Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Leistungen für Reisekosten im Zusammenhang mit Besuchsfahrten des Klägers zu seinem erkrankten
Vater.
Der Kläger lebte seit Oktober 2004 gemeinsam mit Frau S und dem 1999 geborenen C S (im Folgenden: C.) in N (Landkreis B).
Dort bezogen sie ab dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von dem Beklagten.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 8. Dezember 2006 bei dem Beklagten die Kostenübernahme für eine Besuchsreise bei seinem
Vater W Z (verstorben 2008) in S vom 22. bis 24. Dezember 2006, an der auch C. teilnehmen sollte. Mit einem weiteren Schreiben
vom 15. Januar 2007 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für einen Besuch seines Vaters gemeinsam mit C. in der Zeit
vom 16. bis zum 18. Februar 2007. Zur Begründung führte er jeweils an, sein Vater sei 79 Jahre alt, außergewöhnlich gehbehindert
durch eine inkomplette Querschnittslähmung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mehr als 90 und schwer krank. Der Beklagte
lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 12. Dezember 2006 und 22. Januar 2007 mit der Begründung ab, in den Regelleistungen
für den Kläger und C. sei ein Anteil für Beherbergungsleistungen und Fahrtkosten enthalten. Für Besuche von Familienangehörigen
sehe das Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) einmalige Leistungen nicht vor. Hiergegen erhob der
Kläger jeweils Widerspruch und nachfolgend Untätigkeitsklagen beim Sozialgericht (SG) Berlin (- S 109 AS 5172/08 - und - S 126 AS 5173/08 -). Im Rahmen der Untätigkeitsklagen trug er vor, er habe von Freunden und Bekannten "teilweise für die Fahrtkosten Darlehen
aufnehmen" müssen. Anfang März 2007 zog der Kläger mit C. und Frau S gemeinsam nach Berlin um; der laufende Leistungsbezug
bei der Beklagten endete.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03. März 2008 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 12. Dezember 2006 und
22. Januar 2007 zurück und führte aus: In der Regelleistung bzw dem Sozialgeld seien in den Abteilungen 07 - Verkehr - und
11 - Hotel- und Gaststättenleistungen - Aufwendungen erhalten, die bei der Nutzung von Verkehrsdienstleistungen im Schienen-
und Straßenverkehr sowie für Übernachtungskosten im Hotel anfielen. Die Höhe der genannten Leistungen werde pauschalierend
und typisierend festgestellt. Mit dem Vortrag, der in der Regelleistung enthaltene Anteil der Fahrtkosten sei zu niedrig,
um Fahrten nach S zu finanzieren, könne der Kläger daher nicht durchdringen. Eine Kostenerstattung auf der Grundlage des §
23 Abs. 1 SGB II komme nicht in Betracht. Es fehlten bereits Nachweise darüber, dass die Fahrten tatsächlich durchgeführt
worden und unaufschiebbar gewesen seien. Es habe sich offenbar um geplante Besuchsfahrten ua zu den Weihnachtsfeiertagen gehandelt.
Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst die Aufhebung der Bescheide vom 12. Dezember 2006 und 22. Januar 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 03. März 2008 und die Verurteilung des Beklagten zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen
in den Widerspruchsverfahren von jeweils 30,- €, hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten beantragt, neue Bescheide zur
Zahlung von Reisekosten und den entstandenen notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu erlassen. Zur Begründung
hat er vorgetragen: Der Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihm zumindest ein Darlehen zu gewähren. Unter Zugrundelegung des
in § 3 Nr. 3 der Arbeitslosengeld II/SozialgeldVO (Alg II-V) genannten Wertes von 0,20 € pro Entfernungskilometer seien ihm
Fahrtkosten pro Besuch in Höhe von 410,40 € entstanden (1.026 km Fahrtstrecke x 0,20 €). Auch eine Bahnfahrt sei nicht günstiger.
