Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Versorgung wegen eines Impfschadens hat.
Der Kläger wurde 1975 geboren. Schwangerschaft und Geburt waren ausweislich des beigezogenen Mutterpasses unauffällig und
normal verlaufen. Im Untersuchungsheft des Klägers waren im Rahmen der für den 4. bis 6. Lebensmonat vorgesehenen Vorsorgeuntersuchung
am 18. Dezember 1975 ein normales Gedeihen und ein unauffälliger Gesamteindruck und Entwicklungsstand festgehalten worden.
Am 18. Dezember 1975 und sodann wieder am Dienstag, dem 27. Januar 1976 wurde der Kläger von seinem seinerzeitigen Kinderarzt,
dem Zeugen Dr. W W (im Folgenden: Dr. W.), mit dem Mischimpfstoff "Quinto-Virelon" geimpft, der Einzelkomponenten gegen Diphtherie,
Tetanus, Keuchhusten (hier mit dem alten Ganzkeim-Impfstoff), Poliomyelitis (Typ Salk) sowie Masern enthielt. Bei der am 26.
Februar 1976 durchgeführten dritten Impfung wurde der Pertussis-Wirkstoff weggelassen. In einem auf Wunsch der Eltern am 18.
März 1983 verfassten epikritischen Schreiben gab Dr. W. an, dass die Entwicklung des Klägers in den ersten fünf Monaten normal
verlaufen sei und dass im sechsten Lebensmonat eine "statomotorische Retardierung" in Erwägung gezogen worden sei.
Die Eltern des Klägers beschrieben dessen Entwicklung nach der zweiten Impfung in ihrem dem Antrag zum vorliegenden Verfahren
beigefügten Schreiben vom 20. August 2000 dahin, dass zunächst kurzzeitig erhöhte Temperatur bzw. leichtes Fieber aufgetreten
seien (38 Grad). Nach gut einer Woche seien jedoch plötzlich deutliche Veränderungen festzustellen gewesen: Der Kläger habe
sich kaum noch bewegt, apathisch (fast wie eine Stoffpuppe) im Bett bzw. auf dem Wickeltisch gelegen und kaum noch Laute von
sich gegeben. Man habe unverzüglich den behandelnden Kinderarzt Dr. W. konsultiert, der jedoch gemeint habe, dass der Entwicklungsstand
des Kindes durchaus altersgemäß und die leichten Ausfallserscheinungen kein Grund zur Sorge seien. Die Zeitangaben konkretisierte
der Vater gegenüber dem später vom Gericht gehörten Gutachter Prof. Dr. K dahin, dass die Temperaturerhöhung (ohne sonstige
Beeinträchtigung) zwei Tage nach der Impfung eingesetzt habe und zwei weitere Tage später erledigt gewesen sei. Am Sonntag
nach der Impfung (das heißt am 01. Februar 1976) habe die Mutter abends das unauffällige Kind zu Bett gebracht und es am nächsten
Morgen, also am Montag, dem 02. Februar 1976 völlig verändert im Bett vorgefunden. Die Mutter sei sofort zu ihm (dem Vater)
gelaufen gekommen, hochgradig alarmiert, mit Angaben des Inhalts, dass der Kläger etwas habe, sich nicht bewege, er reagiere
nicht, er gebe keinen Ton von sich, er sei schlaff wie eine Stoffpuppe. Die Mutter habe das Kind sofort in eine Decke eingewickelt
und sei zur Praxis des Kinderarztes Dr. W. gelaufen. Als er, der Vater, spät nachmittags oder abends nach Hause gekommen sei,
habe der Kläger auf ihn nicht erkennbar reagiert und sei überdies "schlaff wie ein nasser Lappen" gewesen. Alle Fähigkeiten,
die der Kläger Anfang 1976 bereits gehabt habe, hätte dieser nur mühsam wieder erlernen können. Auch in den anschließenden
Tagen sei Dr. W. wiederholt konsultiert worden, zum Teil auch im Beisein nicht nur der Mutter, sondern auch des Vaters. Auf
Verlangen der Eltern habe Dr. W. Krankengymnastik verordnet.
Im April 1995 beantragte der Kläger wegen einer damals anstehenden Musterung die Feststellung seines Grades der Behinderung
(GdB), den der Beklagte durch Bescheid vom 17. August 1995 mit 50 anerkannte. Im Juli 2000 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag.
Er habe zwar Ende 1995, zuletzt nach zwei Förderjahren, die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen können. Trotz der
zunächst durchaus positiven Einschätzungen hinsichtlich seiner eventuellen beruflichen Eingliederung sei das Ergebnis von
Lehrgängen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation jedoch letztlich negativ verlaufen; wegen seiner eingeschränkten theoretischen
wie praktischen Belastbarkeit sei die Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt empfohlen und auch vermittelt worden. Nach
Einholung eines Gutachtens durch den Facharzt für Neurologie/Psychiatrie Dr. D vom 20. März 2001 stellte der Beklagte durch
Bescheid vom 27. März 2001 einen GdB von 80 wegen der Beeinträchtigungen
a) psychophysischer Entwicklungsrückstand,
b) Bluthochdruck und Übergewicht,
c) leichte Schwerhörigkeit rechts bei Zustand nach Tympanoplastik 1991
fest; ferner lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Eintragung der Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung
bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel) und "G" (erhebliche Gehbehinderung) vor.
Im August 2000 beantragte der Kläger Leistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz [BSseuchG]) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) unter Bezugnahme auf die am 27. Januar 1976 durchgeführte Impfung. Beigefügt war u. a. ein Schreiben vom 04. Juli 2000,
in dem für ihn ausgeführt wurde, den Antrag deshalb nicht früher gestellt zu haben, weil ihm über viele Jahre hinweg von zahlreichen
Fachleuten günstige Prognosen gestellt worden seien, dass gute Chancen bestünden, seinen psychophysischen Entwicklungszustand
zumindest teilweise aufholen und sich in einen normalen Arbeitsprozess integrieren zu können. Beigefügt war ferner die bereits
genannte elfseitige Darstellung seiner Entwicklung vom 20. August 2000. Der Beklagte ermittelte durch Beiziehung der den Kläger
betreffenden Behandlungsunterlagen und durch Befragung des Dr. D, der in dem bereits genannten Gutachten vom 20. März 2001
und durch weitere Stellungnahmen ausführte, für eine Kausalitätsbeurteilung weitere Unterlagen zu benötigen. Nachdem diese
vorlagen, führte er mit Stellungnahme vom 18. Januar 2002 aus, dass bei nicht vorliegender Dokumentation des damals behandelnden
Kinder- und Impfarztes sowohl der zeitliche als auch der kausale Zusammenhang des psychophysischen Entwicklungsrückstandes
mit der Mehrfachimpfung vom 27. Januar 1976 nicht als hinreichend wahrscheinlich anzusehen sei, ein entzündliches Geschehen
im Zusammenhang mit der Impfung vom 27. Januar 1976 sei nicht belegt, hierfür finde sich in den vorliegenden medizinischen
Unterlagen auch kein Hinweis. Der Impfarzt Dr. W. habe sich ausweislich eines Vermerkes über eine telefonische Rücksprache
nicht verpflichtet gesehen, die noch in seinem Besitz befindlichen medizinischen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ggf.
wäre er bereit gewesen, in einem persönlichen Gespräch mit einem Gutachter des ärztlichen Dienstes oder auf dessen schriftliche
Anfrage Auskünfte zu erteilen. Hierauf sei jedoch verzichtet worden, da nicht erkennbar sei, inwieweit sich hieraus eine Klärung
ergeben solle.
