Berechnung der Rente
Berücksichtigung von Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto
Begriff der Zwangsarbeit
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Zeiten der Beschäftigung
in einem Ghetto.
Die 1924 in N, Ungarn, geborene Klägerin lebt in Israel, deren Staatsangehörigkeit sie auch besitzt. Am 13. April 2011 stellte
sie bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland einen Antrag auf Gewährung einer Rente. Sie gab an, dass sie in einem Ghetto
gewesen sei. In einem Fragebogen gab die Klägerin in englischer Sprache an, sich seit dem 17. April 1944 in der Verfolgung
befunden zu haben, und zwar zunächst in Kisvarda (das ca. 14 km entfernt von ihrem Heimatort N liegt), anschließend, seit
dem 30. Mai 1944, in Auschwitz und dann seit dem 29. Januar 1945 in Buchenwald. Sie habe sich in mehr als einem Ghetto aufgehalten
und sei auch in einem Konzentrationslager gewesen. Die Bedingungen in den drei Orten seien sehr schwer gewesen, sie habe Zwangsarbeit
in den Lagern unter unmenschlichen Bedingungen verrichtet. Sie habe an Kälte gelitten, weil sie keine Kleidung gehabt habe
und an Hunger, sie habe gehungert. Sie habe den gelben Stern getragen. Sie gab an, im Ghetto gearbeitet zu haben, ohne hierzu
weitere Angaben zu machen. Sie reichte einen Dokumentenauszug des Internationalen Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes
in Arolsen (ITS) über den Aufenthalt in ehemaligen Konzentrations- und Arbeitslagern ein. Darin ist angegeben, dass sie am
17. April 1944 in Kisvarda verhaftet und am 12. Oktober 1944 von Auschwitz kommend ins Konzentrationslager Buchenwald/Kommando
Altenburg eingeliefert worden sei. Hier sei sie noch am 29. Januar 1945 inhaftiert gewesen. Im Häftlingspersonalbogen sei
vermerkt: "1. Mal eingeliefert; Auschwitz 30.5.1944 Einweisende Dienststelle: Gestapo". Die Häftlingsnummer des Konzentrationslagers
Auschwitz sei um den 25. Juli 1944 ausgegeben worden (Transport von RSHA [Reichssicherheitshauptamt]. Ungarn). In dem Fragebogen
gab die Klägerin, gebeten, Auskunft über die Arbeit in einem Ghetto zu geben, an, dass sie seit dem 30. Mai 1944 in Auschwitz
und Altenburg gearbeitet habe. Sie sei Bandarbeiter für Einzelteile für Panzer gewesen. Es habe sich um sehr schwere Zwangsarbeit
unter unmenschlichen Bedingungen gehandelt. Sie sei zu der Arbeit unter Androhung von Gewalt gezwungen worden.
Laut Auskunft der Bezirksregierung in Düsseldorf wurden für die Klägerin keine Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz
(BEG) geltend gemacht. In einem Formantrag "Antrag auf Altersrente für ehemalige Ghettobeschäftigte mit Wohnsitz im Ausland"
gab ihr Prozessbevollmächtigter im Oktober 2011 an, die Klägerin habe von April 1944 bis Mai 1944 in der Krankenpflege gearbeitet.
Der Arbeitgeber sei der Judenrat gewesen und die Arbeit habe im Ghetto Kisvarda stattgefunden.
In den Akten der Beklagten findet sich eine Bescheinigung der israelischen Nationalversicherung vom 23. Oktober 2011, wonach
die Klägerin dort insgesamt 156 Versicherungsmonate zurückgelegt hat. Die Gesamtzahl der Versichertenmonate netto betrage
108. Seit dem 1. Dezember 1984 bezieht die Klägerin in Israel eine Altersrente.
In einem Fragebogen hatte die Klägerin im März 1993 gegenüber der Claims Conference u.a. angegeben, sich von März 1944 bis
April 1944 im Ghetto Kisvarda, von April 1944 bis April 1945 im KZ Auschwitz und von April 1945 bis Mai 1945 im KZ Buchenwald
aufgehalten zu haben. Im März 1944 sei sie in das Ghetto Kisvarda eingewiesen und im April 1944 in das KZ-Auschwitz deportiert
worden. Im April 1945 sei sie nach Buchenwald überstellt worden, habe Zwangsarbeit geleistet und sei im Mai 1945 von den amerikanischen
Truppen befreit worden.
