Festellung des Grades der Behinderung nach dem SGB IX unter Berücksichtigung eines psychischen Leidens
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Der 1964geborene Kläger, bei dem der Beklagte mit Wirkung ab November 2004 einen GdB von 40 festgestellt hatte, stellte am
27. Februar 2009 einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen
lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2011 eine Höherstufung
des GdB ab. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB
bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Depression, außergewöhnliche Schmerzreaktion (30),
b) Funktionsbehinderung des Schultergelenks links (20),
c) Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (10),
d) Bronchialasthma (10),
e) chronische Nasennebenhöhlenentzündung (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von wenigstens 50 begehrt.
Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der behandelnden Ärzte das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. S vom 13. September
2012 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers als GdB-relevante Behinderungen
a) Verschleißleiden der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule (10),
b) Schultergelenkfunktionsstörung links mit zweimaliger operativer Versorgung 2009 und 2010 (20),
c) Depression, chronifiziertes Schmerzsyndrom, Persönlichkeitsstörung mit sozialem Rückzug (50)
festgestellt und den Gesamt-GdB mit 50 bewertet hat.
Der Anregung des Gutachters folgend hat das Sozialgericht das Gutachten des Nervenarztes Dr. B vom 3. Mai 2013 eingeholt,
der bei dem Kläger eine Dysthymia, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen
und psychischen Faktoren diagnostiziert hat. Dieses psychische Leiden hat der Sachverständige mit einem Einzel-GdB von 30
bewertet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2013 abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung
eines höheren GdB als 40. Hinsichtlich des psychischen Leidens werde der Bewertung des Sachverständigen Dr. B gefolgt. Unter
Berücksichtigung der von dem Sachverständigen Dr. S ermittelten Einzel-GdB von 20 für das Schulterleiden bzw. 10 für das Wirbelsäulenleiden
ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung bringt er insbesondere
vor, dass das nur zwölf Seiten umfassende nervenärztliche Gutachten bereits im Hinblick auf diverse Fehler in den biographischen
Angaben nicht überzeugen könne.
Die Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2013 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides
vom 17. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2011 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab
27. Februar 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge
des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in
seinen Rechten verletzen. Denn er hat keinen Anspruch auf Festsetzung eines GdB von mehr als 40.
Nach den §§
2 Abs.
1,
69 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (
SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend
den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Das Wirbelsäulenleiden des Klägers ist entsprechend der Einschätzung des Sachverständigen Dr. S nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage
zu der VersMedV mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Die Schultergelenkfunktionsstörung links bedingt einen Einzel-GdB von 20. Zwar hat der Sachverständige eine relevante Einschränkung
der Bewegungsfähigkeit nicht objektivieren können, jedoch erscheint ein Einzel-GdB von 20 entsprechend Teil B Nr. 18.13 der
Anlage zu der VersMedV im Hinblick auf die beschriebene schmerzhafte funktionelle Beeinträchtigung vertretbar.
Das psychische Leiden des Klägers ist mit einem Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Der Senat folgt der fachärztlichen Bewertung
des Nervenarztes Dr. B, der nachvollziehbar dargelegt hat, dass die psychischen Erkrankungen den stärker behindernden Störungen
mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zuzuordnen ist. Die von dem Kläger gerügte Kürze des
Gutachtens mindert nicht dessen Überzeugungskraft. Ob dem Gutachter tatsächlich Fehler bei den biographischen Angaben unterlaufen
sind, kann vorliegend offen bleiben, denn maßgeblich sind die behinderungsbedingten Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen
in allen Lebensbereichen. Den gutachterlichen Feststellungen hierzu ist der Kläger nicht entgegengetreten. Die Bewertung des
psychischen Leidens mit einem Einzel-GdB von 30 entspricht den Vorgaben in Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu der VersMedV.
Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß §
69 Abs.
3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann
im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung
größer wird.
Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB nicht höher als 40 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 30 für das psychische Leiden als führende
Behinderung ist unter Berücksichtigung der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Schultergelenkstörung links um einen
Wert von 10 heraufzusetzen. Denn diese Störung wirkt sich, wie der Sachverständige Dr. B ausgeführt hat, nachhaltig auf die
Hauptbehinderung aus. Das Wirbelsäulenleiden ist nicht geeignet, die Höhe des Gesamt-GdB zu beeinflussen, da es nur mit einem
Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist. Nach Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, - von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen
abgesehen - nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.