Durch Bescheid vom 04. Februar 2002 lehnte der Beklagte die Anerkennung eines Entschädigungstatbestandes im Sinne des zum
01. Januar 2001 in Kraft getretenen Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz [IfSG]) ab, da in den medizinischen Unterlagen eine Hirnhautentzündung im Zusammenhang mit der Impfung nicht belegt sei.
Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 03. April 2002 zurück.
Im hiergegen angestrengten Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin zunächst ein Gutachten des Prof. Dr. D, stellv. Vorsitzender
der Ständigen Impfkommission (STIKO) am R Institut, vom 31. Mai 2003 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Ursache
der Behinderung des Klägers ungeklärt sei. Impfschäden der infrage stehenden Komponenten müssten in erster Linie unter dem
Gesichtspunkt der Pertussis-Impfung mit Vollbakterien-Impfstoff gesehen werden, da sowohl der Diphtherie- und Tetanusimpfstoff
als auch die inaktivierten Masern- und Poliomyelitisimpfstoffe entsprechend den Auffassungen in der Literatur keine zentralnervösen
Schädigungen hervorriefen. Hingegen habe die Pertussis-Impfung mit Vollbakterienimpfstoff viele Jahre unter dem Vorbehalt
möglicher Pertussis-Enzephalopathien gestanden. Eine abschließende Beurteilung zu möglichen Impfschäden habe insoweit das
Institute of Medicine (IOM), National Academy of Science, Washington, D.C. abgegeben, welche den gegenwärtigen wissenschaftlichen
Kenntnisstand zu Impfschäden nach einer DPT-Impfung mit Pertussis-Vollbakterien-Komponente darstelle. Danach sei u. a. der
ursächliche Zusammenhang zwischen der DPT-Impfung und einer (sehr seltenen) post-vakzinalen Enzephalopathie anzunehmen. Für
die Annahme eines kausalen Zusammenhangs der DPT-Impfung und bleibenden neurologischen Schäden reiche das vorliegende wissenschaftliche
Beweismaterial nicht aus; anzunehmen sei ein kausaler Zusammenhang zwischen DPT-Impfung und (äußerst seltener) bleibender
zentralnervöser Funktionsstörung nur dann, wenn es nach der DPT-Impfung innerhalb von 7 Tagen zu einer Enzephalopathie gekommen
war. Im Falle des Klägers scheide die Annahme einer Impfung als Ursache der Entwicklungsverzögerung aus, da es keinerlei Anhaltspunkte
für ein akut-entzündliches Geschehen im zeitlichen Zusammenhang mit der Pertussis-Impfung oder auch einer anderen Komponente
des angewandten Impfstoffes gebe. Es seien keinerlei auf eine akute Erkrankung hinweisenden Symptome allgemeiner oder zentralnervöser
Art beobachtet worden, die einen akuten Arztbesuch erforderlich gemacht hätten. Ohne eine solche akute Erkrankung mit Hinweis
auf eine Beteiligung des zentralen Nervensystems seien Folgen im Sinne einer negativen psycho-physischen Beeinträchtigung
der Entwicklung nicht vorstellbar.
Dr. W. teilte dem Sozialgericht auf Anfrage mit Schreiben vom 05. September 2003 mit, dass ihm keine Unterlagen über den Kläger
mehr vorlägen. Der Kläger wies hierzu darauf hin, bereits vor Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist und jedenfalls zu
einem Zeitpunkt, als diese Unterlagen auch nach Aussagen des Dr. W noch existent gewesen seien, um deren Herausgabe gebeten
zu haben, was jedoch nicht geschehen sei.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat das Gericht sodann ein Gutachten des Prof. Dr. K, ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik N-, vom 23. Mai 2005 eingeholt.
Dieser kam zu dem Ergebnis, dass - wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass den Angaben der Eltern zu den Ereignissen
nach der Impfung vom 27. Januar 1976 Beweiswert zuzusprechen sei - die beim Kläger bestehende erhebliche mentale Behinderung
sowie die leichten feinmotorischen Störungen mit der nötigen Wahrscheinlichkeit durch die Impfung vom 27. Januar 1976 verursacht
worden seien. Im Einzelnen führte er Folgendes aus:
Die von den Eltern beschriebene Symptomatik, die der Kläger nach ihren Angaben in der Nacht vom 01. auf den 02. Februar 1976
entwickelt habe, sei aus kinderklinisch-kinderneurologischer Perspektive ohne vernünftigen Zweifel als akute Enzephalopathie
zu deklarieren, aufgetreten am 5. post-vakzinalen Tag und gefolgt von einem typischen (und diese Enzephalopathie zusätzlich
bestätigenden) Entwicklungsknick. Eine solche Enzephalopathie könne ohne schrilles Schreien und ohne ein in das Enzephalopathie-Stadium
hineinreichendes Fieber auftreten. Es sei leider keine Rarität, dass eine solche Säuglings-Enzephalopathie nicht sofort als
solche erkannt und diagnostiziert werde. Die Beschreibung der Eltern, dass der Kläger die Anfang 1976 bereits vorhandenen
Fähigkeiten mühsam wieder hätte erlernen müssen, belege das, was der Kinderkliniker als Entwicklungsknick bezeichne. Das Phänomen
des Entwicklungsknicks (akuter Entwicklungsstillstand, Verlust zuvor bereits erworbener Fähigkeiten) sei in den Anhaltspunkten
(Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil
II
SGB IX) - AHP) im Zusammenhang mit Pocken-Impfschäden beschrieben, aber keineswegs auf diese beschränkt, sondern vielmehr ein allgemeines
neuropädiatrisches Phänomen. Mit und nach Ausgleich des Entwicklungsknicks habe eine weitere Entwicklung stattgefunden, jedoch
mit quantitativen und qualitativen Defiziten. Der Anstiegswinkel dieser Entwicklung sei durchgehend kleiner als der bei gesunden
Altersgenossen, so dass mit zunehmendem Alter der Abstand, insbesondere in der mentalen Entwicklung, gegenüber den gesunden
Altersgenossen zunehmend größer und für die Umgebung zudem erkennbarer geworden sei.
In Auswertung bereits durchgeführter Untersuchungen führte der Gutachter ferner aus, dass eine Chromosomenuntersuchung ohne
brauchbares Ergebnis verlaufen sei; CT-Aufnahmen des Gehirns belegten ein Defizit an Hirnmasse. Testuntersuchungen der Entwicklung
1989 hätten ein deutliches so genanntes Sägezahn-Profil mit einem mittleren Gesamt-IQ von 66 ergeben; ein derartiges Sägezahn-Profil
gelte als Hinweis auf einen erworbenen Hirnschaden bzw. als Hinweis gegen einen angeborenen Hirnschaden. Bei der hiesigen
Untersuchung sei der IQ mit 60 geschätzt worden.
Die Verweigerung der Herausgabe einer Kopie der Karteikarte durch den Kinderarzt sei ein ungewöhnliches Verhalten, es bedeute
am ehesten Besorgnis schuldhafter Verursachung eines Impfschadens oder die Besorgnis der Verwicklung in eine Auseinandersetzung
wegen unzureichender Aufklärung, letzteres sei damals eher die Regel gewesen. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dürfte
es bedeuten, dass, sei es sofort, sei es vermutlich eher verspätet, Dr. W. einen kausalen Zusammenhang zwischen der ihm mitgeteilten
pathologischen Symptomatik einerseits und der Impfung andererseits zumindest sehr ernsthaft erwogen habe.
