Grad der Behinderung
Mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft
Gesamt-GdB
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Auf den Antrag der Klägerin vom 21. März 2011 stellte der Beklagte bei ihr mit Bescheid vom 21. Februar 2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2012 einen Grad der Behinderung von 40 fest. Hierbei ging er von folgenden Behinderungen
aus:
1. psychosomatische Erkrankung (Einzel-GdB von 30),
2. Bauchfellverwachsungen (Einzel-GdB von 30),
3. Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 10).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat die Klägerin zunächst einen Grad der Behinderung von 60 begehrt.
Das Sozialgericht hat das Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S eingeholt, das am 20. November 2014 bei Gericht
eingegangen ist. Nach Untersuchung der Klägerin am 6. Oktober 2014 hat die Sachverständige den Grad der Behinderung auf 50
eingeschätzt. Hierzu hat sie folgende Behinderungen ermittelt:
1. rezidivierende mittelgradige depressive Episode, somatoforme Schmerzstörung, Migräne, Lese-/Rechtschreibschwäche (Einzel-GdB
von 40),
2. Atresiebeschwerden, Reizdarm (Einzel-GdB von 30),
3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB von 10).
Unter dem 11. März 2015 hat die Gutachterin eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.
Die Klägerin hat dem Sozialgericht das psychiatrische Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie R vom 13. April
2015 vorgelegt, welche die beamtenrechtliche Dienstfähigkeit der Klägerin verneint hat.
Die nur noch auf Feststellung eines GdB von 50 gerichtete Klage hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) mit Urteil vom 21.
Oktober 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Entgegen der Einschätzung der Sachverständigen seien
die psychischen Störungen der Klägerin lediglich mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Unter Berücksichtigung der Funktionsstörungen
im Funktionssystem "Verdauungsorgane" sei ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Eine weitere Höherstufung verbiete sich.
Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Oktober 2015 aufzuheben sowie den Beklagten
unter Änderung des Bescheides vom 21. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2012 zu verpflichten,
bei ihr mit Wirkung ab dem 6. Oktober 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt
der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
Der Klägerin hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 mit Wirkung ab dem 6. Oktober 2014.
Nach den §§
2 Abs.
1,
69 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (
SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend
den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Die seelische Erkrankung der Klägerin bedingt im streitgegenständlichen Zeitraum einen Einzel-GdB von 40. Der Senat folgt
der überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. S, die nach Untersuchung der Klägerin am 6. Oktober 2014 dargelegt
hat, dass diese an einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Episode und einer somatoformen Schmerzstörung leidet.
Diese sind als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu werten,
für die nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 Vers-MedV ein GdB-Rahmen von 30-40 vorgesehen ist. Nach Überzeugung des Senats
ist vorliegend ein Einzel-GdB von 40 gerechtfertigt, da die sozialen Anpassungsschwierigkeiten der Klägerin zwar in ihrer
Gesamtheit noch nicht einen mittelgradigen Ausprägungsgrad erreichen, der nach den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätzen
mit einem Einzel-GdB von 50-70 zu bewerten ist, sich diesem jedoch teilweise annähern. Denn deren seelische Leiden zeitigen
deutliche berufliche Auswirkungen. Wie sich aus dem psychiatrischen Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie R
vom 13. April 2015 ergibt, ist die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Leiden mit depressiven Symptomen, erhöhter Ängstlichkeit,
mangelnder psychischer Belastbarkeit und mangelnder Ein- und Umstellfähigkeit zur Erfüllung ihrer beamtenrechtlichen Dienstpflichten
dauernd unfähig. Erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung sind dagegen nicht beschrieben
worden.
Die Bewertung der Funktionseinschränkungen im Funktionssystem der Verdauungsorgane mit einem Einzel-GdB von 30 steht zwischen
den Beteiligten - zu Recht - nicht im Streit.
Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß §
69 Abs.
3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann
im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung
größer wird.
Bei der Klägerin ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für das psychische Leiden ist nach Überzeugung
des Senats im Hinblick auf die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertenden Behinderungen im Funktionssystem der Verdauungsorgane
einen Zehnergrad heraufzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfah-rens. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit dem im Klageverfahren geltend
gemachten Begehren hinsichtlich des Zeitraums vom 21. März 2011 bis zum 5. Oktober 2014 nicht durchdringen konnte.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.