In den Akten der Beklagten findet sich ein Vermerk vom 24. November 2011, wonach beim BADV (Bundesamt für zentrale Dienste
und offene Vermögensfragen) telefonisch nachgefragt worden sei, ob dort Angaben zu einer Beschäftigung im Ghetto Kisvarda
vorlägen. Dies sei verneint worden. Die Versicherte sei im Jahre 2010 explizit nach einer Beschäftigung im Ghetto befragt
worden. Bis heute habe die Versicherte nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom 19. Juli 2012 hat die Beklagte den "Antrag auf Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten" abgelehnt. Die Prüfung
habe ergeben, dass auch nach der neuen Rechtsprechung eine Anerkennung von Ghettobeitragszeiten nicht möglich sei. Die Arbeitszeit
vom 17. April 1944 bis zum 29. Mai 1944 im Ghetto Kisvarda sei nicht glaubhaft gemacht. Damit sei eine Anerkennung nach dem
Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) weiterhin nicht möglich. Es lägen folgende
Angaben und Erkenntnisse vor: Im Antrag ZRBG 100 habe die Klägerin angegeben, im Zeitraum von April bis Mai 1944 als Krankenpflegerin
gearbeitet zu haben. Im Verfahren beim BADV habe sie dagegen angegeben, lediglich im KZ Auschwitz gearbeitet zu haben. Auch
im Verfahren bei der Claims Conference sei eine Tätigkeit erst in Buchenwald angegeben worden. Eine vorliegende Bescheinigung
des ITS enthalte unter anderem die Angabe, dass die Klägerin am 17. April 1944 in Kisvarda verhaftet und in das Konzentrationslager
Buchenwald/Kommando Altenburg eingeliefert worden sei. Obwohl die Beklagte die jüngsten Angaben besonders beachtet habe, könne
sie sich die verbleibenden Widersprüche nicht erklären.
Zur Begründung ihres am 7. August 2012 eingegangenen Widerspruches reichte die Klägerin eine eigene Erklärung vom 2. November
2012 ein, wonach sie sich von März bis April 1944 im Ghetto Kisvarda aufgehalten habe. Dort habe sie als "Nurse/Kindergartenteacher"
für Kinder in dem Ghetto gearbeitet, bis sie und die Kinder nach Auschwitz transportiert worden seien. Nach dem Ghetto sei
sie im April 1944 nach Auschwitz-Birkenau geschickt worden. Ende September 1944 sei sie von Auschwitz-Birkenau nach Buchenwald
gekommen bis zum Kriegsende im Mai 1945. Nach der Befreiung habe sie Deutschland verlassen und in Rumänien gelebt bis sie
1976 nach Israel gekommen sei.
In den Akten der Beklagten findet sich ein weiterer Antrag auf Gewährung einer Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten,
der am 17. September 2012 bei der Beklagten einging. Beigefügt war ein Teil einer Erklärung in deutscher Sprache, dem sich
nicht entnehmen lässt, wem gegenüber und in welchem Zusammenhang er abgegeben worden war. Er enthält auch keine Namen, aber
die Nummer des israelischen Personalausweises der Klägerin. Dort ist u.a. folgendes ausgeführt: "Im März 1944 wurde ich mit
meiner Familie in´s Ghetto von Kisvarda gebracht. Dort musste ich Zwangsarbeit verrichten. Im April 1944 wurden wir nach Auschwitz
deportiert".
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2013 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft
gemacht, dass sie im Ghetto Kisvarda vom 17. April 1944 bis 29. Mai 1944 eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss
ausgeübt habe. Im Antrag auf Altersrente für ehemalige Ghettobeschäftigte mit Wohnsitz im Ausland (ZRGB 100) habe sie angegeben,
dass sie sich von April 1944 bis Mai 1944 im Ghetto Kisvarda aufgehalten und dort eine Beschäftigung in der Krankenpflege
ausgeübt habe. In den Unterlagen des BADV habe sie wahrheitsgemäß angegeben, sich vom 17. April 1944 in Kisvarda, vom 30.
