Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
Die Beschwerde, über die der Senat ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter entscheiden konnte (§§
12 Abs.
1 Satz 2,
176 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig und in der Sache begründet.
Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes von nur 375,00 € (Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 13. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2009 über 375,00 € für
den Zeitraum vom 01. Juni bis 31. August 2008) den Betrag von mehr als 750,00 €, bei dem eine Berufung nach §
144 Abs.
1 Satz 1
SGG grundsätzlich statthaft ist, nicht erreicht. Auch im diesem Fall bleibt die Beschwerde nach §
172 Abs.
1 SGG zulässig (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Auflage 2008, §
172 Randnummer [Rn] 3, §
73a Rn 12b). Nach dieser Vorschrift findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen
der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht [LSG] statt, soweit nicht in diesem Gesetz (dem
SGG) anderes bestimmt ist. Eine abweichende Bestimmung ist insbesondere nicht nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG getroffen, auch wenn dort die entsprechende Geltung der Vorschriften der
Zivilprozessordnung [ZPO] über die Prozesskostenhilfe [PKH] vorgesehen ist. Zwar kennt die
ZPO in §
127 Abs.
2 Satz 2
ZPO für den Fall der Ablehnung von PKH, die - wie hier - nicht allein auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
der Klägerin gestützt wird, einen Ausschluss der Beschwerde, wenn der Streitwert in der Hauptsache den in §
511 ZPO genannten Betrag von 600,00 € nicht übersteigt. Die genannte Sonderregelung des §
127 Abs.
2 Satz 2
ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren allerdings nicht anwendbar (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2010 - L
5 AS 610/10 B PKH -; LSG Baden-Württemberg vom 06. Mai 2010 - L 7 AS 5876/09 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. März 2010 - L 25 B 1612/08 AS PKH -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06. Januar 2010 - L 2 R 527/09 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juli 2009 - L 28 B 1379/08 AS PKH -; entgegen LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2010 - L 20 AS 1602/10 B PKH -; Bayrisches LSG, Beschluss vom 30. März 2010 - L 9 B 77/06 AL PKH -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2010 - L 34 AS 2015/09 B PKH - alle juris.de). Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl.
etwa §
511 Abs.
4 ZPO im Vergleich zu §
145 Abs
4 SGG) und entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 31. März 2010 - L 19 AS 829/09 B PKH (zu §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG) - juris.de - und vom 17. August 2010 - L 19 AS 1172/10 B PKH -), auf deren Begründungen sich der Senat weiterhin bezieht.
Der Senat hält an seiner Auffassung auch in Ansehung der Änderung des §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG zum 11. August 2010 durch das "Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" vom 05.
August 2010 (Art 12 Satz 1 dieses Gesetzes - Bundesgesetzblatt [BGBl] I, 1127) fest. In Kenntnis der streitigen obergerichtlichen
Auslegung des §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG hat der Gesetzgeber mit dieser Änderung nur eine Beschränkung der PKH- Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz geregelt.
Damit ist entgegen der Auffassung des 20. Senats des erkennenden Gerichts (Beschluss vom 27. September 2010 - am angegeben
Ort [aaO.]; ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 04. Oktober 2010 - L 7 AS 436/10 B - juris.de) gerade kein Wille des Gesetzgebers erkennbar, auch für eine PKH- Beschwerde in einem sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren
einen Ausschluss zu normieren. Zwar stimmt der Senat dem Hessischen LSG (aaO.) ausdrücklich dahingehend zu, dass gerade aus
Sicht der Rechtsanwender eine eindeutige gesetzliche Regelung sinnvoll gewesen wäre, was aber sowohl nach dem Wortlaut als
auch nach der Gesetzesbegründung (Bundesrats-Drucksache [BR-Drucks] 15/10, Seite 23) ausdrücklich unterlassen ("offen gelassen")
worden ist. Gemessen an den Erfordernissen des verfassungsmäßigen Gebots der Rechtsmittelklarheit (zuletzt teilweise stattgebender
Kammerbeschluss des Bundesverfassungsrichts [BVerfG] vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 - juris.de, mit weiteren Nachweisen [mwN]) ist daher §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG weiterhin wortlautgetreu eng im Sinne der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns sowie der Effektivität des gerichtlichen
Rechtsschutzes auszulegen.
Nach §
73a Abs.
