Verwerfung einer unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde
Keine Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung
Gründe:
I.
Die 1965 geborene Klägerin lebt gemeinsam mit ihrem 1962 geborenen Ehemann, für den unter dem Aktenzeichen L 31 AS 1674/16 NZB ein Parallelverfahren bei Gericht anhängig ist, in einer Bedarfsgemeinschaft und steht im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Im Anschluss an zwischenzeitlich von der Klägerin erzieltes Arbeitseinkommen (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche
Urteil verwiesen) hob der Beklagte mit einem an die Klägerin adressierten Teilaufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 29.
November 2010 zuvor bewilligte Leistungen teilweise auf und forderte von der Klägerin zu Unrecht erhaltene Leistungen in Höhe
von 540,23 Euro zurück. Die Gesamtrückforderung gegenüber der Bedarfsgemeinschaft betrug 1.080,47 Euro. Den hiergegen von
der Klägerin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2011 zurück. Der Widerspruchsbescheid
wurde bestandskräftig.
Unter dem 11. November 2011 erging an die Klägerin unter Bezugnahme auf das genannte Verfahren eine Zahlungsaufforderung des
Beklagten über den Betrag von 540,23 Euro. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2011 teilte die Klägerin mit,dies unter Bezugnahme
auf den Widerspruchsbescheid vom 2. November 2011, dass sie die geforderte Hauptforderung in monatlichen Raten zusammen mit
ihrem Mann abbezahlen werde. Sie würden allerdings nicht einzeln eine Ratenzahlungsvereinbarung unterschreiben und nicht einzeln
bezahlen. Bevor man eine Ratenzahlungsvereinbarung mache, bestehe man auf einem schriftlichen Auszug aus dem Sozialgesetzbuch,
woraus hervorgehe, wie hoch die monatlich festzusetzende Rate sei und ob man in ihrer sozialen Situation überhaupt vorläufig
zur Zahlung verpflichtet werden könne.Der Beklagte wertete das Schreiben als Stundungsantrag und erließ unter Bezugnahme auf
das genannte Schreiben der Klägerin vom 2. Dezember 2011 den vorliegend streitgegenständlichen "Stundungs- und Zinsbescheid"
vom 24. April 2012, mit dem er mitteilte, die Rückforderung in Höhe von 540,23 Euro dergestalt zu stunden, dass die Summe
in insgesamt 17 Raten im Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis 1. September 2013 rückzahlbar sei. Für die Dauer der gewährten Stundung
würden Stundungszinsen erhoben in Höhe von insgesamt 11,18 Euro, die mit der letzten Rate am 1. September 2013 zu zahlen seien.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2013 zurück. Der Stundungs- und
Zinsbescheid vom 24. April 2012 sei rechtmäßig. Auch die Höhe der festgesetzten Raten sowie die Stundungszinsen in Höhe von
11,18 Euro seien angemessen.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Neuruppin mit Urteil vom 8. Juni 2016 den Bescheid des Beklagten vom
24. April 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2013 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, dass
diese Bescheide rechtswidrig seien. Dies liege zwar entgegen der Auffassung der Klägerin nicht daran, dass die Rückzahlung
eines monatlichen Teilbetrages in Höhe von 33,70 Euro für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde. Denn die Höhe dieser
Rate entspräche genau 10 Prozent des für die Klägerin damals maßgebenden Regelbedarfes, in dieser Höhe seien auch Aufrechnungen
nach im Einzelnen benannten gesetzlichen Vorschriften zulässig. Anders als der Beklagte meine sei die Höhe der festgesetzten
monatlichen Ratenzahlungen aber nicht etwa deshalb rechtmäßig, weil sie der gesetzlichen Regelung nach § 43 Abs. 2 SGB II entspräche. Denn der Beklagte sei gerade nicht im Wege der Aufrechnung vorgegangen. Sein Vorgehen im Wege des streitgegenständlichen
Stundungs- und Zinsbescheides sei rechtswidrig gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass dem Beklagten neben der - von ihm nicht
genutzten - Möglichkeit der Aufrechnung nach § 43 Abs. 2 SGB II zulässigerweise das Recht zugestanden hätte, im Wege der Stundung nach §