Mai 1944 in Auschwitz und vom 29. Januar 1945 in Buchenwald aufgehalten zu haben und weiter, dass sie an den drei Orten sehr
schwere Zwangsarbeit habe verrichten müssen. Auf Seite 4 habe sie erneut die Aufenthaltsorte Kisvarda, Auschwitz und Buchenwald
angegeben, allerdings ausgeführt, sie habe sich bereits ab 12. Oktober 1944 in Buchenwald aufgehalten. Sie habe die Frage,
ob sie, während sie in einem Ghetto gewesen sei, dort gearbeitet habe, mit "Ja" beantwortet, ohne jedoch den Zeitraum und
den Ort des Ghettos anzugeben. Diese Ergänzung habe sie nachgeholt und vorgetragen, dass sie vom 30. Mai 1944 in Auschwitz,
unter Androhung von Gewalt, Arbeiten am Fließband verrichtet habe. Eine Beschäftigung im Ghetto Kisvarda habe sie nicht geltend
gemacht. Den Unterlagen bei der Claims Conference aus dem Jahr 1993 zufolge habe sie sich von März 1944 bis April 1944 im
Ghetto Kisvarda und ab April 1944 bis April 1945 im Konzentrationslager Auschwitz und ab April 1945 bis Mai 1945 im Konzentrationslager
Buchenwald aufgehalten. In der Beschreibung der Verfolgung habe sie angegeben, in Buchenwald Zwangsarbeit geleistet zu haben.
Das Ghetto Kisvarda sei am 16. April 1944 eröffnet worden und habe bis 13. Juli 1944 bestanden. Dem Antrag auf Altersrente
aufgrund von Ghettobeitragszeiten vom 3. September 2012 habe eine Erklärung beigelegen, der zufolge die Klägerin mit ihrer
Familie im März 1944 in das Ghetto Kisvarda gebracht worden sei und dort habe Zwangsarbeiten verrichten müssen. Im April 1944
sei sie nach Auschwitz deportiert worden.
Frühere, anders lautende Angaben in anderen Verfahren sollten der Feststellung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses nicht
entgegenstehen, wenn dieser Widerspruch nachträglich ausgeräumt werden könne. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil die geltend
gemachte Arbeitszeit vom 17. April 1944 bis 29. Mai 1944 im Ghetto Kisvarda aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen nicht
glaubhaft gemacht sei. Nach Würdigung der aktenkundigen Unterlagen sowie des Vorbringens der Klägerin und ihrer Erklärung
vom 2. November 2012, in der sie erneut den Aufenthalt im Ghetto Kisvarda von März 1944, also bereits vor Eröffnung des Ghettos,
behauptet habe, könne eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht glaubhaft machen. Auch ihr Vorbringen, im Ghetto
als Kinderschwester/Erzieherin gearbeitet zu haben, weiche von den früheren Angaben ab. Die Anerkennung von Ghettobeitragszeiten
nach dem ZRBG sei deshalb weiterhin nicht möglich.
Mit der am 1. März 2013 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Zur
Begründung hat ihr Prozessbevollmächtigter vorgetragen, dass es bemerkenswert sei, dass die Beklagte geringfügige Abweichungen
in der Erinnerung einer 89-jährigen dazu nutzen wolle, die Ghettoarbeit der Klägerin als nicht glaubhaft darzustellen. Es
sei unstreitig, dass sich die Klägerin im Ghetto Kisvarda aufgehalten habe. Dort habe sie in der Haftzeit verschiedene Arbeiten
ausgeführt. Wenn sie eine Tätigkeit benenne und später eine weitere, sei dies kein Widerspruch. Im Ghetto sei der Mangel groß
gewesen, der Judenrat habe den Menschen verschiedene Beschäftigungen vermittelt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass
das Ghettohospital in der Schule untergebracht gewesen und mit vier Ärzten ausgestattet gewesen sei. Es sei also naheliegend,
dass, wenn neue Personen, die zusammengeschlagen und gefoltert worden seien, eingewiesen worden seien, auch die Lehr- und
Betreuungskräfte dazu eingesetzt worden seien, die Verwundeten im Hospital ebenfalls zu versorgen. Die Klägerin sei laut Häftlingspersonalkarte
am 30. Mai 1944 mit dem Transport in Auschwitz angekommen. Das spreche dafür, dass sie das Ghetto und damit den Beschäftigungsort
bereits am 29. Mai 1944 verlassen habe. Dass sie sich nun genau daran erinnern solle, am wievielten Tag nachdem die Deutschen
