Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung der Entgelte nach § 7 AAÜG
Tatbestand:
Der 1940 geborene Kläger begehrt eine höhere Rente vom beklagten Träger der Rentenversicherung. Er wendet sich gegen die Begrenzung
seines Einkommens während der Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit bzw. das Amt für nationale Sicherheit (im
Folgenden: MfS/AfNS) nach § 7 Abs. 1 Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen
des Beitrittsgebiets - Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).
Der Kläger studierte ab 1958 an der Technischen Universität D Elektrotechnik in der Fachrichtung Hochfrequenztechnik; das
Studium schloss er 1964 mit dem akademischen Grad des Diplom-Ingenieurs ab. Von März 1964 bis Januar 1967 arbeitete er zunächst
als Prüffeldingenieur, später als Gruppenleiter beim VEB F K. Ab dem 1. Februar 1967 bis zum 15. Februar 1990 war er hauptamtlicher
Mitarbeiter beim MfS, zuletzt als Referatsleiter.
Durch Bescheid vom 17. Februar 1998 stellte das Bundesverwaltungsamt als Träger der Sonderversorgung fest, dass der Kläger
vom 1. Februar 1967 bis zum 15. Februar 1990 Angehöriger des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS war. Die Anlage 1 des Bescheids
wies das vom Kläger erzielte Jahresbruttoarbeitsentgelt und das "Entgelt nach AAÜG" aus. Durch Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999 änderte das Bundesverwaltungsamt den Bescheid vom 17. Februar 1998 dahingehend
ab, dass das während der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem MfS/AfNS erzielte Einkommen nunmehr bis zur Höhe des jeweiligen
Durchschnittseinkommens im Beitrittsgebiet berücksichtigt werde.
Am 20. April 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Mit Rentenbescheid vom
8. Juni 2004 bewilligte die Beklagte ihm auf der Grundlage von 43,4469 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) ab dem 1. Juli 2004
eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Aus der Anlage 3 des Bescheids ergibt sich, dass im Zeitraum vom 1. Februar 1967
bis zum 15. Februar 1990 jeweils ein Entgeltpunkt pro Kalenderjahr berücksichtigt wurde.
Gegen den Rentenbescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 15. Juni 2004 Widerspruch. Er wende sich gegen die Minderung seines
Rentenanspruchs wegen der Berücksichtigung lediglich der nach dem AAÜG gekürzten Arbeitsentgelte. Gleichzeitig beantragte er unter Verweis auf Musterverfahren, das Widerspruchsverfahren ruhen
zu lassen.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2008 baten die jetzigen Verfahrensbevollmächtigen des Klägers, das Widerspruchsverfahren fortzuführen.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2008 zurück. Dem Begehren des Klägers, die Entgeltbegrenzung
nach § 7 Abs. 1 AAÜG aufzuheben, könne nicht entsprochen werden. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsamtes als Träger der Sonderversorgung
seien wegen Zugehörigkeit zum MfS/AfNS die tatsächlichen Voraussetzungen für die Entgeltbegrenzung nach § 7 Abs. 1 AAÜG erfüllt. Diese Feststellungen führten ohne weitere Entscheidung der Beklagten dazu, dass die vom Bundesverwaltungsamt festgestellten
Arbeitsverdienste nur bis zum Durchschnittsentgelt aller Versicherten bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden könnten.
Verfassungsbeschwerden, mit denen die Begrenzung der Einkommen aufgrund § 7 Abs. 1 AAÜG in der Fassung des zweiten AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1939; 2. AAÜG-ÄnderungsG) beanstandet wurden, seien vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen worden. Im Übrigen sei die Beklagte an
die geltenden Gesetze gebunden.
Am 1. August 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass § 7 Abs. 1 AAÜG verfassungswidrig und eine erneute Überprüfung der Vorschrift durch das Bundesverfassungsgericht aufgrund neuer Erkenntnisse
erforderlich sei. Diese ergäben sich aus den von ihm eingereichten und im Auftrag der Initiativgemeinschaft zum Schutz der
sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR e. V) von Dr. Horst Miethe
und Prof. Dr. Hans-Jürgen Weißbach erstellten Gutachten vom Juni 2008.