Als Ursache für den Schaden kämen auch andere Impfstoffkomponenten in Betracht. Angesichts der Art der vorliegenden Schäden
und der neurologischen Symptomatik sowie deren bildgebender Darstellung werde im vorliegenden Fall über die Diphtherie- bzw.
die Diphtherie-Tetanuskomponente allerdings kaum weiter zu sprechen sein. Über zentralnervöse Impfschäden mit dem verwandten
Spaltimpfstoff gegen Masern seien ihm keine zuverlässigen Mitteilungen bekannt. Zentralnervöse Impfschäden seien allerdings
im Gefolge des Poliomyelitis-Impfstoffes (so genannte Salk-Vakzine) bis hinein in die 60er Jahre berichtet worden. Auch die
AHP hätten noch in den Ausgaben 1973 und 1983 enzephalitische Krankheitsbilder mit dem Zusatz sehr seltener zentralnervöser
Dauerschäden notiert, was aufgrund verbesserter Impfstoffe ab der Ausgabe 1996 nicht mehr aufgeführt sei. Die post-vakzinale
Inkubationszeit habe nach damaligen Beobachtungen bis zu vier Wochen betragen.
Zentralnervöse Impfschäden nach Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff, auch solche mit anschließenden Dauerschäden, seien seit den
30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts publiziert worden, man habe mit einem Dauerschaden auf ca. 25.000 Impfungen gerechnet.
Die in den 80er Jahren teilweise aus den USA geäußerte Meinung, es gebe zwar post-vakzinale Enzephalopathien, aber keine Dauerschäden,
sei in den 90er Jahren offiziell widerrufen worden. Die in den 90er Jahren aus Erlangen kommende und leider von der STIKO
übernommene Meinung, es gebe keine Impfschäden nach Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff, sei strikt abzulehnen, der Erlanger Feldversuch
halte nach Planung, Durchführung, Auswertung und Interpretation wissenschaftlichen Maßstäben nicht stand. Dementsprechend
hätten auch die AHP inklusive der Ausgabe 2004 die Enzephalopathie nach Keuchhusten-Impfung mit Vollbakterien-Impfstoff mit
anschließendem Dauerschaden anerkannt. Die Skala möglicher Dauerschäden sei breit, besonders häufig seien mentale Retardierung
und/oder Anfallsleiden und/oder Spastiken. Die Enzephalopathie werde toxisch ausgelöst, daher sei die Reaktionszeit eher kurz.
Die meisten Fälle reagierten innerhalb der ersten drei Tage, aber es gäbe zweifelsfrei auch Fälle mit einer post-vakzinalen
Inkubationszeit bis zu 7 Tagen, was einwandfrei festgestellt worden sei durch Miller et. al. und akzeptiert auch durch das
US-amerikanische IOM (Institute of Medicine, Washington). Anfängliches unstillbares schrilles Schreien sei typisch, aber keineswegs
obligatorisch. Hohes Fieber komme öfter vor, sei aber ebenfalls keinesfalls obligatorisch. Insgesamt sei also, wenn den Angaben
der Eltern Beweiswert zuerkannt werde, aufgrund der in der Nacht vom 01. zum 02. Februar 1976 akut aufgetretenen Enzephalopathie
von einer Verursachung des Schadens entweder durch die Poliomyelitis-Komponente oder durch die Pertussis-Komponente des beim
Kläger verwendeten Mischimpfstoffes auszugehen. Die Auffassung des Prof. Dr. D, dass keine Anhaltspunkte für ein akut-entzündliches
Geschehen im zeitlichen Zusammenhang mit der Pertussis-Impfung zu erkennen gewesen sei, sei damit zu erklären, dass dieser
Mikrobiologe und Internist sei und unterstellt werden müsse, dass er noch nie einen Säugling mit nicht-konvulsiver und somit
nicht hochdramatisch erscheinender Säuglingsenzephalopathie behandelt habe, denn ansonsten wäre er zu einem anderen Ergebnis
gekommen.
Hiergegen wandte der Beklagte unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Prof. Dr. S, Arzt für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin
vom 08. August 2005 ein, dass die Impfreaktion mit einem leichten Temperaturanstieg auf Werte um 38 Grad Celsius innerhalb
von drei Tagen nach der Impfung das übliche Ausmaß nicht überschritten habe. Insbesondere seien cerebrale Anzeichen nicht
beschrieben worden, die als eine Enzephalopathie oder Enzephalitis hätten interpretiert werden können. Auch sei während der
kritischen Drei-Tage-Periode weder eine ambulante noch stationäre Behandlung vorgenommen worden. Die von den Eltern durchaus
glaubhaft beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes "gut eine Woche nach der Impfung" könnten aufgrund des überschrittenen
Zeitfensters von drei Tagen der Pertussis-Ganzkeim-Impfung nicht mehr angelastet werden. Im Übrigen werde eine Intelligenzminderung
bei den meisten Kindern nicht im ersten, selten im zweiten und häufig erst im dritten Lebensjahr erkannt, weiter kämen Intelligenzminderungen
unterschiedlicher Schweregrade bei etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung vor, wobei die Ursachen hierfür trotz intensiver
Diagnostik in über 70 Prozent der Fälle nicht gefunden würden. Die beim Kläger bestehende Gesundheitsstörung sei daher mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht impfbedingt.
Auf Nachfrage des Gerichtes teilte Prof. Dr. S mit Stellungnahme vom 18. November 2005 mit, dass die beim Kläger vorgenommene
Impfung mit Quinto-Virelon im Rahmen der seinerzeit gültigen STIKO-Empfehlung gelegen habe. Dies bestätigte Prof. Dr. K mit
Stellungnahme vom 20. Juni 2006, der ferner weiter ausführte, dass der Einschätzung des Prof. Dr. S zur fehlenden Behandlungsbedürftigkeit
im zeitlichen Anschluss an die Impfung auch deshalb nicht gefolgt werden könne, weil auch ohne Karteikarte des Dr. W zuverlässig
bekannt sei, dass dieser schon im Februar 1976 eine pathologische neurologische Symptomatik bei dem Kläger gesehen haben müsse.
Denn dieser habe Februar 1976 erstmals Krankengymnastik verordnet und - wie für neurologisch auffällige Impflinge und ebenso
bei Verdacht auf Unverträglichkeit der Pertussis-Komponente empfohlen - bei der dritten Impfung Februar 1976 die Pertussis-Komponente
weggelassen. Dies hätte durch Prof. Dr. S kritisch kommentiert und hinterfragt werden müssen. Weiter sei darauf hingewiesen,
dass auch ein Diphtherie-Schaden entgegen Prof. Dr. S keineswegs ausgeschlossen sei. Prof. Dr. S habe fehlerhafter Weise auch
nicht akzeptiert, dass die post-vakzinale Inkubationszeit bis zu 7 Tage betragen könne. So habe auch das Bundesministerium
für Gesundheit und soziale Sicherung in einem näher bezeichneten Schreiben ausgeführt, dass es sich bei den in die Anhaltspunkte
aufgenommenen Impfschäden nicht um eine abgeschlossene Liste handele. Auch der Poliomyelitis-Impfstofftyp Salk komme mit einer
Spanne der post-vakzinalen Inkubationszeit von bis zu 23 Tagen weiter als ursächlich für die beim Kläger entstandenen Schäden
in Betracht. Entgegen der Darstellung des Prof. Dr. S habe er keineswegs das Vorliegen einer klinisch stummen Enzephalopathie,
die es nach Aussage des Prof. Dr. S nicht gebe, bejaht. Richtig sei, dass er, vorausgesetzt, das Gericht akzeptiere die einschlägigen
Angaben der Eltern, eine akute und in vollem Umfang symptombehaftete und keineswegs stumme Enzephalopathie am 5. post-vakzinalen
Tag mit anschließendem Entwicklungsknick festgestellt habe.
