SGB-II-Leistungen
Kosten der Unterkunft und Heizung
Übernahme von Gasschulden als Darlehen
Einstweiliger Rechtsschutz
Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft
1. Grundsätzlich werden im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II - ebenso wenig wie im Sozialhilferecht - keine Schulden übernommen; § 22 Abs. 8 SGB II stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar.
2. Die Übernahme von Miet- bzw. Energiekostenschulden erfolgt aber nicht allgemein zur finanziellen Entlastung des Berechtigten,
sondern ausschließlich wegen einer gegenwärtigen drohenden Notlage, nämlich weil sonst der Verlust der Wohnung bzw eine dem
Verlust der Wohnung gleichzustellende Sperrung der Energieversorgung eintreten würde.
3. Die Schuldenübernahme muss dementsprechend zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt und notwendig sein.
4. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 22 Abs. 8 SGB II erfüllt, wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verpflichtung des SGB-II-Trägers zur - regelmäßig - darlehensweisen Übernahme der Schulden nur dann erfolgen können, wenn die zu treffende Ermessensentscheidung
für die Antragsteller voraussichtlich positiv ausfallen wird.
5. Bei der gebotenen Ermessensentscheidung sind in einer umfassenden Würdigung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen,
insbesondere die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, der betroffene Personenkreis, die Frage der Betroffenheit von kleinen
Kindern oder kranken und behinderten Menschen, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Ihnen steht ein durch eine gerichtliche Regelungsanordnung iSV §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu sichernder Anordnungsanspruch auf Übernahme der bei der GASAG B (GASAG) aufgelaufenen Gasschulden iHv 12.888,90 EUR (vgl
Sperrrechnung vom 24. November 2017) als Darlehen zu.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Abwendung wesentlicher Nachteile zulässig. Der Gesetzgeber hat auf eine beispielhafte Aufzählung
der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verzichtet, denn das Gericht soll ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien
eine Einzelfallentscheidung treffen (vgl BTDrucks 14/5943, S 25). Damit begrenzt der Gesetzgeber den einstweiligen Rechtsschutz
nicht auf die Beeinträchtigung bestimmter formaler Rechtspositionen, sondern verlangt eine wertende Betrachtung im konkreten
Einzelfall. Entsprechend haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Verfahren des Eilrechtsschutzes zur Übernahme von
Energiekostenschulden auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des insoweit einschlägigen § 22 Abs. 8 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Daher ist bei der Prüfung, ob neben einem Anordnungsanspruch
ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen
Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art eine Unterbrechung der Energieversorgung gerade für den
oder die Betroffenen hätte.
Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Antragsteller kommt nur § 22 Abs. 8 SGB II in Betracht. Nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung
der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Es ist allgemein anerkannt, dass vom Regelungsgehalt
dieser Vorschrift nicht nur die Übernahme von Mietschulden, sondern darüber hinaus auch eine Übernahme von sonstigen Schulden
- insbesondere auch der hier streitigen Gaskostenrückstände - erfasst werden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen
des SGB II-Trägers. Dieses Ermessen verdichtet sich zu einem sogenannten gebundenen Ermessen, wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II vorliegen. Danach sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit
einzutreten droht. In diesem Fall sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II).