42 Abs.
3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) vorzugehen und von der Klägerin Zinsen in Höhe von 11,18 Euro zu verlangen. Das Urteil schließt mit der Belehrung, dass
die Zulassung der Berufung nicht in Betracht komme, es enthält die Rechtsmittelbelehrung, dass die Entscheidung nur dann mit
der Berufung angefochten werden könne, wenn sie nachträglich zugelassen werde.
Gegen dieses ihm am 21. Juni 2016 zugegangene Urteil wendet sich der Beklagte mit der am 8. Juli 2016 eingegangenen Beschwerde.
Er trägt vor, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zukomme. Die Auffassung des Sozialgerichts würde bedeuten, dass im SGB II keine rechtliche Grundlage für die Stundung von Erstattungsbeträgen bzw. die Erhebung von Zinsen bestünde. Somit wären bei
der Bearbeitung von Rückforderungen die Anträge auf Stundung und Ratenzahlung abzuweisen und die Forderung sofort fällig.
Darüber hinaus wäre der Stundungs- und Rückforderungsbescheid nicht insgesamt rechtswidrig, sondern nur soweit darin Zinsen
erhoben worden seien. Hinsichtlich der Hauptforderung von 540,23 Euro bliebe der Bescheid bestehen. Weiter verweist der Beklagte
auf ein Rundschreiben der Prüfgruppe SGB II des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 28. November 2016 zur Zinspflicht bei Stundungen (PG SGB II - 04618 - 1/23).
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe des Urteils des Sozialgerichts Neuruppin. Da die Berufungssumme nicht erreicht werde und dem Verfahren
auch keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen sei, sei die Berufung auch nicht zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogen Verwaltungsakten.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde war als unzulässig zu verwerfen.
Gemäß §
145 Abs.
1 SGG kann die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht durch Beschwerde angefochten werden. Gemäß §
144 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Geld- oder Sachleistung oder einem entsprechenden Verwaltungsakt 750,00
EUR nicht übersteigt (Abs. 1 Nr. 1) und es sich nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr handelt.
Streitig ist vorliegend die Rechtmäßigkeit des Stundungs- und Zinsbescheides vom 24. April 2012, mit dem ausgeführt ist, dass
die Rückforderung in Höhe von 540,23 Euro dergestalt gestundet werde, dass die Summe in insgesamt 17 Raten im Zeitraum vom
1. Mai 2012 bis 1. September 2013 zu zahlen sei. Damit ist zwar ein Beschwerdewert von mehr als 750 Euro nicht erreicht. Es
geht jedoch um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, nämlich über 17 Monate. Der Bescheid hat zwar nicht unmittelbar
eine Geldleistung zum Gegenstand, vielmehr will die Klägerin als Adressatin des Bescheides Geldleistungen vermeiden, die sie
sonst erbringen müsste. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG erfasst jedoch auch diesen Fall. Eine Klage, mit der die Befreiung von einer Zahlungspflicht erreicht werden soll, betrifft
einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt. Unter den Begriff der Geldleistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 fallen auch Klagen betreffend die Rückerstattung von Leistungen. So hat das BSG beispielsweise die Klage auf Befreiung von einer Zuzahlungspflicht nach § 61 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch als einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne der Vorschrift eingestuft
(BSG, Urteil vom 19. November 1996, Aktenzeichen 1 RK 18/95, zitiert nach juris, insgesamt ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
144 Rdnr. 9). Gegenstand der Berufung war auch nicht nur die Rechtmäßigkeit der Zinsforderung in Höhe von 11,18 Euro, die mit
der letzten Monatsrate zu zahlen sein sollte. Der Beklagte wandte sich vorliegend vielmehr ausdrücklich gegen die Aufhebung
des gesamten Stundungs- und Zinsbescheides, dies mit der Begründung, dass es entgegen den erstinstanzlichen Ausführungen für
eine Stundung nicht einer Rechtsgrundlage ermangele.
