Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Zulässigkeit der Minderung bei Verweigerung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit wegen einer
Gefährdung der Kindeserziehung
Gründe:
Die am 6. April 2011 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin gegen die mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5.
April 2011 erfolgte Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid
vom 7. März 2011, mit dem das Arbeitslosengeld II der Antragstellerin für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. Juni 2011
auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt wurde, hat keinen Erfolg.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin tritt hinter das Vollziehungsinteresse
des Antragsgegners zurück (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
Der Sanktionsbescheid vom 7. März 2011 in der Gestalt des im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens erlassenen Widerspruchsbescheides
vom 21. April 2011, gegen den die Antragstellerin am 6. Mai 2011 Klage erhoben hat, erweist sich als rechtmäßig. Er findet
seine Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 5 und Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II)
in der vom 1. Januar 2011 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung des Gesetzes für verbesserte Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt
(Beschäftigungschancengesetz) vom 24. Oktober 2010 (BGBl. I S. 1417, 1420). Danach wird bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, das Arbeitslosengeld
II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über
die Rechtsfolgen unter anderem weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen. Dies gilt gemäß § 31 Abs. 1 Satz
2 SGB II nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.
Die am 1987 geborene Antragstellerin hat sich auf den Vermittlungsvorschlag des Antragsgegners vom 13. Januar 2011 nicht auf
die von einem Zeitarbeitsbetrieb angebotene Stelle als Gesundheits- und Krankenpflegehelferin beworben. Es handelte sich dabei
um eine zumutbare Arbeit. Die Antragstellerin hatte zuvor eine Qualifikationsmaßnahme in der mobilen Hauskrankenpflege absolviert.
Soweit sie sich gegen eine Anstellung bei einem Zeitarbeitsbetrieb wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass gemäß § 10 Abs.
1 SGB II grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist. Die Antragstellerin kann auch nicht geltend machen, sie habe die angebotene
Arbeit nicht aufnehmen können, weil sie sich um ihre beiden am 16. März 2007 beziehungsweise am 3. August 2009 geborenen Kinder
habe kümmern müssen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jede Arbeit zumutbar, es sei denn,
dass die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde; die Erziehung eines
Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung
oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches des Sozialgesetzbuches oder auf sonstige Weise sichergestellt
ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist hierbei ausschließlich die objektive Betreuungssituation maßgeblich,
die von Amts wegen zu ermitteln ist (Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R). In diesem Sinne war die Kinderbetreuung im vorliegenden Fall sichergestellt. Jedenfalls das ältere der Kinder war bereits
mit einem Kindergartenplatz versorgt, während das zweite Kind von dem arbeitslosen Kindesvater betreut werden konnte. Soweit
sich die Antragstellerin auf dessen eidesstattliche Versicherung vom 15. Mai 2011 bezieht, dringt sie damit nicht durch. Der
Kindesvater hat darin angegeben, er habe nur bis zum 27. Februar 2011 bei seiner Familie gewohnt, nachdem sich die Antragstellerin
und er bereits zuvor getrennt hätten. Weil er mit der Suche nach einer eigenen Wohnung beschäftigt gewesen sei, habe er die
Antragstellerin nicht bei der Kinderbetreuung unterstützt. Insbesondere hätte er die Betreuung auch nicht während der Arbeitszeiten
der Antragstellerin gewährleisten können. Zudem habe er sich bis zum 27. Februar 2011 nicht mehr regelmäßig in der Wohnung
seiner Familie aufgehalten, sondern sei bei Freunden untergekommen. Hinsichtlich dieser eidesstattlichen Versicherung ist
zunächst festzustellen, dass der Kindesvater die Betreuung seiner Kinder offenbar nicht grundsätzlich verweigert hat. Im Übrigen
sind seine Angaben zur Kinderbetreuung unglaubhaft. Es erschließt sich schon nicht, warum die Wohnungssuche so viel Zeit in
Anspruch genommen haben soll, dass der Kindesvater daneben keine Kinderbetreuung mehr gewährleisten konnte. Das Verhalten