Sein Einkommen habe bereits 1964 178 v. H. des Durchschnittseinkommens betragen und so die Beitragsbemessungsgrenze um 14
v. H. überstiegen. 1966 - im letzten Jahr vor Eintritt in das MfS - habe das Einkommen dann 207 v. H. des Durchschnittseinkommens
aller Versicherten betragen. Nachdem er in den Dienst des MfS getreten sei, habe sich sein Einkommen auf 231 v. H. des Durchschnittseinkommens
gesteigert.
Durch Urteil vom 2. November 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine höhere
Rente als die ihm bewilligte. Nach § 7 Abs. 1 AAÜG sei bei der Rentenberechnung das während der Zugehörigkeit zu dem Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS erzielte Arbeitsentgelt
höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 zugrunde zu legen. § 7 Abs. 1 AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-ÄnderungsG sei nach den bindenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Urteil vom 28. April 1999 mit dem
Grundgesetz (
GG) vereinbar. Der Vortrag des Klägers und insbesondere das von ihm vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Weißbach und Dr. Miethe
stellten die tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil nicht in Frage, so dass auch eine erneute Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
nach Art.
100 Abs.
1 GG nicht in Betracht komme. Das Gutachten stelle zum einen keine geeignete, sachlich und zeitlich umfassende, auf der Grundlage
neuerer Erkenntnisse erarbeitete Analyse des Besoldungssystems des MfS/AfNS dar. Zum anderen bestätige das Gutachten die Annahme,
dass das Durchschnittseinkommen des MfS deutlich über demjenigen der Volkswirtschaft lag und erkläre nicht schlüssig, dass
dies nicht auf überhöhten Einkommen beruhte. Die vom Gutachten als Ursache für die höheren Einkommen beim MfS angeführten
politischen Grundsatzentscheidungen seien keinesfalls geeignet, die Annahme überhöhter Entgelte auszuschließen. Ebenso wenig
sei es den Verfassern gelungen, eine entsprechend höhere Qualifikation der Mitarbeiter nachzuweisen. Im Übrigen räume das
Gutachten selbst ein, dass das Einkommen beim MfS deutlich über demjenigen auch besonders wissensintensiver Bereiche der Volkswirtschaft
gelegen habe. Die Verfassungswidrigkeit sei ebenso wenig aus dem im Gutachten angestellten Vergleich im X-Bereich (MfS, NVA
und MdI) herzuleiten. Denn auch insoweit hätten die Verfasser deutlich höhere Verdienste festgestellt. Soweit der Gesetzgeber
mit § 7 Abs. 1 AAÜG diese nicht durch Arbeitsleistung gerechtfertigte Überhöhung der Verdienste von der Rentenberechnung ausschließe, verstoße
dies nicht gegen Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG).
Am 1. Dezember 2009 hat der Kläger Berufung gegen das ihm am 9. November 2009 zugestellte Urteil des Sozialgerichts eingelegt.
Seiner Auffassung nach sei § 7 Abs. 1 AAÜG verfassungswidrig, die Vorschrift verstoße insbesondere gegen Art.
3 Abs.
1 GG. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 22. Juni 2004 über die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde
zu § 7 Abs. 1 AAÜG ausgeführt, dass eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung zulässig sei, wenn neue rechtserhebliche Tatsachen vorlägen,
welche geeignet seien, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen des Urteils vom 28. April 1999 in Frage zu stellen. Aufgrund
eines neuen Gutachtens vom Juni 2008, welches im Auftrag der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger
Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR e. V.) von Dr. Horst Miethe und Prof. Dr. Hans-Jürgen
Weißbach erstellt worden sei, stelle sich diese Frage in einem anderen Licht dar. Im Vergleich zum übrigen "X-Bereich", d.
h. insbesondere den Angestellten des Ministeriums des Innern und der NVA seien die beim MfS/AfNS gezahlten Entgelte nicht
überhöht gewesen.
