Minderung von SGB-II-Leistungen
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs
Wichtiger Grund für eine Pflichtverletzung
Bestandskraft eines Eingliederungsverwaltungsaktes
Gründe:
I.
Der Antragsteller, der von dem Antragsgegner Leistungen nach dem Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) erhält, begehrt nach - Erlass des Widerspruchsbescheides und - Erhebung der Klage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seiner Klage vom 10. Mai 2018.
Nachdem der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung am 11. Mai 2017 scheiterte, ersetzte der Antragsgegner die Eingliederungsvereinbarung
mit Verwaltungsakt vom 11. Mai 2017. Der Verwaltungsakt sollte ab 11. Mai 2017 bis auf weiteres gelten. Im Hinblick auf die
Fortschreibung des ersetzenden Verwaltungsaktes führte der Antragsgegner aus, die Inhalte dieses Bescheides würden regelmäßig
überprüft und im gegebenen Falle mit neuem ersetzenden Verwaltungsakt fortgeschrieben. Dies erfolge insbesondere, wenn eine
wesentliche Änderung in den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers eine Anpassung der vereinbarten Maßnahmen, Leistungen
des Jobcenters und seiner Pflichten erforderlich machen würde. Das gleiche gelte, wenn das Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt
nur aufgrund von Anpassungen und Änderungen erreicht bzw. beschleunigt werden könne. Zur Integration in Arbeit war unter anderem
die Pflicht des Antragstellers aufgenommen worden, während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung im Turnus von
2 Monaten - beginnend mit dem Erlass als Verwaltungsakt (sofern notwendig) - jeweils mindestens 8 (pro Woche eine) Bewerbungsbemühungen
um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber im Anschluss an den
oben genannten jeweiligen Zeitraum erstmals am 14. Juli 2017 und anschließend immer zum 14. jedes zweiten Folgemonats (im
einzelnen genannte) Nachweise vorzulegen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Antragsgegner die Bewerbungsaktivitäten durch
Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche, per Post versandte Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. §
44 SGB III, sofern der Antragsteller diese zuvor beantragt habe, zu unterstützen. Weiter ist dazu ausgeführt, die Erstattung der Bewerbungskosten
erfolge in pauschalierter Form mit 5 EUR pro nachgewiesener Bewerbung bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von 260 EUR. Bei
E-Mail-Bewerbungen erfolge eine pauschalierte Erstattung i.H.v. 1 EUR pro Bewerbung. In der Rechtsfolgenbelehrung wurde der
Antragsteller über die Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen und deren Ausgestaltung belehrt.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller - wegen der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit als Dozent vorläufig -
mit Bescheid vom 8. Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 in Höhe von monatlich 789,98 EUR.
Nachdem der Antragsteller weder am 14. Juli 2017, am 14. September 2017 noch am 14. November 2017 Bewerbungsbemühungen nachgewiesen
hatte, hörte der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 8. Dezember 2017 zu einer beabsichtigten Sanktion an und wies ihn darauf
hin, dass voraussichtlich ein Wegfall des Auszahlungsanspruchs für 3 Monate eintreten werde, da es sich um eine wiederholte
Pflichtverletzung handle. Ein konkreter Pflichtverstoß wurde in diesem Anhörungsschreiben nicht genannt.
Mit Bescheid vom 20. Februar 2018 stellte der Antragsgegner den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Regelbedarf
und Leistungen für Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 1. März 2018 bis zum 31. Mai 2018 fest und hob den vorläufigen
Bewilligungsbescheid vom 8. Dezember 2017 insoweit ganz auf. Auch in diesem Bescheid wurde der konkrete geahndete Pflichtverstoß
- fehlender Nachweis der Bewerbungsbemühungen am 14. Dezember 2017 - nicht genannt.
Gegen den ihm am 24. Februar 2018 zugestellten Bescheid erhob der Antragsteller am 23. März 2018 Widerspruch und beantragte
am 26. März 2018 beim Sozialgericht Berlin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.