Er habe die Fahrtkosten nicht aus Ersparnissen begleichen können. Seine finanziellen Mittel seien aufgrund bestehender Abzahlungsverpflichtungen
stark eingeschränkt. Er habe sich weiter verschulden müssen, um seinen Vater besuchen zu können. Die Regelleistung sei in
verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2008 hat der Kläger beantragt, 1. die Bescheide des Beklagten vom 12. Dezember 2006 und vom
22. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2008 aufzuheben, 2. den Beklagten zu verurteilen, ihm
(dem Kläger) Reisekosten für den Besuch seines schwerkranken Vaters vom 22. bis zum 24. Dezember 2006 und vom 16. bis zum
18. Februar 2007 jeweils in Höhe von 410,40 €, insgesamt 820,80 €, zu erstatten und an ihn (den Kläger) binnen einer Frist
von drei Werktagen ab Zustellung der Entscheidung des Sozialgerichts auf das dem Beklagten bekannte Konto zu überweisen, 3.
hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, ihm (dem Kläger) Reisekosten für den Besuch seines schwerkranken Vaters vom 22.
bis zum 24. Dezember 2006 und vom 16. bis zum Februar 2007 in Höhe von 244,- € (insgesamt 488,- €) als Darlehen iS des § 23
Abs. 1 SGB II zu gewähren und an ihn binnen einer Frist von drei Werktagen ab Zustellung der Entscheidung des SG auf das dem Beklagten bekannte Konto des Klägers zu überweisen, wobei der in § 23 Abs. 1 SGB II eingeräumte Spielraum zur
Festlegung von Tilgungsraten ("bis zu 10 vom Hundert") in verfassungskonformer Auslegung auf Null festgesetzt werden solle,
4. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die entstandenen notwendigen Aufwendungen in den Widerspruchsverfahren iHv jeweils
30,- €, notfalls unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, zu erstatten, 5. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen und 6. ersatz- und hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger einen jeweiligen neuen Bescheid zur Zahlung
von Reisekosten und den entstandenen notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts zu erteilen. Das SG hat den Kläger aufgefordert, die ihm und seinem Sohn entstandenen Fahrtkosten zu belegen und mitzuteilen, wer die Kosten
getragen habe. Der Kläger hat erklärt, dass es sich bei den Reisen vom 22. bis zum 24. Dezember 2006 und vom 16. bis zum 18.
Februar 2007 nicht um Besuchsreisen gehandelt habe. Vielmehr sei es um die Versorgung des schwerkranken Vaters und die Regelung
rechtlicher Angelegenheiten für den Fall dessen Ablebens gegangen. Die Reisen seien mit dem privaten Pkw erfolgt.
Das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2009 abgewiesen und ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Dem Kläger stünden
keine Ansprüche auf Erstattung der Reisekosten und der Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu. Ebenso wenig habe er einen
Anspruch auf Neubescheidung seiner Anträge. Die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage einzig in Betracht zu ziehenden
§ 23 Abs. 1 SGB II seien nicht erfüllt. Danach könne ein Darlehen nur gewährt werden, wenn im Einzelfall ein von der Regelleistung
umfasster Bedarf nach den Umständen unabweisbar sei und nicht auf andere Weise gedeckt werden könne. Klarzustellen sei insoweit
zunächst, dass § 23 Abs. 1 SGB II keine Rechtsgrundlage für die Gewährung eines Darlehens ohne Tilgung darstelle. Im Übrigen
scheitere die Gewährung eines Darlehens bereits daran, dass ein unabweisbarer Bedarf nicht nachgewiesen sei. Dies betreffe
zum einen die Höhe der geltend gemachten Forderung. Konkrete Fahrtkosten seien nicht belegt worden. Es sei auch offensichtlich,
dass der Kläger nicht die günstigsten Reisemöglichkeiten (ggf auch durch die Wahl eines anderen Reisetermins) genutzt habe.