Er hat außerdem eine kommentierte Fassung des Gutachtens von Dr. Miethe und Prof. Dr. Weißbach vom Juli 2009 sowie mehrere
Stellungnahmen hierzu von Dr. Jens Gieseke (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) aus anderen Gerichtsverfahren vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Berlin vom 2. November 2009 aufzuheben, den Bescheid vom 8. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 11. Juli 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Feststellung der Rente für Versicherungszeiten vom 1. Februar
1967 bis zum 15. Februar 1990 die vom Versorgungsträger ausgewiesenen Jahresbruttoarbeitsentgelte nach Vervielfältigung mit
den Werten der Anlage 10
SGB VI bis höchstens zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze (§
260 SGB VI) zugrunde zu legen und unter Berücksichtigung dieser Entgelte eine höhere Rente zu zahlen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf § 7 Abs. 1 AAÜG, dessen Verfassungsgemäßheit zu überprüfen ihr nicht obliege.
Der Verwaltungsvorgang der Beklagten (1 Bd. Bl. 55) und der Verwaltungsvorgang des Bundesverwaltungsamtes (1 Bd. Bl. 39) haben
vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese sowie den
Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist zwar statthaft (§
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§
151 SGG). Sie ist aber nicht begründet, denn das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf eine höhere Rente unter Berücksichtigung der tatsächlich während der Zugehörigkeit zum MfS/AfNS erzielten Entgelte bis
zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze.
Es ist nicht zu beanstanden, dass der beklagte Träger der Rentenversicherung nur die nach § 7 AAÜG i. V. m. Anlage 6 begrenzten Entgelte bei der Berechnung der Altersrente des Klägers gemäß §
259 b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) berücksichtigt hat. Dabei kann es dahinstehen, ob die Beklagte selbst die Beitragsbegrenzung entsprechend der besonderen
Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 Abs. 1 AAÜG vornimmt (so Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juli 1996 - B 4 RA 7/95, juris; Urteil vom 20. Dezember 2001 - B 4 RA 6/01 R, juris jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen) oder aber insoweit an die Mitteilungen des Trägers der Sonderversorgung
in dem bestandskräftigen Bescheid vom 13. Dezember 1999 gebunden ist (so insbesondere Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,
Urt. v. 27. November 2008 - L 33 R 1199/08, Urt. v. 10. Dezember 2009 - L 33 R 1162/08, beide juris). Denn soweit keine Bindung an den Entgeltbescheid besteht, ist die Beklagte an die zwingende gesetzliche Regelung
des § 7 Abs. 1 AAÜG i. V. m. Anlage 6 gebunden.
Dass der Kläger im Zeitraum vom 1. Februar 1967 bis zum 15. Februar 1990 dem Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS angehörte
und damit in den Regelungsbereich von § 7 Abs. 1 S. 1 AAÜG fällt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und im Übrigen durch den Entgeltbescheid des Bundesverwaltungsamtes bindend
festgestellt. Denn auch nach der insoweit weniger weit reichenden Auffassung des Bundessozialgerichts ist der Träger der Sonderversorgung
jedenfalls berechtigt, die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem für den Träger der Rentenversicherung bindend
festzustellen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil v. 20. Dezember 2001 - B 4 RA 6/01 R, juris, Rn. 33). Der Kläger behauptet auch nicht, dass die Beklagte die Rente auf der Grundlage der teilweise begrenzten
Entgelte falsch berechnet habe. Derlei ist auch für den Senat nicht zu ersehen.
Der Kläger hält vielmehr die angefochtenen Bescheide ausschließlich deshalb für rechtswidrig, weil seiner Auffassung nach
die Vorschrift des § 7 Abs. 1 AAÜG i. V. m. Anlage 6 in der Fassung des 2. AAÜG-ÄnderungsG nicht mit der Verfassung, insbesondere dem Gleichbehandlungsgebot aus Art.
