Zulässigkeit der Verrechnung einer Rentennachzahlung mit fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Forderung einer Krankenkasse wegen nicht gezahlter Gesamtsozialversicherungsbeiträge
zu Recht mit einer aus der Gewährung von Altersrente folgenden Nachzahlung verrechnet hat.
Auf seinen Antrag hin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 20. Mai 2003 ab dem 1. November 2001 Regelaltersrente.
Von der sich aus der rückwirkenden Bewilligung ergebenden Nachzahlung in Höhe von 21.203,52 Euro behielt sie einen Betrag
in Höhe von 6.000 Euro zunächst ein, unter anderem, weil die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) sie unter dem 3. April 2002
zur Verrechnung einer Forderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1. März bis zum 20. Juni 2001 in Höhe
von damals 1.966,07 Euro ermächtigt hatte. Gegen den Rentenbescheid legte der Kläger Widerspruch ein, nahm diesen jedoch kurze
Zeit später wieder zurück.
Nachdem die KKH unter dem 16. Juni 2003 die Forderung einschließlich Kosten und aufgelaufener Zinsen zum 31. Mai 2003 auf
2.202,29 Euro beziffert hatte, teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 25. Juni 2003 mit, dass sie eine Verrechnung
in Höhe dieses Betrages aus der einbehaltenen Rentennachzahlung vornehmen werde. Dabei führte sie unter anderem aus, dass
bei einer Verrechnung mit einem Nachzahlungsbetrag nicht geprüft zu werden brauche, ob durch die Verrechnung Hilfebedürftigkeit
im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über die Hilfe zum Lebensunterhalt eintrete, da dies rückwirkend nicht der Fall sein könne.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 14. Juli 2003 Widerspruch ein und führte aus, er gehe davon aus, dass er die Forderung
der KKH dem Grunde und der Höhe nach anzweifeln könne. Unbeschadet dessen prüfe er auch die Rechtmäßigkeit der Verrechnung.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit am selben Tag abgesandten Bescheid vom 20. Oktober 2003 zurück und führte zur Begründung
aus, die KKH habe die Forderung auf Rückfrage bestätigt und aktualisiert. Nach §
52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) könne der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche
gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach §
51 SGB I die Aufrechnung zulässig sei. Die Verrechnung stelle eine Aufrechnung unter Verzicht auf die Gegenseitigkeit von Schuldner
und Gläubiger dar. Laufende Geldleistungen - zum Beispiel Rente - könnten nach §
51 Abs.
2 SGB I bis zur Hälfte verrechnet werden, soweit es sich bei den Ansprüchen gegen den Leistungsberechtigten um zu Unrecht erbrachte
Sozialleistungen oder Beitragsansprüche handele und aufgrund der Aufrechnung nicht Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften
des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt eintrete. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Da eine Verrechnung mit einer Rentenleistung
für einen Nachzahlungszeitraum vorgenommen worden sei, habe die Hilfebedürftigkeit nicht geprüft werden müssen, weil sie nicht
rückwirkend eintreten könne.
Daraufhin hat der Kläger am 23. November 2003 Klage erhoben, zu deren Begründung er ausgeführt hat, das Ersuchen der KKH könne
sachlich nicht gerechtfertigt sein, weil er seit längerer Zeit nicht mehr krankenversichert und mithin nicht beitragspflichtig
sei. Im Übrigen beantrage er, die aufschiebende Wirkung der Klage wieder herzustellen, da er aus finanziellen Gründen der
Forderung der Beklagten, die diese unter dem 2. Februar 2004 ihm gegenüber formuliert habe, nicht entsprechen könne. Da er
an Krebs leide und nicht krankenversichert sei, habe er seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft Ende August des Jahres
2002 stets beträchtliche Aufwendungen für ärztliche Behandlungen gehabt.
Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten und ergänzend ausgeführt, der Kläger habe auch im Klageverfahren keine Anhaltspunkte
vorgetragen, die auf das Vorliegen (erhöhten) Sozialhilfebedarfs im Nachzahlungszeitraum schließen ließen. Auch seien Erstattungsansprüche
seitens des zuständigen Sozialamts oder des Wohngeldamts nicht erhoben worden.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 19. April 2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es folge den
Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid und weise ergänzend darauf hin, dass nicht ersichtlich sei, warum eine
Begleichung der Beitragsschulden in Höhe von etwa 2.000 Euro aus einer Nachzahlung von über 20.000 Euro nicht möglich sein
solle. Konkrete Hilfebedürftigkeit im Sinne des BSHG habe der Kläger nicht nachgewiesen, sie sei auch nicht ersichtlich. Selbst unter Berücksichtigung der dem Kläger für seine
Krankenbehandlung monatlich entstehenden Kosten seien mit Blick auf den laufenden Rentenbezug verrechnungsausschließende Gründe
nicht erkennbar.