Mit Beschluss vom 5. April 2018 ordnete das Sozialgericht Berlin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
von 23. März 2018 gegen den Minderungsbescheid des Beklagten vom 20. Februar 2018 an und führte zur Begründung unter anderem
aus, der streitgegenständliche Änderungsbescheid beruhe auf der Ermächtigungsgrundlage des § 31 a Abs. 1 S. 3 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Die Rechtmäßigkeit des Minderungsbescheides setze daher unter anderem voraus, dass der Antragsteller sich geweigert habe,
eine Pflicht zu erfüllen, die in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt festgelegt worden sei. Maßgeblich
für die Pflichten des Antragstellers sei vorliegend der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt des Antragsgegners
vom 11. Mai 2017. Nach zutreffender Ansicht sei bei einem Pflichtenverstoß nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II inzident zu prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig sei. Erweise sich der Verwaltungsakt als rechtswidrig, führe dies zur
Rechtswidrigkeit der Minderung. Insofern komme es nach zutreffender Auffassung auch nicht darauf an, ob der Eingliederungsverwaltungsakt
inzwischen bestandskräftig geworden sei (so auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. November 2017,
L 7 AS 1519/15 B ER, Rn. 40, zitiert nach juris; Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 55; Eicher/Luik/Knickrehm/Hahn, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 31 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen, auch zur Gegenansicht, die bei Bestandskraft keine Inzidentprüfung vornehmen will). Der Eingliederungsverwaltungsakt
erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, weil das Fehlen einer Befristung oder zumindest einer festen Überprüfungsfrist
im vorliegenden Fall ermessensfehlerhaft gewesen sei: Komme eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 2 SGB II nicht zu Stande, sollten die ansonsten in der Eingliederungsvereinbarung zu treffenden Regelungen nach § 15 Abs. 3 S. 3 SGB II durch Verwaltungsakt getroffen werden. Der die Vereinbarung ersetzende Verwaltungsakt habe denselben Inhalt aufzuweisen wie
die Eingliederungsvereinbarung, solle also die in § 15 Abs. 2 S. 2 SGB II vorgesehenen Bestimmungen enthalten. Insbesondere solle der Eingliederungsverwaltungsakt danach regeln, welche Bemühungen
erwerbstätige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen sollten und in
welcher Form diese Bemühungen auch nachzuweisen seien. Nach § 15 Abs. 3 S. 1 SGB II solle die Eingliederungsvereinbarung regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von 6 Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben
werden. Für den hier vorliegenden Fall der Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt fehle im Gesetz
zwar eine ausdrückliche Regelung. Insofern sei davon auszugehen, dass dem Antragsgegner ein Ermessen im Hinblick auf die Geltungsdauer
und Überprüfungspflichten eines Eingliederungsverwaltungsaktes zukomme. Soweit ein Leistungsträger ermächtigt sei, nach seinem
Ermessen zu handeln, sei sein Handeln rechtswidrig, wenn er die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten oder von
dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe (§
54 Abs.
2 S. 1
SGG sowie §
39 Abs.
1 S. 1
SGB I zu Ermessensleistungen). Das Gericht habe also zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt habe, er die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten oder er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht habe (so mit Verweis auf §