der Antragstellerin deutet zudem darauf hin, dass es sich bei der eidesstattlichen Versicherung um eine Gefälligkeitsaussage
handelt. Die Antragstellerin hat ausweislich der von ihr inhaltlich nicht beanstandeten Computervermerke des Antragsgegners
vom 13. Januar 2011 und vom 27. Januar 2011 bei den jeweils an diesen Tagen erfolgten persönlichen Vorsprachen keinerlei Hinweise
darauf gegeben, dass die Betreuung der Kinder nicht sichergestellt sein könnte. Sie hat nach dem Vermerk vom 27. Januar 2011
ihre Weigerung der Arbeitsaufnahme ausschließlich damit begründet, dass sie nicht verpflichtet sei, eine Arbeit bei einem
Zeitarbeitsbetrieb aufzunehmen. Erst auf das Anhörungsschreiben vom 31. Januar 2011 hat sie - nach ihrer grundsätzlichen Ablehnung
von Zeitarbeitsbetrieben - angegeben, sie könne wegen ihrer beiden kleinen Kinder nicht immer auf Abruf stehen. Demnach sah
die Antragstellerin selbst jedenfalls bis zur Bekanntgabe des Anhörungsschreibens in einer fehlenden Kinderbetreuung keinen
Hinderungsgrund für die Arbeitsaufnahme. Daraus ist zu schließen, dass zum Zeitpunkt der Verweigerung der Arbeitsaufnahme
ein solcher Hinderungsgrund auch nicht bestand. Diese Schlussfolgerung wird schließlich dadurch gestützt, dass das gerichtliche
Schreiben vom 23. Juni 2011, das eine Anforderung von Belegen oder Glaubhaftmachungen zu den Fragen enthielt, wer das Sorgerecht
für die Kinder innehat und welche Bemühungen die Antragstellerin unternommen hat, um den Vater der Kinder zu deren Betreuung
zu bewegen, ohne jegliche Antwort geblieben ist. Vor diesem Hintergrund greift auch der im Rahmen der Anhörung vorgetragene
weitere Einwand der Antragstellerin, sie könne nicht morgens um 5.00 Uhr zur Arbeit erscheinen, wenn der Kindergarten erst
um 6.00 Uhr öffne, nicht durch. Im Übrigen wurde die Antragstellerin in dem Vermittlungsvorschlag ausdrücklich aufgefordert,
sich auch dann zu bewerben, wenn sie nur eingeschränkt schichtflexibel sein könne oder nur in Teilzeit arbeiten wolle. Sie
musste deshalb davon ausgehen, dass der Arbeitgeber auf besondere Arbeitszeitwünsche eingehen würde.
Die Antragstellerin wurde auch zutreffend über die Rechtsfolgen eines pflichtwidrigen Verhaltens belehrt. Die dem Vermittlungsvorschlag
beigefügte Rechtsfolgenbelehrung des Antragsgegners genügt den Anforderungen des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15. Dezember
2010, B 14 AS 92/09 R; Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 53/08 R). Sie war konkret, richtig, vollständig und verständlich und hat zeitnah im Zusammenhang mit dem Arbeitsangebot zutreffend
erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf den Leistungsanspruch eine unbegründete Arbeitsablehnung haben
kann. Es heißt dort ausdrücklich "Wenn Sie sich weigern, die Ihnen mit diesem Vermittlungsvorschlag angebotene Arbeit aufzunehmen,
wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) beschränkt".
Waren damit die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Sanktion erfüllt, musste der Antragsgegner das Arbeitslosengeld II
gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2 SGB II grundsätzlich für drei Monate auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung
begrenzen. Die vom Antragsgegner gemäß 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II getroffene Ermessensentscheidung, den Sanktionszeitraum nicht
auf sechs Wochen zu verkürzen, unterliegt keinen Bedenken. Weder hat der Antragsgegner die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten, noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§
54 Abs.
2 Satz 2
SGG). Der Antragsgegner hat erkannt, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen war. Er hat den maßgeblichen Sachverhalt vollständig
ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Der Beginn des Zeitraums der Sanktion wurde in Übereinstimmung mit § 31
Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II auf den Beginn des Kalendermonats festgelegt, der auf das Wirksamwerden des Sanktionsbescheides
folgte, also auf den 1. April 1011. Der Antragsgegner hat auch gemäß § 31 Abs. 5 Satz 6 und Abs. 3 Satz 6 SGB II eine fehlerfreie
Ermessenentscheidung getroffen, dass ergänzende Sachleistungen (Wertgutscheine) und Stromkostenabschläge gewährt werden.
Aus den vorstehenden Gründen ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1
ZPO wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht zurückzuweisen und der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren
abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG sowie auf §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.