Gegen das ihm am 30. Mai 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Juni 2005 Berufung eingelegt. Er greift die Forderung
der KKH nicht mehr an, hält aber eine Verrechnung insoweit für unzulässig, als sie in Beträge eingreift, die zu seinen Gunsten
durch die gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen geschützt sind. Er führt aus, er habe im Nachzahlungszeitraum keine Einkünfte
gehabt und wäre in dieser Zeit auf Sozialhilfe angewiesen gewesen, wenn nicht ihm nahestehende Personen mit darlehensweise
gewährten Mitteln Unterstützung geleistet hätten. Die Rückzahlung dieser Mittel habe er aus dem nachgezahlten Betrag vorgenommen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (VSNR) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden, denn der Kläger ist auf diese Möglichkeit mit der Ladung
hingewiesen worden (§
110 Absatz
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist zwar statthaft (§
143 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§
151 SGG). Sie ist aber nicht begründet, denn das Sozialgericht Berlin hat seine Klage zu Recht abgewiesen; der angegriffene Bescheid
der Beklagten ist in der Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtmäßig; der Kläger hat keinen Anspruch auf ungekürzte Auszahlung
der ihm von der Beklagten bewilligten Altersrente.
Gemäß §
52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche
gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach §
51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist.
Nach §
51 Abs.
1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen,
soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach §
54 Abs.
2 und
4 SGB I pfändbar sind. Nach Abs. 2 der Vorschrift in der - hier anwendbaren - bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung kann der
zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen
nach dem SGB gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch
nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG wird. Seit dem 01. Januar 2005 ist der Nachweis einer Hilfebedürftigkeit nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)
oder dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erforderlich.
Die Verrechnung stellt damit praktisch eine Aufrechnung dar, bei der das Merkmal der Gegenseitigkeit der Forderungen (vgl.
§
388 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) entfällt. Die im Übrigen erforderliche Aufrechnungslage (vgl. §
387 BGB) ist hier gegeben, denn es stehen sich mit dem Anspruch des Klägers auf Zahlung von Altersrente und dem Anspruch der KKH
auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch den Kläger gleichartige Geldleistungsansprüche gegenüber,
die auch jeweils fällig und erfüllbar sind bzw. werden.
Die KKH hat die Beklagte wirksam zur Verrechnung ermächtigt. Sie hat mit ihrem Verrechnungsersuchen Rechtsgrund und Höhe ihrer
Forderung mit insgesamt 2.202,29 Euro angegeben; der Kläger bestreitet die Forderung weder dem Grunde noch der Höhe nach.
Die unstreitigen Beitragsforderungen der KKH kann die Beklagte gemäß §
52 i.V.m. §
51 Abs.
2 SGB I mit den Ansprüchen des Klägers auf Altersrente grundsätzlich bis zur Hälfte verrechnen, soweit dieser dadurch nicht hilfebedürftig
im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird bzw. für die Zeit ab 1. Januar 2005 der Kläger nicht Hilfebedürftigkeit im Sinne
des SGB XII nachweist. Die Zulässigkeit der Aufrechnung/Verrechnung in diesem Umfang betrifft auch die dem Kläger bewilligte
Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. November 2001 bis zum 30. Juni 2003 in Höhe von 21.203,52 Euro, denn der Charakter der
Altersrente als einer laufenden Geldleistung wird nicht dadurch berührt, dass die Rente bei rückwirkender Gewährung nicht
in monatlichen Abständen, sondern in einem Betrag für den gesamten Nachzahlungszeitraum zu leisten ist (vgl. BSGE 78, 132 = SozR 3-1200 § 51 Nr. 5).
Durch die hälftige Verrechnung der Rentennachzahlung mit seinen Beitragsschulden ist der Kläger auch nicht "im Nachhinein"
sozialhilfebedürftig geworden. Dies haben bereits die Beklagte und das Sozialgericht zu Recht festgestellt. Weder hat der
Kläger vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass er vor Bewilligung der Altersrente Leistungen nach dem BSHG in Anspruch genommen hat. Da ihm mithin im Nachzahlungszeitraum tatsächlich ausreichende Mittel zur Finanzierung des Lebensunterhalts
zur Verfügung standen, kann durch die Verrechnung - noch dazu eines Betrags, der nur etwa ein Zehntel der Rentennachzahlung
ausmacht - auch nicht rückwirkend (Sozial-) Hilfebedürftigkeit entstehen. Es bedarf daher keiner Prüfung, ob der Kläger im
Falle einer laufenden monatlichen Rentenzahlung bereits ab Rentenbeginn am 1. November 2001 durch eine Verrechnung in Höhe
des halben monatlichen Zahlbetrags hilfebedürftig im Sinne des §
51 Abs.
2 SGB I geworden wäre (vgl. das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. September 2005, L 13 R 4215/03, zitiert nach juris). Nicht nachzugehen ist auch der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Kläger tatsächlich
private Darlehen in Anspruch genommen hat und ob und inwieweit es dessen zur Deckung des Lebensunterhalts bedurfte.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in §
160 Abs.
2 Nrn 1 und 2
SGG genannten Gründe vorliegt.