54 Abs.
2 S. 2
SGG: BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 19/14 R, Rn. 35 mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris; zu den Ermessensfehlern siehe auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
54 Rn. 26 ff.). Im vorliegenden Fall liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, d. h. der Antragsgegner habe zwar Ermessenserwägungen
im Hinblick auf die Geltungsdauer und Überprüfungsfristen für den Eingliederungsverwaltungsakt angestellt; diese seien indes
unzureichend, weil relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt worden seien. Der Antragsgegner sei verpflichtet,
bei seiner Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes zu berücksichtigen,
dass der Gesetzgeber für den Fall einer Eingliederungsvereinbarung in aller Regel einen Zeitraum von höchstens 6 Monaten ohne
Überprüfung für angemessen halte (noch weitergehend Berlit, in: LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 15 Rn. 62, wonach bei einem Eingliederungsverwaltungsakt der in § 15 Abs. 3 S. 1 geregelte Überprüfungsmechanismus nicht greife
und die Regelüberprüfungs(höchst)frist, die Höchstfrist für die einseitig festzulegende Laufzeit wäre; vergleiche auch Bayerisches
Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Juni 2017, L 16 AS 291/17 B ER, wonach ein Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig sei, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfungsfrist von
6 Monaten ohne Ermessensausübung überschritten werde). Daher hätte der Antragsgegner im vorliegenden Fall den Gültigkeitszeitraum
des Eingliederungsverwaltungsaktes entweder auf 6 Monate beschränken oder zumindest einen zwingenden 6-monatigen Überprüfungsturnus
(mit entsprechender Anhörung des Antragstellers) vorsehen müssen. Einen solchen Überprüfungsturnus sähen auch die Fachlichen
Weisungen des Antragsgegners vor (vergleiche Fachliche Weisungen zu § 15 SGB II, Stand 20. Oktober 2016, Rn. 15.46). Ein längerer Gültigkeits- oder Überprüfungsturnus dürfe nur ausnahmsweise zulässig sein,
z.B. wenn mit einer Veränderung der Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu rechnen sei. Hiervon sei jedoch im
vorliegenden Fall schon deshalb nicht auszugehen, weil insbesondere die dem Antragsteller auferlegte aktive Suche nach Stellenangeboten
und die Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge sowie die Zuweisung zu einer Arbeitsgelegenheit beim Träger B W GmbH ab dem
1. Juni 2017 auch nach der Vorstellung des Antragsgegners zu einer Veränderung der Verhältnisse habe führen sollen. Aber selbst
wenn ein solcher Ausnahmefall vorgelegen haben sollte, wären entsprechende Ermessenserwägungen des Antragsgegners erforderlich
gewesen, die nicht ersichtlich seien.
Der Minderungsbescheid sei auch deswegen rechtswidrig, weil er gegen das Bestimmtheitsgebot nach § 33 SGB X verstoße, da er nicht hinreichend genau benenne, für welchen Pflichtenverstoß der Antragsteller sanktioniert werden solle.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müsse der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt
in sich widerspruchsfrei sein und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers
in die Lage versetzen, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten
daran auszurichten (BSG, Urteil vom 29. November 2012, B 14 AS 196/11 R, Rn. 16, zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 10. September 2013, B 4 AS 89/12 R, Rn. 15, zitiert nach juris). Der Wille der Behörde müsse für die Beteiligten des Verwaltungsverfahrens unzweideutig erkennbar
und dürfe nicht unterschiedlichen subjektiven Bewertungen zugänglich sein (BSG, Urteil vom 29. Januar 1997, 11 RAr 43/96, Rn. 15 zitiert nach juris). Wie sich aus dem Wortlaut von § 31 b Abs. 1 S. 1 SGB II ergebe, enthalte ein Minderungsbescheid auch eine Feststellung der Pflichtverletzung. Daher müsse sich einem Minderungsbescheid
- notfalls durch Auslegung - der feststellende Verfügungssatz entnehmen lassen, welche Pflichtverletzung vorläge und Grund
für die Minderung sein solle. Diese Anforderung sei vorliegend nicht erfüllt. Dem Minderungsbescheid lasse sich nicht entnehmen,
welcher Pflichtenverstoß in welchem Zeitraum als Grund für die Minderung herangezogen werde. Nach dem Eingliederungsverwaltungsakt
vom 11. Mai 2017 sei der Antragsteller unter anderem verpflichtet gewesen, während der Gültigkeitsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes
im Turnus von 2 Monaten jeweils mindestens 8 (pro Woche eine) Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige und geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber im Anschluss an den oben genannten jeweiligen Zeitraum Nachweise vorzulegen.