Dem trat erneut Prof. Dr. S mit Stellungnahme vom 04. August 2006 entgegen.
Mit Urteil vom 22. November 2006 hat das Sozialgericht Berlin den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide verpflichtet,
dem Kläger dem Grunde nach Leistungen nach § 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz i. V. m. dem BVG zu gewähren. Das Gericht folge den glaubhaften Schilderungen der Eltern des Klägers in ihrer Darstellung der Entwicklung
des Klägers bei Antragstellung und gegenüber dem Gutachter K, dass in der Nacht vom 5. auf den 6. post-vakzinalen Tag eine
völlige Veränderung beim Kläger dergestalt stattgefunden habe, dass dieser sich nicht bewegt oder reagiert habe, keinen Ton
von sich gegeben habe und "schlaff wie eine Stoffpuppe" gewesen sei. Vernünftige Zweifel an deren Darstellung ergäben sich
nicht und würden auch vom Beklagten nicht vorgetragen. Die von den Eltern berichteten Reaktionen seien den überzeugenden Ausführungen
des Dr. K folgend als Enzephalopathie einzuschätzen; der bestehende psychisch-physische Entwicklungsrückstand sei mit der
notwendigen, aber auch ausreichenden Wahrscheinlichkeit auf die Impfreaktion zurückzuführen und stelle damit einen Impfschaden
im Sinne des § 2 Nr. 11 IFSG dar.
Gegen dieses am 15. Januar 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 26. Januar 2007 eingegangene Berufung des Beklagten.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf weitere Stellungnahmen des Prof. Dr. S vom 23. März 2007, vom 16. November 2007,
vom 21. Januar 2008 und vom 14. Juli 2008, der erneut ausführte, dass entscheidend für die Impfreaktion nach einer Pertussis-Ganzkeim-Impfung
die ersten drei Tage seien. Der Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff finde sich in den aktuellen STIKO-Verlautbarungen nicht, offenbar,
weil er in Deutschland nicht auf dem Markt sei. Daher sei auf die in den AHP enthaltenen Grundsätze zurückzugreifen. Durch
diese würden Dauerschäden des zentralen Nervensystems nach Pertussis-Impfung an folgende zwei Bedingungen geknüpft:
- Auftreten der Symptome innerhalb von drei Tagen nach der Impfung und
- eine klinisch-manifeste Enzephalopathie;
diese träfen nach Aktenlage für den Kläger nicht zu. Der behandelnde Kinderarzt hätte akute hoch fieberhafte bzw. schwerwiegende
Krankheitszeichen ausschließen können, denn sonst hätte er - und das könne einem jahrzehntelang tätig gewesenen Kinderarzt
nicht abgesprochen werden - eine stationäre Einweisung veranlasst. Dies sei ein untrüglicher Beweis dafür, dass zu diesem
Zeitpunkt kein klinischer Verdacht auf Enzephalitits oder eine Enzephalopathie vorgelegen habe. Auch die offensichtlich erfahrene
Physiotherapeutin habe sich nicht im Sinne einer akuten Enzephalitis oder Enzephalopathie geäußert, sondern - wie es bei Säuglingen
mit einem motorischen Entwicklungsstand üblich ist - eine Bobath-Therapie empfohlen. Es widerspreche jeder pädiatrischen Erfahrung,
wenn Herr Prof. Dr. K beim Kläger, der in den ersten Tagen nach der angeschuldigten Impfung aktenkundig als munter beschrieben
worden sei, eine post-vakzinale Enzephalitis ohne hohes Fieber, ohne Erbrechen, ohne Krampfanfall postuliere, weil er sechs
Tage nach der Impfung mit einer Apathie aufgefallen sei, die bei einer unverzüglichen Kinderarztkonsultation nicht mehr festzustellen
gewesen sei und keine stationäre Diagnostik erfordert habe. Die von den Eltern beschriebene Veränderung des Klägers nach der
Impfung sei als "blande" (symptomarme oder asymptomatische) Enzephalopathie einzuordnen, die als solche bereits früher umstritten
gewesen sei und heute als veraltet abzulehnen sei. Vorübergehende plötzliche Verhaltensänderungen bei Säuglingen seien keine
Seltenheit und ließen fürsorgliche Eltern erschrecken, ohne dass sie gleich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen würden. Auch
der hier beschriebene Zustand des Klägers gut eine Woche nach der zweiten DPT-Impfung habe die Eltern nicht veranlasst, einen
Arzt zu rufen oder ihren Sohn einem Krankenhaus vorzustellen.
Die von Prof. Dr. D noch zugrunde gelegte Ausdehnung dieser dreitägigen Inkubationszeit dürfe aus heutiger Sicht als obsolet
bezeichnet werden. Der Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff werde im Übrigen von der Weltgesundheitsorganisation und UNICEF unverändert
bis auf den heutigen Tag propagiert. Soweit ausgeführt sei, dass anhaltendes schrilles Schreien für die Annahme eines Schadens
nicht ausnahmslos notwendig sei, werde wieder eine Ausnahme von der Regel angeführt, um einen Impfschaden als wahrscheinlich
zu postulieren. Er habe in seinem Gutachten ausführlich begründet, dass die Annahme einer Pertussis-Ganzkeim-Impfenzephalopathie
ein wissenschaftlicher Irrtum gewesen sei, dass die Diphtherietoxoid-Komponente erwiesenermaßen keine zentralnervösen Schädigungen
herrufe und dass der inaktivierte Polio-Impfstoff seit Ende der 1960er Jahre gut verträglich gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
für den Fall der Berufungszurückweisung die Einholung eines weiteren Gutachtens zur Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen
Impfung und Gesundheitsschädigung.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verweist auf die gutachterlichen Äußerungen des Prof. Dr. K. Der Kritikansatz des Prof. Dr. S sei nicht haltbar,
dieser belege auch nicht weiter, welchen aktuellen Stand die Wissenschaft - durch wen und in welcher Weise wo publiziert -
vertrete, er lege auch nicht dar und begründe im Einzelnen nicht, warum der wissenschaftliche Ansatz des Prof. Dr. K veraltet
sein solle.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes eine Anfrage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ärztlicher
Sachverständigenbeirat, Sektion Versorgungsmedizin gerichtet, ob weitere Erkenntnisse zu möglichen Folgen einer Pertussis-Impfung
vorlägen; diese wurde mit Schreiben vom 09. August 2007 durch Verweis auf die Arbeitsergebnisse der STIKO, veröffentlicht
im Epidemiologischen Bulletin beantwortet. Das R Institut verwies ebenfalls auf das Epidemiologische Bulletin Nr. 25 vom 22.
Juni 2007.