Ausgangspunkt dieser Regelung ist der Grundsatz, dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der
Deckung eines gegenwärtigen Bedarfes dient. Grundsätzlich werden also im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II - ebenso wenig wie im Sozialhilferecht - keine Schulden übernommen. § 22 Abs. 8 SGB II stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Die Übernahme von Miet- bzw Energiekostenschulden erfolgt aber nicht allgemein
zur finanziellen Entlastung des Berechtigten, sondern ausschließlich wegen einer gegenwärtigen drohenden Notlage, nämlich
weil sonst der Verlust der Wohnung bzw eine dem Verlust der Wohnung gleichzustellende Sperrung der Energieversorgung eintreten
würde. Die Schuldenübernahme muss dementsprechend zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt und notwendig sein. Sind die
Tatbestandsvoraussetzungen nach § 22 Abs. 8 SGB II erfüllt, wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verpflichtung des SGB II-Trägers zur - regelmäßig - darlehensweisen Übernahme der Schulden nur dann erfolgen können, wenn die zu treffende Ermessensentscheidung
für die Antragsteller voraussichtlich positiv ausfallen wird. Bei der gebotenen Ermessensentscheidung sind in einer umfassenden
Würdigung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, der betroffene
Personenkreis, die Frage der Betroffenheit von kleinen Kindern oder kranken und behinderten Menschen, das in der Vergangenheit
gezeigte Verhalten und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe. In dieser Gesamtschau kann es von Bedeutung sein, ob ausnahmsweise
die Leistungsberechtigten ein missbräuchliches Verhalten an den Tag gelegt haben. Dieser Umstand könnte uU anzunehmen sein,
wenn die Hilfesuchenden ihre Mieten oder Energiekostenabschläge bewusst im Vertrauen darauf nicht zahlen, dass diese später
doch vom Leistungsträger darlehensweise übernommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) tritt bei der Gesamtabwägung nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II indes auch ein wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit
mitverursacht haben mag, regelmäßig zurück (vgl BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 - B 14 AS 68/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 41 - Rn 31). Denn Miet- oder Energiekostenschulden werden in aller Regel durch ein (ggf nicht nachvollziehbares)
Fehlverhalten des Leistungsberechtigten entstanden sein und die Regelung zur Schuldenübernahme würde ansonsten leerlaufen.
Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - kleine Kinder bzw Minderjährige betroffen sind, weil möglicherweise ein erwachsener
Leistungsberechtigter in Ausnahmefällen auf die übergangsweise Nutzung einer Notunterkunft verwiesen werden darf, nicht aber
minderjährige Kinder bei einem fehlerhaften Verhalten ihrer Eltern (Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II-Kommentar, Stand: Oktober 2012, § 22 Rn 355; Link in: Eicher, SGB II-Kommentar, 3. Auflage 2013, § 22 Rn 242). Etwas anderes kann jedoch gelten in Missbrauchsfällen bei gezielter Herbeiführung von Miet- bzw Energierückständen,
wenn es trotz entsprechender Unterstützung in der Vergangenheit wiederholt zu Rückständen gekommen und kein Selbsthilfewille
erkennbar ist. Von einem derartigen sozialwidrigen und auch gegenüber ihren Kindern verantwortungslosen Verhalten der Antragsteller
zu 1) und 2) geht der Senat im vorliegenden Fall indes nicht aus.
Die Antragsteller zu 1) und 2) haben insoweit vorgetragen, im Jahr 2013 aus G in die im Rubrum bezeichnete Wohnung gezogen
zu sein. Sie haben sich zwar bei der GASAG für den laufenden Gasbezug nicht angemeldet, dessen ungeachtet aber über mehrere
Jahre Gas bezogen, um ihre Wohnung zu beheizen. Die nach erhobener Duldungsklage erfolgte Gassperre steht einem Verlust der
Wohnung gleich (vgl Berlit in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 22 Rn 255). Zwar ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend aufzuklären, weshalb keine Anmeldung
bei der GASAG und auch keinerlei Zahlung an den Versorger erfolgten, obwohl die Antragsteller zu 1) und 2) mit den Gepflogenheiten
bei der Anmietung einer Wohnung vertraut gewesen sein dürften. Da der Versorger indes selbst erst nach mehr als drei Jahren
laufender Bereitstellung von Gas im September 2016 (!) tätig wurde, die Antragsteller kontaktierte und die Begleichung der
aufgelaufenen Schulden forderte, kann hier zumindest ein missbräuchliches gezieltes Herbeiführen der Gasschulden den Antragstellern
zu 1) und 2) nicht ohne weiteres vorgeworfen werden, zumal nicht ersichtlich ist, dass es in der Vergangenheit schon zur Übernahme
von Energieschulden gekommen war. Eine weitergehende Sachaufklärung wird insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Nach Würdigung des Vorbringens der Antragsteller, die neben dem für die Antragsteller zu 3) bis 5) bezogenen Kindergeld kein
Einkommen beziehen und im laufenden SGB II-Leistungsbezug stehen, dürfte auch nicht von verwertbaren Vermögensgegenständen auszugehen sein, die eine Schuldentilgung
ermöglichen würden. Das Gewerbe wurde bereits am 4. September 2017 abgemeldet. Von einer Sicherung der bewohnten Unterkunft
ist im Übrigen auch im Hinblick auf die Kündigung des Mietverhältnisses bereits im Februar 2017 zumindest für absehbare Zeit
auszugehen, weil eine Räumungsklage trotz des beträchtlichen Zeitablaufs bislang nicht erhoben worden ist und zudem selbst
im Falle seiner solchen Klage in absehbarer Zeit noch nicht mit einem Auszug bzw einer Räumung der Wohnung zu rechnen ist.