Außerdem habe der Kläger offenbar die Fahrtkosten durch Aufnahme von Darlehen bei Bekannten gedeckt. Soweit er nunmehr die
Begleichung dieser Schulden als unabweisbaren Bedarf geltend mache, fehle es bereits an der konkreten Darlegung und einem
Nachweis über die Aufnahme eines Darlehens. Auch stelle die Begleichung von Schulden keinen von der Regelleistung umfassten
Bedarf dar. Eine Erstattung von Kosten für die Widerspruchsverfahren nach § 63 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) komme angesichts der Erfolglosigkeit des Begehrens nicht in Betracht. Da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien, scheide
auch ein Anspruch auf Neubescheidung aus. Offen bleiben könne daher, ob §§ 23 Abs. 1, 22 SGB II überhaupt Ermessensspielräume
eröffneten.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor: Die Regelleistung sei viel zu niedrig, um hieraus
die in Rede stehenden Fahrtkosten bestreiten zu können. Der Beklagte habe ihn, den Kläger, durch seine rechtswidrige Entscheidung
dazu genötigt, einen Dispokredit mit 13,75 % Verzugszinsen in Anspruch zu nehmen. Diese habe er ihm zu erstatten. Im Übrigen
seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) Besuchsfahrten, die über das übliche Maß - zB wegen der Schwere
einer Erkrankung - hinausgingen, als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig. Das SG habe vor diesem Hintergrund prüfen müssen, ob der begehrte Betrag einkommensmindernd zu berücksichtigen gewesen wäre. Des
Weiteren habe das SG auch Ansprüche auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe oder eines nicht rückzahlbaren Darlehens nach dem SGB II sowie einer
einmaligen Beihilfe in besonderer Lebenslage nach § 73 Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) prüfen müssen. Zudem habe das SG eine Beteiligung der Pflegekasse in Erwägung ziehen und darauf hinweisen müssen, dass die Pflegekasse nach §
39 Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (
SGB XI) im Rahmen der "Verhinderungspflege" für die Fahrtkosten aufkommen müsse. Diesen Hinweis habe auch der Beklagte nicht erteilt
und damit seine Auskunft- und Beratungspflicht verletzt. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
seien erfüllt.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
1. die Bescheide des Beklagten vom 12. Dezember 2006 und vom 22. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
03. März 2008 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, ihm Reisekosten für den Besuch seines schwerkranken Vaters vom 22. bis zum 24. Dezember 2006
und vom 16. bis zum 18. Februar 2007 jeweils in Höhe von 410,40 €, insgesamt 820,80 €, zu erstatten und an ihn binnen einer
Frist von drei Werktagen ab Zustellung der Entscheidung des Sozialgerichts auf das der Beklagten bekannte Konto zu überweisen,
3. hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, ihm Reisekosten für den Besuch seines schwerkranken Vaters vom 22. bis zum 24.
Dezember 2006 und vom 16. bis zum 18. Februar 2007 in Höhe von 244,- € (insgesamt 488,- €) als Darlehen iS des § 23 Abs. 1
SGB II zu gewähren und an ihn binnen einer Frist von drei Werktagen ab Zustellung der Entscheidung des Sozialgerichts auf
das der Beklagten bekannte Konto zu überweisen, wobei der in § 23 Abs. 1 SGB II eingeräumte Spielraum zur Festlegung von Tilgungsraten
("bis zu 10 vom Hundert") in verfassungskonformer Auslegung auf Null festgesetzt werde,
4. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die entstandenen notwendigen Aufwendungen in den Widerspruchsverfahren iHv jeweils
30,- €, notfalls unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, zu erstatten,
5. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und
6. ersatz- und hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger einen jeweiligen neuen Bescheid zur Zahlung von Reisekosten
und den entstandenen notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Ein Hefter Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens S 126 AS 8428/08 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (vgl §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), über die der Senat in Abwesenheit der Beteiligten nach §
126 SGG entscheiden konnte, ist unbegründet.
Zu Recht hat das SG einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der Fahrtkosten für zwei Besuchsreisen zu dessen erkranktem Vater als Zuschussleistung
nach dem SGB II verneint. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Leistung als rückzahlungsfreies Darlehen nach
§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden und vorliegend noch anwendbaren Fassung (aF). Die weiteren
Anträge auf Erstattung der Kosten der Widerspruchsverfahren und auf Neubescheidung bleiben ebenfalls ohne Erfolg.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß §
70 Nr
1 SGG beteiligtenfähig. Nach §
76 Abs.
3 Satz 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der zunächst beklagten Arbeitsgemeinschaft
getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt
keine im Gerichtsverfahren unzulässige Klageänderung dar (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 11/10-, juris). Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.
Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 12. Dezember 2006 und vom 22. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 03. März 2008, gegen die sich der Kläger zunächst mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs
1 SGG) gewandt hat. Der erst mit Schriftsatz vom 15. November 2011 erfolgte Übergang zur Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig.
Dem nunmehr erstmals formulierten Begehren, dem Kläger zusätzliche Leistungen in Höhe von 820,80 €, hilfsweise ein rückzahlungsfreien
Darlehens in Höhe von 488,- € für Fahrtkosten zu gewähren, steht nicht entgegen, dass der Kläger ihn erst nach Ablauf der
Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (§
87 Abs
1 Satz 1
SGG) gestellt hat. Es handelt sich hierbei nicht um eine Klageänderung iSv §
99 Abs
1 SGG, sondern um eine Erweiterung des Klageantrages gem §
99 Abs
3 Nr
2 SGG. Nach der zuletzt genannten Regelung ist es als eine Änderung der Klage nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes
der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. So liegt der Fall hier.