Das Gericht hat ferner in einem nichtöffentlichen Erörterungstermin vom 07. März 2008 zunächst den Vater des Klägers und sodann
den Kinderarzt des Klägers Dr. W. als Zeugen gehört; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift
zum Termin verwiesen. Der Vater des Klägers, Dr. F G, gab insbesondere an, die genauen Angaben zum zeitlichen Auftreten der
post-vakzinalen Symptomatik mit seiner Frau im Ausschlussverfahren bestimmt zu haben. Es sei an einem Wochenanfang gewesen
und seine Frau sei sofort am selben Tag mit dem Kläger zum Arzt gegangen; am Folgetag habe er dann seine Frau und den Kläger
zur Krankengymnastik begleitet, so dass letztlich nur Montag oder Dienstag in Betracht gekommen wären. Die Krankengymnastin
habe damals geäußert, dass der Zustand des Klägers nicht so harmlos einzuschätzen sei. Der Zeuge Dr. W. gab nach ausdrücklichen
und zu Protokoll genommenen Erklärungen des Vaters des Klägers und des Beklagten, dass gegen ihn im Zusammenhang mit der Impfung
keine Ansprüche geltend gemacht würden, eine Aussage dahin ab, Aufzeichnungen nicht mehr zu besitzen. An den Kläger habe er
konkret keine Erinnerung mehr. Ihm sei vor dem dritten Impftermin eine leichte Entwicklungsverzögerung aufgefallen, weshalb
er als Vorsorgemaßnahme bei der dritten Impfung die Keuchhustenkomponente weggelassen habe, weil dies für ihn ein unklarer
leichter Rückstand gewesen sei; eigentlich habe es keine Indikation dagegen gegeben. Ferner hätten Kinder schon nach der zweiten
Impfung einen guten Impfschutz gehabt. Schlaffheit hätte er als Warnsignal aufgefasst. Er hätte sich dies aufgezeichnet. In
einem solchen Fall hätte er das Kind mit dem Rettungswagen sofort in die Kinderklinik gefahren. Denn wenn ein Kind schlaff
und atonisch sei, sei dies ein gravierendes Zeichen und er hätte sofort gehandelt. Auf Befragen wegen der Verordnung von Krankengymnastik
gab er an, dass ihm im 6. Monat, also in der Zeit vom 14. Januar bis 14. Februar 1976 die Entwicklungsverzögerung aufgefallen
sein müsse. Säuglinge seien ihm in diesem Alter monatlich vorgestellt worden. Einen Entwicklungsknick des Klägers könne er
nicht bestätigen.
Das Gericht hat ferner die Zeugen Dr. W. und Dr. G. nochmals im Termin vom 29. Januar 2009 gehört; auch insoweit wird auf
die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Das Gericht hat ferner versucht, Unterlagen der seinerzeit zuständigen Krankenkasse des Klägers beizuziehen, die für den fraglichen
Zeitraum jedoch keine hier interessierenden Angaben enthielten. Das Gericht hat ferner von Prof. Dr. K eine Rückäußerung vom
08. Mai 2008 insbesondere zur Verlaufsform der Enzephalopathie eingeholt. Dieser wies darauf hin, selbst zu keinem Zeitpunkt
für den vorliegenden Fall eine post-vakzinale blande Enzephalopathie bemüht zu haben, dies habe vielmehr Prof. Dr. S in die
Diskussion eingeführt. Beim Kläger habe vielmehr ganz eindeutig eine offensichtliche Enzephalopathie mit eindrücklicher Symptomatik,
übergehend in einen Entwicklungsknick und anschließend bis heute defizitärer Weiterentwicklung bestanden. Abgesehen davon
gebe es die blande (symptomarme, aber nicht "asymptomatische" oder "stumme" oder "subklinische") Enzephalopathie sehr wohl.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakten des Beklagten (3 Bände).
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat zu Recht die angefochtenen Bescheide des Beklagten
aufgehoben und den Beklagten dem Grunde nach zur Gewährung von Leistungen wegen der Folgen des vom Kläger erlittenen Impfschadens
verurteilt.
Streitgegenstand ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach § 51 BSeuchG/§ 60 IFSG. Da das IFSG am 1. Januar 2001
in Kraft getreten ist bei zeitgleichem Außerkrafttreten des BSeuchG ohne Übergangsvorschrift, ist im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch
bis zum Inkrafttreten des IFSG das BSeuchG weiterhin anzuwenden; für die Zeit danach sind der Entscheidung die allerdings
im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IFSG zu Grunde zu legen (BSG, Urteil vom 20. Juli 2005, Az. B 9a/9 VJ 2/04
R, SozR 4-3851 § 20 Nr. 1). Gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BSeuchG/§ 60 Abs. 1 und 2 IFSG erhält, wer u. a. durch eine (Schutz-)
Impfung, die von einer zuständigen (Landes-) Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche
Schädigung erlitten hat, wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IFSG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen
Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Für
die Impfopferversorgung müssen die schädigende Einwirkung (Impfung), die gesundheitliche Schädigung in Form einer unüblichen
Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich
sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, Az.: 9 a RVi 2/84, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen
dem schädigenden Ereignis und der (Primär-) Schädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die
Kausalität wahrscheinlich ist (§ 61 Satz 1 IFSG). Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn wenigstens
mehr für als gegen sie spricht, wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen (BSG, aaO.,
m.w.N.).
Der Kläger ist am 27. Januar 1976 gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Poliomyelitis sowie Masern geimpft worden. Diese
Impfung erfolgte aufgrund einer öffentlichen Empfehlung, was insbesondere für die Pertussis-Impfung trotz der seinerzeit nur
eingeschränkten Impfempfehlung übereinstimmend durch Prof. Dr. S und Prof. Dr. K bejaht worden ist.
Der Kläger hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts einen Impfschaden erlitten. Ein Impfschaden
ist nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BSseuchG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden, nach
§ 2 Nr. 11 IFSG die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden
gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Welche Impfreaktion als Impfschaden anzusehen ist, ließ sich im Allgemeinen
den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, zuletzt
Ausgabe: 2008) und hier jeweils der Nr. 57 entnehmen. Diese waren zwar kein Gesetz und auch nicht aufgrund einer gesetzlichen
Ermächtigung erlassen. Es handelte sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung,
die die möglichst gleichmäßige Anwendung dieser Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hatte. Die AHP engten das Ermessen
der Verwaltung ein, führten zur Gleichbehandlung und waren deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt
zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich von diesen auszugehen
(BSG, Urteil vom 18. September 2003, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 2 Rdn. 18). Auch nach ihrem Außerkrafttreten zum 31. Dezember 2008 sollen die Nr. 53 bis Nr. 143 der
AHP 2008 daher Gültigkeit als antizipierte Sachverständigengutachten haben (Drucksache 767/08, S. 4, zu der zum 1. Januar
2009 in Kraft getretenen "Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes
(Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV)" vom 10. Dezember 2008 (BGBl I 2008 S. 2412), deren Anlage zu § 2 die AHP ersetzt, die zu Impfschäden allerdings keine Ausführungen mehr enthält).
Im Gegensatz zu den AHP 1996 und 2004/2005 enthielten die AHP 2008 keine eigenen Ausführungen zu möglichen Impfkomplikationen
bzw. Impfschäden mehr. Vielmehr verwies Nummer 57 AHP 2008 diesbezüglich auf die Arbeitsergebnisse der STIKO, wie sie im Epidemiologischen
Bulletin veröffentlicht seien; diese stellten den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Das einschlägige Epidemiologische
Bulletin Nr. 25 vom 22. Juni 2007 enthält jedoch, worauf auch Prof. Dr. S schon hingewiesen hat, zu dem beim Kläger noch verwendeten
Vollbakterien-Ganzkeim-Impfstoff keine Angaben. Ausgeführt ist lediglich, dass nach Ablösung der früher verwendeten Vollbakterien-Pertussis-Komponente
im DPT-Impfstoff durch eine moderne azelluläre Pertussis-Komponente über zentralnervöse Schäden nach einer Impfung in der
medizinischen Fachliteratur "nicht mehr" berichtet werde (Epidemiologisches Bulletin Nr. 25/2007, S. 212).
