Zuerkennung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen
Verbot der übergreifenden Saldierung
Monatlicher Binnenvergleich der tatsächlich erworbenen Entgeltpunkte mit der Gesamtleistungsbewertung
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die sie seit dem 1. Januar 2003
von der Beklagten bezieht.
Am 5. September 2012 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Beklagten für die Klägerin die Neuberechnung
der Rente und bezogen sich hierbei auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. April 2010 zum Geschäftszeichen B 5 R 62/08 R. Hierzu vertraten sie die Auffassung, die bei der Klägerin festgestellten Zeiträume, in denen beitragsgeminderte Zeiten
mit Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft bzw. mit Anrechnungszeiten wegen Arbeitsausfalltagen zusammentrafen, seien jeweils
getrennt zu berücksichtigen und dürften nicht zu einer Gruppe zusammengefasst werden. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2012 stellte
die Beklagte die der Klägerin gewährte Rente neu fest, gelangte hierbei jedoch nicht zu einer Veränderung des Rentenbetrages.
In Anlage 4 auf Seite 6 des Bescheides vom 30. Oktober 2012 ging die Beklagte davon aus, dass für die Klägerin insgesamt zwei
Monate mit Beitragszeiten und Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft zu verzeichnen seien (August 1961 und September 1961)
sowie elf Monate mit Beitragszeiten und mit Anrechnungszeiten für Arbeitsausfalltage (November 1975, November 1976, Oktober
1977, Oktober 1978, November 1983, März 1986, April 1986, Dezember 1986, November 1987, Dezember 1988 sowie Dezember 1989).
Diese Zeiträume fasste sie zu insgesamt 13 Monate zusammen und errechnete hieraus 0,4492 Entgeltpunkte.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2013 zurück und
führte zur Begründung aus, das von der Klägerin angeführte Urteil des Bundessozialgerichts betreffe einen anderen Fall. Anders
als dort könnten beitragsgeminderte Zeiten wegen Schwangerschaft und für Arbeitsausfalltage zu einer Gruppe zusammengefasst
werden.
Mit der am 14. März 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Mit Urteil vom 3. Februar 2014 hat
das Sozialgericht Berlin die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. März 2013 verpflichtet, der Klägerin eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. Januar 2003 unter
Berücksichtigung eines nach den beitragsgeminderten Zeiten wegen Schwangerschaft und wegen Arbeitsausfalltagen jeweils gesondert
ermittelten Zuschlags nach §
71 Abs.
2 Sozialgesetzbuch / Sechstes Buch (
SGB VI) zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berechnung der Beklagten könne sich nicht auf §
71 Abs.
2 SGB VI stützen. Der nach dieser Vorschrift zu bildende Zuschlag für beitragsgeminderte Zeiten der Klägerin wegen Schwangerschaft
und wegen Arbeitsausfalltagen sei jeweils gesondert zu ermitteln und dürfe nicht, wie im Bescheid vom 30. Oktober 2012 geschehen,
unter Anwendung einer Saldierung ermittelt werden. Das Urteil ist der Beklagten am 7. Februar 2014 zugestellt worden.
Mit der hiergegen am 26. Februar 2014 erhobenen Berufung macht die Beklagte geltend, die von ihr durchgeführte Berechnung
sei zutreffend. Insbesondere betreffe das Urteil des Bundessozialgerichts, auf das sich neben der Klägerin auch das Sozialgericht
gestützt habe, einen anderen Sachverhalt. Die Ausführungen des Bundessozialgerichts stünden einer Gruppenbildung in dem vorliegenden
Fall nicht entgegen.
Soweit das Verfahren Ansprüche auf Rentenzahlung für Zeiträume vor dem 1. Januar 2008 betrifft, haben es die Beteiligten übereinstimmend
für erledigt erklärt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Februar 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in dem nach übereinstimmender Erledigungserklärung noch rechtshängigen Teil nicht begründet. Zu
Recht hat das Sozialgericht die von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Oktober 2012 vorgenommene Zusammenfassung
der beitragsgeminderten Zeiten, in denen Beitragszeiten mit Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft zusammenfallen und beitragsgeminderten
Zeiten, in denen Beitragszeiten mit Anrechnungszeiten für Arbeitsausfalltage zusammenfallen, beanstandet. Maßgeblich ist insoweit
§
71 Abs.
2 SGB VI. Dieser lautet:
Für beitragsgeminderte Zeiten ist die Summe der Entgeltpunkte um einen Zuschlag so zu erhöhen, dass mindestens der Wert erreicht
wird, den diese Zeiten jeweils als beitragsfreie Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit, wegen einer schulischen
Ausbildung und als Zeiten wegen einer beruflichen Ausbildung oder als sonstige beitragsfreie Zeiten hätten.
Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 27. April 2010, B 5 R 62/08 R, zwar nur darüber zu entscheiden gehabt, ob Zeiten einer schulischen und beruflichen Ausbildung in diesem Zusammenhang
zu einer Gruppe zusammengefasst werden dürfen oder aber jeweils gesondert zu berechnen seien, doch hat es zugleich abstrakte
Ausführungen zur Auslegung des §
71 Abs.
2 Satz 1
SGB VI gemacht. So heißt es in Randnummer 27 der bei Juris abgedruckten Entscheidung:
"Die Bildung von "Gruppen" im Rahmen von §
71 Abs.
2 SGB VI kann unter diesen Umständen nur in der Weise vonstatten gehen, dass alle/nur Zeiten, die gemeinsam den Tatbestand einer beitragsfreien
Zeit erfüllen, zusammengefasst werden. Nur insofern kann jeweils ein Vergleich der Summe der Entgeltpunkte auf der Grundlage
der Vergleichsbewertung der Gesamtleistungsbewertung und der Summe der Entgeltpunkte für Beitragszeiten durchgeführt werden.
Nur dies entspricht schließlich dem mit dem Paradigmenwechsel zum 1. Januar 1996 eingeführten Verbot der übergreifenden "Saldierung"."
Das Bundessozialgericht hat in derselben Entscheidung an mehreren Stellen weitere Ausführungen zu Sinn und Zweck des §
71 Abs.
2 Satz 1
SGB VI gemacht, die einer Gruppenbildung grundsätzlich entgegenstehen. So heißt es in Randnummer 29 der bei Juris abgedruckten Entscheidung:
"Erst recht ist dieser Norm, die sich allein auf einen monatlichen Binnen-Vergleich [Hervorhebung durch das LSG] der tatsächlich
durch beitragsversicherte Einkünfte erworbenen Entgeltpunkte mit dem sich aus der Vergleichsbewertung der Gesamtleistungsbewertung
ergebenden Wert beschränkt, eine Begrenzung auf die sich zeitlich und sachlich hiervon unterscheidenden Entgeltpunkt-Werte
für andere Zeiten fremd."
Weiter heißt es in Randziffer 38 der bei Juris abgedruckten Entscheidung:
"Im Anwendungsbereich des seit 1996 entscheidend geänderten §
71 Abs.
2 SGB VI geht der Gesetzgeber, wie dargestellt, davon aus, dass sich Entgeltpunkte für Beitragszeiten nicht über diejenige Art von
beitragsfreien Zeiten hinaus zu Lasten des Zuschlags an Entgeltpunkten auswirken sollen, mit denen sie in den Kalendermonaten
[Hervorhebung durch das LSG] beitragsgeminderter Zeiten zusammentreffen (Verbot der "Saldierung")."
Mit der Bezugnahme auf den am jeweiligen Monat auszurichtenden Vergleich kommt zum Ausdruck, so dass eine Zusammenfassung
von Zeiträumen nicht der Systematik des Gesetzes entspricht.
Wenn das BSG gleichwohl eine Gruppenbildung nicht für gänzlich ausgeschlossen hält, so ergibt sich doch aus Randnummer 27 der Entscheidung,
dass nur solche Zeiten zu einer Gruppe zusammengefasst werden dürfen, die gemeinsam den Tatbestand einer beitragsfreien Zeit
erfüllen, mithin nach jeweiligen Tatbeständen beitragsfreier Zeiten zu unterscheiden ist. Beitragsfreie Zeiten sind gemäß
§
54 Abs.
4 SGB VI Kalendermonate, die mit Anrechnungszeiten, mit einer Zurechnungszeit oder mit Ersatzzeiten belegt sind, wenn für sie nicht
auch Beiträge gezahlt worden sind. Im vorliegenden Fall geht es um Anrechnungszeiten im Sinne von §
252a Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI und gemäß §
252a Abs.
2 Satz 1
SGB VI, nämlich einerseits um solche Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft (2 Monate 1961) und andererseits um so genannte Anrechnungszeiten
für Arbeitsausfalltage (11 Monate zwischen 1975 und 1989). Insoweit sind bereits aufgrund der jeweils getrennten Rechtsgrundlage
im Rahmen des §
252a SGB VI unterschiedliche Tatbestände von beitragsfreien Zeiten gegeben, so dass in Anwendung der Rechtsprechung des BSG eine Gruppenbildung unter Zusammenrechnung beider Zeiten unzulässig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem auf Rentennachzahlung bereits ab dem 1. Januar 2003 gerichteten Begehren
erst ab Januar 2008 erfolgreich ist.
Die Zulassung der Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG geboten.