Den erstmaligen Nachweis sollte der Antragsteller zum 14. Juli 2017 und anschließend immer zum 14. jedes zweiten Folgemonats
vorlegen. Die Vorlage von Unterlagen war daher nach dem Eingliederungsverwaltungsakt fällig zum 14. Juli 2017, zum 14. September
2017, zum 14. November 2017 sowie zum 14. Januar 2018. Dem Änderungsbescheid lasse sich bei dieser Sachlage lediglich entnehmen,
dass in der Eingliederungsvereinbarung vom 11. Mai 2017 vereinbart worden sei, dass der Antragsteller Bemühungen zur Aufnahme
einer Arbeit nachweisen müsse. Als Eigenbemühungen seien 8 Bewerbungen vereinbart worden. Der Antragsteller sei trotz schriftlicher
Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht nachgekommen, da er die vereinbarten Bewerbungsbemühungen nicht nachgewiesen
habe. Dem Änderungsbescheid lasse sich hingegen nicht entnehmen, durch welches Verhalten in welchem Zeitraum der Antragsteller
den Pflichtverstoß begangen haben solle. Es werde insbesondere nicht mitgeteilt in welchen Monaten der Antragsteller ausreichende
Eigenbemühungen unterlassen haben solle. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da insbesondere die Nichtvorlage von Bewerbungsnachweisen
zum 14. Juli 2017, zum 14. September 2017, zum 14. November 2017 sowie zum 14. Januar 2018 jeweils gesonderte Pflichtverletzungen
darstellen würden, die auch jeweils gesonderte Sanktionen rechtfertigen könnten, sofern man die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes
unterstelle. Bei dieser Sachlage dürfe der Minderungsbescheid nicht offen lassen, auf welchen Zeitraum sich der sanktionierte
Pflichtenverstoß genau beziehe, weil anderenfalls offenbliebe, für welchen von mehreren möglichen Pflichtverstößen der vorliegende
Minderungsbescheid eine Sanktionierung vornehme. Die genaue Angabe des sanktionierten Pflichtverstoßes und des Zeitraums,
in dem der Pflichtverstoß begangen worden sein solle, sei ferner deswegen erforderlich, weil hiervon die Rechtmäßigkeit des
Minderungsbescheides abhänge. So sei nach § 31 b Abs. 1 S. 5 SGB II die Feststellung der Minderung nur innerhalb von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulässig. Die Berechnung
der Frist sei aber nur möglich, wenn der Minderungsbescheid hinreichend genau mitteile, in welchem Zeitraum der Pflichtenverstoß
erfolgt sein solle. Die hinreichende Bestimmtheit ergebe sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des Minderungsbescheides.
Zwar sei der Antragsteller mit Anhörungsschreiben vom 8. Dezember 2017 zum möglichen Eintritt einer Sanktion angehört worden.
Das Anhörungsschreiben sei jedoch erkennbar lückenhaft. Weder würden die Eigenbemühungsverpflichtungen, gegen die verstoßen
worden sein solle, mitgeteilt, noch lasse sich dem Anhörungsschreiben entnehmen, wann der entsprechende Pflichtenverstoß aufgetreten
sein solle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 ist der Widerspruch des Antragstellers vom 23. März 2018 gegen den Bescheid vom
20. Februar 2018 zurückgewiesen worden. Hier ist unter anderem ausgeführt worden, der Antragsteller sei mit dem Eingliederungsverwaltungsakt
vom 11. Mai 2017 verpflichtet worden, im Turnus von 2 Monaten jeweils mindestens 8 (pro Woche eine) Bewerbungsbemühungen um
sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und diese sodann ihm gegenüber nachzuweisen.
Der Antragsteller habe daher auch zum 14. November 2017 Bewerbungsnachweise vorzulegen gehabt. Dieser Verpflichtung sei er
nicht nachgekommen.