3 Abs.
1 GG und dem Eigentumsgrundrecht aus Art.
14 GG zu vereinbaren und daher nichtig sei.
Das Bundesverfassungsgericht hat - nach § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) für das erkennende Gericht bindend - festgestellt, dass die Kürzung der berücksichtigungsfähigen Entgelte nach § 7 Abs. 1 AAÜG grundsätzlich in Einklang mit dem
Grundgesetz steht. Nach dem Urteil v. 28. April 1999 (1 BvL 11/94, 1 BvL 33/95,1 BvR 1560/97, juris) war der Gesetzgeber entsprechend Anlage II Kap VIII Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Ziff. 9 berechtigt, die bei
der Rentenberechnung zu berücksichtigenden Entgelte der Angehörigen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS zu begrenzen.
Der Gesetzgeber durfte sich bei dieser Entscheidung einerseits auf die Ergebnisse der zeitgeschichtlichen Forschung, andererseits
auf die Kenntnisse des mit den Verhältnissen besonders vertrauten DDR-Gesetzgebers stützen, welcher in §§ 2 f. Gesetz über
die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit vom 29.
Juni 1990 (GBl. I S. 501; im Folgenden: AufhebG) die Versorgungsleistungen im Bereich des MfS/AfNS erheblich gekürzt hatte.
Lediglich eine Kürzung unter das Niveau der Durchschnittsrente (nach einem vollen Erwerbsleben) war dem Gesetzgeber nach dem
Bundesverfassungsgericht nicht gestattet, da nicht davon auszugehen sei, dass beim MfS/AfNS durchweg unterdurchschnittlich
qualifizierte Personen tätig waren. Zudem schränke eine Kürzung unter das Durchschnittsentgelt das Eigentumsgrundrecht nach
Art.
14 Abs.
1 GG unverhältnismäßig ein, da der verbleibende Leistungsrest in diesem Fall nicht mehr den Zweck einer bedürftigkeitsunabhängigen
Sicherung nach einem vollen Erwerbsleben erfülle.
Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 22. Juni 2004 (1 BvR 1070/02, juris) bekräftigt und ausdrücklich bestätigt, dass § 7 Abs. 1 AAÜG i. V. m. Anlage 6 in der Fassung des zweiten AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1939; 2. AAÜG-ÄnderungsG) mit dem
Grundgesetz vereinbar sei. Anlass für die neuerliche Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Frage waren die Gutachten von
Prof. Dr. habil. Manfred Kaufmann und von Dr. Erich Napierkowski aus dem Jahr 1999, welche diese im Auftrag des ISOR e. V.
erstellt hatten. Das Bundesverfassungsgericht betont in dem Beschluss, dass von generell überhöhten Entgelten im Bereich des
MfS/AfNS auszugehen sei. Eine erneute verfassungsrechtliche Überprüfung der Vorschrift des § 7 Abs. 1 AAÜG sei - entsprechend allgemeinen Grundsätzen - erst dann zulässig, wenn neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden
Feststellungen des Urteils vom 28. April 1999 vorlägen. Solche ergäben sich aus den damals vorgelegten Gutachten nicht. Diese
erfassten nur begrenzte Zeiträume und stellten ihre Ergebnisse unter zahlreiche Vorbehalte. Die Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur
des MfS/AfNS sei in der DDR geheim gehalten worden und dementsprechend nicht statistisch erfasst gewesen. Aufgrund dieses
Umstandes sei dem Gesetzgeber in diesem Bereich das Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung zuzugestehen.
Nach der Überzeugung des Senats ergeben sich aus dem Gutachten von Dr. Horst Miethe und Prof. Dr. Hans-Jürgen Weißbach im
Auftrag des ISOR e. V. vom Juni 2008 sowie der kommentierten Fassung des Gutachtens vom Juli 2009 keine Gesichtspunkte, welche
geeignet wären, die allgemeine Annahme überhöhter Einkommen im Bereich des MfS/AfNS zu widerlegen. Dementsprechend sieht der
Senat keine Veranlassung, das Gerichtsverfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht nach Art.