einmarschiert seien, das Ghetto errichtet worden sei, sei absurd. Die meisten Menschen könnten Vorgänge, die mehrere Jahre
zurück lägen, nicht mehr auf den genauen Tag beziffern. Ferner könne die Beklagte nicht verlangen, dass die Versicherten für
sich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) vom Juni 2009 in ihrem Wesen für sich verinnerlicht habe. Beschäftigung, die während der Haft ausgeübt worden sei, werde
als Zwangsarbeit empfunden, auch wenn sie dies nach der rechtlichen Würdigung nicht sei. Bemerkt sei noch, dass im vorherigen
Entschädigungsverfahren nicht nach der Arbeit im Ghetto gefragt worden sei. Durch eine Nichterwähnung könnten keine Rückschlüsse
gezogen werden. Er legte die Häftlingspersonalkarte der Klägerin in Kopie vor. Darin ist aufgeführt, dass die Klägerin aus
dem Konzentrationslager kommend am 29. Oktober 1944 nach Buchenwald überstellt worden war und dass sie am 17. April 1944 in
Kisvarda verhaftet und am 30. Mai 1944 nach Auschwitz eingeliefert worden sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin reichte
weitere Unterlagen ein, so ein Schreiben der Claims Conference vom 5. Oktober 2011, in dem mitgeteilt wurde, dass die Klägerin
eine Zahlung im Rahmen der Leistungen der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" für den Aufenthalt im KZ Auschwitz
im Jahr 1944 erhalten habe. Bei diesem Antrag handele es sich um einen sogenannten Kurzantrag, der lediglich eine Angabe zur
Haftstätte ohne jede weitere Beschreibung der Verfolgung enthalte. Weiter reichte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
eine Auskunft der ITS vom 24. Oktober 2011 ein, in der diese mitteilte, dass sie eine Überprüfung des dort verwahrten Dokumentenmaterials
durchgeführt habe. Es könnten folgende Angaben den dort verwahrten Nachkriegszeit-Unterlagen entnommen werden: Die Klägerin
erscheine in einer Liste der Juden aus Nordtranssilvanien, die aus der Deportation zurückgekommen seien. Als Ort, von dem
aus deportiert worden war ist: "Tg. Mures" angegeben. Im Jahr 1969 habe die Klägerin folgende Angaben bezgl. der Verfolgung
gemacht: Sie sei im Mai aus N/Kisvarda in Ungarn nach Auschwitz deportiert worden. Von Auschwitz KZ Lager sei sie im Monat
September 1944 nach Tankfabrik? bei Pfaffroda transportiert worden. Dort sei sie am 13. April 1945 durch die Amerikaner befreit
worden. In der Tankbestandteilfabrik habe sie von Monat September 1944 bis 11. April 1945 gearbeitet und sei dann evakuiert
worden. Die Klägerin legte weiter einen Ausschnitt aus der "Encyclopedia of the Ghettos During the Holocaust", herausgegeben
von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, bei. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass die Ghettobildung in Kisvarda
bereits am 8. April 1944 begonnen habe entlang eines einzelnen Häuserblocks, einschließlich der Synagoge und anderer Gebäude
der jüdischen Gemeinde. Zunächst habe die ungarische Polizei die Einwohner zweier Bezirke ins Ghetto gebracht. Am 15. April
hätten dann auch die Juden von Kisvarda in das Ghetto ziehen müssen. Insgesamt seien in dem Ghetto 7.000 Juden konzentriert
gewesen, die zusammengepfercht unter engsten und überfüllten Bedingungen mit 15 Personen pro Zimmer hätten leben müssen. Deshalb
hätten sich die städtischen Behörden entschieden, die Juden von Kisvarda gesondert in der Synagoge und den anderen Gebäuden
der Gemeinschaft unterzubringen, wohingegen die Juden aus der Umgebung in die Holzlager Kain und Kesztenbaum gesperrt worden
seien. Am 16. April sei ein Judenrat gebildet worden. Das Ghetto habe über eine Suppenküche verfügt, die 1.500 Personen mit
Mahlzeiten versorgt habe. Im Ghetto sei im Gebäude der jüdischen Schule ein Krankenhaus errichtet worden, dass über vier Ärzte
verfügt habe, sowie über Medizin- und Sanitätsbedarf und Medikamente aus dem Bestand der beiden jüdischen Apotheken der Stadt.