Danach war also vorliegend die Berufung zulässig, während die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen war. Berufung
ist jedoch durch den Beklagten nicht eingelegt worden. §
145 Abs.
5 SGG, wonach nach einer Zulassung durch das Landessozialgericht das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt wird
und es der Einlegung einer Berufung durch den Beschwerdeführer dann nicht bedarf, regelt lediglich das Prozedere nach einer
zulässigen und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde bei durch das LSG zugelassener Berufung. Eine solche Fallgestaltung liegt
hier nicht vor. Eine Umdeutung der Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung ist nicht zulässig (Frehse in Jansen,
SGG Kommentar, 4 Aufl. 2012, § 145 Rn 8a, m.w.N.). Das BSG führt zu dieser Frage aus, dass die Möglichkeit der Umdeutung, die im Gesetz für fehlerhafte Verwaltungsakte und nichtige
Rechtsgeschäfte verwendet wird, für das Verhältnis von Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde schon wegen der unterschiedlichen
Zielrichtung der beiden Rechtsmittel nicht gelten kann. Beide zielen zwar im Ergebnis auf eine Überprüfung der erstinstanzlichen
Entscheidung durch die höhere Instanz. Unmittelbar richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gegen den Ausgang
des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern gegen eine prozessuale Teilentscheidung, dementsprechend ist der Prüfungsgegenstand
ein anderer als im Berufungsverfahren. Infolgedessen lässt sich die Vergleichbarkeit in Intention und rechtlicher Wirkung
nicht von vornherein bejahen. Es ist auch nicht in allen Fällen als selbstverständlich anzunehmen, dass die Umdeutung dem
beteiligten Willen entsprechen würde. Sowohl im Verwaltungsprozess als auch speziell im sozialgerichtlichen Verfahren scheidet
daher die Umdeutung eines unzulässigen Rechtsmittels in das zulässige, auch wegen der allen anfechtbaren Entscheidungen beizufügenden
Rechtsmittelbelehrung, aus. Unabhängig davon, ob das eingelegte Rechtsmittel der erteilten Belehrung entspricht oder davon
abweicht, ist für die Annahme kein Raum, der Erklärende habe ein anderes als das von ihm bezeichnete Rechtsmittel einlegen
wollen. Abgesehen vom Fall eines eindeutig erklärten Vorbehaltes muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass der Beteiligte
das in der Belehrung genannte Rechtsmittel für das richtige gehalten bzw. bewusst ein anderes gewählt hat. In bestimmten Fällen
mag es bei Abweichungen von der Belehrung möglich sein, das angestrebte Rechtsmittel durch Auslegung zu ermitteln, beispielsweise
wenn andere Umstände hinzutreten, die entgegen dem Wortlaut der Erklärung den wahren Willen des Erklärenden erkennen lassen.
Von der Möglichkeit der Auslegung ist jedoch diejenige der Umdeutung zu unterscheiden (so insgesamt BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, Aktenzeichen B 1 KR 25/01). Diesen Ausführungen des BSG schließt sich das Gericht an. Eine Auslegung der Beschwerde als Berufung kam vorliegend angesichts des eindeutigen Wortlautes
des Antrages des Beklagten nicht in Betracht. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die für den Ausschluss der
Umdeutung angeführten Argumente für den rechtskundig vertretenen Rechtsmittelkläger genauso gelten wie für den nichtvertretenen.
Es ergibt sich vorliegend damit die Folge, dass das falsche Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen
war.
Lediglich ergänzend sei aber darauf hingewiesen, dass der Teilaufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 29. November 2010
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2011 weiterhin bestandskräftig und Grundlage der Rückforderung ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§
177 SGG).
Das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 8. Juni 2016 ist damit rechtskräftig.