Gegen den ihm am 10. April 2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 13. April 2018 Beschwerde bei dem Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung führt er unter anderem aus, eine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes
sei ausgeschlossen, da dieser von dem Antragsteller nicht angefochten und damit bestandskräftig geworden sei. Er begründet
diese Auffassung unter anderem mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 2016 (B 14 AS 30/15 R), in dem das Bundessozialgericht ausgeführt habe, dass eine Eingliederungsvereinbarung über die Prüfung, ob Nichtigkeitsgründe
vorliegen, nicht auch darauf hin zu prüfen sei, ob sie rechtswidrig sei. Dieser Prüfungsmaßstab müsse auch für einen die Eingliederungsvereinbarung
ersetzenden Verwaltungsakt gelten. Etwas anderes folge auch nicht aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. April
2015 (B 14 AS 19/14 R), in dem die Minderung von Leistungen nach dem SGB II aufgrund eines Meldeversäumnisses streitig gewesen sei. Die Meldeaufforderung, die unstreitig als Verwaltungsakt zu qualifizieren
sei, habe sich bereits erledigt gehabt, bevor überhaupt der Verwaltungsakt habe in Bestandskraft erwachsen können. In einem
solchen Fall gebiete die Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs.
4 S. 1
GG eine inzidente Prüfung im anschließenden Sanktionsverfahren. Anders liege es jedoch bei einem Eingliederungsverwaltungsakt,
der regelmäßig eine längere Gültigkeitsdauer habe, so dass er sich vor Eintritt der Bestandskraft nicht im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt habe. In diesen Fällen bestehe - und habe auch bei dem Antragsteller - die Möglichkeit (bestanden), gegen den Eingliederungsverwaltungsakt
mittels Widerspruchs gesondert vorzugehen und bei Erfolglosigkeit nachfolgend Klage zu erheben. Die Gefahr der Verletzung
des Grundrechts aus Art.
19 Abs.
4 S. 1
GG ohne inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung bestehe in dieser Fallkonstellation gerade nicht.
Der Sanktionsbescheid vom 20. Februar 2018 sei auch hinreichend bestimmt gewesen. Die Bestimmtheit beziehe sich sowohl auf
den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsaktes. Insofern verlange das Bestimmtheitserfordernis,
dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sei und den - unzweifelhaft
erkennbaren - Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen
müsse, sein Verhalten daran auszurichten. Diesen Anforderungen genüge der hier streitige Bescheid. Aus den Verfügungssatz
"Für die Zeit vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 (Minderungszeitraum) wird ein vollständiger Wegfall ihres Arbeitslosengeldes
festgestellt. Ihr Arbeitslosengeld II mindert sich um 798,98 EUR monatlich." sei eindeutig und unzweifelhaft erkennbar, welche
Regelung gegenüber dem Antragsteller habe getroffen werden sollen. Anders als das Sozialgericht meine, ergebe sich die mangelnde
Bestimmtheit des Verfügungssatzes insbesondere auch nicht daraus, dass darin nicht genannt werde, welcher konkrete Pflichtverstoß
in welchem Zeitraum dem Antragsteller zur Last gelegt werde. Die Benennung der Pflichtverletzung unter Angabe des Zeitraums
stelle den Grund für die festgestellte Leistungsminderung dar. Sie betreffe damit nicht den Verfügungssatz, d.h. nicht die
Regelung selbst, sondern vielmehr die Begründung der getroffenen Regelung im Sinne des § 35 SGB X. Auf die Begründung beziehe sich jedoch nicht das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. April 2013, L 20 AS 578/13 B ER). Sollte der Bescheid vom 20. Februar 2018 an einem Begründungsmangel gelitten haben, wäre dieser jedenfalls durch die
konkrete Benennung der den Leistungswegfall begründen Pflichtverletzung im Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 nach Maßgabe
von § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X geheilt worden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2018 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs bzw. der Klage abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
Er begehrt insbesondere eine Entscheidung zu der Frage, ob er trotz verhängter Sanktionen verpflichtet ist, weiterhin Bewerbungsbemühungen
zu unternehmen und ob insbesondere der Satz "Die Zumutbarkeit der Verpflichtung scheitert nicht an einer fehlenden Eigenleistungsfähigkeit"
zutrifft.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist.