Durch den Leistungsantrag hat sich der Streitstoff insgesamt nicht verändert. Vielmehr will der Kläger mit seinem Leistungsbegehren
nun den eigentlichen Zweck des Prozesses erreichen, den er mit dem anfänglichen Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren nur
mittelbar betrieben hat. Weder der Sachverhalt, auf den die ursprüngliche Klage gestützt wurde, noch die Anspruchsgrundlage
hat sich geändert. Der Übergang zu einem Leistungsantrag gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 ist zulässig, selbst wenn eine Verwaltungsentscheidung
im Leistungsverfahren noch nicht getroffen worden war (vgl BSG, Urteile vom 20. September 1989 - 7 RAr 110/87 - und vom 15. Februar 1990 - 7 RAr 22/89 - juris).
Bei dem von dem Kläger als einmalige Leistung geltend gemachten Anspruch auf Fahrtkosten handelt es sich um einen eigenständigen
abtrennbaren Streitgegenstand, der isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen geltend gemacht werden
kann (vgl BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 11/10 R - juris - unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 14 AS 36/07 R = BSGE 102, 68 sowie Urteil vom 23. März 2010 - B 14 AS 6/09 R = BSGE 106,78; vgl zur Abtrennbarkeit des Streitgegenstandes auch BSG, Urteil vom 19. August 2010 - B 14 AS 13/10 R - juris und nachfolgend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. November 2010 - L 18 AS 1432/08 - juris). Der Beklagte hat in selbständigen Bescheiden vom 12. Dezember 2006 und 22. Januar 2007 Regelungen zu Lebenssachverhalten
getroffen, die hinreichend von den nach §§ 20, 22 SGB II getroffenen Entscheidungen abgrenzbar sind. Nicht mehr Gegenstand
des Verfahrens ist der im Verwaltungsverfahren ursprünglich geltend gemachte Anspruch auf Verpflegungsmehraufwand und Ersatz
der Übernachtungskosten, den der Kläger im Klageverfahren nicht weiter verfolgt hat.
Die danach zulässige Klage ist unbegründet. Dabei kann offen bleiben, ob und nach welcher Rechtsgrundlage dem Kläger überhaupt
der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten zustehen kann; denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat
der Senat im erforderlichen Vollbeweis schon nicht feststellen können, dass dem Kläger selbst ein entsprechender Bedarf entstanden
ist. Zwar kann entsprechend dem insoweit unter Beweis gestellten Vorbringen als wahr unterstellt werden, dass der Kläger die
Fahrten zu seinem erkrankten Vater zu den angegebenen Zeiten mit seinem Pkw unternommen hat, wie er dies gegenüber dem SG mit Schreiben vom 12. Januar 2009 erklärt hat. Es fehlt indes an schlüssigen Darlegungen, dass ihm hierdurch tatsächlich
Fahrtkosten entstanden sind. Entsprechende Nachweise wie Tankbelege oä hat der Kläger trotz konkreter und unmissverständlicher
Aufforderung des SG nicht vorgelegt. Er hat mit seinem schriftlichen Vorbringen hierzu lediglich und mehrfach betont, dass ihm eine Entfernungskilometerpauschale
entsprechend der Regelungen der Alg II- V zustehe, ohne auch nur annähernd glaubhaft zu machen, dass ihm Fahrtkosten - und
wenn ja, in welcher Höhe - tatsächlich angefallen sind. Die Gelegenheit, im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu den Fahrtkosten
vorzutragen, hat der Kläger nicht wahrgenommen. Weitere Ermittlungen hierzu von Amts wegen waren schon deshalb nicht angezeigt,
weil nach Lage der Sache schon entsprechende Anknüpfungstatsachen vom Kläger nicht vorgebracht worden und auch im Übrigen
nicht ersichtlich sind. Das Gericht muss diejenigen Ermittlungen durchführen, zu denen es sich nach der Sach- und Rechtslage
gedrängt fühlen muss (vgl nur BSG, Beschluss vom 20. September 2007 - B 5a/5 R 262/07 B - juris), wobei es bei der Wahl der Beweismittel gemäß §
103 Satz 2
SGG an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden ist. Das Ausmaß der Ermittlungen steht aber in seinem
pflichtgemäßen Ermessen (vgl BSG - GS -, Beschluss vom 11. Dezember 1969, GS 2/68 = BSGE 30, 192 [199]), wobei lediglich solche Ermittlungen anzustellen sind, die nach "Lage der Sache" erforderlich sind, dh das Gericht
hat nur, aber stets zu ermitteln, soweit Sachverhalt und Beteiligtenvortrag Nachforschungen nahe legen (vgl BSG, Urteil vom
12. Dezember 1995 - 5 RJ 26/94 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 12 mwN). Da der Kläger letztlich - obwohl ihm hierzu ausdrücklich Gelegenheit gegeben wurde - gar
nicht substanziiert behauptet, dass ihm tatsächlich Fahrtkosten anlässlich der in Rede stehenden Besuchsfahrten angefallen
sind, hat der Senat keine Veranlassung gesehen, diesbezüglich "ins Blaue hinein" zu ermitteln.