100 Abs.
1 GG die Frage vorzulegen, ob Art. 7 Abs. 1 AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-ÄnderungsG mit dem
Grundgesetz vereinbar ist.
Keine Berücksichtigung findet dabei die individuelle Erwerbsbiographie des Klägers. Insbesondere ist die Frage ohne Bedeutung,
ob der Kläger vor dem Eintritt in das MfS bereits überdurchschnittlich verdient hat. Durch § 7 Abs. 1 AAÜG i. V. m. Anlage 6 werden die berücksichtigungsfähigen Entgelte während der Zugehörigkeit zur Sonderversorgung des MfS/AfNS
pauschal gekürzt. Qualifikation oder das tatsächlich erzielte Entgelt spielen dabei keine Rolle, solange das Entgelt - wie
hier - über der besonderen Beitragsbemessungsgrenze liegt.
Das Gutachten bestätigt, dass die Einkommen beim MfS/AfNS deutlich über den Durchschnittseinkommen innerhalb der zivilen DDR-Volkswirtschaft
lagen. So wird etwa für das Jahr 1988 angegeben, dass das Durchschnittseinkommen beim MfS/AfNS 59 v. H. über demjenigen der
zivilen DDR-Volkswirtschaft lag. Ähnliche, teilweise auch höhere Werte ergeben sich für den gesamten in dem Gutachten ausgewerteten
Zeitraum seit 1960 (vgl. S. 21 f. des Gutachtens). Selbst im Vergleich zu gut verdienenden Branchen des produzierenden Gewerbes
wie der Metallurgie bzw. der Energie- und Brennstoffindustrie ergeben sich noch Unterschiede von 35 bzw. 45 v. H..
Soweit in der kommentierten Fassung des Gutachtens in Fußnote 177 eine "Simulationsrechnung" angestellt wird, ist diese ersichtlich
fehlerhaft. Mit der Rechnung wird versucht darzulegen, dass bei Zugrundelegung des gleichen Anteils an Hochschulabsolventen
in der Volkswirtschaft (wie im MfS) im Jahr 1988 das Durchschnittseinkommen 1.228,- M (statt 1.035,- M) betrage. Indes wird
bei der Berechnung das Einkommen des Bevölkerungsanteils mit Hochschulabschluss überhöht, da das Durchschnittseinkommen von
Hochschulabsolventen in Höhe von 1.506,- M mit dem Faktor 1,455 multipliziert wird. Richtigerweise hätten die Verfasser jedoch
entweder das Durchschnittseinkommen der Hochschulabsolventen in Höhe von 1.506,- M berücksichtigen müssen, ohne dieses mit
dem Faktor 1,455 zu multiplizieren, oder aber das Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten der Volkswirtschaft in Höhe von
1.035,- M mit 1,455 multiplizieren müssen (was ebenfalls den Betrag 1.506,- M ergibt). Bei richtiger Berechnung ergibt sich
nur ein geringfügig erhöhtes Durchschnittseinkommen der zivilen Volkswirtschaft in Höhe von etwa 1.044,- M.
Zu beachten ist zudem, dass die Quellen, aus denen das Gutachten seine Kenntnisse über die Einkommenshöhe beim MfS bezieht,
tendenziell zu einem zu niedrigen Durchschnittseinkommen führen. Das Gutachten stützt sich auf Datensätze des Bundesverwaltungsamtes
als Träger der Sonderversorgung. Dr. Jens Gieseke (Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam) hat in seiner Stellungnahme
nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass hierbei die Entgelte derjenigen Personen nicht berücksichtigt wurden, für welche
keine Entgeltbescheide erstellt wurden, da sie bereits verstorben waren und keine anspruchsberechtigten Angehörigen hatten.
Dies sind jedoch in der Regel lebensältere Personen, welche meist ein höheres Einkommen erzielt haben dürften.
Sogar gegenüber den Beschäftigten der NVA bzw. des Ministeriums des Innern (MdI) ergeben sich nach dem Gutachten noch signifikante
Unterschiede. So betrug das Durchschnittseinkommen - ohne Berücksichtigung der unter drei Jahre dienenden Angehörigen - im
Jahr 1975 beim MdI 83,3 v. H. und bei der NVA 85,5 v. H. des Durchschnittseinkommens beim MfS; im Jahr 1986 86,4 v. H. bzw.
