Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im vorliegenden Berufungsverfahren noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung
der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Die 1948 geborene Klägerin ist seit April 1998 arbeitsuchend und bezieht Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch
II. Buch.
Die Klägerin beantragte am 7. Juni 2004 die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) und von Merkzeichen wegen eines
Hals- und Lendenwirbelsäulensyndroms sowie wegen Knorpelschäden der Kniegelenke unter gleichzeitigem Hinweis darauf, dass
sie wegen der Beschwerden in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich eingeschränkt sei.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 stellte der Beklagte wegen Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Nervenwurzelreizerscheinungen
sowie Bandscheibenvorwölbung L 4 - S 1 einen GdB von insgesamt 20 fest; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung
des Merkzeichens "G" seien indes nicht erfüllt. In dem hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass
sie unter Dornwarzen an den Fußsohlen leide, die bereits mehrfach operiert worden seien, wodurch sich insbesondere die Beschwerden
im Lendenwirbelsäulenbereich verschlimmern würden. Wegen des Selbstmordes ihres ältesten Sohnes im Jahre 1995 sei sie in neurologischer
Behandlung. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte des Facharztes für Chirurgie Dr. Zvom 25. März 2005, des Nervenarztes
Medizinalrat Dr. K vom 18. April 2005 und eine gutachterliche Stellungnahme des Praktischen Arztes und Diplompsychologen B
vom 9. Mai 2005 ein. Letzterer stellte neben der bestehenden orthopädischen Behinderung (Einzel-GdB 20) ein seelisches Leiden
(Einzel-GdB 30) fest, weshalb ein Gesamt-GdB von 40 anzuerkennen sei. Daraufhin stellte der Beklagte mit Abänderungsbescheid
vom 17. Mai 2005 fest, dass der Gesamt-GdB 40 betrage und die Funktionsbeeinträchtigung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen
Beweglichkeit ("d. E.") geführt habe, und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 im Übrigen zurück.
Die Klägerin hat am 15. September 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie die Feststellung eines Gesamt-GdB
von mindestens 50 begehrt hat. Mit am 22. September 2005 bei dem Sozialgericht eingegangenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten
hat die Klägerin zudem die Feststellung des Bestehens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" geltend
gemacht.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt und sodann auf Anregung des Facharztes
für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch bzw. des Facharztes für Physiotherapie Dr. Schin ihren versorgungsärztlichen Stellungnahmen
vom 4. Juli 2006 bzw. vom 15. August 2006 eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin durchführen lassen. Die von dem Beklagten
im Einverständnis der Klägerin beauftragte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G ist in ihrem Gutachten vom 24. Oktober
2006 zu der Feststellung gelangt, dass unverändert von einem Gesamt-GdB von 40 auszugehen sei; neben dem Merkzeichen "d. E."
seien weitere Merkzeichen nicht zuzuerkennen. Das Sozialgericht hat ferner auf Antrag der Klägerin gemäß §
109 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Fmit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 18.
September 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 20. Dezember 2007 ist der Gutachter zu der Einschätzung gelangt, dass die
bestehenden Funktionseinschränkungen im Bereich des Bewegungsapparates mit einem Einzel-GdB von maximal 20 und das bestehende
depressive Syndrom ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten seien. Ein Gesamt-GdB von 40 sei angemessen. Eine erhebliche
Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, die das Merkzeichen "G" rechtfertigen könne, liege indes nicht vor.
Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Sozialgericht die Klage mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag, den
Beklagten unter Änderung entgegenstehender Bescheide zu verurteilen, "die Klägerin als schwerbehinderten Menschen anzuerkennen
sowie das Vorliegen des Merkzeichens "G" zu gewähren", abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuerkennung eines
höheren Gesamt-GdB als 40, was sich aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ergebe. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung
vorgetragen habe, dass aufgrund einer am 6. November 2007 durchgeführten Operation am linken Auge und einer im Januar 2008
vorgenommenen Implantation einer neuen Linse erhebliche weitere Einschränkungen bestünden, begründe dies derzeit keine anzuerkennende
Behinderung. Insoweit fehle es an einem Dauerzustand im Sinne einer länger als 6 Monate andauernden Abweichung von dem für
das Lebensalter typischen Zustand.
Aufgrund des Hinzutretens der Augenerkrankung stellte die Klägerin am 16. Juni 2008 bei dem Beklagten einen Neufeststellungsantrag
und machte zudem die Feststellung des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) geltend. Nach Einholung
prüfärztlicher Stellungnahmen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2008 fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen
für das Merkzeichen "RF" nicht vorlägen; trotz Berücksichtigung der geltend gemachten Sehbehinderung (Einzel-GdB 20) sei eine
Erhöhung des Gesamt-GdB zur Zeit nicht möglich, so dass es diesbezüglich bei der im Bescheid vom 23. August 2005 getroffenen
Entscheidung verbleiben müsse.