Indes hätte dem Kläger auch bei tatsächlich nachgewiesenen Fahrtkosten kein Anspruch auf deren Ersatz zugestanden. Soweit
der Kläger offenbar mit seinem Klageantrag zu 2. eine abweichende Festsetzung der pauschalierten Regelleistung nach § 20 SGB
II begehrt, scheidet dies unter Berücksichtigung der Gesetzesmotive (st Rspr der Senate des BSG: vgl 7b. Senat, Urteil vom
07. November 2006 - B 7b AS 14/06 R = BSGE 97, 242; 14. Senat, Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R = SozR 4-4200 § 7 Nr. 15; 4. Senat, Urteil vom 10. Mai 2011, aaO.) aus. Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung des § 3
Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom
10. Juli 2006 (BGBl I 1706) klargestellt, dass die nach dem SGB II vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen decken. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist
ausgeschlossen. Auch ein Anspruch auf ein rückzahlungsfreies Darlehen zur Deckung der geltend gemachten Fahrtkosten, wie der
Kläger ihn mit seinem Antrag zu 3. begehrt, ist ausgeschlossen, weil die Regelung des § 23 Abs. 1 aF SGB II eine Tilgung des
Darlehens zwingend vorsieht (vgl BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 11/10 R - juris, dort Rn 18). Hinzu kommt, dass im Fall der Geltendmachung von Umgangskosten, wie er hier vorliegt, die Anwendung
des § 23 Abs. 1 SGB II schon deshalb ausscheidet, weil es sich bei ihnen um wiederkehrende Bedarfe handelt, die einer darlehensweisen
Gewährung kaum zugänglich sind (vgl BSG, Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - juris). In Betracht käme allenfalls ein Anspruch des Klägers auf der von ihm angeführten Grundlage des § 73 SGB XII,
der einem ansonsten zu prüfenden verfassungsrechtlichen Anspruch vorgeht (vgl BSG, Urteil vom 19. August 2010 aaO.). Hiernach
können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Bereits
unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) war insoweit anerkannt, dass die Kosten des Umgangsrechts zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören,
für die über die Regelsätze für laufende Leistungen hinaus einmalige und laufende Leistungen zu erbringen waren (vgl BSG,
Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 14/06 R -). Das Bundessozialgericht (BSG) hat jedenfalls für Leistungen im Zusammenhang des Umgangs eines geschiedenen Elternteiles
mit seinem minderjährigen Kind eine Erstattung von Fahrtkosten nach § 73 SGB XII für möglich gehalten. Jedoch wäre auch bei
Vorliegen einer Bedarfslage ein Anspruch des Klägers nach § 73 SGB XII nicht ersichtlich. Im Bereich der Sozialhilfe ist insoweit
zu berücksichtigen, dass Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dient und nicht als nachträgliche Geldleistung
ausgestaltet ist (vgl BSG aaO.; BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = Breithaupt 2005, 803, 805). Sozialhilfeleistungen sind für einen zurückliegenden Zeitraum nur dann zu erbringen, wenn die
Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann.