Abzustellen ist daher auf die Vorgaben der AHP 2004/2005, welche zuletzt Abgrenzungskriterien für den hier in Frage stehendenden
Impfschaden aufstellten. Die AHP 1996, die AHP 2004 und die AHP 2005 beschrieben Impfschäden nach Pertussis-Schutzimpfung
wie folgt: "Selten. Gelegentlich nach anhaltendem schrillen Schreien - innerhalb von 3 Tagen Auftreten einer Enzephalopathie,
dabei oft hirnorganische Anfälle, manchmal progredienter Verlauf. Nach Enzephalopathie selten auch Dauerschäden (spastische
Lähmungen und geistige Retardierung). Selten Neuritis (insbesondere Hirnnerven), selten Nephrose" (AHP 2005 Nr. 57 S. 198).
Die Feststellung eines Impfschadens aufgrund einer Pertussis-Impfung ist entsprechend dieser Vorgaben daher an die Voraussetzungen
geknüpft, dass eine klinisch-manifeste Enzephalopathie innerhalb des Zeitfensters aufgetreten ist, das als Inkubationszeit
hierfür nach Pertussis-Impfung gilt. Diese Voraussetzungen hatte auch Prof. Dr. S in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 2008
den AHP entnommen, allerdings mit der Einschränkung eines Zeitfensters von drei Tagen nach der Impfung, worauf noch einzugehen
ist.
Unter Zugrundelegung dessen ist die beim Kläger aufgetretene Enzephalopathie als ein über das Ausmaß einer üblichen Impfreaktion
hinausgehender Gesundheitsschaden anzusehen. Zur Überzeugung des Gerichts ist beim Kläger im zeitlichen Anschluss an die am
27. Januar 1976 durchgeführte Impfung eine Enzephalopathie in diesem Sinne klinisch manifest geworden. Das Gericht folgt dabei
den Feststellungen des Prof. Dr. K. Dieser führte sowohl in seinem Gutachten vom 23. Mai 2005 als auch insbesondere in der
letzten Rückäußerung vom 08. Mai 2008 aus, dass die von den Eltern des Klägers beschriebenen Symptome des Klägers (Schlaffheit,
keine Töne von sich gebend, sich wie eine Stoffpuppe verhaltend) als Ausdruck einer Enzephalopathie zu sehen sind.
Prof. Dr. K hat seine Feststellungen zu Recht davon abhängig gemacht, dass zunächst zur Überzeugung des Gerichts feststehen
müsse, dass den diesbezüglichen Angaben der Eltern zu folgen ist. Dies ist gegeben, der nötige Vollbeweis ist insoweit zur
Überzeugung des Gerichts erbracht. Diesbezüglich wird zunächst gemäß §
153 Abs.
2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen, denen gefolgt wird, wobei jedoch angesichts der ausreichenden
Beweislage der Rückgriff auf § 64 Abs. 2 IFSG i. V. M. § 15 KOVVfG nicht erforderlich ist. Das Gericht ist nach einer Gesamtwürdigung der Angaben des Vaters des Klägers, der sonstigen bei
den Akten befindlichen Unterlagen und der Vernehmung des Zeugen Dr. W davon überzeugt, dass sich die von den Eltern beschriebenen
Symptome nach der Impfung so gezeigt haben, wie sie von diesen geschildert worden sind. Das Gericht folgt insbesondere der
Aussage des als Zeugen vernommenen Vaters des Klägers Dr. G. Für die Richtigkeit seiner Schilderung sprachen ihre Anschaulichkeit,
ihr Detailreichtum sowie insbesondere der Umstand, dass der Zeuge gemeinsam mit seiner Ehefrau zu Beginn des Verwaltungsverfahrens
und erkennbar, bevor die Maßgeblichkeit bestimmter Details wie der genauen Zeitabläufe ersichtlich geworden war, durch ihre
Darstellung vom 20. August 2000 eine umfassende Schilderung sämtlicher Entwicklungen abgegeben haben, in der Unstimmigkeiten
nicht zu entdecken waren und die sie später in keiner Weise korrigieren mussten. Ferner bestätigen die aktenkundigen Vorgänge
wie auch die Aussagen des Dr. W. bei verständiger Würdigung die Angaben des Vaters des Klägers. Prof. Dr. K hat in seinem
Gutachten vom 23. Mai 2005 zu Recht darauf hingewiesen, dass der Zeuge Dr. W. in seiner Epikrise, die er am 18. März 1983
auf Wunsch der Eltern erstellt hatte, eine im 6. Monat aufgefallene Entwicklungsverzögerung verzeichnet hat, auch das Verschreiben
von Säuglingsgymnastik ist hier bestätigt. Damit ist die erstmalige Auffälligkeit des Klägers für den 6. Lebensmonat, den
Dr. W im Erörterungstermin vom 07. März 2008 als den Zeitraum vom 14. Januar bis 14. Februar 1976 bezeichnete und der damit
den Zeitraum im unmittelbaren Anschluss an die zweite Impfung umfasste, festgestellt. Weiter ließ Dr. W bei der dritten Impfung
die Pertussis-Komponente weg. Prof. Dr. K wies in seiner Rückäußerung vom 20. Juni 2006 darauf hin, dass dies für neurologisch
auffällige Impflinge und ebenso bei Verdacht auf Unverträglichkeit der Pertussis-Impfung empfohlen war. Auch dies legt den
Schluss nahe, dass im Zeitraum zwischen zweiter und dritter Impfung Auffälligkeiten erkennbar geworden sind.
Weiter ist auch das Verhalten des Dr. W in der Folgezeit zu würdigen. Prof. Dr. K hat dessen Verhalten als ungewöhnlich bezeichnet.
Es bedeute am ehesten Besorgnis schuldhafter Verursachung eines Impfschadens oder Besorgnis der Verwicklung in eine Auseinandersetzung
wegen unzureichender Aufklärung. Diese Einschätzung teilt das Gericht jedenfalls im Ergebnis. Der Senat verkennt hierbei nicht,
dass Dr. W. sich nach seinen insoweit glaubhaften Angaben durchaus im Rahmen dessen gehalten hat, was ihm rechtmäßig erschienen
sein muss. Er hat bekundet, sich bei der Rechtsabteilung der Ärztekammer danach erkundigt zu haben, ob er rechtlich verpflichtet
sei, die Patientenakte herauszugeben, was diese verneint habe. Diese Rechtsauskunft dürfte zumindest vertretbar, wenn nicht
sogar herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur gewesen sein (vgl. zum Meinungsstand Hinne, NJW 2005, S. 2270 ff. mit Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Insoweit ist Dr. W. im Hinblick auf die Verweigerung der Herausgabe
der Patientenakte kein rechtlicher Vorwurf zu machen. Dennoch dürfte die Praxis heute überwiegend eine andere sein (vgl. Hinne,
aaO., S. 2271). Dr. W hat sich im Erörterungstermin vom 07. März 2008 erst nach ausdrücklicher und in das Protokoll aufgenommener
Zusicherung, selbst nicht weiter gerichtlich verfolgt zu werden, überhaupt zu irgendeiner Äußerung bereit erklärt und in der
Folgezeit lediglich solche Umstände bestätigt, die ohnehin aktenkundig waren. Auch war seine Aussage insoweit auffällig, als
er einerseits angab, sich an den Kläger nicht mehr erinnern zu können und über Aufzeichnungen nicht mehr zu verfügen, andererseits
aber doch dezidierte Einschätzungen dazu abgeben konnte, dass die Befunde grenzwertig zum Normalen gewesen seien und eine
Indikation gegen die Pertussis-Komponente bei der dritten Impfung nicht bestanden habe.