Der Heizbedarf fällt jedoch aktuell und bis zum Ende des Winters bzw Frühjahrs an.
Der Senat hat bei der vorzunehmenden Folgenabwägung berücksichtigt, dass der Sicherung einer - gerade im Winter und bei den
derzeit herrschenden Außentemperaturen - ausreichend beheizbaren Unterkunft aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Gewährleistung
einer menschenwürdigen Existenz ein überragender Stellenwert zukommt. Dies gilt umso mehr, als hier kleine Kinder betroffen
sind und die Antragstellerin zu 1) schwanger ist. Bei einer Ablehnung des Antrags bestünde daher die Gefahr gesundheitlicher
Beeinträchtigungen und eines nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit der Antragsteller,
die unter dem besonderen Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung steht (vgl Art.
2 Abs.
2 Satz 1
Grundgesetz). Der Anordnungsgrund ergibt sich dabei ohne weiteres aus der bereits erfolgten Gassperre, die nach den Hinweisen des Versorgers
in der Sperrrechnung erst nach einer vollständigen Begleichung der Schulden wieder aufgehoben werde. Eine realistische Annahme,
dass die Antragstellerin zu 1) anstelle des Antragstellers zu 2) kurzfristig einen Gasliefervertrag mit einem anderen Versorger
abschließen kann und damit die Versorgung mit Gas (wieder) gewährleistet wäre, ist nach den Erkenntnissen des Senats auszuschließen,
da in den entsprechenden Antragsformularen (zB online anzufragen bei der S bzw Y) bei einem Versorgerwechsel explizit der
bisherige Versorger und die Zählernummer erfragt werden. In Anbetracht der exorbitanten familiären Gasrückstände bestehen
daher nur geringe Aussichten, tatsächlich einen neuen Versorgungsvertrag abschließen zu können. Entsprechende Versuche der
Antragsteller sind daher bislang auch erfolglos geblieben (vgl Schriftsatz vom 10. Januar 2018 nebst Anlagen)
Die Übernahme der Gasschulden hat entsprechend § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II als Darlehen zu erfolgen. In Anwendung von § 22 Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 Nr. 2 SGB II war der Antragsgegner zur Zahlung an den Versorger zu verpflichten, weil Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die zweckentsprechende
Verwendung durch die Antragsteller, die auch andere Schulden in beträchtlicher Höhe haben, nicht sichergestellt ist.
Die Übernahme der Energiekostenrückständen kann von flankierenden Maßnahmen abhängig gemacht werden, die dem Auflaufen weiterer
Rückständen entgegenwirken, zB der Einwilligung in die Direktüberweisung von Vorauszahlungen an das Energieversorgungsunternehmen.
Das Gericht macht vorliegend von der in §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG iVm §
938 Zivilprozessordnung (
ZPO) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, zum Erreichen des Zwecks der Regelungsanordnung diese von einer Mitwirkungshandlung der
Antragsteller abhängig zu machen. Die dauerhafte Versorgung mit Heizgas und damit der Erhalt der Wohnung, der Zweck der Schuldenübernahme
nach § 22 Abs. 8 SGB II sein muss, kann nur erreicht werden, wenn die Antragsteller bereit sind, einer direkten Überweisung der Abschlagszahlungen
an den Gasversorger zuzustimmen und so ein weiteres Verfahren darüber, ob der zuständige Träger dazu auch ohne ihre Zustimmung
berechtigt wäre, zu vermeiden. Dadurch werden die Antragsteller zudem zu einem wirtschaftlichen Heizverhalten angesichts ihres
in der Vergangenheit ungewöhnlich hohen Verbrauchs angehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) sind Kosten kraft Gesetzes nicht zu erstatten (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG iVm §
127 Abs.
4 ZPO).
Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war abzulehnen, weil die Antragsteller
auf den ausgeworfenen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner verwiesen werden können. Gleiches gilt für das erstinstanzliche
Verfahren, so dass die PKH-Beschwerde zurückzuweisen war.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).