88,7 v. H.. Entgegen der Auffassung des Klägers müssen bei diesem Vergleich keinesfalls Alterszulagen unberücksichtigt bleiben.
Dies lässt sich dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 23. Juni 2004 (1 BvL 3/98; 1 BvL 9/02; 1 BvL 2/03, juris, dort Rz. 76) nicht entnehmen. Dort stellt das Bundesverfassungsgericht lediglich fest, dass im Einzelfall der Schluss
auf ein überhöhtes Entgelt nicht berechtigt ist, wenn ein bestimmter Grenzwert allein aufgrund des Anstiegs der Dienstaltervergütung
überschritten wird. Allein aus einem hohen Dienstalter und der daraus resultierenden höheren Vergütung für das Dienstalter
lasse sich nicht auf überhöhtes Entgelt aufgrund besonderer Systemnähe schließen. Selbstverständlich dürfen aber bei dem Vergleich
der Durchschnittsentgelte insgesamt auch die Vergütungsanteile für das Dienstalter berücksichtigt werden. Keinesfalls kann
außer Betracht bleiben, dass diese Vergütungsbestandteile beim MfS/AfNS höher als beim MdI bzw. der NVA waren (vgl. zu der
Höhe im einzelnen die Angaben S. 61 des Gutachtens).
Insbesondere gegenüber dem Ministerium des Innern dürfte indes die tatsächliche Einkommensdifferenz noch deutlich höher gewesen
sein, als dies im Gutachten ausgewiesen wurde. Denn die Verfasser haben bei dieser Gruppe nur diejenigen Personen berücksichtigt,
die ihre Dienstlaufbahn im Ministerium des Innern beendeten (S. 6 des Gutachtens). Hierbei dürfte es sich in aller Regel um
- im Vergleich zu den Beschäftigten der regionalen Strukturen - besser verdienende Beschäftigte gehandelt haben. Bei Berücksichtigung
des Personals der Präsidien der Volkspolizei, der Bezirksbehörden und der Kreisämter der Volkspolizei dürfte das Durchschnittseinkommen
merklich niedriger ausfallen, was auch die Verfasser des Gutachtens einräumen (Gutachten S. 36). Die Werte für das Ministerium
des Innern sind jedoch insgesamt nicht aussagekräftig, da noch nicht einmal 7 % der Beschäftigten erfasst werden und diese
nach dem zuvor Gesagten keinen repräsentativen Querschnitt der Beschäftigten darstellen.
Gegenüber den bei der NVA erzielten Einkommen ergeben sich noch größere Differenzen. Die Einkommensdifferenzen bestanden nach
dem Gutachten seit der Gründung des MfS in den 1950er Jahren und verringerten sich später geringfügig. Insofern bestätigt
das Gutachten, dass den Beschäftigten des MfS sowohl im Vergleich zu Beschäftigten in der zivilen Volkswirtschaft wie auch
gegenüber der NVA deutlich höhere Entgelte bezahlt wurden.