Gegen das der Klägerin am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil hat sie am 7. Juli 2008 Berufung eingelegt, mit der sie ursprünglich
geltend gemacht hat, sie habe Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von mindestens 50 sowie auf Zuerkennung des Merkzeichens
"G".
Auf Veranlassung des Senats ist der Orthopäde und Chirurg Dr. T mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt
worden. In seinem Gutachten vom 8. Januar 2009 führt der Gutachter aus, dass infolge bestehender Erkrankungen in Form eines
seelischen Leidens (Einzel-GdB 30), einer Augenerkrankung links mehr als rechts (Einzel-GdB 20), eines Wirbelsäulenleidens
(Einzel-GdB 20), einer Gonarthrose und Retropatellarthrose (Einzel-GdB 10) sowie von Spreizfüßen und einem Zustand nach Operation
der Fersen beidseits (Einzel-GdB unter 10) die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 ab September 2008 gerechtfertigt sei. Die
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lägen indes nicht vor.
Der Beklagte hat versorgungsärztliche Stellungnahmen der Augenärztin Lvom 11. Dezember 2008 und des Chirurgen Dr. B vom 30.
Januar 2009 zu den Gerichtsakten gereicht. Die Augenärztin List in ihrer Stellungnahme zu der Einschätzung gelangt, dass das
Augenleiden ab der Operation im November 2007 mit einem Einzel-GdB von 20 und ab Juli 2008 im Zusammenschau mit einer bestehenden
Pseudophakie (Vorhandensein einer Kunstlinse im Auge) mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sei. Dr. hat dargelegt, dass
die bestehenden Gesundheitsstörungen, wie sie durch den Gutachter feststellt worden seien, ab dem 1. Juli 2008, ab dem die
Augenerkrankung mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet werden könne, die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 rechtfertigten.
Im Hinblick auf diese Stellungnahmen hat der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2009 einen Gesamt-GdB von 50 ab dem 1. Juli
2008 festgestellt und mit Schriftsatz vom 24. März 2009 ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben.
Die Klägerin hat einen Arztbrief des Medizinischen Versorgungszentrums Bvom 24. Februar 2009 sowie einen undatierten Arztbrief
der Fachärzte für Radiologie und u. a. über eine im Juni 2009 am rechten und eine im Juli 2009 am linken Kniegelenk durchgeführte
Radiosynoviorthese überreicht und auf einen am 10. Juli 2009 erlittenen Sturz in ihrer Wohnung verwiesen. Hierzu hat der Beklagte
eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr. B vom 1. Oktober 2009 zur Gerichtsakte gereicht.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters Dr. T vom 6. November 2009 eingeholt, in der dieser ausgeführt
hat, die neueren medizinischen Erkenntnisse böten keinen Anlass, von seiner bisherigen Einschätzung abzuweichen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats hat die Klägerin das Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen und erklärt, dass
es ihr nur noch um die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" gehe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2008 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Dezember
2004 in der Gestalt des Abänderungsbescheides vom 17. Mai 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 in der Fassung
der Bescheide vom 4. September 2008 und vom 18. März 2009 zu verpflichten, für die Zeit ab 7. Juni 2004 das Vorliegen der
gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht vorlägen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, mit der die Klägerin mittlerweile nur noch die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen
für das Merkzeichens "G" begehrt, hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat, auch
wenn sich die Gründe der Entscheidung hierzu nicht ausdrücklich verhalten, den erstinstanzlich gestellten Klageantrag, das
Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, zu Recht abgewiesen.
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin sind die §§
69 Abs.
4,
145 Abs.
1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (
SGB IX). Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner
Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach §
146 Abs.
1 Satz 1
SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens
(auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten
oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß
zurückgelegt werden. Mit diesen Bestimmungen fordert das Gesetz eine doppelte Kausalität. Denn Ursache der beeinträchtigenden
Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken.
Bei der Prüfung, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Arbeit und Soziale Sicherung) herausgegebenen "Anhaltspunkte für die
ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) in ihrer jeweils geltenden
Fassung (zuletzt Ausgabe 2008) zu beachten, die gemäß §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30
Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008
abgelöst worden sind. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sie sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen
worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von
antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im
gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb
auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist
grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1.
Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2
VersMedV maßgeblich, mit der die in den AHP niedergelegten Maßstäbe mit lediglich redaktionellen Anpassungen in eine normative
Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.
Die AHP bzw. die seit dem 1. Januar 2009 an ihre Stelle getretenen Bestimmungen der Anlage zu § 2 VersMedV beschreiben in
Nr. 30 Abs. 3 bis 5 bzw. Teil D Nr. 1 d) - f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung
einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG SozR 4-3250 § 146 Nr. 1). Sie geben an,
welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch
infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist",
und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen
Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige
Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung
der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren
filtern die AHP bzw. die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer
Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer
behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen
(BSG aaO.).
Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen
Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens
in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen
und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen
bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit
besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung,
arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung
der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens
an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden
mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der
körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen
als erfüllt anzusehen.
Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt, was sich für den Senat
insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T ergibt. Nach diesem Gutachten, das auf einer körperlichen Untersuchung
der Klägerin sowie einer umfassenden Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen beruht und überzeugend begründet
worden ist, bedingen die bei der Klägerin bestehenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßnahmen und/oder der Lendenwirbelsäule
einen Einzel-GdB von 50 ersichtlich nicht. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen des Gutachters, wonach die von Seiten
der Lendenwirbelsäule bestehenden Funktionsbehinderungen allenfalls leicht bis mittelgradig sind und somit nach Nr. 26.18
AHP bzw. Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV nur mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden können. Dies wird auch durch
den auf Antrag der Klägerin mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragten Sachverständigen Dr. F bestätigt, der von weitgehend
altersentsprechenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule ausgeht. Dieser Einschätzung entgegenstehende
Erkenntnisse lassen sich den Akten nicht entnehmen. Auch unter Berücksichtigung der bei der Klägerin bestehenden Kniegelenksbeschwerden
lässt sich keine Behinderung der Klägerin an den unteren Gliedmaßen feststellen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken
würde und etwa einer mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertenden Versteifung des Kniegelenks in ungünstiger Stellung vergleichbar
wäre. Denn die Kniegelenksbeschwerden der Klägerin haben nach der von Dr. T vorgenommenen Prüfung der Kniegelenksbeweglichkeit
allenfalls geringgradige Einschränkungen der Beweglichkeit zur Folge, die nach Nr. 26.18 AHP bzw. Teil B Nr. 18.14 der Anlage
zu § 2 VersMedV mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20 zu bewerten sind. Da Dr. Tbei der Klägerin lediglich eine leichte Minderung
des Geh- und Stehvermögens festgestellt hat, erscheint auch dem Senat der von dem Sachverständigen für die Kniegelenksbeschwerden
angesetzte Wert von 10 angemessen. Die von der Klägerin erst nach der Begutachtung durch Dr. T vorgelegten Arztbriefe führen
zu keinem anderen Ergebnis. Denn wie der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 6. November 2009 hierzu überzeugend
ausgeführt hat, lassen sich ihnen weitergehende Funktionsbehinderungen, die die Zuerkennung eines höheren GdB rechtfertigen
könnten, nicht entnehmen. Dass es infolge des von der Klägerin behaupteten Sturzes am 10. Juli 2009 in ihrer Wohnung zu derartigen
Funktionsbehinderungen gekommen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Innere Leiden, aufgrund derer eine erhebliche Beeinträchtigung
im Straßenverkehr zu bejahen sein könnte, liegen im Fall der Klägerin nicht vor.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sind hier auch nicht nach Nr. 30 Abs. 4 und 5 AHP bzw. Teil D
Nr. 1 e) und f) der Anlage zu §
2 VersMedV als erfüllt anzusehen. Soweit danach im Einklang mit §
146 Abs.
1 Satz 1
SGB IX bestimmte Anfallsleiden sowie bestimmte Störungen der Orientierungsfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit
im Straßenverkehr führen können, liegen derartige Leiden hier nicht vor. Störungen der Orientierungsfähigkeit können zwar
auch bei Sehbehinderungen gegeben sein. Zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen sie nach Nr. 30
Abs. 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV jedoch nur dann, wenn sie entweder einen GdB von wenigstens 70
bedingen oder einen GdB von 50 oder 60 zur Folge haben und daneben erhebliche Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige
Schwerhörigkeit beiderseits oder geistige Behinderung) bestehen. Gemessen an diesen Kriterien ist die bei der Klägerin festgestellte
Sehbehinderung für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ohne Bedeutung. Denn sie ist lediglich mit einem Einzel-GdB von maximal
30 zu bewerten. Insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen der vom Beklagten um eine versorgungsärztliche Stellungnahme
gebetenen Augenärztin, wonach die bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen (Linsenverlust, Implantation einer Kunstlinse,
Sehschärfe von max. 0,1) nach Nr. 26.4 AHP bzw. Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV einen höheren Einzel-GdB als 30 nicht rechtfertigen.
Besondere Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in Nr.
30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen, hat die Klägerin
nicht dargelegt. Sie lassen sich zur Überzeugung des Senats auch den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht entnehmen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2009 dem von der Klägerin zunächst
auch noch verfolgten Begehren auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB teilweise nachgegeben hat, rechtfertigt dieser Umstand
keine Kostenquotelung. Denn Ursache für ihn war die erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingetretene Verschlimmerung
des bei der Klägerin bestehenden Augenleidens, auf die der Beklagte mit dem vorgenannten Bescheid sowie dem mit Schriftsatz
vom 24. März 2009 abgegebenen Teilanerkenntnis nach Auswertung der insoweit einschlägigen Unterlagen in angemessener Zeit
reagiert hat. Auf die im Vorverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin war die Kostenentscheidung des Senats
nicht zu erstrecken, weil der Beklagte insoweit mit seinem Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 eine die Klägerin teilweise
begünstigende Regelung getroffen hat, an der er sich festhalten lassen muss.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG nicht vorliegen.