Dies setzt nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch aktuelle Bedürftigkeit des Hilfesuchenden voraus (vgl BSG, Urteil
vom 29. September 2009 - B 8 SO 16/08 R = BSGE 104, 213-219). Wenn Leistungen rechtswidrig abgelehnt worden sind und der Hilfebedürftige den Bedarf in der Folgezeit im Wege der
Selbsthilfe (etwa durch Aufnahme von Schulden) oder Hilfe Dritter gedeckt hat, ist zu unterscheiden, ob Bedürftigkeit aktuell
noch besteht oder zwischenzeitlich entfallen ist (vgl BSG aaO. unter Berufung auf BVerwGE 90, 154, 156). Besteht Bedürftigkeit iS des SGB XII oder SGB II ununterbrochen fort, sind Sozialhilfeleistungen im Wege des § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) nachträglich zu erbringen, weil der Sozialhilfeträger bei rechtswidriger Leistungsablehnung nicht dadurch entlastet werden
darf, dass der Bedarf anderweitig gedeckt wurde. Im vorliegenden Fall ist weder substanziiert vorgetragen geschweige denn
nachgewiesen, dass der Kläger seinen Bedarf im Wege der Selbsthilfe oder mit Hilfe Dritter gedeckt hat. Vielmehr ist der Vortrag
des Klägers hinsichtlich der Frage, wie er die Fahrtkosten bestritten haben will, widersprüchlich. So hat er im Rahmen der
Untätigkeitsklagen noch behauptet, "teilweise für die Fahrtkosten Darlehen" bei "Freunden und Bekannten" aufgenommen zu haben.
Im Klageverfahren hat er hingegen vorgetragen, seinen Dispokredit in Anspruch genommen zu haben. Weder für die eine noch für
die andere Behauptung hat er Nachweise (Kontoauszüge oä) erbracht. Einer nachträglichen Erbringung von Leistungen nach § 73 SGB XII iVm § 44 Abs 4 SGB X steht zudem entgegen, dass die Bedürftigkeit des Klägers iS des SGB XII bzw des SGB II auch nicht ununterbrochen fortbestand,
wie der im Prozesskostenhilfeverfahren eingereichte Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit über Arbeitslosengeld
gemäß §
117 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (
SGB III) vom 19. Juni 2009 zeigt.
Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, die Aufwendungen des Klägers für Fahrten zur krankheitsbedingten Betreuung seines
pflegebedürftigen Vaters als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (vgl das von ihm zitierte Urteil des BFH vom 06.
April 1990 - III R 60/88 - juris). Da der Kläger nach seinem eigenen Vortrag im streitigen Zeitraum kein Einkommen erzielte, kommt eine Berücksichtigung
der Fahrtkosten als abzugsfähiger Posten gemäß §
33 Einkommensteuergesetz (
EStG) nicht in Betracht.
Schließlich kommt eine Verurteilung des Beklagten auch nicht auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
in Betracht. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Beklagte eine ihm aufgrund Gesetzes obliegende Pflicht, insbesondere
zur Auskunft und Beratung (§§
14,
15 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -
SGB I), verletzt hat. Der Auffassung des Klägers, der Beklagte hätte ihn auf die Möglichkeit eines Antrages auf sog "Verhinderungspflege"
nach §
39 SGB XI hinweisen müssen, kann nicht gefolgt werden. Eine rechtliche Verpflichtung des Beklagten, den Kläger iS einer ganzheitlichen
Betrachtungsweise über Zuständigkeitsgrenzen hinweg über sämtliche rechtliche Vorteile und Möglichkeiten zu informieren, kann
nicht angenommen werden (vgl hierzu BSG, Urteil vom 27. April 2004 - B 7 SF 1/03 R - juris, dort Rdn 19). Im Übrigen ist auch ein Beratungsanlass nicht erkennbar. Zwar hat der Kläger im Rahmen seiner Anträge
vom 08. Dezember 2006 und 15. Januar 2007 vorgetragen, dass sein Vater schwer krank sei. Er hat aber weder dessen Pflegebedürftigkeit
erwähnt noch dazu vorgetragen, dass etwa eine Pflegeperson, die seinen Vater sonst pflegte, verhindert sei und er diese Person
ersetzen müsse.
Da der Beklagte die von dem Kläger geltend gemachte Übernahme der Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 820,80 € (hilfsweise 488,-
€) zu Recht abgelehnt hat, war die Berufung auch insoweit zurückzuweisen, als eine Verpflichtung zur Neubescheidung begehrt
worden ist. Angesichts der Erfolglosigkeit des Begehrens des Klägers kommt eine Erstattung von Kosten für das Widerspruchsverfahren
nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.