Am 29. und 31. Mai 1944 seien die Bewohner des Ghettos Kisvarda in zwei Transporten nach Auschwitz deportiert worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es sei weder nachgewiesen noch glaubhaft
gemacht, dass die Klägerin eine Beschäftigung gegen Entgelt in den Ghettos ausgeübt habe. Die Beklagte habe im Widerspruchsbescheid
zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beschäftigung - trotz der Freiheitseinschränkungen im allgemeinen Lebensbereich -
aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sein müsse. Damit scheide eine Berücksichtigung von Zwangsarbeiten oder unentgeltlichen
Tätigkeiten aus. Die Klägerin habe jedoch in den vorliegenden Unterlagen mehrfach mitgeteilt, es habe sich bei den von ihr
ausgeführten Arbeiten in allen drei Lagern um "Zwangsarbeiten unter unmenschlichen Bedingungen" gehandelt. Eine Beschäftigung
aus freiem Willensentschluss sei damit nicht zu vereinbaren, auch wenn davon auszugehen sei, dass die Klägerin den Begriff
"Zwangsarbeit" laienhaft verwandt habe. Zudem lägen zu den von der Klägerin geltend gemachten Beschäftigungszeiten in den
Ghettos unterschiedliche Angaben vor. Das Sozialgericht hat auf die Angaben der Beklagten im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Ergänzend wurde ausgeführt, dass nach dem Dokumentenauszug des ITS eine Verhaftung der Klägerin in Kisvarda am 17. April 1944
dokumentiert sei, sodass der Aufenthalt bereits ab März 1944 dort nicht glaubhaft erscheine. Den Umstand, dass das Ghetto
Kisvarda erst im April 1944 eingerichtet worden sei, erkenne die Klägerin im Übrigen an. Zwar sei ihr zuzugestehen, dass sie
im Hinblick auf den lange zurückliegenden Zeitraum der Verfolgungszeiten und ihr Alter Schwierigkeiten mit der Erinnerung
der genauen Daten habe. Indessen sei gerade im Hinblick darauf davon auszugehen, dass diese Erinnerungsschwierigkeiten geringer
gewesen seien, als die streitigen Lebensereignisse noch nicht so lange zurückgelegen hätten und das Alter der Klägerin geringer
gewesen sei. Insoweit komme der bereits 1993 gegenüber der Claims Conference abgegebenen Erklärung besondere Bedeutung zu,
in der die Klägerin (lediglich) für ihren Aufenthalt in Buchenwald angegeben habe, dort Zwangsarbeit geleistet zu haben. Zwar
sei in diesem Teil des Fragebogens nicht nach einer Beschäftigung gefragt worden, indessen erscheine es zumindest auffällig,
dass nur bezgl. des Aufenthalts in Buchenwald über eine (Zwangs-) Arbeit berichtet worden sei. Die in diesen Antworten enthaltenen
Zeiträume stimmten im Übrigen nicht überein mit der im Verwaltungsverfahren eingereichten Bescheinigung der Landesvertretung
der ungarischen Israeliten in Budapest vom 22. Mai 1973, wonach die Klägerin erst im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert worden
sei. Das Alter der Klägerin und der lange zurückliegende streitige Zeitraum erkläre im Übrigen nicht, weshalb die Klägerin
erstmals in ihrer Erklärung vom 2. November 2012 angegeben habe, sie sei im Ghetto Kisvarda (auch) als Kindergartenerzieherin
tätig gewesen. Angesichts der inkonsistenten Angaben und der Tatsache, dass es sich bei den von der Klägerin angegebenen Arbeiten
um Zwangsarbeit gehandelt habe, habe die Klage keinen Erfolg haben können.
Gegen den am 1. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 1. Juli 2015 Berufung bei dem Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg eingelegt. Der Gerichtsbescheid würdige den von ihr vorgetragenen Sachverhalt unvollständig, verletze die
Regeln der Beweiswürdigung und widerspräche den gängigen Regelungen zur Prüfung von Angaben zum Zwecke der Glaubhaftmachung
in ZRBG-Verfahren. Es sei der Vollbeweis dafür erbracht, dass die Klägerin vom 17. April 1944 bis zum 29. Mai 1944 im Ghetto
Kisvarda inhaftiert gewesen sei. Die Angaben zur Ghettobeschäftigung im Ghetto Kisvarda seien auch glaubhaft gemacht worden.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Regelaltersrente ab dem 1.