II.
Der Antrag des Antragstellers ist zunächst - nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2018 und Klageerhebung am
10. Mai 2018 - dahingehend auszulegen, dass er nunmehr die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 10. Mai 2018
begehrt. Eine solche Änderung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs in einen Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist entsprechend §
99 Abs.
3 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne weiteres zulässig, wenn der Widerspruchsbescheid inzwischen erlassen und Anfechtungsklage erhoben worden ist. Dies
gilt zur Überzeugung des Senats jedenfalls bei unvertretenen Antragstellern gerade dann, wenn sich dem Vorbringen des Antragstellers
nichts anderes entnehmen lässt, da eine solche Änderung in deren wohlverstandenem Interesse ist (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
12. Aufl. 2017 § 86 b Rn. 9 b, mit weiteren Nachweisen).
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht Berlin ausgeführt, dass der streitgegenständliche Minderungsbescheid auf der Ermächtigungsgrundlage
des § 31 a Abs. 1 S. 3 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II beruht und die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides daher unter anderem voraussetzt, dass der Antragsteller sich geweigert hat,
eine Pflicht zu erfüllen, die in dem Eingliederungsverwaltungsakt festgelegt ist.
Ob der Eingliederungsverwaltungsakt rechtmäßig ist oder nicht, ist wegen dessen Bestandskraft nicht zu prüfen (§
77 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Hier ist unstreitig gegen den Eingliederungsverwaltungsakt kein Widerspruch eingelegt worden. Das Prüfprogramm beschränkt
sich im vorliegenden Fall daher darauf zu prüfen, ob die bestandskräftig auferlegten Pflichten tatsächlich erfüllt oder verletzt
sind. Dass eine Verletzung der im Eingliederungsverwaltungsakt auferlegten Pflichten vorliegt, ist unstreitig, weil der Antragsteller
keine Bewerbung vorgenommen hat.
Der Senat kann offenlassen, ob eine Inzident-Prüfung in Betracht kommt, wenn der Eingliederungsverwaltungsakt noch nicht bestandskräftig
ist, weil er angefochten wurde oder sich vor Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit durch Zeitablauf erledigt hat und unter
diesem Gesichtspunkt keine Bestandskraft eintreten konnte, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Ob in diesem Fall der Ausgang
einer Anfechtungs- oder jedenfalls denkbaren Fortsetzungsfeststellungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt abzuwarten
wäre, bevor über die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides entschieden werden könnte, oder aber gegebenenfalls parallel eine
Inzidentprüfung erfolgen könnte, muss deshalb hier nicht entschieden werden.
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass eine Meinung in Rechtsprechung und Literatur in Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid
auch einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) im Hinblick auf den bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakt sehen will (S. Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik/, SGB II, 4. Auflage, § 31 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen). Soweit bereits ein solcher Antrag - ohne eine Entscheidung der zuständigen Behörde - die
gerichtliche Prüfung des bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakts ermöglichen soll (S. Knickrehm/Hahn, a.a.O.), begegnet
diese Auffassung erheblichen Bedenken und ist abzulehnen, denn erst die getroffene Korrekturentscheidung nach §§ 44 ff. SGB X bewirkt die formale Rechtsfolge der Durchbrechung der Bindungswirkung des ursprünglichen Verwaltungsaktes nach §
77 SGG. Der bloße Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines bestandskräftigen Bescheides beseitigt seine materielle Bestandskraft
noch nicht. Im Übrigen fehlt es für eine Gerichtsentscheidung über den bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakt auch
an den Sachentscheidungsvoraussetzungen/Prozessvoraussetzungen im Hinblick auf die in Betracht kommenden Klagearten. Es ist
nämlich nicht ersichtlich, welche Zulässigkeitsvoraussetzungen der in §§
54,
55 SGG genannten Klagearten im Hinblick auf den bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakt gegeben sein sollen (vergleiche zu
den besonderen Prozessvoraussetzungen: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Aufl., vor §