Für die im Gutachten festgestellten höheren Entgelte der Beschäftigten des MfS findet sich keine sachliche Rechtfertigung,
welche die Annahme überhöhter Entgelte zu widerlegen vermag. Insbesondere schließt die in dem Gutachten als Rechtfertigung
bemühte "politisch gewollte Differenzierung der Einkommen" (vgl. S. 70 ff. des Gutachtens) überhöhte Einkommen im Bereich
des MfS/AfNS keinesfalls aus. Zwar hatte die DDR bekanntermaßen kein marktwirtschaftliches System mit der Folge, dass sich
die Einkommen für unterschiedliche Tätigkeiten nicht nach den Gesetzen der Marktwirtschaft ausdifferenzieren konnten. Gleichwohl
vermag eine politische Entscheidung der Staatsführung höhere Entgelte nicht ohne weiteres zu rechtfertigen. Entgegen der Auffassung
der Verfasser des Gutachtens liegen überhöhte Entgelte keinesfalls nur bei höheren Einkommen "aufgrund interner Festlegungen
des MfS" bzw. aufgrund Selbstprivilegierung des MfS vor. Vielmehr rechtfertigt gerade die politische Entscheidung für höhere
Einkommen, ohne dass diesen entsprechend höherwertige Arbeit oder Qualifikation gegenüberstand, die Annahme "überhöhter Einkommen"
und damit die Begrenzung durch § 7 Abs. 1 AAÜG. Das Gutachten selbst betont, dass es sich hierbei um eine "politisch motivierte finanzielle Belohnung" handelt. Gerade diese
Vorteile, welche durch die Staatsführung dem MfS/AfNS wegen dessen herausragender Rolle als Instrument der Repression politischer
Gegner in der Bevölkerung und der Machtsicherung zugedacht wurden, sollen durch die Regelung des § 7 AAÜG nicht bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden.
Einen Nachweis dafür, dass es sich bei der höheren Entlohnung von Geheimdiensten - wie behauptet - um gängige Praxis auch
demokratisch verfasster Staaten handele, bleibt das Gutachten schuldig. Im Übrigen wäre das MfS/AfNS bereits aufgrund seiner
enormen Größe und seiner besonderen Rolle als Repressionsapparat vor allem im Innern nicht mit Geheimdiensten demokratischer
Staaten zu vergleichen.
Entgegen dem Gutachten vermag nicht die vermeintlich höhere durchschnittliche Qualifikation der Mitarbeiter die deutlich höheren
Einkommen zu erklären. Auch nach Auffassung des Gutachtens korrespondierte in der DDR eine höhere Qualifikation regelmäßig
mit einem höheren Einkommen. Allerdings stellt das Gutachten selbst fest, dass das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines
Hochschulabsolventen in der DDR im Jahr 1989 unterhalb des Niveaus des Durchschnittseinkommens aller Beschäftigten des MfS/AfNS
(also auch derjenigen ohne Hochschulabschluss) im Jahr 1987 lag. Das Gutachten weist maximal 31,6 v. H. Hochschulabsolventen
unter den Beschäftigten des MfS im Jahr 1988 aus (S. 74 des Gutachtens). Diese Zahl kommt allerdings allein durch die nicht
substantiiert belegte Annahme zustande, dass Studierende an den Fachhochschulen des MfS in vielen Fällen bereits über einen
Hochschulabschluss verfügt haben sollen. Selbst bei Zugrundelegung der Zahlen des Gutachtens bedeutet dies jedoch nichts anderes,
als dass für die Angehörigen des MfS/AfNS, von denen über zwei Drittel keinen Hochschulabschluss besaßen, durchschnittlich
höhere Löhne gezahlt wurden als sonst für Hochschulabsolventen. Schließlich räumt das Gutachten ein (S. 78 des Gutachtens),
dass in den besonders wissensintensiven nicht produzierenden Bereichen der Volkswirtschaft die Quote der Hochschulabsolventen
um 8 v. H., diejenige der Fachschulabsolventen sogar um 19 v. H. über derjenigen der Angehörigen des MfS gelegen habe. Gleichwohl
lag das Einkommensniveau 66 v. H. unterhalb desjenigen des MfS. Soweit das Gutachten auf ein höheres Qualifikationsniveau
als in der zivilen Volkswirtschaft aufgrund stetiger Fortbildung verweist, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn diese Erkenntnis
beruht auf einer "Fallstudie" des Brandenburgischen Instituts für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung e. V., welche
lediglich auf der Befragung von 4.200 ehemaligen Angehörigen des MfS beruht. Diese bezeichnen jedoch auch die Verfasser nicht
als repräsentativ (Gutachten S. 8). Das Gutachten räumt schließlich im Vergleich zur NVA eine deutlich geringere Qualifikation
des Offizierskorps des MfS/AfNS ein (Gutachten S. 76), geht hierauf jedoch nicht weiter ein.