Juli 1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Die vom Bevollmächtigten der Klägerin eingereichten Unterlagen belegten einen Aufenthalt in Auschwitz
und würden bei der Beantwortung der Frage, ob die Klägerin im Ghetto gearbeitet habe, nicht weiterhelfen. Die Erkenntnisse
aus der Entschädigungsakte bei der Jewish Claims Conference aus dem Jahr 1993 und die Erklärungen der Klägerin gegenüber dem
BADV im Jahr 2008 ergäben ein anderes Bild als das einer Beschäftigung im Ghetto Kisvarda.
Auf Anregung des Senats hat die Klägerin eine eigene Erklärung vom 14. September 2015 eingereicht. Darin hat sie unter anderem
angegeben, sie habe anfangs im Kindergarten im Ghetto Kisvarda als Betreuerin von Kindern im Alter von 5 bis 10 Jahren gearbeitet.
Diese Arbeit sei ihr vom Judenrat übergeben worden, nachdem sie gefragt habe, wie sie helfen und unterstützen könne. Der Kindergarten
sei in einem Schulgebäude gelegen gewesen, das im Laufe der Zeit zu einer Art Zentrum medizinischer Nachsorge geworden sei,
und die Erschöpfung, der Hunger und die Krankheiten hätten immer mehr Menschen dorthin gebracht, die um Unterstützung und
Hilfe gebeten hätten. Sie habe Kranke behandelt, sie gereinigt und ihnen etwas zu essen gegeben und den Ärzten geholfen, die
medizinische Hilfe zu geben, die die Kranken benötigten. Es habe keine verhältnismäßig gefährlichen Auswirkungen gegeben und
sie habe diese Arbeit [nicht] abgelehnt, weil sie für den Judenrat gearbeitet habe und weil sie hätte helfen wollen. Für ihre
Arbeit habe sie vom Judenrat Essen bekommen.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mitgeteilt, dass die Wartezeit mit den israelischen Zeiten erfüllt sei. Als Ersatzzeiten
wären die Zeit vom 31. März 1944 bis zum 31. Dezember 1949 mit Unterbrechung durch evtl. Ghettobeschäftigungszeiten zu berücksichtigen.
Auch nach Vorlage der Erklärung der Klägerin sieht die Beklagte so erhebliche Widersprüche, dass sie die Beschäftigung in
dem Ghetto nicht als glaubhaft gemacht ansieht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten
und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten hat dem Senat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig und begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2015 und der Bescheid der Beklagten
vom 19. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin
in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente gemäß §
35 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) i.V.m. dem Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) ab dem 1. Juli 1997.
Dass die Beklagte in ihren Bescheiden nach dem Wortlaut nur die Vormerkung von Beitragszeiten abgelehnt hat, ist unbeachtlich,
da eine Rente ausdrücklich beantragt war und in der Ablehnung der Beitragszeiten konkludent auch die Ablehnung der Gewährung
einer Rente liegt.
Versicherte haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie
1. die Regelaltersgrenze erreicht und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die Klägerin hat die Regelaltersgrenze, die für sie noch 65 Jahre beträgt, erreicht, und es sind Versicherungszeiten, die
auf die Wartezeit anzurechnen sind, in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt worden. Die Monate April und Mai 1944
sind als Beitragszeiten gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG zu berücksichtigen. Diese Vorschrift lautet:
Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben,
wenn
1. die Beschäftigung
a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist,
b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und
2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie in dem Ghetto aus freiem Willensentschluss gearbeitet hat. Für die Feststellung
der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) und b) ZRBG erforderlichen Tatsachen genügt es nach § 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m.
§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen,
die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).