1 SGG in Verbindung mit [iVm] §
114 Satz 1
ZPO erhält eine Prozessbeteiligte auf Antrag PKH, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten
der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Entgegen der nicht näher begründeten Rechtsauffassung des SG sieht der Senat bereits die Beteiligtenfähigkeit und Klagebefugnis der Klägerin nach §§
69,
70 SGG nicht als ausgeschlossen an und misst der Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bei. Das SG verkennt bereits den nicht eindeutigen Wortlaut des angefochtenen Bescheides vom 13. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16. Juni 2009. Nach § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X] muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt
sein, was insbesondere den Adressaten und den Verfügungssatz betrifft. Daran fehlt es hier: Unabhängig davon, dass aus der
vom Beklagten übersandten - eher rudimentär geführten - Verwaltungsakte überhaupt gegenüber dem vom SG angenommenen Verpflichteten Franjo Bauer (geboren am 21. Mai 2008) für den hier allein streitigen Zeitraum keine Bewilligung
von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] erkennbar ist (der mit dem vorbezeichneten Bescheid teilweise
zurückgenommenen Bescheid vom 04. Februar 2008 enthält - begriffsnotwendig - gerade keine Leistungsbewilligung für den erst
später geborenen Sohn der Klägerin und der - nicht vollständig vorliegende - Bewilligungsbescheid vom 22. August 2008 betrifft
zunächst wohl nur den Zeitraum ab dem 01. September 2008) und die vom SG unterstellte Teilrücknahme gegenüber Franjo Bauer damit faktisch ins Leere läuft, hat der Beklagte zunächst noch im Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 13. Februar 2009 aufgrund der nachträglichen Bewilligung eines Unterhaltsvorschusses (Bescheid
Bezirksamt T-K von B vom 07. August 2008) die Erzielung von Einkommen der Klägerin ("Sie haben Einkommen oder Vermögen erzielt")
unterstellt, während im Widerspruchsbescheid davon ausgegangen wird, der Sohn der Klägerin habe nachträglich Einkommen erzielt.
Von wem genau 375,- € zurückgefordert werden, ist damit nicht eindeutig zu klären. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
[BSG] (Urteil vom 14. August 1996 - 13 RJ 9/95 - Sozialrecht [SozR] 3-1200 § 42 Nr 6) gehen Unklarheiten zu Lasten der Behörde, so dass nicht ausgeschlossen erscheint,
dass entsprechend dem Wortlaut des Ursprungsbescheides gerade die Klägerin zu Unrecht mit der Erstattung von 375,00 € belastet
wird. Zudem ergibt sich aus der Verwaltungsakte des Beklagten nicht, ob aufgrund des Erstattungsantrags des Beklagten vom
05. August 2008 der Klägerin überhaupt anrechenbares Vermögen nach § 11 SGB II zugeflossen ist.
Das SG wird zunächst den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären und vom Beklagten die vollständigen Verwaltungsvorgänge
beizuziehen haben. Soweit der Beklagte im laufenden Beschwerdeverfahren auf die entsprechenden Verfügungen des Berichterstatters
(09. August, 21. September und 20. Oktober 2010) schlicht nicht reagiert hat, ist dies zwar (noch) nicht entscheidungserheblich,
bestenfalls aber prozessual ungewöhnlich und rechtsstaatsstrapazierend. Soweit das SG schließlich tatsächlich im Rahmen dieser Ermittlungen eine rücknahmefähige Bewilligungsentscheidung des Beklagten ermitteln
sollte, wird es zudem nach §
123 SGG den genauen Adressaten des angefochtenen Verwaltungsaktes vom 13. Februar 2009 zu ermitteln und ggf. zu prüfen haben, ob
von Amts wegen entsprechend der Anregung der Klägerin im Beschwerdeverfahren das Rubrum zu berichtigen sein wird.
Da erst mit dem Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin (zur Verpflichtung
zur Vorlage dieser Erklärung, vgl. §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG iVm §
117 Abs.
2 und
4 ZPO; dazu BVerfG, Nichtannahmenbeschluss vom 14. April 2010 - 1 BvR 362/10 - juris.de) am 02. Juli 2010 auch die weiteren Voraussetzungen des §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG iVm §
114 ZPO vorgelegen haben, war der Beschluss des SG vom 14. Juli 2010 aufzuheben und der Klägerin für das Klageverfahren PKH ab dem 02. Juli 2010 unter Beiordnung von Rechtsanwalt
S zu bewilligen; im Übrigen war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
73a Abs.
1 SGG iVm §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht [BSG] anfechtbar, §
177 SGG.