Die vermeintlichen Besonderheiten der Organisationsstruktur des MfS/AfNS vermögen ebenso wenig die Einkommensdifferenzen zu
erklären. Insbesondere ist nicht nachzuvollziehen, weshalb die "mit einem entsprechenden Bedarf an Spezialisten einhergehende
Aufgabenfächerung sowie die organisationale Gliederung des Dienstes ..., mit der die Präsenz des DDR-Geheimdienstes umfassend
auf allen territorialen Ebenen gesichert werden sollte", ein entsprechend höheres Einkommen rechtfertigen sollte. Zum einen
ist diese in ihrer Allgemeinheit nichts sagende Floskel nur durch Interviews mit ehemaligen Funktionären des MfS/AfNS belegt.
Zum anderen erscheint es insbesondere in Anbetracht der Anzahl der Beschäftigten des MfS vollkommen unwahrscheinlich, dass
es sich hierbei überwiegend um Experten gehandelt hat, welche im zivilen Bereich ein entsprechend höheres Einkommen hätten
erzielen können. Dies wird im Übrigen auch durch die vorherigen Ausführungen zur Qualifikationsstruktur widerlegt.
Die von den Verfassern als Rechtfertigung bemühten "Quasi-Marktbedingungen", wonach die erhöhten Entgelte die vermeintlichen
Erschwernisse kompensieren sollten, können ebenfalls nicht die höheren Entgelte rechtfertigen. Diese sind zum einen im Vergleich
zu den häufig kasernierten Angehörigen der NVA nicht zu erkennen. Zum anderen lassen die Verfasser außer Betracht, dass die
Angehörigen des MfS/AfNS neben höheren Entgelten, welche bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden, zahlreiche andere
Privilegien wie etwa bei der Wohnungsversorgung genossen. Die vermeintlichen Erschwernisse, so sie denn überhaupt vorhanden
waren, dürften bereits hierdurch ausreichend kompensiert gewesen sein.
Da bereits bei Zugrundelegung der Daten des Gutachtens von überhöhten Entgelten im Bereich des MfS auszugehen ist, bedarf
es keiner Auseinandersetzung mit der Stellungnahme von Dr. Jens Gieseke zu dem Gutachten vom 11. März 2009. Dieser führt in
seiner Stellungnahme im Einzelnen aus, dass eher von noch höheren Entgelten im Bereich des MfS auszugehen und die Qualifikationsstruktur
noch geringer gewesen sei.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das im hiesigen Verfahren vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Hans-Jürgen Weißbach
und Dr. Horst Miethe nicht geeignet ist, die dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 28. April 1999 zugrunde liegende
Annahme überhöhter Einkommen beim MfS/AfNS zu widerlegen; im Gegenteil stützt das Gutachten diese Annahme. Die Aussetzung
des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art.
100 GG kommen so nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG vorliegen. Weder weicht die Entscheidung von einer Entscheidung der dort genannten Gerichte ab, noch hat sie grundsätzliche
Bedeutung. Allein der Umstand, dass nach Angaben des Verfahrensbevollmächtigen des Klägers zahlreiche weitere gleich gelagerte
Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, rechtfertigt nicht die Annahme der grundsätzlichen Bedeutung. Denn es fehlt an der ebenfalls
erforderlichen Klärungsbedürftigkeit der zugrunde liegenden Rechtsfrage (vgl. dazu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, §
160 Rn. 8). Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 sowie dem Nichtannahmebeschluss vom 22. Juni 2004
ist die entscheidende Rechtsfrage, ob § 7 Abs. 1 AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-ÄnderungsG verfassungsgemäß ist, geklärt. Das vom Kläger vorgelegte Gutachten ändert hieran nichts, da es die diese Entscheidungen
tragende Annahme, dass den Bediensteten des MfS/AfNS überhöhte Entgelte bezahlt wurden, stützt, nicht aber widerlegt. Angesichts
dieser Sachlage vermag der Senat keinen Klärungsbedarf zu erkennen.