Es ist durch die eigene Erklärung der Klägerin in Zusammenschau mit den historischen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung
des übrigen Akteninhalts glaubhaft, dass die Klägerin in der Zeit vom 17. April 1944 bis 29. Mai 1944 im Ghetto Kisvarda aus
freiem Willensentschluss ein Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt ausgeübt hat. Es ist durch die Bescheinigung des ITS belegt,
dass die Klägerin am 17. April 1944 in Kisvarda verhaftet wurde. Dabei dürfte es sich um das Datum der Einweisung in das Ghetto
Kisvarda handeln. Nach dem von dem Klägerbevollmächtigten eingereichten Auszug aus der "Encyclopedia of the Ghettos During
the Holocaust" mussten die Juden am 15. März 1944 in das Ghetto einziehen. Dies dürfte sich über (mindestens) zwei Tage hingezogen
haben. Die Tatsache, das die Klägerin zunächst angegeben hatte, bereits im März 1944 in das Ghetto eingewiesen worden zu sein,
dürfte ihrem Alter und der seit diesem Ereignis vergangenen langen Zeitspanne geschuldet sein. Möglicherweise erinnert sich
die Klägerin an den März 1944 auf Grund der Tatsache, dass die Deutschen im März 1944 in Ungarn durch die Einsetzung einer
ihnen genehmen Regierung sowie der Übernahme unzähliger Dienststellen durch deutsche Polizeifunktionäre, Kommissare, Koordinatoren
und Berater des Auswärtigen Amtes, der SS und der Polizei, des Heeres, der Luftwaffe und der Privatindustrie die Macht in
Ungarn übernahmen und unmittelbar darauf mit der Verfolgung der ungarischen Juden begannen (vgl. Raul Hilberg, Die Ermordung
der europäischen Juden, Band 2, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1990, Seite 886, 888).
Aus dem Auszug aus der "Encyclopedia of the Ghettos During the Holocaust" ergibt sich auch, dass in dem Ghetto Kisvarda ein
Krankenhaus errichtet wurde. Dies bedeutet, dass die Klägerin durchaus in der Krankenpflege gearbeitet haben kann, wie sie
angibt. Dies erscheint auch für eine damals 19-jährige junge Frau eine adäquate Tätigkeit zu sein. Die Klägerin schildert
in ihrer Erklärung auch anschaulich und unter Benennung von Details, die sich nicht in dem genannten Auszug aus der Encyclopedia
of the Ghettos During the Holocaust, finden, die Umstände der Arbeit, z.B., dass sie zunächst in der Kinderbetreuung eingesetzt
war und sich die Tätigkeit als Krankenpflegerin erst entwickelte. Dies spricht dafür, dass hier nicht nur die Angaben anhand
der historischen Erkenntnisse benutzt wurden, um eine Beschäftigung im Ghetto "zu erfinden". Die Angaben erscheinen bezüglich
derjenigen gegenüber dem BADV und den eingereichten Fragebögen auch nicht widersprüchlich. Die Klägerin hat die Frage, ob
sie in Kisvarda gearbeitet habe, nicht verneint, sondern gar nicht beantwortet. Aus diesem Schweigen lässt sich jedoch nicht
schließen, dass im Ghetto keine Arbeit verrichtet wurde. Die Klägerin dürfte der Meinung gewesen sein, dass nur Zwangsarbeiten
für den Antrag relevant seien. Dann erklärt sich auch, aus welchen Gründen sie die Arbeit im Ghetto nicht angab, da sie sie,
da es sich nicht um Zwangsarbeit handelte, nicht als wichtig angesehen hatte.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin mit dem zweiten Rentenantrag eine Erklärung eingereicht hat,
wonach sie im Ghetto Kisvarda Zwangsarbeit verrichtet habe. Zunächst ist nicht klar, wann, aus welchem Anlass, in welchem
Zusammenhang und wem gegenüber die Klägerin diese Angaben gemacht hat. Weiter ist die Erklärung in einwandfreiem Deutsch abgefasst,
von dem nicht anzunehmen ist, dass die Klägerin es perfekt beherrscht, so dass ihr diese Erklärung nicht unbedingt zuzurechnen
ist. Selbst wenn dies aber so wäre, lässt sich aus der Titulierung der Arbeit als Zwangsarbeit nicht zwangsläufig entnehmen,
dass es sich um Zwangsarbeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, (zur Definition s.u.) gehandelt hat. Die Umstände der Verbringung ins Ghetto und des Lebens dort waren für die betroffenen
Menschen traumatisch, so dass sie die Situation insgesamt als Zwangslage empfunden haben und sich die Angabe "Zwangsarbeit"
hieraus erklärt.