51 Rn. 15).
Der Senat kann daher offenlassen, ob der Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig ist, auch wenn einiges für die vom Sozialgericht
vertretene Rechtsauffassung, die sich unter anderem auf einen Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Juni 2017
(L 16 AS 291/17 B ER, zitiert nach juris) stützt spricht. Er ist jedenfalls bestandskräftig und legte damit für den Kläger verbindliche Pflichten
fest.
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II für die Pflichtverletzung berufen. Insbesondere steht die behauptete fehlende Eigenleistungsfähigkeit den verlangten Bewerbungsbemühungen
nicht entgegen.
Nach dem Eingliederungsverwaltungsakt war der Antragsteller verpflichtet, sich wöchentlich einmal zu bewerben und hierüber
alle 2 Monate entsprechende Nachweise bei dem Antragsgegner vorzulegen. Soweit der Antragsteller insoweit ausführt, diese
Pflicht sei ihm nicht zumutbar, da er in mehreren Zeiträumen, für die der Eingliederungsverwaltungsakt galt, sanktioniert
gewesen sei und daher nicht über die finanziellen Mittel verfügt habe, Bewerbungen zu schreiben und an potenzielle Arbeitgeber
zu versenden, kann der Senat dem schon deshalb nicht folgen, weil es dem Antragsteller offensichtlich völlig problemlos möglich
ist, mehrseitige Schreiben per Fax und per Post sowohl im vorliegenden als auch in einer Vielzahl anderer Gerichtsverfahren
dem Gericht zu übersenden. Warum es ihm zwar - trotz seiner knappen finanziellen Mittel - möglich ist, Schreiben an das Gericht
zu senden, dies im Falle einer Bewerbung jedoch anders sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Im Übrigen gibt es mittlerweile
eine Vielzahl von Stellenangeboten, auf die eine Onlinebewerbung möglich ist, die nur geringe - bzw. gar keine zusätzlichen
- Kosten verursachen würde. Aus welchem Grund es dem Antragsteller nicht möglich sein sollte, seine aus dem Eingliederungsverwaltungsakt
folgende Pflicht, sich einmal wöchentlich zu bewerben durch Onlinebewerbungen nachzukommen, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller
hatte damit keinen wichtigen Grund für sein Verhalten.
Damit sind die Voraussetzungen des § 31 Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGB II erfüllt, denn der Antragsteller hat sich geweigert, eine Pflicht zu erfüllen, die in dem Eingliederungsverwaltungsakt festgelegt
worden ist, so dass der Antragsgegner zutreffend die in § 31 a Abs. 1 S. 1, 3 SGB II festgelegte Rechtsfolge ausgesprochen und das Arbeitslosengeld II wegen eines erneuten Verstoßes vollständig gemindert hat.
Der Verstoß war auch wiederholt (Bescheide vom18. April und 13. Juli 2017).
Soweit das Sozialgericht auch Zweifel an der Bestimmtheit des Minderungsbescheides hat, hat der Antragsgegner dagegen zutreffend
eingewandt, dass der Verfügungssatz ausreichend bestimmt war und es sich "lediglich" um einen Begründungsmangel gehandelt
hat, der im Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 geheilt worden ist, denn dort hat der Antragsgegner den sanktionierten
Pflichtverstoß zutreffend benannt.
Nach alledem ist auf die Beschwerde des Antragsgegners der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2018 aufzuheben
und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 10. Mai 2018 gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.
April 2018 abzulehnen.
Die Kostenentscheidung bezüglich der einstweiligen Anordnung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.