Die Einwände des Prof. Dr. S überzeugten nicht. Prof. Dr. S führt aus, dass Dr. W. im Anschluss an die Impfung eine Behandlungsbedürftigkeit
nicht gesehen habe. Einem "jahrzehntelang tätig gewesenen Kinderarzt" könne nicht abgesprochen werden, eine derartige Erkrankung
sofort zu erkennen, was ein "untrüglicher Beweis" dafür sei, dass eine Enzephalitis nicht vorgelegen habe. Hierzu ist zunächst
darauf hinzuweisen, dass Dr. W, der im Zeitpunkt seiner Vernehmung im Jahre 2008 72 Jahre alt war, im Jahre 1975 eben gerade
noch nicht jahrzehntelang tätig gewesen sein kann. Im Termin vom 29. Januar 2008 präzisierte Dr. W. dies dahin, dass er seine
Kinderarztpraxis - nach Abschluss einer entsprechenden Facharztausbildung - 1969 eröffnet hatte. Abgesehen davon sind Fehler
bei der Diagnostik von Erkrankungen jederzeit möglich. Soweit Prof. Dr. S weiter darauf hinweist, dass auch die "offensichtlich
erfahrene Physiotherapeutin", welcher der Kläger sodann vorgestellt worden ist, lediglich eine Bobath-Therapie empfohlen habe,
ist zunächst einmal fraglich, woher Prof. Dr. S die jedenfalls nicht aktenkundige Information zur Erfahrung der Physiotherapeutin
genommen haben will. Auch widerspricht die durch Prof. Dr. S angestellte Vermutung eines Rückschlusses von der Therapie-Empfehlung
auf die Schwere der Symptome den hierzu gemachten Angaben des Vaters der Klägers. Jedenfalls war die Mutter des Klägers Krankenschwester
und dürfte damit ebenfalls über medizinische Grundkenntnisse verfügt haben, die diese jedenfalls sofort hochgradig alarmierten.
Bei dem Kläger lag auch das Vollbild einer Enzephalopathie vor. Das Gericht folgt auch insoweit den überzeugenden Ausführungen
des Prof. Dr. K, der darlegte, dass beim Kläger nicht etwa lediglich eine so genannte blande (symptomarme), sondern eine offensichtliche
Enzephalopathie vorgelegen hat, deren eindrückliche Symptomatik die Eltern sofort bemerkt haben. Die von den Eltern des Klägers
beschriebenen Symptome als solche sind im Übrigen auch vom Zeugen Dr. W. im Erörterungstermin vom 7. März 2008 als gravierendes
Warnsignal bezeichnet worden, bei deren Auftreten er ein Kind sofort mit dem Rettungswagen in die Kinderklinik gefahren hätte.
Dies bestätigt deren Wertung als offensichtliche Symptomatik, was allerdings trotzdem nicht ausschließt, dass sie übersehen
werden kann.
Soweit Prof. Dr. S die Äußerungen des Prof. Dr. K zur blanden Enzephalopathie wiederholt als widersprüchlich bezeichnet, ist
dies nicht nachvollziehbar. Prof. Dr. K hat durchaus nachvollziehbar dargelegt, selbst zu keinem Zeitpunkt im Zusammenhang
mit der Symptomatik des Klägers von einer blanden Enzephalopathie gesprochen zu haben; dies sei vielmehr durch Prof. Dr. S
ins Feld geführt worden. Abgesehen davon sei jedoch auch eine blande Verlaufsform der Enzephalopathie durchaus als Krankheitsbild
nicht grundsätzlich abzulehnen. Damit hat Prof. Dr. K lediglich klargestellt, dass Prof. Dr. S aus zwei verschiedenen Gründen
nicht gefolgt werden könne, nämlich zum einen im Hinblick auf die grundsätzliche medizinische Frage der Möglichkeit einer
derartigen Verlaufsform und zum anderen im Hinblick auf die Bewertung der beschriebenen Symptome dahin, dass beim Kläger gerade
keine blande Verlaufsform vorgelegen hat. Widersprüche sind hier nicht zu erkennen.
Prof. Dr. K sah die Richtigkeit der Annahme der Enzephalopathie denn auch durch den folgenden, durch die Eltern beschriebenen
Entwicklungsknick beim Kläger bestätigt. Dieser trete häufig, aber nicht obligat auf nach akuten Hirnschädigungen jeglicher
Art, soweit die Schädigung ein frühkindliches, noch in der Entwicklung befindliches Gehirn betraf. Einen derartigen Entwicklungsknick
haben die Eltern beschrieben, als sie in ihrem dem Antrag beigefügten ausführlichen Schreiben vom 20. August 2000 darstellten,
dass der Kläger alle Fähigkeiten, die Anfang 1976 schon vorhanden gewesen seien, mühsam wieder hätte erlernen müssen. Diesen
sich im Anschluss an das enzephalopatische Geschehen zeigenden Entwicklungsknick wertete Prof. Dr. K als zusätzlich bekräftigend
dafür, die vorangegangene Symptomatik als Enzephalopathie einzuordnen. Die insoweit von Prof. Dr. S gebrachten Einwände überzeugten
auch hier nicht. Soweit dieser ausführte, dass bei den meisten Kindern eine Intelligenzminderung nicht im ersten, selten im
zweiten und häufig erst im dritten Lebensjahr erkannt werde, was mit unterschiedlichen Entwicklungsabläufen zu erklären sei
(Stellungnahme vom 08. August 2005), so ist nicht ersichtlich, was dem für einen tatsächlich festgestellten Entwicklungsknick
in den Fähigkeiten, die ein Säugling altersgemäß bereits besessen hat, zu entnehmen sein soll. Auch seine allgemeinen Erwägungen,
dass in 70 Prozent aller Fälle die Ursache für eine Intelligenzminderung nicht gefunden werde, sprechen nicht gegen die vorliegend
von Prof. Dr. K gezogenen Schlüsse, denen das Gericht folgt.
Prof. Dr. K hat im Übrigen bereits im Gutachten vom 23. Mai 2005 in Auswertung der bereits vorhandenen Untersuchungen dargestellt,
dass sich genetische Ursachen für die beim Kläger gefundene Intelligenzminderung nicht finden ließen, dass ein latentes Anfallsleiden
nicht festgestellt werden konnte und dass insbesondere das bei Testuntersuchungen festgestellte deutliche Sägezahnprofil mit
einem mittleren IQ von 66 als Hinweis gegen einen angeborenen Hirnschaden spreche. Wenn auch grundsätzlich das Fehlen von
Alternativursachen für sich genommen nicht bereits die Kausalität belegt, so ist dieser gegen eine angeborene Intelligenzminderung
sprechende Befund dennoch für die Beurteilung der Kausalitätsfrage in die Gesamtwürdigung einzubeziehen und als Indiz für
die Richtigkeit der von Prof. Dr. K gefundenen Ergebnisse zu werten. Prof. Dr. S ist auf diesen durchaus interessanten Aspekt
in seinen insgesamt sieben gutachtlichen Stellungnahmen leider nicht eingegangen.