Die Klägerin hat auch glaubhaft gemacht, dass die Arbeit aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist. Nach der Rechtsprechung
des BSG dient das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung der tatsächlichen Abgrenzung zur
Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG)
zurückgegriffen werden, das in seinem § 11 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto
unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese
Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war", nach
dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer oder rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit
Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss"
nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wenn jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen
"wurde" (vgl. Urteil des BSG vom 03. Juni 2009, Az. B 5 R 26/08 R, juris Rdnr. 19 = SozR 4-2600 § 35 Nr. 3). Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem
(hoheitlichem) Zwang, wie z.B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte
Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich um so mehr von dem
Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe
überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, aaO., juris, Rdnr. 20). Ob eine aus eigenem Willensentschluss im Sinne des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine
den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto
zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen
die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung
liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest in der Gestalt hatte, dass er die Annahme oder
Ausführung der Arbeit auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte (vgl. BSG, aaO., Rdnr. 21).
Die Voraussetzung der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ist vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat angegeben, dass
sie beim Judenrat um Arbeit nachgefragt hat. Dass ein Judenrat gebildet worden war, ergibt sich aus dem Auszug aus der Encyclopedia
of the Ghettos During the Holocaust. Dies geschah auch unmittelbar nach dem erzwungenen Einzug der Juden in das Ghetto, so
dass auch hier die Angaben der Klägerin mit den historischen Erkenntnissen übereinstimmen.
Ungarn gehört auch zu den Ländern, die im in Rede stehenden Zeitraum im nationalsozialistischen Einflussbereich lagen (vgl.
Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Stand September 2014, Anhang Band 2, § 1 ZRBG Rn. 7), und zwar in
der Zeit vom 6. April 1941 bis zum 17. Januar 1945.
Als Beitragszeit nach dem ZRBG ist die Zeit vom 17. April 1944 bis zum 30. Mai 1944 zu berücksichtigen, während dieser Zeit
hielt sich die Klägerin entsprechend den Angaben des ITS und der Häftlingspersonalkarte im Ghetto Kisvarda auf.
Damit sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfüllt.
Weiter sind für die Klägerin Ersatzzeiten gemäß §
250 SGB VI zu berücksichtigen und zwar für die Zeit vom 31. März 1944 bis zum 16. April 1944 und wieder vom 29. Mai 1944 bis zum 31.
Dezember 1949. Dies nimmt auch die Beklagte ausweislich ihres Schriftsatzes vom 16. Oktober 2016 an. Die Zeit der Verfolgung
und auch die Zeit nach dem Krieg erfüllen die Tatbestände des §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI. Diese Vorschrift lautet: Ersatzzeiten sind Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden
hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr
1. -3. (...)
4. in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz)
oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind oder infolge
Verfolgungsmaßnahmen
a) arbeitslos gewesen sind, auch wenn sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden haben, längstens aber die Zeit
bis zum 31. Dezember 1946, oder
b) bis zum 30. Juni 1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze
oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen
oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1949,wenn sie zum Personenkreis des § 1
des Bundesentschädigungsgesetzes gehören (Verfolgungszeit).
Die Klägerin ist durch die berücksichtigungsfähigen Beitragszeiten nach dem ZRBG Versicherte. Weiter ist sie Verfolgte im
Sinne des § 1 Abs. 1 BEG. Danach ist Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft
gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische
Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem
beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter). Die Feststellung der Verfolgteneigenschaft
ist vom Rentenversicherungsträger bzw. den Gerichten in eigener Zuständigkeit unabhängig von den Entschädigungsbehörden durchzuführen
(vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand September 2016, § 250 Rn. 82 m.w.N.). Die Verfolgteneigenschaft
der Klägerin ist durch die Bescheinigung des ITS nachgewiesen.
Mit den Ersatzzeiten, die gemäß §
51 Abs.
4 SGB VI auf die Wartezeiten angerechnet werden, erfüllt die Klägerin in Verbindung mit den 108 israelischen Versicherungszeiten die
Wartezeit gemäß §
50 Abs.
1 SGB VI.
Ein Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gilt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG als am 18. Juni 1997 gestellt.
Rentenbeginn ist daher gemäß §
99 Abs.
1 Satz 1
SGB VI der 1. Juli 1997, der Kalendermonat, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.