bereits zugesprochene Leistung "einfrieren" und im vorgegebenen Rahmen auf Erhöhungen verzichten
darf, muss es (erst recht) möglich sein, an den bestandskräftigen Verwaltungsakt anknüpfende neue Rechte zu versagen ("Unrecht
darf nicht weiter wachsen"), zumal die Klägerin bereits seit dem Schreiben der Beklagten vom 28. Oktober 2003 und der im Rentenbescheid
erfolgten Aussparungsentscheidung nicht mehr darauf vertrauen konnte, dass sich an die nur noch mit den Maßgaben der späteren
Aussparung anerkannte KEZ weitergehende Vorteile anschließen könnten. Die Beklagte hatte bereits zum damaligen Zeitpunkt -
zutreffend - klargestellt, dass es an den Rechtsgrundlagen für die Aufnahme einer KEZ für die Tochter E in den Versicherungsverlauf
gefehlt hatte. Denn die Erziehung in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Geburtsmonats (vgl §
249 Abs.
1 SGB VI in der bis zum 30. Juni 2014 geltende Fassung), mithin vom 1. Februar 1971 bis 31. Januar 1972, erfolgte nicht im Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland bzw im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze und steht einer solchen auch
nicht gleich (vgl §
56 Abs.
1 Nr
2, Abs.
3, §
249 Abs.
2 SGB VI). Die Klägerin war und ist auch nicht anerkannt nach dem BVFG.