Die derart festgestellte Enzephalopathie trat auch innerhalb des Zeitfensters auf, innerhalb dessen Impfschäden nach Pertussis-Impfung
auftreten können. Prof. Dr. K hat in seinem Gutachten und den hierzu gefertigten Rückäußerungen wiederholt dargelegt, dass
zweifelsfrei Fälle mit einer post-vakzinalen Inkubationszeit bis zu sieben Tage festgestellt worden seien und hierzu mehrere
Quellen benannt, u. a. eine Veröffentlichung des amerikanischen Institute of Medicine in Washington D. C. 1994. Auch Prof.
Dr. D beschrieb die Veröffentlichung des Institute of Medicine als abschließende Untersuchung, die auf dem gesamten international
vorliegenden Datenmaterial basierende Analysen und Schlussfolgerungen enthielte und den gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand
zu Impfschäden nach DPT-Impfung widerspiegelte. Prof. Dr. S hat zwar in sämtlichen seiner Stellungnahmen ausgeführt, dass
eine Ausdehnung des allein in Betracht kommenden Zeitfensters von drei Tagen nicht zulässig sei und die anderslautende Auffassung
als veraltet bezeichnet. Angesichts des Umstandes, dass Prof. Dr. K hier eine international anerkannte Quelle aus dem Jahre
1994 benannt hat und dass auch der zuvor vom Sozialgericht gehörte Prof. Dr. D, der als stellvertretender Vorsitzender der
STIKO als durchaus sachkundig bezeichnet werden kann, ebenfalls das Zeitfenster von sieben Tagen benannt hat, war eine derartige
Behauptung ohne detaillierte Begründung und Nachweis von aktuelleren einschlägigen Veröffentlichungen nicht mehr ausreichend.
Insgesamt folgte das Gericht den Ausführungen des Prof. Dr. K Dieser nahm seine Bewertung unter sorgfältiger Auswertung des
umfangreichen Aktenmaterials und aufgrund einer Fremdanamnese durch den Vater des Klägers vor, wobei er völlig zu Recht sorgfältig
unterschied zwischen Feststellungen, die durch das Gericht zu treffen waren, insbesondere in Bezug darauf, von welchem tatsächlichen
Geschehen nach der Impfung auszugehen war, und den durch ihn als Gutachter zu beurteilenden medizinischen und Kausalitätsfragen.
Sämtliche hierbei interessierenden Aspekte hat er unter Nennung und Auswertung von Nachweisen in der aktuellen Literatur schlüssig
und nachvollziehbar erörtert.
Fragen sind dabei nicht offen geblieben, weshalb auch die Einholung eines weiteren Gutachtens, welches der Beklagte beantragt
hatte, nicht erforderlich war. Der Beklagte hat nicht dargelegt, welche (neuen) Erkenntnisse seiner Ansicht nach aus einem
weiteren Gutachten zu erwarten gewesen wären. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., 2008, §
160 Rdnr. 18 a, m. w. N.). Da es sich sowohl bei Prof. Dr. K als auch bei sich Prof. Dr. S um ausgewiesene Spezialisten auf dem
streitgegenständlichen Gebiet handelt, ist davon auszugehen, dass sämtliche Argumente umfassend ausgetauscht worden sind,
zumal der die Auffassung des Beklagten vertretende Prof. Dr. S in insgesamt sieben Stellungnahmen auf die Argumente des Prof.
Dr. K eingegangen ist. Hinzuweisen ist noch darauf, dass in einem unlängst verhandelten Parallelfall, in dem ebenfalls der
Beklagte Beteiligter war (Az. L 13 VJ 46/03), neben Prof. Dr. K und Prof. Dr. S zur Frage des Ursachenzusammenhangs drei weitere Professoren Gutachten erstattet hatten
(eines davon wurde aus einem Zivilverfahren beizogen), ohne dass dies zu weiteren Erkenntnissen geführt hätte.
Die Einwände des Prof. Dr. S überzeugten weder im Einzelnen, wie bereits dargelegt ist, noch in ihrer Gesamtheit. Prof. Dr.
S unterschied nicht, welche Fragen er zu beurteilen hatte und was dem Gericht zu überlassen war, wobei das von ihm gefundene
Ergebnis maßgeblich auf einer Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugen Dr. W. und Dr. G. beruhte, die gerade nicht durch einen
medizinischen Sachverständigen nach Aktenlage zu treffen war. Er unterstellte Tatsachen ohne Grundlage hierfür (beispielsweise
das Erfahrungswissen des Impf-Arztes und der Physiotherapeutin) und führte schließlich in seiner letzten Stellungnahme am
14. Juli 2008 aus, dass die Annahme einer Pertussis-Ganzkeim-Impfenzephalopathie "ein wissenschaftlicher Irrtum" gewesen sei.
Insbesondere letzteres verdeutlicht, dass Prof. Dr. S sich in seiner Beurteilung nicht im Rahmen der Vorgaben der Anhaltspunkte
gehalten hat, welche in Einzelfällen durchaus von der Möglichkeit der Verursachung von Dauerschäden durch eine Pertussis-Impfung
mit Vollbakterien-Impfstoff ausgehen. Angesichts dieses theoretischen Ausgangspunktes, dass dauerhafte Impfschäden nach Pertussis-Impfung
grundsätzlich abzulehnen seien, scheint ihm eine unbefangene Wertung der beschriebenen Symptome und Geschehnisse nicht möglich
gewesen zu sein.
Der Einschätzung des Prof. Dr. D in dessen Gutachten vom 31. Mai 2005, dass die Ursache der Entwicklungsverzögerung beim Kläger
ungeklärt bleibe, aber jedenfalls kein Zusammenhang seines Gesundheitszustandes mit Impfungen bestehe, konnte ebenfalls nicht
gefolgt werden. Diese im Verhältnis zu den anderen Gutachten ausgesprochen knappe Darstellung konnte im Ergebnis bereits deshalb
nicht überzeugen, weil sie erklärtermaßen davon ausging, dass es "keinerlei Anhaltspunkte" für ein akut entzündliches Geschehen
im zeitlichen Zusammenhang mit der Pertussis-Impfung gegeben habe. Dies ist angesichts der von den Eltern geschilderten und
für die Entscheidung zugrunde zu legenden Symptomatik im auch von Prof. Dr. D angenommenen Zeitfenster von sieben Tagen nach
der zweiten Impfung schlechthin nicht nachvollziehbar.
Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger innerhalb des zulässigen Zeitfensters von sieben Tagen nach
der Impfung an einer Enzephalopathie erkrankt war, die aufgrund des Auftretens in dem auch mit sieben Tagen immer noch ausgesprochen
engen Zeitfenster und angesichts des Umstandes, dass sonstige Ursachen für seine Schäden nicht gefunden werden konnten, mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die am 27. Januar 1976 durchgeführte Pertussis-Impfung zurückzuführen ist und die die
beim Kläger festgestellten Dauerschäden in Form einer erheblichen mentalen Behinderung sowie von leichten feinmotorischen
Schäden hervorgerufen hat.
Daneben ist nach allem auch nicht ausgeschlossen, dass eine Verursachung durch die Poliomyelitis-Komponente und/oder die Diphtherie-Komponente
erfolgte, was angesichts der Ausführungen zur Pertussis-Impfung jedoch letztlich dahinstehen kann.
Nach alledem war die Berufung des Beklagten daher zurückzuweisen.
Da erstinstanzlich lediglich eine Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach erfolgt ist, kam die Zuerkennung eines bestimmten
Grades der Schädigungsfolgen nicht in Betracht. Denn auch wenn das Gericht unzweckmäßiger Weise ein Grundurteil erlässt, ist
das kein im Rechtsmittelverfahren relevanter Verfahrensfehler (Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage, §
130 Rdnr. 3 c) m. w. N.).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.